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4.

Leichenfunde und Blutlachen.

Wie schon erwähnt, waren die terassenähnlichen Bauten, welche den Tempel des mexikanischen Gottes einschlossen, hohl. Es verliefen innerhalb der Mauer etagenweise übereinander angebrachte Gänge.

Diese wurden, so weit sie oberhalb der Erde lagen, also in dem Gebäude selbst, durch das Licht erleuchtet, welches durch in der Wand angebrachte Löcher hereinfiel. Aber unter der Erde befanden sich noch Gänge, zu denen das Tageslicht keinen Zutritt fand. Hier mußten brennende Fackeln es ersetzen.

Man konnte in jedem der einzelnen Gänge rund um die Ruinen herumgehen. In dem der Außenwand gegenüberliegenden Gemäuer befanden sich ebenfalls große Löcher, wenigstens in den oberen Räumen. Diese Löcher, in der inneren Gangwand dicht über dem Boden angebracht, waren so groß, daß sich ein erwachsener Mensch gebückt in sie hineinsetzen konnte, und unterzog man sich dieser Mühe, so konnte man in eine Art von Schacht sehen, dessen Boden unter der Erde lag.

Erleuchtet wurde er von dem Licht, welches von beiden Seiten durch die Scharten hereinfiel.

Solche Schächte waren früher als Grabgewölbe benutzt worden, jetzt aber konnte man in ihnen weder Särge noch Mumien erblicken.

Türen zeigten die Schächte nicht, da man aber wohl schwerlich von oben hinunter gelangen konnte, wollte man nicht den Hals riskieren, so mußte unten ein Zugang existieren. Die Türen lagen allerdings unter der Erde und konnten nur mit Hilfe eines Mechanismus' geöffnet werden, denn die alten Azteken, welche die Mumien heilig hielten, wollten fremde Hände von diesen fernhalten, sollte ihr Land doch einmal von Eroberern genommen werden.

Ihre Absicht war vergebens gewesen; kundige Finger hatten den Mechanismus gefunden, die Türen geöffnet, Menschen waren eingedrungen und hatten die Gewölbe zu anderen Zwecken verwandt, nachdem die Mumien entfernt worden waren.

In einem der oberen Gänge wandelte ein Indianer auf und ab. Obgleich der Gang in sich zurücklief, war es doch nicht so leicht, ihn zu finden, denn er zeigte unzählige Winkel, Ecken und Verstecke, manchmal schien sich ein Nebenweg abzuzweigen, der aber blind endete, und so konnte man sich oft verlaufen, ehe man die Runde gemacht hatte.

Doch der Indianer mußte hier bekannt sein; er verirrte sich nie, sondern machte regelmäßig seine Runde.

Ab und zu steckte er seinen Kopf durch eine der inneren Oeffnungen, bog den Oberkörper weit vor und konnte dann immer unten eine Gestalt sitzen, stehen oder auf- und abgehen sehen. Allerdings war der Raum mit drei Schritten durchmessen.

Wohin der Indianer auch blickte, fast jeder Schacht hatte seine Bewohner. Es waren Gefangene.

Männer waren es und Weiber in Männerkleidung, jede Person für sich; nur in einem Schacht befand sich ein junges Weib, welches ein Kind im Arme trug. Die meisten saßen apathisch am Boden, nur einige rannten die wenigen Schritte ununterbrochen auf und ab, wie ein sich nach Freiheit sehnendes wildes Tier in seinem Käfig.

Besonders an dem einen Loche verweilte der Indianer lange, und jedesmal, wenn er hinunterblickte, huschte ein verächtliches Lächeln über seine dunklen, trotzigen Züge. Wenn er sich zurückzog, legte er die Hand wohl auch drohend an den Tomahawk und murmelte etwas, was wie eine Verwünschung klang.

Am Boden jener Kammer, die immer wieder sein Interesse erregte, lag eine andere Gestalt; sie war in einen ledernen Anzug gekleidet und trug auf dem glatt rasierten Kopfe nur eine Skalplocke. Sonst mochte diese wohl mit Adlerfedern geschmückt gewesen sein, jetzt aber war sie deren bar, auch kein Oel machte sie mehr geschmeidig – schlaff und unordentlich hing sie über den Kopf, ganz passend zu dem Manne, der bewegungslos, das Gesicht auf der Erde, am Boden lag.

Ein Indianer, und zwar kein anderer als Stahlherz, wurde hier gefangen gehalten.

Der wachehaltende Indianer bekam manches Schimpfwort zu hören, das gegen die Rothäute geschleudert wurde. Sie stiegen besonders aus den Gemächern empor, welche die Trapper beherbergten, und jedesmal, wenn ein solches Schimpfwort an sein Ohr schlug, zogen sich die Augenbrauen des Wilden drohend zusammen.

Einmal mußte er von einem Manne unten gesehen worden sein, als er sich über die Mauer beugte.

»Verdammte Rothaut,« klang es herauf, »komm herunter, elender Halunke, ich habe ein Wort mit dir zu sprechen. Warte nur, ich will dir schon dein rotes Fell über die Ohren ziehen.«

Es war die Stimme Jokers, der trotz seines lahmen Beines wie ein Rasender auf- und abrannte.

Der Indianer erwiderte nichts; er zog den Kopf zurück und murmelte nur etwas Unverständliches vor sich hin.

