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9.

Sonnenstrahl und Waldblüte.

»Und nun, mein Sohn, gehe hin und wandle deine Bahn mit Kraft und Mut! Bedenke, daß du der letzte Nachkomme der Azteken bist, denn deine Schwester ist nur ein Weib, sie wird dir zwar helfen, aber das Ansehen deines Geschlechtes nicht erhalten. Ihr Kind schon hat kein reines Blut mehr in den Adern, wohl aber das deine und das deiner Kindeskinder. Du hast Weisheit gesammelt, trotz deiner Jugend bist du ein erfahrener Mann. Die besten Krieger unter den Indianern haben dir gezeigt, wie man den Tomahawk schwingt, den Pfeil entsendet und die Lanze wirft, du hast deine Lehrmeister übertroffen. Keiner kann dir mehr standhalten, und so erfüllst du alle Forderungen, die an den mächtigsten Häuptling der Indianer zu stellen sind. Deine Schwester Waldblüte kann in den Gestirnen lesen, den Flug der Vögel deuten und aus den Eingeweiden der Tiere wahrsagen. Morgen nacht wird sie zum ersten Male ihre Kunst an den Eingeweiden von Menschen versuchen. Schaffe dir einen Namen, der in sich die Höhe des Himmels, die Kraft des Sturmes und die Behendigkeit der Schlange, die Klugheit des Bibers und die Festigkeit des Felsens trägt. Vierhundert der angesehensten Indianer sind hier versammelt, um das Kind der Sonne zu ihren Häuptling zu erheben. Noch treffen stündlich neue Krieger ein, welche nur zu winken brauchen, und ihr ganzer Stamm liegt zu deinen Füßen. Sechsundsiebzig Gefangene warten auf der Priester Messer, Huitzilopochtli wird wieder Blut schmecken und dir gnädig sein, sorge du dafür, daß sein Altar nie trocken von Blut wird, dann leuchtet dir sein Antlitz jederzeit. Hasse alle, welche weiße Haut haben, doch schlagen sie dich auf deine Seite, weil sie an Blaßgesichtern Rache nehmen wollen, so nimm sie auf, aber sei schlau wie ich, behalte sie im Auge und entledige dich ihrer, wenn du sie nicht mehr brauchst. Jetzt geht, seit einig, stark und furchtlos, dann werden sich meine alten Augen noch einmal am Glanze eurer Herrlichkeit erfreuen können, ehe sie sich für immer schließen. Ich fühle, die Zeit ist nicht mehr fern.«

Seufzend hatte Arahuaskar die lange Rede geschlossen. Sie war an Sonnenstrahl und Waldblüte gerichtet gewesen, die bewegungslos gelauscht hatten.

Jetzt streckte Arahuaskar den Arm aus, beide verbeugten sich tief mit über der Brust verschränkten Armen, diesmal wirklich Ehrerbietung verratend, und entfernten sich. Ihnen nach schlich sich Mythra, der Liebling Sonnenstrahls. Geschickt wußte der Bär durch die Tür zu schlüpfen, als diese für einen Augenblick geöffnet wurde.

Einige Minuten später betraten Sonnenstrahl und Waldblüte das ihnen angewiesene Gemach. Der Bär war auf dem dunklen Gange verschwunden, dafür aber begrüßte Juno, Ellens Löwin, ihre jetzige Gebieterin mit tollen Sprüngen. Das Tier hatte sich hier schon völlig eingewöhnt und schien seine frühere Herrin gar nicht mehr zu vermissen.

Sonnenstrahl warf sich auf ein am Boden liegendes Fell, stützte sich auf einen Arm, und spielte mit der anderen Hand sinnend in den Haaren des Felles der Löwin. Freundlich konnten die Gedanken nicht sein, welche die hohe, gewölbte Stirn verbarg, aber es mußten befriedigende sein, denn auf dem Gesicht spiegelte sich ein grimmiges und selbstbewußtes Lächeln wieder.

