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39.

Der rächende Geist.

Zu den vielen Opfern, welche der furchtbaren Ueberschwemmung nicht entgehen sollten, schien auch jener Reiter zu gehören, der mit Todesangst in den Zügen sein Roß in dem bereits zwei Fuß hoch stehenden Wasser zum schnellsten Laufe antreiben wollte.

Wohl setzte das edle Tier seine ganze Kraft daran, die größte Schnelligkeit zu erreichen, der Reiter hatte es nicht mit Sporen und Peitsche erbarmungslos zu bearbeiten brauchen, aus eigenem Instinkt schon tat es sein möglichstes, doch alles war umsonst.

Vor den Augen des Reiters dehnte sich die unübersehbare Wasserfläche aus. Wenn sie auch nur erst zwei Fuß hoch war, immer mehr kam einhergerollt, und da das Pferd mit ihm nicht mehr gleichen Schritt halten konnte, so stieg es von Minute zu Minute höher an seinen Beinen hinauf.

Schon nach einer halben Stunde befeuchtete das Element die Füße des Reiters, bald mußte das Pferd schwimmen.

»Verfluchtes Geld,« knirschte der Reiter, aber mit zitternden Lippen. »Daß ich mich Narr habe von ihm verführen lassen, nicht sofort mit den übrigen zu fliehen. Die sind nun in Sicherheit, denn die Pferde entkommen dem Wasser doch, wenn sie guten Boden unter den Hufen haben, mit mir aber scheint es dem Ende entgegenzugehen.«

Sein Pferd begann zu schwimmen. Aengstlich spähte es in die vom Mond erhellte Nacht hinaus, es öffnete die Nüstern, als suche es trockenes Land zu wittern.

»Hei, wie die Halunken in dem Hause nach meinem Pferde griffen,« fuhr der Reiter fort, »als ich plötzlich durch die Hintertür an ihnen vorbeisauste. Sie hatten keine Ahnung, daß ich das beste Pferd versteckt hielt. Ich habe ihnen mit dem Revolver zu verstehen gegeben, daß dieses Pferd mir gehört. Aber was hat es mir genützt? Viel besser wäre es gewesen, ich hätte mein Heil ebenfalls im Hause gesucht. Schlimmer als hier konnte es mir dort auch nicht gehen. Doch nur nicht verzagt, Flexan, noch hast du ein Pferd unter dir und lebst. Im schlimmsten Falle rettest du dich auf einen Baum des Waldes, den du bald erreichst, schnürst den Gürtel eng um den knurrenden Magen und wartest das Ende der Ueberschwemmung geduldig ab. Nach der Hazienda zurückzukehren, fällt mir dann natürlich nicht ein, ich habe genug Geld bei mir, auch Schecks, daß ich nicht mehr von dieser verdammten Ellen abhängig bin. Hm, wäre mir nur Eduard nicht mit seiner unverschämten Forderung dazwischengekommen.«

Jetzt geriet er in die stärkste Strömung. Wie ein Kork wurde das Pferd emporgehoben und fortgerissen.

»Vorbei,« stöhnte James Flexan, »das Pferd dient mir nur noch als Schwimmunterlage. Ich werde es bei der ersten Gelegenheit verlassen.«

Lange brauchte er auch nicht darauf zu warten; der Strom war so stark, daß er ihn blitzschnell davontrug. Den Wald, den er eben noch in weiter Entfernung erblickt, hatte er in wenigen Minuten erreicht.

Der erste Baum stand etwas abseits im Walde, eine hohe, knorrige Eiche mit dicken Aesten, und auf diese wurde das Pferd gerade zugetrieben. Ehe sich's Flexan versah, befand er sich unter den grünen Zweigen. Schnell griff er nach einem Aste über sich, hielt sich mit beiden Armen daran fest, und das Pferd trieb unter ihm hinweg.

Doch ein neues Unheil drohte ihm.

Sein um den Leib geschlungener Lasso, der treue Begleiter des Cow-boys, wie des Hazienderos selbst, hatte sich am Sattelknopf gefangen, die Lederschnur spannte sich und das weitertreibende Pferd drohte den in der Luft schwebenden Mann wieder herabzureißen.

Der Lasso spannte sich, und das Pferd drohte den in der Luft schwebenden Mann wieder herabzureißen.

