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28.

Der letzte Anschlag und gerichtet.

Das Knallen der Gewehre, das Schmettern der Trompeten, die Kommandos und das Hurra der stürmenden Matrosen, vermischt mit den Schmerzenslauten der Verwundeten, drangen nur schwach hinab in die unterirdischen Räume der Ruine, aber sie wurden doch von zwei Personen vernommen.

Man konnte sie nicht sehen, sie befanden sich in einem vollkommen dunklen Raum, aber man hörte ihre Unterhaltung. Die Stimmen gehörten Miß Morgan und Flexan an; die heisere, krächzende des letzteren war nicht zu verkennen.

»Unser Spiel wird bald aus sein,« ließ sich die Frauenstimme vernehmen, und ein Hohn lag darin, welcher die Wut verdecken sollte. »Immer deutlicher schlägt der verfluchte Yankee-Doodle an mein Ohr, immer lauter erklingen die feindlichen Hurras, und schon höre ich das Kommando Estrellas nicht mehr.«

»Desto lauter klingt das Hoffmanns,« krächzte Flexan. »Dieser Schurke, daß er mir entgangen ist! Sara, du hast mich betrogen, Hoffmann war gar nicht unter den Gefangenen Arahuaskars.«

»Doch, er war bei ihnen, aber nicht als Gefangener.«

»Warum belogst du mich?«

»Ich denke jetzt an etwas anderes, als daran, dich über diese Notlüge aufzuklären.«

»Woran denkst du?«

»Wie ich diese Engländer mit ihren Bräuten doch noch vernichten kann,« zischte das Weib.

»Sie sind jetzt auf dem besten Wege, die Rebellen samt uns zu vernichten,« lachte Flexan.

»Das letzte Kommando Estrellas war: ›Nach dem Plateau‹. Dort soll wahrscheinlich das Karree gebildet werden, welches die gefangenen Mädchen aufnimmt. So war Estrellas Plan. Doch seine Stimme höre ich nicht mehr.«

»Er wird gefallen sein.«

»Dann haben die Rebellen wenig Aussicht auf Sieg.«

»Kannst du dich nicht überzeugen, wie ihre Sache steht?« fragte Flexan.

»Ich würde nichts Erfreuliches zu sehen bekommen.«

»Doch! Die Engländer sind nicht gegen Kugeln gefeit, und vielleicht schonen die Stürmenden auch nicht die Gefangenen, vielleicht beschießen sie doch das Karree.«

»Gut, ich gehe.«

»Bleibe nicht lange.«

Man hörte, wie eine Tür geöffnet ward. Miß Morgan verließ den Raum, um von einem Mauerloch aus den Kampfplatz zu überschauen.

Flexan brauchte nicht lange auf die Freundin zu warten, schon nach wenigen Minuten kam sie zurück.

»Nun, schon wieder da?«

Sara antwortete nicht, Flexan hörte ihren fliegenden Atem.

»Du bist außer dir! Hast du Schlimmes gesehen?«

»Nichts habe ich gesehen,« keuchte das Weib endlich, »aber den Feinden wäre ich bald in die Hände gelaufen.«

»Nicht möglich! Sie sind im Innern der Ruine?«

»Es scheint so. Sie haben wahrscheinlich einen unterirdischen Gang gefunden, der sie mitten unter die Rebellen bringt. Hahaha, jetzt sind diese verloren. Jener Gang führt gerade auf das Plateau, wo das Karree gebildet werden soll.«

»Bist du gesehen worden?«

»Ich weiß nicht.«

»Schwerlich! Sonst hatten sie dich verfolgt.«

»Unsinn, was kümmern sich diese Männer um ein Weib! Das Karree wollen sie sprengen und die Gefangenen befreien.«

»Aber Sara!« rief Flexan fast laut. »Warum hast du denn nicht Lärm geschlagen und die Rebellen auf die ihnen drohende Gefahr aufmerksam gemacht?«

»Was kümmern mich die Empörer!«

»Aber die Gefangenen können befreit werden. In den Gängen hätten die Angreifer leicht unschädlich gemacht werden können. Du hättest den Ueberfall unbedingt verraten sollen. Geh schnell und tue es, vielleicht ist es noch Zeit.«

»Daß ich eine Närrin wäre!« höhnte Miß Morgan. »Die Rebellen mögen die Suppe, die sie sich selbst einbrockten, allein auslöffeln, ich diene ihnen nicht mehr. Mögen sie besiegt werden.«