Die Schwester entfachte unterdes auf einer Art von Herd ein Feuer und traf Anstalten, eine Mahlzeit aus Mehl, Mais und Fleisch zu bereiten. Die beiden kamen schon seit langer Zeit mit niemandem mehr in Berührung, als mit Arahuaskar und dem alten Vater, aus deren Munde sie täglich feurige, aufregende Reden anhören mußten, bald beide zusammen, bald allein. Einmal wurde Waldblüte zu dem alten Gelehrten beschieden, dann war Sonnenstrahl wieder stundenlang mit Arahuaskar zusammen, wonach auch Waldblüte dort erscheinen mußte, um den letzten, feurigsten Teil der Rede zu hören.

Von ihren einzelnen Lektionen durften sie nicht untereinander sprechen, obgleich sie nun nur auf sich selbst angewiesen waren. Aus letzterem Grunde mußte auch Waldblüte die Bereitung der Mahlzeiten übernehmen, während sie früher die fertigen Speisen von Indianern geliefert erhielten.

Die Zeit, da sie in den angelernten Rollen auftreten sollten, war nicht mehr fern. »Morgen nacht,« hatte Arahuaskar gesagt und furchtbare Andeutungen gemacht.

Während Waldblüte Holz aufs Feuer warf, den mit Wasser gefüllten Kessel an eine Kette hing und sonstige Küchenarbeiten besorgte, wurde sie von der lange allein gelassenen Juno mit Sprüngen umtobt. Waldblüte hatte genug zu tun, das Tier von sich fernzuhalten, und jedesmal, wenn sie sich deshalb der Löwin zuwenden mußte, streifte ihr besorgter Blick das höhnisch lächelnde Gesicht des Bruders.

Da, wo sich die unsichtbare Tür befand, ertönte ein Scharren und Kratzen.

»Oeffne!« sagte Sonnenstrahl. »Mythra sehnt sich nach uns. Sie hat sich lange nicht mehr blicken lassen.«

Es war merkwürdig für einen Indianer, daß er Englisch sprach. Aber auch späterhin bedienten sich die beiden immer dieser Sprache, ein Zeichen, wie sie in ihr, dank den Bemühungen des alten Lehrers, zu Hause waren. Sie war ihnen schon zur Gewohnheit geworden. Und die englische Sprache ist auch sehr reich an Worten, um wieviel besser konnten sie sich also in ihr ausdrücken als in den armseligen, indianischen Dialekten, welche für viele Begriffe einunddasselbe Wort haben und Gattungsbezeichnungen, wie Vogel, Insekt, Baum, Pflanze und so weiter, gar nicht kennen, sondern jedes Ding nur mit seinem Namen benennen.

Waldblüte erhob sich aus ihrer kauernden Stellung, ging an die Wand, suchte mit der Hand nach dem Mechanismus, und durch die entstehende Oeffnung huschte Mythra herein.

Der Bär schien sich gar nicht so zu freuen, seinen Herrn und Herrin hier zu finden, denn ohne Sonnenstrahl anzusehen, lief er an ihm vorbei auf einige Felle zu, die ihm ein weiches Lager versprachen.

Juno schien Lust zu haben, mit ihm zu spielen, sie sprang auf ihn los, aber ein drohendes Murren gab ihr zu verstehen, daß der Bär nicht zum Spielen aufgelegt war.

Juno ließ den mürrischen Gesellen in Frieden.

Dies war dem Bären eben recht, er drehte sich auf den Fellen mehrmals im Kreise umher, sein Körper bog sich immer mehr zusammen, und zuletzt lag er glatt da, mit der Schnauze den Schwanz berührend.

Hätte man das Gebrumme des Tieres übersetzen können, so würde es vielleicht gelautet haben: Ich gedenke einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Qual war groß – obgleich der Grislybär Schillers Dramen wahrscheinlich nicht kannte.

»Mythra ist nicht mehr so freundlich gegen dich wie sonst,« sagte Waldblüte vom Feuer herüber, wo sie sich wieder mit dem Kessel beschäftigte.

Der Bruder antwortete nicht, unverwandt blickte er vor sich nieder.

