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10.

Der Bär als Reformator.

»Mythra,« rief Sonnenstrahl halb erstaunt, halb unwillig, »was fällt dir ein? Komm hierher und begrüße deinen Herrn, wie es dir ziemt.«

Aber der Bär hatte keine Lust, der Aufforderung zu folgen. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit beharrte er in seiner aufrechten Stellung und brummte weiter.

»Siehst du, er kündigt dir schon den Gehorsam,« rief Waldblüte erschrocken, »Sonnenstrahl folgte er aufs Wort, den nach Blut dürstenden Häuptling kennt er nicht mehr, Tiere sind oft klüger als Menschen, sie wissen, was diese nur ahnen.«

»So werde ich ihn von neuem zum Gehorsam zwingen,« entgegnete der Bruder.

Er ging auf den Bären zu und schaute ihn mit einem Blick an, dessen magnetische Kraft sonst nie seine Wirkung verfehlt hatte. Sonnenstrahl konnte sich sonst auf diese Weise das gefährlichste Raubtier zu Willen machen. Doch diesmal blieb es erfolglos.

Mythra deutete durch nichts an, daß sie den bannenden Blick verspürte.

Sonnenstrahl wurde zornig, die Muskeln an seinen Armen schwollen plötzlich an.

»Du willst nicht?« rief er, den Tomahawk aus dem Gürtel ziehend. »Ich will dich Gehorsam lehren.«

Dabei führte er mit dem Stiele der Waffe einen Schlag nach der Schnauze des Baren, doch gewandt drehte derselbe den Kopf, der Schlag ging ins Leere, aber nicht der, welchen jetzt der Bär dem Indianer zugedachte. Die Tatze traf mit voller Wucht das obere Ende des Tomahawks, und klirrend flog die Waffe auf den Boden.

Erst war der Indianer über diesen tätlichen Angriff des Bären ganz erstaunt, nie hatte er einen solchen von dem Tiere vermutet; dann aber sprang er mit einem Schrei der Entrüstung auf ihn los. Den Bären am Fell packen und ihn emporheben war eins, im nächsten Augenblick wurde er zu Boden geschmettert, daß man förmlich die Knochen krachen hörte.

Eine solche fast übermenschliche Kraft hätte man in dem schlanken Jüngling nimmermehr vermutet.

»Erkennst du nun deinen Gebieter?« rief er. »Kann dich mein Blick nicht mehr zwingen, so vermag dies doch noch mein Arm zu tun!«

Er hatte den Bären niedergedrückt und kniete nun auf ihm.

Allein auch der Bär war ein riesig starker Gegner. Der Angriff des Indianers war nur zu schnell gekommen, daß er nicht hatte daran denken können, ihm zu begegnen, wer weiß, ob er sonst besiegt am Boden gelegen hätte.

Sonnenstrahl, wie auch Waldblüte glaubten sicher, jetzt würde Mythra jeden Widerstand aufgeben. Mit leuchtenden Augen blickte Waldblüte auf den starken Bruder. Allein beide sollten sich getäuscht haben.

Der Bär lag einen Augenblick wie betäubt auf dem Rücken, dann aber kam plötzlich wieder Leben in ihn. Seine Pranken schlangen sich um den Indianer, und ein Ringkampf begann, in welchem einmal der Indianer, das andere Mal der Bär obenauf war.

Waldblüte schrie laut auf. Es war das erstemal, daß ein Bär nicht nur spielend, sondern anscheinend ernstlich sich mit Sonnenstrahl maß. Mythra besaß furchtbare Tatzen und ein scharfes Gebiß, der Bruder trug ein Messer im Gürtel. Doch er griff nicht nach diesem, durch seine Kraft wollte er den Bären zum Gehorsam zurückführen. Wenn derselbe nur auch so edel gesinnt gewesen wäre!

Wahrhaftig, fast schien es so, er machte von seinen Zähnen keinen Gebrauch, desto mehr aber von seinen Armen und blieb doch Sieger, es konnte ja auch nicht anders sein. Wie ein Alp lag er jetzt auf dem Jüngling und drückte ihn in erstickender Umarmung an seine Brust. Da half kein Widerstand, Sonnenstrahl vermochte sich nicht mehr zu rühren.