Dann hob er den Kopf und lauschte, er hörte Schritte durch den Gang kommen. Er schmiegte sich an die Wand und ging geräuschlos dahin, von wo der Schritt kam.

Vor ihm standen ein Weib in grauem Kleide und ein Indianer.

Der indianische Wächter blickte mit allen Zeichen der Ehrerbietung auf die beiden.

Das Weib sprach etwas zu ihm und wandte sich dann an seinen Begleiter, der mit der Hand nach einer Oeffnung deutete. Dorthin begab sich das Weib, Sarah Morgan, beugte sich nieder und spähte aufmerksam hinunter.

Ihr Blick fiel auf einen Mann, der regungslos am Boden saß und trübe vor sich hinsah. Es war Lord Harrlington.

Dann ging sie einige Schritte weiter, an ein anderes Loch, und sie konnte Miß Petersen betrachten, welche ebenso teilnahmlos am Boden saß. Kein Schal, keine Decke schützte sie vor dem kalten Boden.

Auf des Weibes Gesicht spiegelte sich eine boshafte Schadenfreude, als es dieses Opfer betrachtete.

Die beiden Indianer hatten leise miteinander gesprochen, dann war der erste gegangen und in einem Seitenwege verschwunden, während der Neuangekommene für diesen die Bewachung der Gefangenen übernahm.

Miß Morgan hatte der Besichtigung der Kammern eine Minute geschenkt, jetzt ging sie an dem Wächter vorbei, der ehrerbietig zur Seite trat, und begab sich in ebendenselben Seitengang, den der fortgehende Indianer benutzt hatte.

Dieser Gang mündete in eine terassenartige Treppe, die in vielen Bogen und Winkeln abwärts führte. Der Weg war beschwerlich, die Stufen waren sehr hoch und noch dazu vielfach verschoben. Auch von hier führten wieder Seitengänge ab, und Löcher waren in den Wänden, von denen man nicht wußte, ob sie den Eingang zu neuen Wegen bildeten oder nicht.

Es war ein förmliches Labyrinth.

Miß Morgan war einige Stufen hinabgestiegen oder vielmehr hinabgesprungen, als sie um eine Ecke biegen mußte.

Entsetzt fuhr sie zurück – auf der zweiten Stufe lag lang ausgestreckt der Indianer, welcher soeben abgelöst worden war.

Er lag mit dem Gesicht auf dem Steine, hatte den Tomahawk an der Seite im Gürtel und zeigte, soweit man sehen konnte, keinerlei Verletzung. Ein Arm lag unter ihm, der andere hing an der Stufe herab.

Miß Morgan kam erst auf die seltsame Vermutung, der Mann schlafe. Sie näherte sich ihm vorsichtig und stieß ihn mit dem Fuße. Als er sich aber nicht rührte, erschrak sie fürchterlich.

Was war geschehen?

Doch Miß Morgan kannte das Gefühl der Furcht nicht. Sie zog einen Revolver aus der Tasche und blickte sich nach allen Seiten um, eilte, die Waffe schußbereit haltend, um die nächste Ecke, dann wieder nach der nächsten Biegung, ohne jemanden zu erblicken.

Langsam kehrte sie zu dem Indianer zurück.

»Sollte er bewußtlos geworden sein?« murmelte sie, »Das wäre bei einem Indianer etwas Neues!«

Wieder stieß sie ihn mit dem Fuße in die Seite, immer derber, aber er rührte sich nicht. Dann rollte sie ihn auf den Rücken, der Körper war noch warm, aber völlig leblos. Sarah blieb nicht lange im Zweifel darüber, daß der Indianer wirklich tot war.

Das Weib sah sich nochmals scheu um, ehe es an eine Besichtigung des Toten ging. Dann aber schlitzte es mit dem Messer ohne weiteres das baumwollene Jagdhemd auf, welches die Brust des Wilden umhüllte, und untersuchte diese, ohne irgend eine Wunde zu finden, ebensowenig wie an den Seiten, unter den Armen oder am Rücken.

»Merkwürdig,« dachte sie, »so kann er nur von einem Schlaganfall betroffen worden sein! Seit wann sind denn die Indianer so schwachnervig geworden?«

Sie ließ den Toten liegen und stieg kopfschüttelnd die Treppe hinunter, kreuzte mehrere Gänge, öffnete durch Bewegung von Mechanismen geheimnisvolle Türen oder ließ sich diese durch indianische Posten öffnen und gelangte so endlich in ein Gemach, welches schon unter der Erde lag und von oben beleuchtet wurde.

Dort traf sie auf Arahuaskar und einige Indianer, welche eben zwei gebundene Männer hereintrugen und dem alten Azteken zu Füßen legten.

Der eine von ihnen war förmlich in Stricke eingewickelt, er zeigte durch Blutspuren, daß er sich erst nach langem, heftigen Kampfe hatte binden lassen.

Finster blickte Arahuaskar auf die Gefangenen, welche vor ihm lagen.

Es mußte eben ein Verhör stattgefunden haben. Die Indianer machten sich schon wieder bereit, die beiden hinauszutragen.

»Siebenundzwanzig meiner roten Söhne hast du ermordet,« hörte Sarah den Alten in aufgeregtem Tone rufen, »so sollst du auch einen siebenundzwanzigfachen Tod erleiden.«

Das Weib hatte die beiden sofort erkannt. Es waren der Holländer und der Chinese, die vor einigen Tagen von ihr in der Hütte des Fallenstellers gesehen worden waren, als sie von dem oberen Raume aus die Szene unten betrachtete.