Die Züge Waldblütes nahmen einen noch besorgteren Ausdruck an als zuvor. Sie war überhaupt in der letzten Zeit sehr still geworden, nur ungern folgte sie dem Befehl, der sie zu Arachuaskar oder dem alten Gelehrten rief, und selbst mit dem Bruder, mit dem sie früher so heiter hatte plaudern können, sprach sie nur noch wenig, weil sie entweder gar keine oder mir kurze, mürrische Antworten erhielt. Die Geschwisterliebe der beiden hatte einen Riß erhalten.

Waldblüte seufzte tief auf ließ das Köpfchen sinken und hob es auch nicht, als das Wasser des Kessels überzulaufen begann und zischend in das Feuer lief.

Erst die Mahnung des Bruders, ihres Amtes zu warten, in nicht gerade sehr freundlichem Tone gerufen, ließ sie ihrer Pflicht nachkommen.

Als der Mais in das brodelnde Wasser geschüttet war, schien sie plötzlich einen Entschluß zu fassen.

Sie stand mit einem Ruck auf, die Löwin, welche glaubte, jetzt ginge das Spielen los, wurde durch einen Blick der strahlenden Augen bis in die entfernteste Ecke des Raumes zurückgescheucht, und dann ging sie lautlosen Schrittes zu dem Bruder hinüber.

Eine weiche Hand legte sich auf die nackte Schulter des Indianers, er blickte auf und sah in das schöne, traurige Antlitz seiner Schwester.

»Was willst du, Waldblüte?« fragte er, diesmal freundlicher als sonst.

»Meinen Bruder.«

Sonnenstrahl lächelte.

»Bin ich nicht bei dir?«

Nein.«

»Nicht?« lachte er. »Wo bin ich denn?«

»Der Körper Sonnenstrahls ist wohl hier, aber die Seele meines Bruders ist ferne.«

Der Indianer ist gewohnt, schnell zu begreifen, Sonnenstrahl hatte verstanden. Er nahm die Hand der Schwester in die seine und drückte sie leise.

»Die Zeit unserer Jugend ist bald vorüber,« sagte er schwermütig. »Wohl bleiben wir Bruder und Schwester, doch können wir nicht mehr zusammen spielen. Unsere Gedanken müssen sich mit ernsteren Dingen beschäftigen.«

»Warum muß das sein?« seufzte Waldblüte.

Der Indianer richtete sich etwas auf und blickte erstaunt die Schwester an.

»Warum?« wiederholte er langsam. »Waldblüte, weißt du denn nicht, um was es sich handelt? Um nichts Geringeres, als um die Freiheit von Tausenden von Indianern, deren Feinde unrechtmäßigerweise alles genommen haben, was sie von ihren Vätern ererbt haben. Waldblüte, hast du die Lehren nicht gehört, welche dir der alte Vater täglich gab?«

»Wohl habe ich sie gehört, aber nicht verstanden. Worte wie Blut, Tod und Rache bekomme ich täglich zu hören, aber ich weiß nicht, warum mein Haß die verfolgen soll, welche ich nicht kenne, und die mir niemals etwas zuleide getan haben. Ich fühle keinen Haß gegen sie in mir.«

Sonnenstrahl hatte sich jetzt völlig aufgerichtet; unwilliges Erstaunen prägte sich in seinen Zügen aus.

»Wie, Waldblüte, also haben die Lehren des alten Vaters gar keinen Erfolg bei dir gehabt? Du mußt sie hassen, die weißen Eindringlinge, denn sie haben unsere Vorfahren gemartert, sie aus dem Lande getrieben, ihnen kleine Bezirke angewiesen, auf denen sie sich nur kümmerlich ernähren konnten, und daher kommt es, daß wir eine elende, verachtete Nation geworden sind! Doch jetzt endlich wird die Zeit kommen, Waldblüte, da Huitzilopochtlis Krieger Tezkatlipocas Tezkatlipoca ist der Schöpfer des Himmels, der Erde und der übrigen Götter, er vergilt Gutes und Böses. Reich aufrichten, damit er wieder Gutes und Böses vergelten kann. Besinne dich, Waldblüte, von dir hängt jetzt vieles ab! Wohl werden mich viele Indianer als Häuptling anerkennen, aber ich bedarf deiner Hilfe, um mich als Sonnensohn behaupten zu können. Bedenke, was auf dem Spiele steht!«

Wieder seufzte Waldblüte tief auf.