Der glühendheiße Atem des Bären streifte sein Gesicht, sein Atem stockte, noch einmal versuchte er mit aller Kraft seinen Arm freizumachen, um nach dem Messer greifen zu können, denn jetzt hätte er Gebrauch davon gemacht – allein vergebens, wie Eisenbanden umschlangen ihn die Pranken des Bären.

Waldblüte schaute dieser Szene mit Entsetzen zu. Sie sah, daß das furchtbare Raubtier nicht mehr spielte, sie sah das aschfarbene Gesicht des Bruders, wie sich dessen Augen schlossen, sie hörte das Röcheln, daß seiner Brust entquoll, und sie wußte, daß der Bär sein Opfer nicht eher aus der umstrickenden Umarmung ließ, als bis es tot war.

Der Bär war plötzlich von Tollwut befallen worden, der menschliche Willenseinfluß war wirkungslos.

Doch Waldblüte verlor die Besinnung nicht, sie schrie auch nicht, das hatte den noch immer geliebten Bruder nicht vor dem sicheren Tode gerettet.

Neben ihr am Boden lag der Tomahawk des Bruders, im nächsten Augenblick sauste er in ihrer Hand durch die Luft und schmetterte auf den Schädel des Bären nieder. Es gab einen Klang, als wenn ein irdener Topf zerspränge.

Der Schlag war nicht mit der Schärfe des Beiles geführt worden, sondern mit der hinteren, stumpfen Seite, aber, o Wunder, was für eine seltsame Wirkung hatte dieser Schlag.

Als wäre dem Bären der Kopf nur angeleimt gewesen, so fiel er plötzlich ab und rollte durch das Gemach. Aber es floß kein Blut, es zeigte sich nicht einmal eine blutige Stelle, sondern nur ein großes Loch, und aus diesem schob sich plötzlich der Kopf eines Menschen, eines Bleichgesichtes hervor.

»Danke,« sagte eine lachende Stimme zu dem Mädchen, das seinen Augen nicht trauen wollte. »Sie schlagen eine kräftige Hand, aber vorsichtig müssen Sie sein. Hätte ich meinen Hals nicht schnell genug eingezogen, so rollte mein Kopf jetzt ebenfalls in dem Futteral des Bärenschädels wie eine Kegelkugel herum, und das wäre mir wahrhaftig sehr fatal.«

»Danke,« sagte das Bleichgesicht zu Waldblüte, die ihren Augen nicht traute.

Der Indianer war beim Klang der Stimme wieder zum Bewußtsein gekommen, besonders, weil die Arme in der todbringenden Umstrickung nachließen.

Verblüfft blickte er in das über ihn gebeugte Gesicht des weißen Mannes.

»Nun, Mister Sonnenstrahl,« fuhr der lachende Mund fort, »was meinen Sie denn nun? Gibt es unter Bleichgesichtern Männer, welche es mit Ihnen an Kraft aufnehmen, heh? Allen Respekt, Mister Sonnenstrahl, Sie würden sich recht gut zum Ringkämpfer eignen, mir tun jetzt noch die Knochen im Leibe weh, aber einen Bären werfen Sie ebensowenig wie mich.«

Nach diesen spöttischen Worten erhob er sich, stellte sich aufrecht hin, das Fell sank plötzlich von ihm hernieder, und aus der Umhüllung kam ein Mann zum Vorschein – Nick Sharp.

»Hugh!« rief der Indianer, sprang auf und eilte zu seiner Schwester, sich wie schützend vor sie stellend.

»Nun seid mal nicht bange,« fuhr der Detektiv in gemütlichem Tone fort, das Fell beiseite schleudernd und sich dehnend und streckend, »ich tue euch nichts, Kinder, so lange ihr mir nichts tut. Waldblüte, das Essen scheint fertig zu sein, es riecht schon so appetitlich, ich habe einen ganz ungeheuren Hunger.«

Die beiden wagten nicht, sich zu rühren. Sie waren selbst angelernt worden, anscheinend übernatürliche Sachen auszuführen, mit denen sie den abergläubischen Indianern imponieren sollten, das aber, was sie hier sahen, überstieg ihr Begriffsvermögen.