Also waren auch sie in die Hände der Indianer gefallen. Aber es hatte einen schweren Kampf gekostet, sie zu fangen. Siebenundzwanzig Indianer waren dabei getötet worden, jedenfalls von dem Holländer, der mit seinem Schwerte furchtbar gewütet hatte. Miß Morgan war ja selbst einmal Zeuge davon gewesen, wie gewandt der Holländer sein Schwert zu handhaben wußte.

Nun, es war wohl sein letzter Schwertkampf gewesen; an einem der nächsten Tage fand er den Tod zu Ehren des Kriegsgottes. Die Indianer brauchten viele Opfer, denn je mehr Blut floß, um so gnädiger blickte Huitzilopochtli auf sie herab. Die Rothäute, welche früher nur ihrem großen Geiste gehorchten, hatten die neue Lehre, welche den alten Gott predigte, mit offenen Ohren aufgenommen und waren jetzt Feuer und Flamme, Bleichgesichter lebendig zu fangen, um mit ihnen ihren alten Gott, den sie schon lange vergessen hatten, zu versöhnen.

Der Holländer lag mit starren Augen da, er verriet weder Angst noch Zorn, während der Chinese die geschlitzten Augen blitzschnell durch das Gemach von einem zum anderen schweifen ließ und dabei noch immer das schlaue Gesicht zeigte. Nur Aerger konnte dieses verwischen, aber keine Gefahr.

Jetzt wurden sie von den Indianern aufgehoben und hinausgetragen. Auch ihr Aufenthalt war vorläufig die Turmkammer.

Die geheime Oeffnung schloß sich sofort hinter den Trägern, Sarah war mit Arahuaskar allein in dem kleinen Gemach.

Der alte Indianer benahm sich gegen das Weib sehr zuvorkommend, er rückte auf dem Binsenlager etwas zur Seite, deutete auf den leeren Platz und forderte jenes auf, Platz zu nehmen.

»Was hat mir meine weiße Tochter zu sagen? Setze dich, du bist mir stets willkommen!«

Doch Miß Morgan, die hier wie zu Hause zu sein schien, setzte sich nicht, auch ging sie auf kein vertrauliches Gespräch ein. Mit kurzen Worten erzählte sie, wie sie, als sie die oberste Etage verließ, aus der Treppe die Leiche eines Indianers gefunden hätte, der eben erst abgelöst worden wäre. Nichts verriete, daß er sein Leben durch Gewalt verloren habe; sein Körper habe keinen Stich, kein Kugelloch aufzuweisen, sein Schädel sei nicht zerschmettert.

Ungläubig schüttelte der Alte den Kopf.

»Es ist so,« versicherte Sarah.

»Ich habe gehört,« entgegnete Arahuaskar nachdenkend, »ein Mensch kann auch ohne Krankheit sterben. Er fällt plötzlich um und ist tot, ohne vorher noch gesprochen zu haben.«

»Das ist es, was auch ich meine, der Indianer hat einen Schlaganfall gehabt.«

»Noch nie ist dies bis jetzt bei einem Indianer vorgekommen, ich habe es nur von Weißen erzählen hören.«

»Ich werde die Leiche hierherbringen und den alten Vater holen lassen,« sagte Sarah. »Er ist Arzt und kann dir sagen, ob meine Vermutung auf Wahrheit beruht.«

Sie setzte den Mechanismus in Bewegung. Ein Teil der Wand schob sich in das Gemäuer hinein, und schon wollte Sarah durch diesen künstlichen Ausgang in den Gang treten, als einige Indianer herannahten, die den leblosen Kameraden trugen. Sarah warf einen Blick auf den Mann und trat zurück.

»Sie haben ihn schon gefunden,« sagte sie zu Arahuaskar, »nun will ich den alten Vater holen lassen.«

Sie beauftragte einen Indianer damit.

Der Körper wurde niedergelegt.

»Wer ist dieser Krieger?«« fragte Arahuaskar.

Einer der Indianer trat vor.

»Der schwirrende Pfeil. Ich fand ihn auf einer Treppe, tot, doch ohne eine Verletzung. Der große Geist hat ihn gebraucht, denn der schwirrende Pfeil war ein tapferer Krieger.«

Der Indianer hatte schnell eine Erklärung gefunden.

»Wo fandest du ihn?«

»Auf der zweiten Treppe zur rechten Hand von hier. Er lag am Fuße des Blockes, der so gestürzt ist, daß er den Weg versperrt.«

»Wie?« rief Sarah plötzlich. »Dort habt ihr ihn gefunden? Nicht in dem obersten Gange auf der ersten Treppe?«

»Dort waren wir nicht.«

Das Weib beugte sich tief auf den Toten hinab, und sah ihm ins Gesicht. Das Licht war zu schwach, um die Züge desselben deutlich zu erkennen. Indianer, welche nie einen Bart tragen, ähneln sich überhaupt sehr.

Doch da schrie Sarah wieder auf.

»Das Hemd ist auf der Brust nicht zerschnitten!«

Der Indianer zischte verächtlich.

»Ich brauche nicht erst das Hemd zu zerschneiden, will ich sehen, ob ein Messer den Körper getroffen hat. Auch an dem Hemd müßte dann ein Loch zu sehen sein.«

»Wohl, aber ich habe das Hemd zerschnitten.«

Jetzt sahen die Indianer die Sprecherin verwundert an.