»Ich möchte, wir wären geblieben, was wir waren,« sagte sie traurig, »ein liebendes Geschwisterpaar, das im Frieden dieser Ruine und des Waldes die Tage zubringt. Wie schön war es, Sonnenstrahl, wenn wir unter den buschigen Zweigen saßen, das Rehkalb spielte zu unseren Füßen, die zahmen Vögelchen fraßen aus der Hand, und ich wand Blumen zu Kränzen, mit denen ich dich schmückte! Ach, jetzt sind diese Zeiten vorbei! Blut und Mord, Zorn und Haß sollen Herrscher werden. Das zahme Rehkalb fürchtet sich vor dir, es flieht dich, und selbst Mythra läuft achtlos an dir vorüber. Sind das nicht Zeichen, daß sie dich nicht mehr lieben?«

»Sie fürchten mich, wie mich bald alle fürchten werden,« lächelte Sonnenstrahl.

»Ist es nicht schöner, geliebt zu werden, anstatt gehaßt?«

»Ist es nicht schöner,« entgegnete Sonnenstrahl, »bewundert zu werden, anstatt geliebt? Sieh, morgen nacht schwingen vierhundert Indianer die Tomahawks über den Häuptern; sie schwören, für mich sterben zu wollen, und viele unter ihnen sind mächtige Häuptlinge, denen Tausende von tapferen Indianern folgen, und die übrigen sind Krieger, welche in ihrem Stamme Häuptlingsrang einnehmen. Apachen, Nawakos, Cherokees, Irokesen, Choktaws, Seminolen, die unvergleichlichen Chickosaws, sie alle sind bereit, mir unbedingten Gehorsam zu leisten, und die übrigen werden dem Sohne der Sonne zufallen, wenn sein blitzender Tomahawk wie der Wetterstrahl auf die weißen Feinde saust, und wenn die Schwester mit mächtiger Zunge ihm Sieg und Ruhm prophezeit! Ach, Waldblüte, Sieg, Ruhm und Ehre sind mir beschieden! Morgen nacht, wenn das Blut der Schlachtopfer auf dem Altare Huitzilopochtlis raucht, werde ich der Häuptling aller Häuptlinge sein, und du wirst als Priesterin und Prophetin mir zur Seite sitzen und die Huldigung meiner tapferen Krieger empfangen. Ist das nicht herrlich?«

Des jungen Indianers Augen blitzten wunderbar; er hatte die schlanke, muskulöse und doch harmonisch schöne Gestalt noch höher aufgerichtet – man glaubte, eines jener Götterbilder vor sich zu sehen, wie sie nur unter dem Meißel des griechischen Künstlers in unnachahmlicher Vollkommenheit entstehen konnten. Die in ihm lebende Begeisterung mußte sich dem Bewunderer mitteilen, doch Waldblüte wurde nicht mit fortgerissen, ihr Herz trachtete nicht nach Ruhm. Es war das Herz einer Jungfrau, das sich nach etwas Unbestimmtem, Unbekannten sehnt, für welches sie keinen Namen hat, und das doch das Innerste ihrer Seele erfüllt. Es ist jenes Gefühl, welches Fürstinnen zwingt, vom Throne zu steigen und lieber an der Seite des Schäfers die Herde zu bewachen, als ein Volk zu regieren; es ist das innerste Gefühl des edlen Weibes, weshalb viele Staatsmänner dem Weibe durchaus die Fähigkeit abstreiten, an der Regierung teilzunehmen, ja, überhaupt sich in staatliche Angelegenheiten zu mengen.

Ist das Weib, welches lieber herrscht, als in Liebe gehorcht, überhaupt noch ein Weib? Nein, es ist eine Ausgeburt der Natur, denn der Beruf des Weibes ist Liebe, und folgt sie nicht diesem, dann wird sie von unnatürlichen, rasenden Leidenschaften ergriffen, welche Liebe zu nennen, verbrecherischer Hohn ist. Die Geschichte der regierenden Königinnen, besonders die der englischen, zeigt dies deutlich.