»Wo bleibt dann unsere Rache?«

»Die bleibt uns überlassen. Mir ist jetzt die Hauptsache, daß ich hier versteckt bin. Nach der Schlacht wird die Aufregung eine sehr große sein, den siegestrunkenen Engländern, den wonnetaumelnden Damen ist dann leicht beizukommen.«

»Aber wie?«

»Laß nur, ich habe meine Pläne.«

»Ich möchte sie wissen.«

»Du sollst sie noch erfahren. Der Tod soll die Liebenden ereilen, wenn sie einander in den Armen liegen.«

Draußen entstand ein furchtbares Getümmel, die Gewehre schwiegen, nur Revolver knallten noch ab und zu, und Waffen klirrten gegeneinander.

»Das Karree ist nicht gebildet worden, oder es ist gesprengt, noch ehe es feuern konnte. Hörst du das verzweifelte Stöhnen, Flexan? Es ist der Todesschrei der Rebellen!«

»Du meinst, sie sind besiegt?«

»Ich meine, sie werden vernichtet.«

»Pardon, pardon!« vernahmen die beiden zwischen den Siegesrufen der Amerikaner.

»Keinen Pardon, nieder mit den Rebellen,« hörten sie Kapitän Stauntons Stimme den Tumult übertönen. Kolben schmetterten, Degen rasselten, gellende Hilferufe erschollen und brachen kurz ab – es gab keinen Pardon.

»Besiegt, verloren!« stöhnte Flexan.

»Hörst du, das ist Ellens Stimme,« zischte Sara. »Wie sie sich freut. Sie fragt nach Lord Harrlington, sie schreit – aha, Harrlington fehlt unter den Siegern – noch mehrere – ja, ja, der Krieg kostet Menschen, er verschont auch den Geliebten nicht – Gebete halfen nur früher – Hoffmann tröstet –«

»Verdammter Schurke, er lebt also noch.«

»Hope Staunton schreit,« fuhr die lauschende Sara fort, »aha, ihr geliebter Hannes fehlt, nein, da ist er – hahaha, er hat eine Kugel ins Ohr bekommen – armer Hannes, wie Hope um deine verlorene Schönheit trauert!«

So ging es fort. Die beiden im Keller vernahmen jeden Ruf der Freude und der Klage.

»Hah, das ist Nick Sharps Stimme,« rief das Weib plötzlich. »Er ruft seinen Bruder, den Reporter. Wehe uns, Flexan, wenn er daran denkt, uns zu suchen! Wir müssen eilen, wollen wir einen Racheakt herbeiführen. Ich fürchte diesen Detektiven mehr als alle anderen zusammen, er ist mit dem Teufel im Bunde.«

Sie verbrachten einige Stunden in ungeduldigem Warten, bis Sara die Zeit der Dämmerung für gekommen hielt. Sie verließ ihr sicheres Versteck, um draußen zu spionieren, und kehrte mit der Nachricht zurück, daß die Verwundeten in Gewölben untergebracht lägen, und daß die Damen bei ihnen wären.

Sie konnte dem knirschenden Flexan auch von der Wiederbelebung Lord Harrlingtons erzählen, sie hatte ein Gespräch belauscht, ja, den Lord sogar in den Armen Ellens gesehen und beider Küsse gehört.

»Und unsere Rache!« stöhnte Flexan.

»Sie kommt,« entgegnete Sara triumphierend.

»Willst du einen nach dem anderen mit dem Revolver erschießen?«

»Nein.«

»Was sonst?«

»Nicht einen nach dem anderen, sondern alle gleichzeitig.«

»Das wäre ein Kunststück.«

»Welches mir gelingen soll. Habe ich auch nicht die Wollust, sie langsam unter tausend Qualen sterben zu sehen, wie es mein Wunsch war, der Tod aller soll mich auch schon befriedigen.«

»Willst du sie zum Duell fordern?« höhnte Flexan.