Wie ein Bär herumzulaufen, sich schlafend zu stellen, zu knurren und brummen, selbst den spielenden Löwen zu täuschen, und dann diese furchtbare Stärke – das konnte kein Mensch sein, sondern einer ihrer Götter, der sich als Bär unter sie gewagt hatte und nun wieder Menschengestalt annahm.

»Wer bist du?« brachte Sonnenstrahl endlich hervor.

»Kein Gott, wie du vielleicht glaubst, sondern ein Mensch wie du, nur daß ich eine weiße Haut habe und noch etwas kräftiger bin als du. Oder soll ich es dir noch einmal beweisen? Jetzt hindert mich das Bärenfell nicht mehr, du wirst staunen, wie ich dich in der Luft herumwirbeln werde.«

»Ich glaube dir! Doch du bist nicht Mythra?«

»Gott bewahre,« lachte der Mann. »Du kommst auf seltsame Gedanken.«

»Wo ist Mythra?«

»Dies Fell dort gehörte ihr allerdings. Ich muß dir aber mitteilen, so leid es mir auch tut, daß ich Mythra getötet habe.«

»Du hast Mythra getötet?«

Sonnenstrahl hatte seine Fassung wiedergewonnen, seine Stimme klang vorwurfsvoll.

»Ja, ich mußte, weil sie mir, so lange sie lebte, ihr Fell nicht borgen wollte, und ich brauchte es unbedingt, um recht gemütlich in der Ruine herumstreifen zu können. Die beiden Blutlachen, die ihr fandet, und die euch so in Aufregung setzten, stammten von Mythra und Barzam, ihrem Herrn Gemahl.«

»So hast du auch Barzam getötet?«

»Ich nicht, sondern mein Freund. Er ist bedeutend stärker als ich, also mußte er auch ein größeres Fell haben.«

»Er steckt in Barzams Fell?«

»Gewiß, auch mein Freund treibt sich als Bär in dem Gemäuer herum und schnüffelt überall hin.«

Die Geschwister sahen sich erstaunt an.

Diesen Mann brauchten sie nicht zu fürchten, das merkten sie, aber was wollten die beiden Fremdlinge hier?

»Es sind die beiden Männer, welche nicht bei den Gefangenen sind,« flüsterte Waldblüte dem Bruder zu, »der alte Vater und das weiße Mädchen sprachen davon und waren deshalb besorgt, ich habe sie belauscht, wie ich dir schon mitteilte.«

»Was willst du hier?« fragte Sonnenstrahl wieder.

»Ich möchte nicht gern, daß meine Freunde und Freundinnen, welche ihr gefangen haltet, getötet werden. Mein Begleiter und ich werden über sie wachen.«

Der Indianer runzelte finster die Stirn, er maß den kühnen Sprecher von oben bis unten mit den Blicken.

»Fremder,« sagte er drohend, »bist du auch stärker als ich, im Kampfe mit den Waffen bist du mir nicht gewachsen.«

»Das kommt darauf an. Ich bin zu jeder Zeit bereit, mit dir zu fechten. Wie wäre es zum Beispiel hiermit? Es macht nicht viel Lärm, trifft aber ganz gut.«

Dabei hielt der Detektiv dem Indianer einen Revolver entgegen.

Schneller konnte der Blitz nicht sein als Sonnenstrahl. Im Nu war er bei dem Gegner und hatte ihn unterlaufen, aber für den Detektiven war er doch noch zu langsam.

Der Indianer griff ins Leere, dafür drückte ihn Nick Sharps eiserne Faust schon gegen die Wand. Den Revolver hielt er nicht mehr, er hatte ihn eingesteckt.

»Mach' keine Torheiten,« lachte er, »du kannst mir doch nichts tun, fange es an, wie du willst.«

Sharp gab den Indianer frei und trat einen Schritt zurück.

Diese Szene hatte sich in einigen Sekunden abgespielt. Die erst wie versteinert dastehende Waldblüte sprang jetzt zu ihrem Bruder, der wieder die Fassung verloren hatte, und schmiegte sich an ihn.

Wahrhaftig, das war kein Mensch. Oder sollten alle Weißen so sein? Dann stand es für die Indianer schlimm.