Waldblüte trug dieses Gefühl der Liebe in sich, vorläufig erstreckte es sich nur auf den Bruder, aber schon dessen Liebe galt ihr tausendmal mehr als Ruhm und Pracht.

Bei den letzten Worten Sonnenstrahls schauderte sie zusammen.

»Und ich kann es nicht glauben, daß ein Gott sich freuen kann, wenn ihm Menschen geopfert werden,« entgegnete sie. »Hat er sie nicht erst geschaffen, damit sie leben sollen?«

»Er hat das Reh geschaffen, um den Panther ernähren zu können, den Schmetterling, damit der Vogel satt werde, und den Feind, damit Blut fließe, denn der Duft des Blutes ergötzt seine Sinne.«

»Ich kann keinen Menschen opfern,« rief Waldblüte verzweifelnd.

»Ich selbst werde es zuerst tun, du wirst zuschauen und mir Handreichungen leisten, bis du dich daran gewöhnt hast. Kann ich ein Tier opfern, so kann ich auch einen Menschen opfern, beide sind Geschöpfe Gottes. Das Tier ist weniger, als ich, ich habe dieselbe Seele wie das Tier; Gott hat auch die weißen Fremdlinge geschaffen, aber die Azteken liebt er am meisten, denn sie sind Kinder der Sonne, und da er Blut liebt, läßt er sich von diesen opfern, am liebsten Menschen, denn sie zu bilden hat ihm mehr Mühe gemacht als die Tiere.«

»Ich kann's nicht glauben. Sonnenstrahl! Du wirst wohl im Kampfe gegen deinen Feind kämpfen und ihn töten, aber ich glaube nicht, daß du deine Hand mit dem Blute wehrloser Menschen zu beflecken vermagst.«

»Ich kann es,« rief der Indianer bestimmt, »denn Huitzilopochtli fordert es von mir. Höre denn, wie fest ich entschlossen bin, keinen mehr zu schonen, in dessen Adern das Blut der Weißen rinnt und den verachtet, dessen Land er bewohnt, also Huitzilopochtlis spottet. Höre denn: Die Männer und Mädchen, welcher wir uns erst angenommen hatten, sind wieder in der Ruine gefangen.«

»Was?« rief Waldblüte und prallte zurück, die Augen entsetzt auf den Bruder gerichtet. »Du weißt es und hast es nicht gehindert, daß sie gefangen wurden, du, der du dich jetzt den mächtigsten Häuptling nennst, dem alles gehorcht?«

»Ihr Blut wird zuerst unter meinem Messer auf dem Altar des Kriegsgottes fließen,« sagte der Indianer mit tiefer Stimme, die Schwester fest ansehend.

»Sonnenstrahl!«

Es lag ein namenloser Schrecken in diesem Ausruf, zugleich ein Zweifel an der Wahrheit des Gehörten.

»Sprichst du im Ernst? Es ist nicht möglich.«

»Es ist mein Ernst. Ich kenne keine Schonung mehr, ich war im Irrtum, als ich sie für Freunde hielt, weil sie hilfsbedürftig waren. Sie sind Feinde, wie alle anderen, welche sich in unseren Gebieten aufhalten und tun, als gönnten sie uns nur aus Gnade und Barmherzigkeit ein Stück Land, zu klein, um in ihm den Büffel jagen zu können, zu klein sogar, um dem Büffel Gras zum Füttern zu geben. Sie sind meine Feinde; sie müssen sterben.«

Entgeistert starrte Waldblüte in das finstere Gesicht des Bruders, sie konnte keinen Zug des Mitleids darin erkennen, er sprach in völligem Ernst.

»Das also sind die Worte eines Häuptlings,« begann sie langsam und tonlos. »Heute werden sie gesprochen, und morgen sind sie verweht. Du versprachst ihnen Schutz und Treue und versprachst mir, deiner Schwester selbst, du wolltest mit deinem eigenen Leben für ihr Leben stehen, kein Haar sollte auf ihrem Haupte gekrümmt werden, ja, du sagtest, und wenn sie deine ärgsten Feinde gewesen waren, von dem Augenblicke an, da sie meine Freunde würden, sollte ihr Leben auch dir heilig sein! So stark war deine Bruderliebe zu mir! Und nun? Sage es noch einmal, Sonnenstrahl. Hast du sie als Opfer Huitzilopochtlis bestimmt?«

»So ist es, sie sterben!« entgegnete der Indianer trotzig, doch seine Lippen zuckten verräterisch.