»Ich habe einen Plan, der sicher ist.«

»Ich will ihn hören. Ich dürste ebenso nach Rache, wie du.«

»So höre! Die Gewölbe, in dem sich jetzt fast alle befinden, liegen gerade über den Räumen, in welchen früher die Bären hausten. Kennst du sie?«

»Ich kenne die Bärenzwinger.«

»Gut, dorthinein müssen wir und –«

»Aber die Bären?«

»Die sind in alle Winde zerstoben. Sie sind in den Wald geflohen, ich weiß, daß einige von ihnen durch Indianer erlegt worden sind.«

»Und wo ist Arahuaskar?«

»Wer weiß, wo sich dieser versteckt halt. Doch das hat hiermit nichts zu tun.«

»Richtig, die Bärenzwinger, welche unter den Gewölben liegen! Von dort aus willst du deinen Feinden beikommen?«

»Ja. Unter der nicht weit von hier liegenden Munition Estrellas befindet sich auch ein großes Faß mit Pulver, weil viele der Rebellen mit Vorderladern bewaffnet waren.«

»Ah, ich verstehe.«

»Es ist fast noch voll. Dieses wälzen wir in die Bärenzwinger und lassen die Gewölbe in die Luft fliegen.«

»Vortrefflich. Sollen wir losen, wer von uns mit in die Luft gesprengt wird?«

»Es ist nicht nötig, ich habe Zündschnur und Feuerzeug für alle Fälle stets bei mir.«

»Dann bin ich mit dem Plane einverstanden, und fürwahr, die Stunde der Vergeltung ist endlich gekommen,« triumphierte Flexan. »Sind wirklich alle in den Gewölben versammelt?«

»Alle, deren Tod wir wünschen. Wir wollen noch etwas warten, bis es dunkler ist, denn wir müssen einen vom Tageslicht beschienenen Gang passieren!«

Nach einer Stunde erklärte Sara, daß es jetzt Zeit sei.

»Du mußt mir helfen, das Faß zu transportieren, es ist eine Treppe hinauf- und eine hinunterzurollen. Wenn zwei dabei sind, kann besser jedes Geräusch vermieden werden.«

»Du fürchtest Beobachter?«

»Man kann nicht wissen. Haben wir den Gang erreicht, der an dem Bärenzwinger vorbeiführt, werde ich das Faß allein weiterrollen.«

»Und wo bleibe ich?«

»Du begibst dich an jenen Ausgang der Ruine, welcher dem krummgewachsenen Eichbaum gegenüberliegt.«

»Ich kenne ihn.«

»Dort erwartest du mich.«

»Aber komme, bevor das Pulver explodiert.«

»Ich werde wohl nicht so lange warten. Die Zündschnur glimmt eine gute Viertelstunde.«

»Und wenn ich von dem Eingange verscheucht werden sollte, wohin nehme ich meine Zuflucht dann?« fragte der sehr vorsichtig gewordene Flexan weiter.

»Dann nimmst du denselben Weg, den die geflohenen Indianer genommen haben, verbindest dich mit ihnen und wartest, bis auch ich zu ihnen treffe.«

»Dieser Vorschlag gefällt mir nicht, mit Indianern ist nicht gut Kirschen essen.«

»Du bist aber sicher bei ihnen, weil sie dich deines Aussehens wegen fürchten.«

»Nun gut, ich werde zu ihnen gehen, solltest du mich nicht am Ausgange finden.«

Sie schlichen hinaus und begaben sich nach jenem Ort, wo die Rebellen ihre Munition und sonstige Vorräte aufgestapelt hatten. Es fehlte den siegreichen Matrosen vorläufig noch an Zeit, darnach zu suchen.

Miß Morgan brauchte kein Licht, sie führte Flexan dorthin, wo das zwar große, doch nicht besonders schwere Pulverfaß stand, und beiden gelang es, dasselbe von den anderen Fässern herunterzuheben. Dann wurde es weitergerollt.

Wie Sara gesagt hatte, mußten sie eine Treppe hinauf, eine andere hinunter. Sie gaben sich die möglichste Mühe, jedes verräterische Geräusch zu vermeiden, doch ganz gelang ihnen dies nicht.

Sie unterhielten sich während ihrer Arbeit nur flüsternd; hatten aber natürlich keine Ahnung, daß ihr Gespräch belauscht wurde.

»Der Inhalt dieses Fasses wird genügen, die ganze Ruine in die Luft zu sprengen,« meinte Flexan.

»Das hat nichts zu sagen.«

»Arahuaskar soll hier Schätze verborgen haben.«

»Wenn dem so ist, so wird auch der sogenannte alte Vater, dieser verräterische Schurke, das Versteck kennen und die Schätze ans Tageslicht bringen.«

»Wenn das Gemäuer nicht schon vorher zerfällt.«

»Dann werden die Schätze verschüttet, und vielleicht haben wir später das Glück, sie zu finden.«

»Ich werde nicht nach ihnen suchen,« knurrte Flexan.