Diese Gedanken wirbelten in Sonnenstrahls Kopfe herum.

»Nun, wie steht's, hast du nun Vernunft angenommen?« begann Sharp wieder.

Sonnenstrahl atmete tief, er hatte am liebsten in den Boden versinken mögen.

»Freue dich nicht zu früh!« entgegnete er. »Ich gebe zu, daß du mir überlegen bist, aber es bedarf nur eines Zeichens von mir, und von allen Seiten strömen Indianer herbei.«

»Bah, die sitzen und hocken alle oben im Saale auf Fellen, ich kenne das.«

»Doch schnell sind sie von mir gerufen.«

»Doch schneller fliegen sie in die Luft.«

»Was sagst du da?«

Sharp zog wieder den Revolver hervor und richtete ihn in die Höhe.

»Berührt mein Finger den Drücker, so fällt ein Schuß. Ist es nicht so?«

»Wenn er geladen ist, ja.«

»Und gleichzeitig erfolgt eine furchtbare Explosion, alles, was nicht unter der Erde liegt, fliegt in die Luft, und mit dem Mauerwerk zugleich alles Lebendige. Außer den Gefangenen werden nicht viele Menschen am Leben bleiben.«

Der Indianer versuchte bei diesen kaltblütig gesprochenen Worten zu lächeln, aber er konnte damit das Entsetzen, das sich in seinen Zügen abspiegelte, nicht verdecken.

»Wie könnte das sein?«

»Mein Freund steht bereit, auf meinen Schuß hin den ganzen oberen Teil der Ruine in die Luft zu sprengen. Alles ist unterminiert, die Lunte brennt.«

Wieder flüsterte Waldblüte mit dem Bruder.

»So habt ihr schon die Arbeitsräume des alten Vaters zerstört?«

»Wir waren es.«

»Warum tatet ihr es?«

»Weil wir es für gut fanden.«

Der Indianer mußte sich mit dieser Antwort zufrieden geben, der Fremde trat vollkommen als Herr auf.

Doch jetzt nahm Sharp wieder seine alte, gemütliche Sprechweise an.

»Sonnenstrahl, du kannst mich wirklich dauern. Du bist ein so mutiger, kräftiger Krieger, viel zu gut, hier in den Grabgemächern zu vermodern. Aus dir sollte etwas anderes werden.«

Der Indianer fühlte sich geschmeichelt, wie überhaupt alle Rothäute dem Lobe sehr zugänglich sind, um so mehr, wenn es aus dem Munde eines Mannes kommt, vor dem sie Achtung haben.

Und Sonnenstrahl hatte vor diesem Weißen, der ihm in jeder Hinsicht überlegen war, plötzlich die größte Hochachtung bekommen, wenn er sich das auch nicht merken lassen wollte.

Ein Lächeln flog über seine bronzefarbenen Züge.

»Warum aber bedauerst du mich?«

»Weil man dich an der Nase herumführt. Und sehr klug bist du auch eben nicht,« fuhr Sharp ruhig fort.

»Fremder, du kannst mich wohl töten, wenn du mich besiegt hast, darfst mich aber nicht schmähen,« klang es drohend.

»Ich sagte die Wahrheit. Deine Schwester hat mehr Verstand als du, überhaupt mehr, als alle Indianer zusammen, welche sich hier versammelt haben, und das sind nicht wenige.«

»Waldblüte? Wieso?«

»Weil alle anderen dem alten, verrückten Arahuaskar glauben und sich durch den Hokuspokus des sogenannten alten Vaters, dieses Spitzbuben, verblüffen lassen. Waldblüte dagegen hat den wahren Sachverhalt begriffen, wie ich vorhin selbst gehört habe, sie versuchte ihn auch dir klarzumachen. Es war aber wie gewöhnlich, sie predigte tauben Ohren, weil diese einem Narren gehören.«

»Du nennst mich einen Narren?«

»So lange du an Huitzilopochtli glaubst, bist du einer. Dieser Gott hat seine Rolle schon lange ausgespielt. Ihm ist es ganz gleich, ob ihm Menschen geschlachtet werden oder nicht, er schläft schon lange den Schlaf der Ewigkeit. Aber anderen ist es nicht gleichgültig, ob eure Gefangenen geschlachtet werden oder nicht, und zu diesen anderen zählen mein Freund und ich, wir dulden derartiges nicht.«

Sonnenstrahl wurde verlegen. Er war von diesem Manne ein Narr genannt worden, weil er an Huitzilopochtli geglaubt hatte. Dasselbe, nur zarter, hatte ihm vorhin seine Schwester gesagt.