Waldblüte antwortete nichts mehr, sie nestelte in dem langen Haar, welches auf dem Kopfe von einem wunderbar gearbeiteten goldenen Reifen, mit Steinen geschmückt, zusammengehalten war. Er glich jenem, den die Priesterinnen der Azteken als Abzeichen ihrer Würde trugen.

Der goldene Ring wurde plötzlich von des Mädchens Hand zu den Füßen Sonnenstrahls geschleudert.

Der Indianer erschrak.

»Was soll das heißen?« stammelte er.

»Du wirst es wissen,« war die kurze Antwort.

»Nein, sprich!« Er hob den Reifen auf und wollte ihn Waldblüte wieder einhändigen. »Du behandelst das Abzeichen der Priesterinnen Huitzilopochtlis unwürdig, und doch ist kein Haupt als das deine wert, es zu tragen!«

Doch Waldblüte nahm ihm den Ring nicht ab.

»Ich bin keine Priesterin Huitzilopochtlis mehr.«

»Sprich keine Torheit, Waldblüte!«

»Ich sage mich von ihm los.«

Sonnenstrahl erschrak noch mehr, er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen.

»Waldblüte!« flehte er. »Liebst du denn deinen Bruder gar nicht mehr?«

»Nein, ich habe keinen Bruder mehr.«

Der Indianer hielt die Augen entsetzt auf die Schwester geheftet; es war das erstemal, daß er das sonst so ruhige, freundliche, fast schüchterne Mädchen so energisch reden hörte.

»Nein, ich habe keinen Bruder mehr,« wiederholte Waldblüte mit bebender Stimme. »Wohl habe ich einst einen Bruder gekannt, aber der war edel und liebte mich, doch du, der du dich meinen Bruder nennen willst, bist grausam, wortbrüchig und hassest mich. Tritt nicht heran, rühre mich nicht an! Schon jetzt sehe ich an deinen Händen das Blut meiner Freunde rauchen, weg von mir, Meuchelmörder, du besudelst mich!«

Waldblüte hatte ihr Gewand eng an sich gezogen, und war zurückgewichen, als Sonnenstrahl mit ausgestreckten Händen auf sie zugehen wollte.

Wieder blieb er entsetzt stehen.

»Wie kannst du nur sagen, Waldblüte, du würdest von mir gehaßt? Ich liebe dich noch immer so wie früher, du bist noch immer meine heißgeliebte Schwester. Waldblüte, du bist das einzige Wesen auf der Erde, von welchem ich geliebt werden möchte, alle anderen sollen mir gehorchen oder mich fürchten.«

»Gehorchen und fürchten? Ach, Sonnenstrahl, siehst du denn gar nicht ein, daß dich Gehorsam und Furcht anderer nie glücklich machen werden?«

»Doch! Als Herrscher über die Indianer, als Wiederaufrichter der alten aztekischen Herrlichkeit, welche die Freiheit aller Indianer, der rechtmäßigen Besitzer Amerikas, mit sich bringt, werde ich glücklich sein, doch nur,« sagte er zärtlich hinzu, »wenn meine Waldblüte den Häuptlingssitz mit mir teilt.«

»Dann wird dir dieses Glück nie zuteil werden, denn nie werde ich mich auf einen Thron setzen, dessen Pfosten von dem Blute meiner von dir hingeschlachteten Freunde befleckt sind.«

»Du wirst noch anders darüber denken lernen, Waldblüte. Die dir gebrachten Huldigungen werden dich berauschen. Nur in Indianern wirst du Freunde erkennen, aber alle Bleichgesichter hassen, wie ich sie schon jetzt hasse. Nimm den Ring an und setze ihn wieder auf dein Haupt.«

Doch sie nahm ihn nicht, sie stand mit auf der Brust gekreuzten Armen vor ihm, und er mußte lange auf eine Antwort warten. Schon hoffte er, die Schwester hätte sich eines Besseren besonnen, als sie leise begann:

»Ich glaube, Sonnenstrahl, Arahuaskar sowohl, als der alte Vater haben uns beiden böses Gift zu trinken gegeben. Immer klarer wurde es mir schon seit langer Zeit, daß man mit uns nur ein frevelhaftes Spiel treibt, jetzt aber sehe ich mit einem Male ganz deutlich, daß wir auf eine furchtbare Weise gemißbraucht werden sollen. Wir dienen als Werkzeug eines Hasses, der sich gegen die Weißen erstreckt. Wir kennen die Grausamkeit der Weißen nur vom Hörensagen, gesehen haben wir sie noch nie, die schauderhaftesten Greueltaten der Indianer aber haben wir mit eigenen Augen gesehen. Man wollte damit unser Mitleid ersticken, bei mir hatte es aber die entgegengesetzte Wirkung. Ich habe einst Arahuaskar und den alten Vater belauscht, sie sprachen untereinander ganz anders als zu uns. Der alte Vater glaubt selbst nicht an das, was er uns sagt; ich weiß, der Feind, dem wir begegnen sollen, ist furchtbar stark. Wir und alle Indianer gehen im Kampfe gegen ihn zugrunde. Der alte Vater hat Arahuaskar gewarnt, ich habe gelauscht, doch Arahuaskar ist alt, sein Kopf gleicht dem eines Kindes, welches blindlings in die Gefahr läuft.«

Scheu blickte sich Sonnenstrahl um.

»Auch diese dicken Kellerwände haben Ohren,« flüsterte er. »Hüte dich, Waldblüte.«

Doch das Mädchen verachtete die Warnung, mit der größten Erregung fuhr es fort:

»Nein, alle Welt kann meinetwegen erfahren, ich rufe laut: Wir beide sind die Opfer von Lug und Trug, wir dienen nur als Werkzeuge persönlicher Rache. Es kommt nur darauf an, recht viele Weiße möglichst grausam abzuschlachten und hinzumorden, dann können wir unter den Messern der Feinde fallen, dann ist Arahuaskars Wunsch erfüllt, und der alte Vater hat sich an seinen Landsleuten gerächt.«

Jetzt richtete sich Sonnenstrahl mit blitzenden Augen hoch auf.

»Und gehen wir unter, gut, so hat es Huitzilopochtli gewollt! Aber leicht soll ihnen der Sieg nicht werden!« rief der junge Krieger mit starker Stimme. »Erst wollen wir wie Boten des Todes über sie herfallen und zwischen ihnen würgen. Was für einen schöneren Tod gibt es als im Kampfe zu sterben? Das war stets mein Wunsch, jetzt kann er vielleicht erfüllt werden. Doch ist es schwer, gegen Sonnenstrahl zu kämpfen, das weißt du, Waldblüte. Ich bin in Gemeinschaft mit Bären auferzogen worden, sie waren meine Spielgefährten, an ihnen übte ich meine Kräfte, und keinen gibt es unter ihnen, den ich nicht schon mit diesen meinen Armen hier zu Boden geworfen hätte.«

Sonnenstrahl streckte die sehnigen Arme aus, an denen die stählernen Muskeln wunderbar anschwollen.

»Und keinen Krieger gibt es, welcher den Schlägen meines Tomahawks widerstehen könnte,« schloß Sonnenstrahl.

Es liegt in der Natur der Indianer, von sich selbst rühmend zu sprechen, eine Eigenschaft aller wilden Völker. Man darf sie deshalb nicht verspotten. Gibt es eine Nation, auch eine solche Europas, welche ihre Soldaten nicht für die tapfersten der Welt hält? Ich glaube nicht.

Doch Waldblüte wies den Bruder zurecht.

»Du kennst die Weißen nur vom Hörensagen. Wohl bist du ein tapferer, starker und in Waffen geübter Mann, doch sie können Krieger haben, welche dir gewachsen sind.«

»Ich bezweifle es,« war die selbstbewußte Antwort.