»Weil du ihrer nicht bedarfst?« fragte das Weib lauernd.

»Mache dir keine Hoffnung, eher etwas von mir zu bekommen, als bis meine Rache gekühlt ist.«

Sara bückte sich zum Fasse hinab.

»In einer Viertelstunde soll dies der Fall sein. Und dann?«

»Dann setze ich dich zu meiner Erbin ein.«

»Wer garantiert mir dafür?«

»Sara, nimm Vernunft an! Ich habe niemanden mehr auf der Welt als dich, selbst mein Kind habe ich verspielt. Ich verlange auch gar nicht mehr nach ihm. Nur du hast dich meiner noch angenommen, und das soll dir vergolten werden.«

»Gut, daß, du es einsiehst,« murmelte Miß Morgan.

Hätten die beiden geahnt, daß hinter ihnen wie Katzen zwei Männer schlichen, Hoffmann und Nick Sharp, bereit, eine neue Freveltat zu verhindern!

Sie sprachen nicht, flüsterten nicht zusammen, ja, der Detektiv schlich sogar mit geschlossenen Augen vorwärts, weil diese die Eigenschaft besaßen, im Dunklen zu leuchten. Manchmal war dies sehr vorteilhaft für ihn, weil er somit befähigt war, auch im Finstern einigermaßen zu sehen, jetzt aber konnten sie zu Verrätern an ihm werden.

Lieber sah er gar nicht, er schloß die Augen, tastete sich vorwärts und hielt sich an Hoffmann.

Jetzt hatten die mit dem Faß Beschäftigten den Gang erreicht, der nach dem Bärenzwinger führte.

»Findest du dich von hier aus zu dem geheimen Ausgang?« fragte Miß Morgan.

»Ja, ich bin hier schon wie zu Hause.«

»Du kannst gleich rechts abbiegen.«

»Den Weg kenne ich allerdings nicht, ich finde mich nur, wenn ich zurückgehe.«

»So kehre so schnell wie möglich zurück und warte auf mich, in zehn Minuten bin ich bei dir.«

Der Mund des Detektiven berührte Hoffmanns Ohr.

»Fassen wir ihn?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Der kleinste Laut, schon das Aufhören seiner Schritte kann uns verraten.«

» All right. Fangen wir das Weib?«

»Ja, doch jetzt noch nicht.«

»Es wäre aber besser, wenn wir es täten.«

»Nein. Um ihre Rache zu befriedigen, schont sie ihr eigenes Leben nicht. Sie könnte ins Faß schießen.«

Flexan kam näher.

»Schnell neben der Wand auf den Boden!«

Geräuschlos sanken die beiden Männer zusammen.

Jetzt hatte Flexan sie erreicht.

Der Gang war breit, aber der Vertraute Miß Morgans mußte sich jedenfalls an der Wand forttasten, denn er trat auf den Detektiven.

»Halloh, was ist das?«

»Was gibts?« rief Sara leise.

»Hier liegt ein Mensch.«

»Nicht möglich!«

»Doch! Aber sei ruhig, er ist tot. Ich habe ihm ein paarmal mit aller Wucht auf die Hand getreten, er rührt sich nicht.«

»Es wird ein Indianer sein, der hier verreckt ist. Gehe weiter!«

Hoffmann und Sharp trafen sich wieder, als die Schritte verhallt waren.

»Hat er Sie wirklich auf die Hand getreten?« flüsterte, nein, hauchte Hoffmann dem Begleiter zu.

»Ja,« murrte der Detektiv. »Begegne ich ihm wieder, so werde ich ihm auf die Gurgel treten, bis er keine Luft mehr bekommt.«

Miß Morgan hatte das Faß weitergerollt und war dann stehen geblieben. Sie mußte die Wand erreicht haben.

»Ich bin am Ziel, hier sind die Bärenzwinger,« murmelte sie, daß ihre Worte eben noch für die seinen Ohren der Nachschleichenden hörbar waren, »ich gehe in den ersten besten Raum, die Gewölbe liegen oben, und das Pulver reicht hin, um alles in Trümmer zu legen.«

Ein Kratzen verriet, daß sie an der Wand nach dem Mechanismus suchte; doch sie hielt noch einmal an.