»Sollte es wirklich so sein?« murmelte er bestürzt.

»Es ist so, glaube ihm!« flüsterte ihm die Schwester zu. »Wir können nichts gegen die Blaßgesichter beginnen. Sieh diesen, er ist nur einer; aber furchtlos kommt er zu uns, um seinen Freunden nahe zu sein, er befiehlt uns in unserer eigenen Behausung, und er braucht nur zu wollen, so fliegen alle hier versammelten Indianer als zerfetzte Leichen in die Luft.«

»Ich glaube es nicht,« murmelte Sonnenstrahl.

»Aber ich.«

»Arahuaskar kann keinen Frevel mit mir treiben, er darf es gar nicht wagen.«

»Bah,« mengte sich Sharp wieder dazwischen, »ihr seid eben beide nur die Werkzeuge des ehrsüchtigen Alten. Sonnenstrahl, du denkst doch nicht etwa, du bist ein Kind der Sonne?«

Der Indianer schwieg eine Weile, dann fragte er:

»Wenn ich es nicht wäre, wo ist denn meine Mutter?«

Der Detektiv lachte laut und ungeniert auf.

»Viel Schlauheit verrät diese Frage eben nicht. Ich bin nicht verpflichtet, deine Mutter zu suchen, aber ich wette, Sonnenstrahl, würdest du einige Mühe darauf verwenden, du würdest sie oder deinen Vater finden.«

»Meinst du?« rief Waldblüte.

»Sicherlich. Ich bin fest überzeugt, Arahuaskar wie auch der sogenannte alte Vater, der Gauner, kennen das Geheimnis eurer Abstammung. Ich will gehangen werden, wenn er es nicht offenbart; man muß ihm nur einmal die Kehle etwas zudrücken.«

»O, einen Vater, eine Mutter,« rief Waldblüte, die alles andere plötzlich vergessen zu haben schien, freudig aus, »wie schön wäre es, wenn wir diese hätten! Die Sonne ist zwar auch schön, aber sie ist so sehr, sehr weit von uns entfernt.«

»Nun, Waldblüte, verlaß dich darauf! Wenn du ein Sonnenkind bist, dann will ich ein Mond sein. Nun macht keinen Unsinn mehr, Kinder! Vergeht die Sonne, die niemals hier hereinscheint, vergeht Arahuaskar, Huitzilopochtli und wie die alten Heiden alle heißen, und du, Waldblüte, steckst dein liebliches Näschen einmal dort in den Kochtopf, denn ich kalkuliere, die Suppe ist gar. Ich habe einen ganz verzweifelten Hunger, Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich an Eurer Seite meinen Magen fülle?«

»Dies ist ein heiliger Ort,« entgegnete Sonnenstrahl zögernd, »hier bereiteten sich die Priester vor, wie wir dies ebenfalls tun.«

»Papperlapapp, du sprichst wie ein altes Weib. Nimm es mir nicht übel, Sonnenstrahl, aber es ist wahrhaftig so. Du, ein Kerl, der einen Bären über den Haufen schmeißen kann, solltest dich was schämen, so zu sprechen. Zum Henker mit dem ganzen Theater; Waldblüte, heran mit Schüsseln und Messern, und dann aufgepackt, daß die Steinteller knacken. Herr Gott, habe ich Hunger! Hörtet ihr, wie ich vorhin als Bär immer knurrte? Dafür konnte ich nichts, das war mein Magen, der seit einigen Tagen nichts weiter als eine Handvoll Fleisch und trockenes Brot bekommen hat.«

Waldblüte lachte und folgte der Anweisung. Ehe sie sich um die dampfende Schüssel mit gekochtem Mais und Wildbret setzten, meinte Sonnenstrahl noch:

»Du sprichst zu laut, die Stimme eines Fremden kann erkannt werden, und nur Waldblüte und ich dürfen hier zugegen sein.«