»Auf,« fuhr Sarah fort, »folgt mir dahin, wo ich die Leiche fand!«

Sie stürmte hinaus, die Indianer ihr nach, und nach zehn Minuten kehrten sie zurück, einen anderen toten Indianer, denselben, den Sarah vorhin gesehen hatte, tragend.

Der alte, weißhaarige Mann war unterdes zu Arahuaskar gekommen, hatte die Leiche untersucht, zuckte aber nur mit den Achseln und erklärte, er könne nicht sagen, woran der Mann gestorben sei. Weder äußerlich noch innerlich sei etwas verletzt, und von den Schlaganfällen, die er kenne, läge keiner vor.

Die Bestürzung wuchs; sie steigerte sich zum Entsetzen, als noch eine dritte Leiche gebracht wurde. Der Mann war eines ebenso rätselhaften Todes gestorben, wie die anderen.

»Sie müssen an Gift verendet sein,« meinte Sarah.

Das wäre allerdings die einzige Lösung des Rätsels gewesen.

»Gut, ich werde die Magen der Leichen untersuchen,« erklärte der alte Gelehrte, welcher ebenso wie Arahuaskar wenig aus der Fassung kam, ein Zeichen des Alters, welches sich über nichts mehr so leicht wundert, während die jüngeren Indianer schauderten, teils stumpfsinnig die toten Gefährten betrachteten. Was über den Begriff des Indianers geht, das betrachtet er als etwas Uebernatürliches und befaßt sich nicht mehr damit. Darin hat er Aehnlichkeit mit dem Mohammedaner.

Arahuaskar ließ die Leichen hinaustragen, er wollte die beiden Weißen allein sprechen. Der Arzt gab den Indianern den Befehl, eine davon nach dem Raume zu bringen, den er bewohnte. Er wollte untersuchen, ob sie an dem Genusse giftiger Speisen gestorben seien.

»Wie zeigt sich Sonnenstrahl?« fragte Arahuaskar, als sie allein waren.

»Er ist willig,« entgegnete der Alte, »er lauscht mit Begeisterung meinen Erzählungen, er befolgt streng die Vorschriften, welche nötig sind, ihn vorzubereiten, und kann kaum die Zeit erwarten, da er vor die Krieger treten soll.«

Arahuaskar nickte befriedigt.

»Und Waldblüte?«

Der Alte zog ein mißmutiges Gesicht, warf einen Seitenblick auf Sarah und sagte dann:

»Wir haben einen Mißgriff mit ihr getan. Waldblüte paßt nicht gut für unsere Pläne, sie hat zuviele Wenn und Aber.«

»Ich dachte es mir. Seit wann aber war sie nicht mehr mit Sonnenstrahl zusammen?«

»Seit nur sechs Tagen.«

»So entflamme Sonnenstrahl noch mehr, mache ihn vor Stolz und Ehrsucht ganz trunken, dann bringe ihn mit seiner Schwester zusammen, bleibe aber bei ihnen und laß deine Bemühungen, sie willfährig zu stimmen, durch die seinen unterstützen!«

»Ich glaube fest, Waldblüte hat eine Ahnung, daß die, welche sie beschützen wollte, wieder gefangen worden sind.«

»Durch wen sollte sie es erfahren haben? Sie hat ihre Kammer doch nicht einmal verlassen.«

»Nein, dafür habe ich gesorgt. Aber es war falsch von uns, ihr die Löwin zu geben. Sie glaubte mir nicht, als ich ihr erzählte, ihre Freundin hätte sie ihr geschenkt. Ich konnte wohl merken, daß sie sich nur so stellte.«

Arahuaskar runzelte die Stirn.

»So versichere es ihr von neuem! So lange sie nicht völlig unser ist, darf sie nicht erfahren, daß die Weißen wieder hier sind. Hörst du? Nicht das Geringste. Hat Sonnenstrahl Argwohn geschöpft?«

»Er denkt gar nicht mehr an jene, er träumt nur von seinem künftigen Ruhme, Ich glaube, schon jetzt würde er nicht zögern, sie seinem Gotte zu opfern.«

»Sage es ihm noch nicht! Das Herz des Jünglings ist unbeständig. Ist er zum Häuptling erwählt, hat er das erste Blut fließen sehen, so wird er selbst das Opfer verlangen.«

Er wandte sich an Sarah.

»Meine weiße Tochter kennt die beiden Männer, welche meine Krieger vorhin brachten?«

»Ja. Doch sprachst du nicht gestern davon, als du mir ihre Gefangennahme erzähltest, du kenntest den Mann genau, er sei ein Feind der Engländer?«

»Den einen. Er ist ein unversöhnlicher Feind der Engländer gewesen, scheint es aber nicht mehr zu, sein.«

»Schade,« sagte Arahuaskar in bedauerndem Tone, »wir müssen jeden auf unsere Seite zu bringen suchen, der die Engländer haßt.«

»Aber nicht diesen Mann. Er ist von den Indianern mißhandelt worden, und ehe er sich gegen die Engländer wendet, würde er erst seine Rache an den Indianern nehmen. Er ist für uns verloren. Ueberhaupt traue ich ihm nicht mehr, ich habe gesehen, wie er einem Engländer die Hand schüttelte, und gehört, wie er ihn Freund nannte.«

»So muß er sterben! Wer ist der Kleine?«

»Ein Chinese.«

»Ein Fremder in unserem Lande – er stirbt!«

Arahuaskar winkte mit der fleischlosen Hand, doch Sarah bat, noch sprechen zu dürfen. Freundlich wurde ihr dies gestattet.