»Was war das? Klang das nicht wie leises Stöhnen? Torheit, ich fürchte mich nicht vor Gespenstern. Meine Nerven sind nur äußerst erregt und täuschen mir diese Töne vor.

Sie horchte wieder.

»Es ist alles ruhig.«

Es ward ein Knacken hörbar. Der Mechanismus bewegte sich, die Wand schob sich zurück, und – ein furchtbares Wehgeschrei gellte durch den dunklen Gang, dem ein dumpfes Knurren folgte.

Sharp packte Hoffmanns Arm.

»Ein Bär,« flüsterte er, den Revolver ziehend.

»Das war kein Bär, das war das Fauchen einer Katze.«

»Denken Sie an die Waffe!«

»Ich habe keine nötig. Seien Sie ruhig, wir brauchen kein Raubtier zu fürchten.«

Schauerlich erklang das Stöhnen des Weibes, dann wieder das drohende Knurren. Da flammte ein Licht auf, der Ingenieur hielt eine Glühlampe in der Hand, und das Bild, welches sie beleuchtete, war wirklich entsetzlich.

Miß Morgan lag am Boden, und auf ihrem blutenden Körper stand eine Löwin, das Maul schon von Blut gerötet und mit den Augen gegen das elektrische Licht blinzelnd.

Miß Morgan lag am Boden, und auf ihrem blutenden Körper stand Juno, Miß Ellens Löwin.

Das Tier war furchtbar abgemagert, es bestand nur noch aus Haut und Knochen, das Fell war struppig, und die Augen funkelten in unzähmbarer Wildheit.

Es war Juno. Sie mochte schon lange hier eingeschlossen gewesen sein, und im Drange der letzten Ereignisse war das Tier vergessen worden. Nach langer Hungerzeit war das verbrecherische Weib seine erste Beute, es war verloren.

Hoffmann wollte vorwärts, doch der Detektiv hielt ihn am Arm zurück

»Hier waltet die Nemesis,« sagte er, »wir wollen ihr nicht entgegentreten, es wäre Sünde.«

»Miß Morgan lebt noch,« sagte Hoffmann erschüttert.

Bisher hatte das Weib nur leise gestöhnt. Es war nicht tödlich verwundet; noch hatte Juno ihr Opfer geschont. Die starke Natur Miß Morgans ließ eine Ohnmacht nicht zu, sie war sich ihrer gefährlichen Situation bewußt.

Sie erkannte die beiden Männer.

»Hilfe, Hilfe,« schrie sie, »um Gottes Barmherzigkeit, helft mir, und ich will ...«

Die Löwin mochte fürchten, das Opfer könnte ihr entgehen. Ein wütender Biß in die Kehle der am Boden Liegenden war die Folge ihres Schreiens, dann riß Juno ein Stück Fleisch nach dem anderen von dem zuckenden Körper und schlang es gierig hinter.

»Zu spät!« murmelte Hoffmann.

»Juno hat gerichtet, ich bedaure das Weib nicht.«

Die Löwin wurde wieder mißtrauisch, sie unterbrach ihr greuliches Mahl und betrachtete die beiden Männer.

»Dem Tier ist nicht mehr zu trauen,« meinte Sharp, »es kennt die Menschen nicht mehr. Es kann selbst uns gefährlich werden.«

Er hob den Revolver.

»Es ist die Löwin von Miß Petersen.«

»Sie ist es, doch sie ist in ihre Wildheit zurückgefallen. Lieber schieße ich sie tot, als daß ich mich von ihr fressen lasse.«

»Ich kann sie schneller töten, als Sie es vermögen.«

»Bitte, überlassen Sie mir den Schuß, ich möchte einmal einen Löwen mit dem Revolver töten. Sollte er doch noch springen, dann empfangen Sie ihn nach Ihrer Weise.«

»Denken Sie an das Pulverfaß.«

»Bah, das liegt ja ganz links.«

Der Detektiv hob den Revolver und drückte los, ohne anscheinend gezielt zu haben. Doch sein Revolver fehlte nie, die Kugel drang ins Auge der Löwin, und ohne nur einen Laut auszustoßen, stürzte dieselbe tot zusammen.

Die Männer eilten vorwärts.

Miß Morgan war tot. Des Tieres Gebiß hatte sie schon furchtbar zugerichtet; die linke Seite war zerfetzt, der dazugehörige Arm vom Rumpf gerissen.