»Denke an den Weißen, welcher hier gefangen liegt. Zweimal hat er mit seinem Schwerte über zwanzig Indianer, tapfere Krieger, erschlagen. Er würde deinem Tomahawk wohl begegnen können.«

»Sonnenstrahl war nicht unter seinen Gegnern, er hätte den Kampf allein bestanden.«

»Du prahlst.«

»Ich prahle nicht. Es gibt keinen Mann, welcher Brust an Brust mit dem grauen Bären ringen könnte, doch Sonnenstrahl fängt den wilden Bewohner der Felsenhöhlen mit der Hand und zwingt ihn, ihm wie ein Hund zu folgen.«

»Dein Blick ist es, der ihn bezwingt, nicht allein deine Kraft.«

»So wird mein Blick auch den Feind unfähig machen, den Arm gegen mich zu heben.«

Das Gespräch fand eine Unterbrechung, denn die Aufmerksamkeit der beiden Geschwister wurde auf den Bären gelenkt, welcher sich anscheinend an der Unterhaltung beteiligen wollte. Sein Benehmen war ein sehr seltsames.

Er erhob sich brummend und wollte auf seine Herren zugehen, doch sein Weg wurde von Juno gekreuzt.

Die Löwin glaubte nicht anders, als der Bär sei nun eher zum Spielen aufgelegt, als vorhin, da er müde war. Mit einem Satz kam sie aus ihrer dunklen Ecke vorgesprungen und versetzte dem Bären einen Schlag mit ihrer Tatze, dann schnell über ihn hinweg und zur Seite springend.

Der Grislybär ist dem Löwen an Stärke durchaus gewachsen, in einem ernsthaften Kampfe würde er sicher nicht den kürzeren ziehen. Seine Plumpheit ist nur eine scheinbare, man täuscht sich in der dicken, gewaltigen Gestalt. Bekanntlich kann der graue Bär selbst den Reiter einholen; ist ihm das Roß auch an Schnelligkeit überlegen, des Bären nicht zu ermüdender Beharrlichkeit fällt es doch zum Opfer, und mit seinen Tatzen weiß der Grisly furchtbare Schläge auszuteilen.

Das sollte die Löwin zu ihrem Schaden erfahren.

Sie hatte den Boden auf der anderen Seite des Bären noch nicht erreicht, als sie schon von diesem einen Schlag erhielt, der sie sich um und um drehen ließ. Doch gleich war Juno wieder auf und versuchte einen neuen Angriff.

Sie wollte nur spielen, ihr Hieb war sanft gewesen, der Bär dagegen hatte ganz gewaltig zugehauen. Deshalb unternahm sie das neue Manöver von hinten auf den Bären, instinktiv erratend, daß sich der plumpe Gesell nicht so schnell umdrehen konnte, wie sie sprang. Seine Tatzen und das Gebiß hätte sie also nicht zu fürchten gebraucht.

Aber wieder hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Mythra konnte ihre Gestalt allerdings nicht schnell genug umwenden, aber plötzlich stand sie auf den Vorderfüßen und schlug mit den hinteren aus, die Löwin so kräftig vor die Brust treffend, daß diese mit einem Jammergeheul an die Wand flog und sich wieder in eine Ecke verkroch. Noch lange erscholl ihr Winseln aus dem Dunkel hervor, sie hatte vollständig genug bekommen, um nicht abermals mit dem groben Bären spielen zu wollen.

Sonnenstrahl und Waldblüte stießen bei diesem seltsamen Manöver Mythras gleichzeitig einen Ruf der Ueberraschung aus. Sie waren doch mit den Bären aufgewachsen, kannten jede ihrer Eigentümlichkeiten, wußten ganz genau, wie sie sich bei jedem feindlichen Angriff verhielten, daß aber ein Bär gleich einem halsstarrigen Pferd oder verdrossenen Esel hinten ausschlug, hatten sie noch niemals bemerkt, das war ihnen neu.

Der Bär mußte mit einem Male überhaupt ganz andere Anschauungen bekommen haben, er richtete sich jetzt auf den Hinterfüßen empor, fuchtelte mit den gewaltigen Pranken in der Luft herum und stieß ein drohendes Gebrüll gegen seinen eigenen Herrn aus.


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