»Ich habe eine Bitte, an deren Erfüllung mir viel gelegen ist,« begann sie.

»Sprich!« ermunterte Arahuaskar sie, die Augen im Totenschädel mit sichtlichem Wohlgefallen auf der schönen Erscheinung haften lassend.

»Durch mich wurden jene zwei Flüchtlinge wiedergefangen, deren Entkommen vielleicht alles verraten hätte. Ich bitte daher, sie mir zu überlassen.«

»Was willst du mit ihnen beginnen?«

»Sie töten!«

Verwundert über diese kurze Antwort blickte Arahuaskar das Mädchen an.

»Ihr Los ist auch sonst kein anderes,« sagte er dann.

»Das weiß ich, aber sie sind meine Feinde. Ich will sie durch meine eigenen Hände sterben lassen.«

Arahuaskar überlegte, er blickte seinen Gefährten an, und dieser nickte unmerklich.

»So sei es, sie gehören dir!«

»Ich darf mit ihnen tun, was ich will?«

»Was du willst, das heißt, sie müssen sterben.«

»Das sollen sie. Kann ich Zutritt zu ihren Kammern erhalten? Das ist mir die Hauptsache.«

»Ich werde meinen Kriegern Befehl geben, daß sie dich jederzeit einlassen.«

Sarahs Augen leuchteten auf.

»Dann habe ich noch eine Bitte,« hob sie wieder an. »Erinnerst du dich meines Begleiters, welcher bei seinem Eintritt hier von Krämpfen befallen wurde?«

»Was ist mit ihm?«

»Ich möchte ihn bei mir haben.«

»Meine Krieger fürchten sich vor dem bösen Geiste, der in ihm wohnt.«

»Sie sollen ihn nicht zu sehen bekommen. Er kann heimlich bei Nacht hereingeschafft werden und einen versteckten Raum als Aufenthaltsort angewiesen bekommen.«

»Gut! Er darf herein. Doch hüte dich, daß die Indianer ihn in seinem wilden Zustande zu sehen bekommen. Nichts ist gefährlicher, als wenn sie glauben, böse Vorzeichen zu erblicken.«

»Ich werde dafür sorgen.«

Sarah verließ mit dem Alten das Gemach.

Während beide durch den finsteren Gang schritten und der Alte mit einer Blendlaterne den Weg beleuchtete, ergingen sie sich in Vermutungen über den Tod der drei Indianer. Der Gelehrte glaubte an eine Vergiftung, er wollte jetzt die Körper untersuchen, ob in ihnen Spuren eines Giftes zu finden seien.

Man fand innerhalb des Gemäuers noch hie und da Mumien, diese waren mit einer giftigen Substanz einbalsamiert worden, und leicht konnte es ja geschehen sein, daß die Indianer ihre Speisen zufällig mit solch einer Mumie in Berührung gebracht hatten, ohne daß sie es wußten.

»Haben Sie denn nicht daran gedacht,« begann Sarah, »daß unter den Gefangenen zwei Mann fehlen?«

»Doch, ich habe es sofort bemerkt und war darüber bestürzt.«

»Und schöpfte Arahuaskar nicht deswegen Argwohn?«

»Arahuaskar ist schon alt, sein Gedächtnis beginnt ihn zu verlassen, und ich hüte mich, ihn zu erinnern, damit er uns nicht mit neuen Besorgnissen quält.«

»Nun, es ist sehr leicht möglich, daß diese beiden Männer, Waldläufer, sich noch in der Ruine befinden und Spuk treiben.«

Ueberrascht blieb der Greis stehen.

»Glauben Sie das?«

»Es ist nur eine Vermutung.«

»Dann müßten sie die Indianer vergiftet haben,« entgegnete der Alte, den Weg fortsetzend. »Sind diese beiden wirklich entkommen, bleichen ihre Gebeine nicht irgendwo zwischen dem Gemäuer, sondern schlagen sie Lärm, so kann Arahuaskar ein Strich durch die Rechnung gemacht werden.«

Sarah lachte spöttisch, aber leise auf.

»Wir können ja offen miteinander sprechen,« sagte sie, »was uns hier hält, ist ja nur eine Privatsache. Sie interessieren sich für die Sache der Indianer doch ebensowenig wie ich. Ist unsere Rache befriedigt, dann gehen wir unsere eigenen Wege.«

»Was wissen Sie davon?« murmelte der Alte dumpf.

»Verstellen Sie sich nicht, ich weiß es ziemlich bestimmt,« entgegnete Sarah spöttisch. »Arahuaskar ist ja wahnsinnig mit seinen Plänen. Er paßt besser zu einem Narrenfürsten als zum Indianerbeherrscher, doch das gilt mir gleich. Die Gefangennahme dieser Männer und Mädchen hat er gut gemacht, mir ist Gelegenheit geboten, mich an einigen Personen zu rächen, und Sie haben doch auch keine andere Absicht.«

Der Alte murmelte etwas Unverständliches in seinen langen Bart. Daß er nicht widersprach, bezeugte, daß Sarah recht hatte.

»Können Sie Arahuaskar nicht bereden, die Sache schneller zu betreiben?« begann sie wieder.