»So, wieder eine Schandtat vereitelt!« meinte Sharp, der keine Gewissensbisse zeigte, weil er nicht früher geschossen. »Sie wird kein Pulverfaß mehr explodieren lassen.«

Hoffmann untersuchte den Zwinger.

»Hier liegen Knochen, sie sind teils zermalmt. Also hat Juno nicht immer hungern müssen.«

»Menschenknochen?«

»Nein, solche von Hunden.«

»Aber Hunde gab es ja gar nicht hier.«

»Doch, einen. Lizzard, die Dogge von Stahlherz, wurde hier gefangen gehalten. Anscheinend sind Lizzard und Juno hier zusammengesperrt worden, und die stärkere Juno hat Lizzard aufgefressen. Schade um das brave Tier!«

Sharp hob den Kopf und sog aufmerksam die Luft ein.

»Riecht das hier nicht sonderbar?«

»Es riecht nach Raubtieren. Doch ja, wahrhaftig, das riecht bald nach jenem Fett, mit dem sich Arahuaskar einrieb.«

Die Lampe leuchtete umher, doch sie beschien nichts Auffälliges, bis Sharp endlich in Kopfeshöhe eine Art von Wandschrank entdeckte. Als er ihn nach einigen Versuchen geöffnet, erblickten sie darin eine Mumie, aber schon der zweite Blick belehrte sie, daß sie keine tausendjährige Mumie, sondern den noch ziemlich frischen Körper Arahnaskars vor sich hatten.

Der phantastisch angelegte Indianer hatte sich hier, als er sein Ende nahen fühlte, selbst eingeschlossen. Das Scheitern aller seiner Pläne konnte er nicht überwinden.

Nach versteckten Schätzen wurde vergeblich gesucht, und die beiden verschoben eine gründliche Untersuchung auf später, denn Flexan fiel ihnen ein, den sie auch noch dingfest machen konnten.

Sie eilten die Gänge zurück, erreichten den beschriebenen Ausgang, fanden aber Flexan dort nicht vor.

Die Nacht war dunkel, und in der Ferne leuchteten Fackeln. Es kamen befreundete Indianer an, ein eigentümliches, wehklagendes Summen ertönte von ihren Lippen.

Der Ingenieur eilte den Indianern entgegen, sie erkannten Deadly Dash und hielten ehrfurchtsvoll still. Auf seine Frage sagten sie aus, sie hätten allerdings einen Mann von dem beschriebenen Aussehen dahin laufen sehen, woher sie kamen. Sie hinderten ihn nicht an der Flucht, denn er sei vom bösen Geist besessen gewesen.

So war Flexan doch durch etwas mißtrauisch gemacht geworden und hatte sich entfernt.

»Wir wollen ihn vorläufig laufen lassen,« meinte Sharp, »seinem Schicksal entgeht er doch nicht.«

Ein junger Indianer trat zu Hoffmann – es war Sonnenstrahl – und führte ihn nach der Mitte des Zuges, wo auf einer Bahre ein verhüllter Körper lag.

Sonnenstrahl schlug die Decke zurück, die Leiche Stahlherz' ward sichtbar.

Hoffmann ergriff die kalte Hand des Toten. Mitleid war nicht nötig, die Indianer bedauern den Kameraden nicht, der auf dem Kampfplatz fällt.

»Er ist eines ehrenvollen Todes gestorben.«

»Ja, und die Feinde haben nicht gewagt, einem Apalachen den Skalp zu nehmen.«

»Er wird in den ewigen Jagdgefilden ein Häuptling über viele Häuptlinge werden,« sagte Adlerfeder.

Hoffmann reichte Sonnenstrahl die Hand.

»Bleibet hier, du und deine Schwester, bis ich wiederkomme. Dann hole ich euch und halte das Versprechen, das ich deinem Vater gab.«

»Ich kenne es. Ich und Waldblüte werden warten.«

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, der Leichnam des Apalachen sollte nach der geheimen Sitte einiger Indianerstämme bei Nacht begraben werden.

Hoffmann und Sharp begaben sich in die Gewölbe zurück, erzählten aber das Erlebte noch nicht, auch nicht die furchtbar drohende Gefahr, der die Freunde entgangen waren. Der Tag hatte schon schreckliche Ereignisse genug gebracht.


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