»Es darf auch niemand hereinsehen?«

»Es wäre sein Tod.«

»Desto besser,« lachte Sharp, sich dabei den Mund füllend, »so sagt ihr später, ihr hättet mit Huitzilopochtli gesprochen.«

»Aber deine Stimme?«

»Ist die von Huitzilopochtli. Meinetwegen kann sogar jemand hereinkommen, er soll nur einmal sagen, ich wäre dieser Gott nicht. Mit Donner und Blitz wollte ich ihm antworten, daß ihm Hören und Sehen verginge.«

Die Unterhaltung der neuen Freunde, die sich auf so seltsame Weise zusammengefunden, stockte lange. Die beiden Geschwister, welche wenig aßen, waren mit ihren Gedanken beschäftigt, und Sharp ausnahmslos mit seinem Teller. Er entfaltete wieder einmal seinen Appetit in großartigem Umfange.

Indianer können gewiß etwas im Fr – im Essen leisten, aber selbst die Geschwister staunten, als der weiße Mann wieder und immer wieder seinen Steinteller füllte und schließlich, als der Hunger der Mitspeisenden gestillt war, den Topf vom Feuer nahm und ihn rein auslöffelte.

»Gott sei Dank,« seufzte er endlich auf, »nun könnte ich wieder einige Tage hungern.«

»Du hast lange der Speise entbehrt?« fragte der Indianer lächelnd.

Er, sowie seine Schwester wurden für den fremden Mann, der so ungeniert und selbstbewußt auftrat, immer mehr eingenommen, sie wußten selbst nicht, warum. Er war eigentlich ihr Feind, und doch betrachteten sie ihn als Freund.

Jetzt hatte er übrigens mit ihnen an einem Feuer gegessen, in diesem Gemache war sein Leben ihnen heilig, Sonnenstrahl hätte es mit seinem eigenen schützen müssen.

»O ja, so einige Tage,« entgegnete Sharp auf die Frage des Indianers.

»Und wo ist dein Gefährte?«

»Barzam? Der treibt sich draußen herum.«

»Er wird auch Hunger haben.«

»Ich nehme ihm nachher etwas mit, hier ist ja genug Fleisch.«

»Wo haltet ihr euch versteckt?«

»In einem verfallenen Kellerloche.«

»Und ihr habt die beiden Bären getötet?«

»Ja, sie wollten es sich nicht gefallen lassen, aber sie mußten schließlich doch klein beigeben. Dann zogen wir ihnen die Felle ab und paßten diese uns selbst an.«

»Wo ließet ihr die Kadaver?«

»Die warfen wir in einen alten Brunnen.«

»Die Indianer fanden an den Blutlachen keine abführende Spur.«

»Das glaube ich,« lachte Sharp, der sehr aufgeräumt war, »wir verstehen eben unser Handwerk. Aber ein höllisches Stück Arbeit war es, die schweren Bären fortzubekommen, ohne uns zu verraten.«

Sonnenstrahl betrachtete den Mann an seiner Seite verwundert.

»Und ihr habt auch die drei Indianer getötet?« fragte er dann weiter.

»Ja, wir mußten dies leider tun, weil sie uns sahen. Wir waren damals noch nicht als Bären verkleidet, suchten aber schon die Ruinen zu durchstreifen.«

»Man konnte an ihnen keine Wunde bemerken.«

»Daß ist auch nicht nötig.«

»Du hast sie erdrückt?« sagte Sonnenstrahl, an die furchtbare Umarmung des Bären denkend.

»Mein Freund hat sie getötet, nicht ich, aber er hat sie auch nicht erdrückt.«

»Wie hat er sie sonst getötet?«

»Mein Freund ist ein mächtiger Mann, er hat den Blitz in seiner Hand. Wenn er will, so braucht er seinen Feind nur anzufassen, und auf der Stelle sinkt dieser tot um.«

»Den muß Sonnenstrahl kennen lernen,« rief der Indianer verwundert.