»Er will warten, bis Vollmond ist. So schreibt es ein Gesetz der Azteken vor. Nie begannen sie einen Kampf eher, wenn sie auf sicheren Erfolg hofften.«

»Torheit!« murrte Sarah. »Bis dahin kann schon alles verraten sein. In vierzehn Tagen, vermute ich, ist das Grenzmilitär hier und hat die Ruine umzingelt.«

»Das habe ich Arahuaskar auch schon gesagt; er glaubt es aber nicht. Seine Antwort ist immer, so lange er Geiseln besitzt, könne ihm niemand etwas anhaben.«

»Ach, mit Geiseln rechnet der schlaue Fuchs also auch schon; da wird es Zeit, daß ich mein Werk beginne, sonst besinnt sich Arahuaskar noch anders und nimmt mir meine Beute wieder aus den Händen. Es gibt also kein Mittel, Arahuaskar zu schnellerem Handeln zu bewegen? Vorstellungen, daß Gefahr vorliegt, wenn er zögert, müssen doch wirken.«

»Ich habe alles versucht. Er wartet bis zum Vollmond.«

»Weshalb haben Sie denn Waldblüte zur Prophetin erzogen? Legen Sie ihr doch ein Orakel in den Mund, daß der Gott diesmal nicht zürnt, wenn der heilige Mondschein nicht abgewartet wird, sondern daß er gerade das Gegenteil wünscht.«

Der Alte lachte bei diesem Vorschlage spöttisch auf.

»Gewiß, das wäre ein Plan. Nur schade, daß Arahuaskar ebensowenig an Waldblütes prophetische Gabe glaubt wie ich.«

»Ach so, das hatte ich vergessen. Nun, machen Sie es ebenso wie ich; warten Sie nicht auf Arahuaskars Einwilligung, sondern gehen Sie allein vor! Ich bedaure, daß Sie betreffs Ihres Schicksals so zurückhaltend sind. Ich interessiere mich für Leute, welche gleich mir Rachegedanken hegen, und deren ganzes Leben in der Aufgabe liegt, dieselben auszuführen. Apropos, eine Frage habe ich doch an Sie. Ihrem Dialekt nach halte ich Sie für einen Holländer. Ist meine Vermutung richtig?«

Der Alte antwortete nicht, sondern tat, als hätte er die Frage völlig überhört. Jetzt bog er links in einen Gang ab. Die Blendlaterne beleuchtete Nischen, Winkel und Löcher in den Wänden.

Sarah wußte, daß sie sich nicht geirrt hatte – Schweigen ist auch eine Bejahung.

»Ich wollte Ihnen nur mitteilen,« fuhr sie fort, »daß jener Mann, der mit dem Schwert so blutig unter den Indianern gehaust hat und der vorhin als Gefangener eingeliefert wurde, ebenfalls ein ...«

Doch sie stieß plötzlich einen lauten Schrei aus, zog die Hand hastig zurück und drängte sich an den Alten. Sie war so erschrocken, daß sie an allen Gliedern zitterte und nicht, wie sonst, daran dachte, nach dem Revolver zu greifen.

»Was war das?« rief sie in entsetztem Tone. »Etwas Nasses berührte meine Hand.«

Der Alte war selbst erschrocken, doch nur über die Heftigkeit seiner Begleiterin. Schnell drehte er die Blendlaterne, und der Lichtstrahl klärte alles auf; er fiel gerade auf einen mächtigen, grauen Bären, der mit gesenktem Kopf vor Sarah stand und deren Füße beschnoberte.

Der Alte lachte sorglos.

»Barzam, alter Kerl,« sagte er und klopfte freundlich das zottige Fell. »Wie kannst du uns so erschrecken! Er hat mit seiner nassen Nase nur untertänig Ihre Hand geküßt, das macht er gern,« fügte er erklärend hinzu.

Sarah hatte vor dem Tiere, welches ihr fast bis an die Hüfte reichte, noch nicht alle Scheu verloren. Der graue Bär, Grislybär oder nur Grisly genannt, ist das fürchterlichste Raubtier Amerikas, vielleicht der ganzen Welt. Er wird von den dortigen Kolonisten mehr gefürchtet als der Löwe von den Kapbauern und der Königstiger von den englischen Koloniesoldaten, denn letztere tötet doch ein sicherer Schuß, der graue Bär dagegen stürzt sich noch mit zwanzig Kugeln im Leibe auf den Jäger und zerfetzt ihn. Seine Stärke, Wildheit und Grausamkeit gegen die Beute, der er lebendig die Glieder abreißt, hat nicht seinesgleichen.

»Der Grisly hat nur eine Tugend – er kann nicht klettern,« sagt der Hinterwälder.