»Du sollst dies auch. Nun aber, Sonnenstrahl, höre zu, was ich dir sage! Was Arahuaskar und der alte Vater euch beiden vorgeschwatzt haben, ist alles Unsinn gewesen.«

Mit diesen Worten begann Nick Sharp einen Vortrag, in welchem er dem Indianer auseinandersetzte, daß ein Aufstand der Rothäute gegen die Weißen von gar keinem Vorteil, wohl aber zum Schaden für erstere sein würde.

Er fing damit an, zu erzählen, welche Macht die Blaßgesichter in den Händen hätten, wie die paar tausend Indianer den Weißen gegenüber einem Wassertropfen im Meere glichen.

Es wäre ihm dennoch schwer geworden, den Jüngling zu überzeugen, wenn er nicht bald in Waldblüte eine Helferin gefunden hätte. Auch diese sprach jetzt auf den Bruder ein.

Ernst hörte Sonnenstrahl zu. Manchmal überflog ein spöttisches Lächeln, manchmal ein grimmiger Zug sein Gesicht, als aber endlich Nick Sharp sich mit Hilfe der Geschwister wieder in das Bärenfell hüllte, war er von dem Betruge, den Arahuaskar mit ihnen vorhatte, wie seine Schwester überzeugt, ebenso glaubte er jetzt an die Ohnmacht Huitzilopochtlis.

Außerdem hatte noch eine lange Unterredung stattgefunden, wie die beiden Geschwister morgen nacht auftreten sollten, wie sie die Gefangenen retten könnten, und Sharp ließ deutlich durch seine Worte klingen, daß der beiden eine ganz andere, glücklichere und ruhmvollere Zukunft warte, wenn sie den Weißen ihr Wort hielten, als wenn sie sich auf die Seite der rohen, dem Untergange geweihten Indianer stellten.

Nick Sharp war ein glänzender Redner, es war ihm ein leichtes, die unerfahrenen, aber doch klugen und scharfsinnigen Kinder der Wildnis für sich zu gewinnen.

Ob es das erstemal war, daß sich der so schlaue Detektiv irrte?

Er irrte sich nämlich insofern ganz ungeheuer, als er glaubte, es nur mit einigen ruhmsüchtigen Indianern zu tun zu haben oder mit solchen, welche glaubten, die Weißen aus ihrem Gebiete treiben zu können.

Wie wäre Sharp erschrocken gewesen, hätte er geahnt, was unterdessen draußen in der Welt vorging, welche drohende Wolken am politischen Horizonte schwebten und wie begehrlich das freie Mexiko die Hand nach jenem Teile Amerikas ausstreckte, der einst ihm, jetzt aber den Vereinigten Staaten angehörte!

Ein mexikanischer Goldsucher war zufällig dahintergekommen, daß die Indianer einen allgemeinen Aufstand planten, besonders in Texas sah es schlimm aus.

Das war etwas für die Spanier im benachbarten Mexiko; jetzt hieß es klug und schnell handeln, die Indianer für sich gewinnen, sie auf die englische Bevölkerung hetzen, indem man ihnen die alten Rechte und Besitzungen verhieß, und waren die Engländer zum Lande hinaus, gab es wieder eine einzige große, freie Republik Mexiko, dann wurde auch den Paar Indianern der Marsch geblasen.

Die armen Roten, wie oft haben sie schon für andere die Kastanien aus dem Feuer holen müssen!

Schon durchstreiften zungengewandte Indianeragenten, meist mexikanische Offiziere als Trapper, Händler oder auch nur als harmlose Reisende verkleidet, die Prärien, Wälder und Gebirge. Unter uralten Bäumen wurden zündende Vorträge gehalten, und überall gruben die roten Krieger mit finsterer, unheilvoller Miene die Tomahawks aus.

Wer den Boten Arahuaskars nicht geglaubt, der traute jetzt den amerikanischen Freiheitsverkündigern, welche es an Geschenken nicht fehlen ließen. Ja, das war etwas anderes. Die vernünftigeren Indianer wußten, daß sie allein gegen die Weißen nichts anfangen, höchstens im Kampfe ruhmvoll sterben könnten, aber vereint mit den Mexikanern durften sie hoffen.

Und dann waren sie frei, dann konnten sie wieder, wie früher ihre Väter, den Büffel auf der Prärie jagen; das ganze Land, soweit das Auge reichte, gehörte ihnen, die Mexikaner wollten sich mit ihrem alten Gebiete begnügen, nur die verhaßten Yankees mußten zum Lande hinaus.