»Es ist ekelhaft, wie diese Tiere hier umherschleichen,« rief Sarah unwillig, »auf Schritt und Tritt begegnet man den unheimlichen Gästen; sie sind hier so heimisch, daß sie selbst die geheimen Eingänge zu finden wissen und einem mitten in der Nacht Besuche abstatten. Ich bin schon oft bis zum Tod erschrocken, wenn ein Bär in meinem Zimmer sein Nachtquartier aufschlug. Und dabei muß man noch höflich gegen sie sein, sonst macht man Bekanntschaft mit ihren Tatzen.«

»O nein, unsere Bären sind alle zahm. Nur wenn sie gehetzt werden, sind sie gefährlich.«

»So? Arahuaskar hat mir selbst gesagt, ich sollte ja zart mit ihnen umgehen.«

»Weil die Bären den Azteken heilig waren, und Arahuaskar befolgt alle alten Gebräuche.«

»Alberne Sitte! Wieviele sind eigentlich hier?«

»Fünf. Drei davon sind mit Sonnenstrahl aufgezogen worden, die anderen sind später dazugekommen und von Arahuaskar selbst gezähmt worden. Er versteht sich auf dergleichen Künste, und Sonnenstrahl hat sie von ihm gelernt. Es gehört dies zu dem arrangierten Mummenspiel; es geht nun einmal die Sage, Sonnenstrahl oder besser der zukünftige Häuptling aller Indianer werde in Gemeinschaft von Bären auferzogen. Sie sagen sogar, er sei von einer Bärin gesäugt worden.«

Der Bär hatte sich unterdes nach Art seines Geschlechtes von einer Vordertatze auf die andere gewiegt, gemütlich gebrummt und des Alten Füße berochen. Er schien sehr guter Laune zu sein.

»Geh jetzt, Barzam,« sagte der Alte, ihm das Fell klopfend, »geh zu deinem Herrn!«

Gehorsam wendete der Bär sich um und entfernte sich in jenem schwerfälligen und doch so fördernden Trab, der diesen Tieren eigen ist. Der Alte ließ ihm den Strahl der Laterne folgen, bis er um eine Ecke gebogen war.

»Ich habe mich an die Tiere gewöhnt,« sagte er schwermütig. »Wenn man so weit kommt, schließlich alle Menschen zu hassen, so bleiben einem nur noch die Tiere als Freunde. Ich kann mich mit Barzam wie mit einem Menschen verständigen; er versteht jedes Wort von mir und ich sein Gebrumm. Selbst aus seinem Augen- und Mienenspiel kann ich seine Wünsche lesen. Sie lachen, weil ich von dem Mienenspiel eines Tieres spreche? Fragen Sie nur jemanden, der sich viel mit Tieren abgiebt, zum Beispiel einen Tierbändiger, noch besser aber den Dresseur von Hunden und Affen, der wird Sie eines Besseren belehren. Was das Mienenspiel des Tieres vor dem des Menschen so wertvoll macht, ist, daß es immer ehrlich ist. Das Tier kann darin nicht lügen, eine Verstellung ist darin ebenso unmöglich wie beim Ausdruck seiner Gefühle; Barzam liebkost den, welchen er liebt, und wen er nicht leiden kann, den knurrt er an. Wahre Aufrichtigkeit ist nur noch bei Tieren zu finden, nicht mehr bei Menschen.«

Er setzte mit seiner Begleiterin den Weg fort.

»Wohin gehen Sie?«

»Ich weiß gar nicht, wo ich mich befinde, ich bin Ihnen einfach gefolgt. Ich wollte nur einen Ausgang gewinnen, der mich ins Freie bringt.«

»Ohne Kenntnis der Gänge sind diese Pforten schwer zu finden. Einer, den der Instinkt nicht wieder zurückleitet, kann sich hier so verirren, daß er sich in einem Labyrinth zu befinden glaubt und nie wieder ans Tageslicht kommt. Der Fall ist schon passiert. Seien Sie deshalb vorsichtig! Kommen Sie mit mir, ich bringe Sie an einen Ausgang!«

Er bog rechts ab in einen anderen Gang.

Sie waren noch nicht lange gegangen, als der Alte sagte:

»Riecht das hier nicht ganz eigentümlich?«

Sarah sog die Luft ein.

»Ich kann nichts bemerken.«

»Es riecht so nach – nach ...«

»Wahrhaftig,« rief das Weib, »es riecht gerade wie in einer Schlächterei.«

Sarah glitt plötzlich aus und stürzte zu Boden. Aergerlich lachend erhob sie sich.

»Gerade ins Wasser gefallen,« sagte sie.

»Ins Wasser? Das ist wohl nicht gut möglich, die Keller sind vollständig trocken, und doch,« unterbrach sich der Alte, welcher auf den Boden geleuchtet hatte, »hier steht Wasser.«

Der ganze Boden des Ganges war mit einer großen Pfütze bedeckt; sie reichte von einer Seite bis zur anderen und floß auch in alle Ecken und Winkel hinein.

»Wie mag dies hierherkommen?« brummte der Alte.

Sarah hatte so ein eigentümliches, klebriges Gefühl an den Fingern. Sie hob dieselben und brachte sie an das Licht der Laterne, wo die Hände eine rote Farbe zeigten.

»Das ist kein Wasser,« schrie sie laut auf, »das ist Blut!«

»Das ist kein Wasser, das ist Blut!« schrie Miß Morgan auf, als der Lichtschein die große Pfütze beleuchtete.

Der Alte tauchte kopfschüttelnd den Finger in die dunkle Flüssigkeit und betrachtete ihn dann ebenfalls im Licht. Er mußte Sarahs Behauptung bestätigen.

»Blut?« murmelte er in namenlosem Schrecken. »Wie in aller Welt kommt das hierher?«

Die beiden sahen sich lange Zeit sprachlos an, und gleichzeitig entstand in ihren Köpfen der Gedanke, ob dieses Blut mit den gefundenen Leichen im Zusammenhange stände. Die Vermutung lag nahe.