»Indianer, ihr seid unsere Brüder, wir haben euch lieb – Yankees, ihr müßt fort oder sterben,« so scholl es überall, und die Indianer schrien Beifall.

Ihr armen, betörten, leichtgläubigen Indianer, hättet ihr gewußt, wie in der Hauptstadt Mexikos Männer in goldgestickten Uniformen hinter verschlossenen Türen schon besprachen, wie man die siegreichen, roten Scharen am leichtesten vernichten könnte! Aber diese Herren waren noch schlauer, sie wollten sich auch nicht die Finger verbrennen.

Den Vereinigten Staaten offen den Krieg erklären? Um Gottes willen nicht, dann wäre Mexiko bald annektiert worden.

Nein, Freischärler verbanden sich vorläufig mit den Indianern, Unzufriedene, Rachsüchtige, Beutegierige, und hatten sie Erfolge auf ihrer Kampfesbahn, dann erscholl in der Hauptstadt Mexiko ein Kommando, und geschlossene Truppenmassen marschierten den Vorkämpfern zu Hilfe.

Doch einige Offiziere, darunter sogar sehr hohe, konnten schon jetzt nicht mehr die Zeit des Handelns erwarten, schon jetzt machten sie sich bereit, sich mit den Indianern zu verbinden und gegen die Yankees ins Feld zu rücken. Die unter ihrem Kommando stehenden Soldaten hielten zu ihnen, sie hatten ja nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen – es waren gemeine Söldlinge.

Diese Abtrünnigen, welche den Krieg vom Zaune brachen, wurden öffentlich an den Pranger gestellt, die Presse verdammte sie, und hohe Belohnungen standen auf ihren Köpfen, aber im geheimen beglückwünschte man sie, ja beneidete sie sogar, und niemand war da, welcher sich die Belohnung verdienen wollte.

Sie waren noch die Ehrlichsten von der ganzen Sippschaft, sie konnten wenigstens nicht heucheln, den Vereinigten Staaten nicht Freundschaft versichern und dabei die Faust in der Tasche ballen.

So sahen die politischen Verhältnisse in Texas und Mexiko aus, und weder Nick Sharp, noch einer der übrigen hatten davon eine Ahnung, auch nicht die Indianer, denn hierher waren die Aufrührer bis jetzt noch nicht gekommen, aber sie standen schon auf der Grenze zu diesem Gebiet.

Nick Sharp wollte seine Schutzbefohlenen aus den Händen der in der Ruine befindlichen Indianer befreien. Doch schon zog sich ein dichter Kreis von anderen Indianern, verbunden mit spanischen Mexikanern, geschulten Soldaten, um das Gemäuer herum.

Aber eins hatte er erreicht, er hatte den Gefangenen in Sonnenstrahl wieder einen treuen Freund erworben, einen Freund, der in der Not nicht für alle Schätze der Welt aufzuwiegen ist.

Sonnenstrahl war zur Erkenntnis seiner Pflicht zurückgeführt worden, jetzt wußte er wieder, daß ein gegebenes Wort mehr als alles gilt, und wenn darüber auch alle Zukunftsträume vernichtet werden.

Sharp stand auf dem Fell, die Geschwister wollten ihm helfen, dasselbe anzulegen. Der Detektiv streckte Sonnenstrahl die eine, Waldblüte die andere Hand entgegen, und beide wurden erfaßt, rechts kräftig, links zart, aber beide herzlich.

»So willst du meinen Freunden ein Freund sein?«

»Ich will es, treu bis zum Tode.«

»Und ich will ihnen eine Freundin sein, wie ich es immer gewesen bin,« fügte Waldblüte hinzu.

»Mein Geist war umnachtet, ich konnte Freund und Feind nicht voneinander unterscheiden,« sagte Sonnenstrahl entschuldigend.

»Ich weiß es; törichte Reden richten leider oft mehr aus, als kluge. Vergeßt meine Anordnungen nicht, seid schweigsam und schlau, und traut nicht mehr falschen Zungen!«

Die Bärenhülle ward übergezogen, die Tür öffnete sich, und Mythra trabte hinaus.


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