Scheu wurde die Laterne nach allen Richtungen gedreht. Das unsichere Licht machte die vorspringenden Ecken erzittern, verwandelte die Säulen in Gestalten und zauberte in die Nischen unheimliche Wesen mit glühenden Augen und grimmigen Gesichtern. Den beiden grauste es, doch waren sie nicht furchtsam genug, um an die Wahrheit ihrer Phantasiegebilde zu glauben. Der Alte war hier grau geworden, ihn schützte die Erfahrung vor Furcht, Sarah ihr angeborener Mut.

Sie fand auch bald die Sprache wieder.

»Wo so viel Blut geflossen ist,« sagte sie leise, »müssen auch Leichen vorhanden sein.«

»Und Mörder,« ergänzte der Alte.

Doch der Strahl der Laterne ließ weder einen Leichnam, noch ein lebendiges Wesen erkennen, die Blutlache erstreckte sich scharf abgegrenzt zu ihren Füßen, und keine Spur bezeichnete den Weg, den der Mörder mit seinem Opfer genommen.

Der Alte zog eine stählerne Pfeife aus den Falten seines Gewandes. Ein trillernder Pfiff schrillte durch das Gemäuer.

»Was unsere Augen nicht sehen können, wird denen der Indianer nicht verborgen bleiben,« sagte er. »In einigen Minuten sind unsere Diener hier.«

Er ließ die Pfeife in kurzen Zwischenpausen ertönen, um die Indianer zu sich zu leiten.

»Halt,« rief Sarah plötzlich, »wir haben ja Barzam vollständig vergessen. Sollte der Bär ein Tier oder vielleicht auch einen Menschen zerrissen und verschlungen haben?«

»Diese Bären rühren kein Fleisch an,« sagte ihr Begleiter bestimmt. »Arahuaskar hat sie an eine ausschließliche Pflanzenkost gewöhnt.«

»So greifen sie keinen Menschen an?«

»Doch! Auf Befehl ihrer Herren werfen sie sich auf jeden, der ihnen bezeichnet wird, mit der größten Wut und zerfleischen ihn, nie aber fressen sie ihn. Sie haben einen Widerwillen vor Fleisch bekommen. Barzam also hat dieses Blut auf keinen Fall vergossen.«

»Kann er selbst es nicht verloren haben?«

»Dann wäre er wohl nicht so gemütlich gewesen. Und weiter, betrachten Sie nur diese Blutlache! Der stärkste Büffel wäre bei solch einem Blutverlust verendet.«

In der Ferne wurden Lichter sichtbar, Indianer, die ständigen Bewohner der Ruine, kamen herbeigeeilt. Schnell waren sie verständigt, sie überwanden das Entsetzen, das sie bei der Mitteilung befiel, und begannen Nachforschungen zu halten, aber von der Blutlache führte keine Spur ab.

Selbst der Bär konnte sie nicht überschritten haben, sonst hätte man die blutigen Abdrücke seiner Tatzen erkennen müssen; auszuweichen war der Lache nicht, also mußte er vor ihr umgekehrt sein.

Es wurde nichts gefunden. Arahuaskar selbst wurde gerufen, auch er stand vor einem Rätsel.

Durch die zahllosen, unterirdischen und überirdischen Gänge der Ruine streiften Banden von Indianern, bewaffnet und mit Fackeln versehen, keine außergewöhnliche Fußspur, kein Stückchen Zeug, kein verdächtiger Laut wäre ihnen entgangen, aber immer kamen sie mit der Meldung zurück, nichts Verdächtiges gefunden zu haben.

Am nächsten Tage aber wurden die Bewohner der Ruine abermals in den höchsten Schrecken versetzt. Zwei Indianer waren wieder auf eine neue, von der ersten weit entfernten Blutlache gestoßen. Von ihr führten auch unförmliche Spuren ab, man konnte nicht erkennen, ob sie von einem Menschen oder Tiere herrührten, es waren nur runde Flecke, dann aber hörten sie plötzlich ganz auf und blieben verschwunden. Das Blut mußte eben erst geflossen sein, es rauchte noch.

Fehlte unter den gegenwärtigen Indianern in der Ruine einer? Nein, außer den drei Kriegern, deren Leichen gefunden wurden, keiner, und deren Körper enthielten noch alles Blut, aber ebensowenig konnten sie an Gift gestorben sein, der alte Gelehrte hatte sie genau untersucht und keine Spur davon in ihnen gefunden.

Von wem stammte dann das Blut?

Diese Frage hielt die Bewohner der Ruine und deren Gäste in beständiger Aufregung. Man flüsterte leise miteinander. Der Name Huitzilopochtli ward öfter denn je hörbar, und gingen die Indianer an einer mit Riegeln und Schlössern bedeckten, eisernen Tür vorüber, so beschleunigten sie ihren Schritt und drückten sich ängstlich an die Wand. Hinter dieser Tür sollte sich das Standbild des nach Blut dürstenden Kriegsgottes befinden, und in diesem wohnte er selbst.

Hatte er das Blut den Indianern vor Augen gezaubert, um sie daran zu erinnern, daß sie mit dem Schlachten der Opfer nicht mehr lange zögern sollten? Hatten jene Krieger, deren Leichen man gefunden, an seiner Macht gezweifelt, vielleicht gar über ihn gespottet?

Der schlaue Arahuaskar wußte diese ihm selbst rätselhaften Vorkommnisse auszubeuten, er sorgte dafür, daß Huitzilopochtli noch mehr Anhänger fand. Der Kriegsgott hatte deutlich zu seinen roten Kindern gesprochen.


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