Flexan verlor die Besinnung nicht. Schneller als der Blitz ließ er einen Arm los, riß das Messer aus dem Gürtel, durchschnitt den Lasso und griff hastig wieder nach dem Ast, wobei er allerdings sein Messer fallen lassen mußte.

In einem Augenblick war alles geschehen.

Das Pferd wendete noch einmal den Kopf, schaute den Reiter, der es so treulos verließ, traurig an, versuchte umzukehren, drehte sich aber mit dem Strudel und verschwand für immer in der Nacht.

Flexan schwang sich gewandt auf den Ast.

»Gerettet!« jubelte er nach der überstandenen Todesangst freudig auf.

»Aber auf wie lange?« ertönte neben ihm eine Stimme.

Jetzt erst bemerkte Flexan, daß er nicht der einzige war, der auf diesem Baume Zuflucht vor dem nassen Elemente gefunden hatte. Auf demselben Aste, wo er saß, hockte ein anderer Mann, lehnte den Rücken gegen den Stamm und hielt sich mit den Händen an einem Ast fest.

Im ersten Augenblick war Flexan unangenehm überrascht, ja, erschrocken, sein erster Gedanke war, daß sich gewöhnlich ein Kampf um Leben und Tod entspinnt, wenn zwei Menschen in Todesgefahr nach ein und demselben Rettungsmittel greifen, sein zweiter Gedanke galt dem verloren gegangenen Messer. Dann aber besann er sich. Der Baum konnte ja beide zugleich tragen, und er freute sich sogar ungemein, einen Leidensgenossen getroffen zu haben, denn einen Gefährten im Unglück zu besitzen, ist wirklich ein sehr großer Trost.

Vor allen Dingen kam es Flexan darauf an, zu erfahren, wer dieser Mann war. Nicht Neugierde, sondern sein böses Gewissen trieb ihn an.

Leider stand der Mond gerade hinter den dichten Zweigen des Baumes, so daß hier vollkommene Dunkelheit herrschte. Flexans scharfe Augen konnten nur die zusammengekrümmte Gestalt bemerken, aber nicht einmal den Kopf, viel weniger die Züge unterscheiden. Auch vernahm er ein deutliches Zähneklappern, der Mann mußte sehr frieren.

Flexan rückte auf dem Aste vorwärts.

»Wer seid Ihr, Fremder?«

»Ein Unglücklicher,« erklang die Antwort, wieder von Zähneklappern begleitet.

»Ihr könnt von Glück sagen, daß Ihr dem nassen Tode entgangen seid.«

»Ich wollte, ich hatte ihn gefunden.«

»Dazu ist es noch immer Zeit,« lachte Flexan. »Ihr braucht Euch ja nur fallen lassen.«

»Ich darf nicht sterben.«

»Hm, sonderbarer Widerspruch. Ihr wünscht Euch den Tod und wollt nicht sterben.«

»So ist es.«

»Warum?«

»Ich darf nicht eher sterben, als bis meine Rache gekühlt ist.«

»Ach so! Das ist freilich ein Grund, welcher den Menschen oft hindert, freiwillig in den Tod zu gehen, und ihm das zähe Leben einer Katze verleiht. Was habt Ihr zu rächen?«

Der Unbekannte schwieg beharrlich, er wollte also keine Antwort geben. Nur sein Zähneklappern war hörbar.

»Seid Ihr krank?«

»Ich habe Fieber.«

»Schlimme Geschichte das, mit Fieber auf einem Baumast zu sitzen, während unten Wasser ist. Seid Ihr auch zu Pferde von der Überschwemmung überrascht worden?«

»Nein, ich war in einem Wagen.«

»Allein?«

»Ich befand mich bei meinem Herrn.«

»Er ist ertrunken? War der Wagen so leicht, daß er Euch beide nicht trug?«

»Der Wagen stak, nachdem die beiden Pferde in eine Wassergrube gestürzt und ersoffen, so fest im Schlamm, daß ihn das Wasser nicht hob. Mein Herr, der Kutscher und ich sprangen ins Wasser, um nachzuhelfen, und bei diesem Versuche bin ich von der Strömung fortgerissen worden, bis ich mich auf diesen Baum retten konnte.«

»Da habt Ihr freilich Pech gehabt. Verzeiht, Fremder, wenn ich so neugierig frage, doch in dieser Situation brauchen wir keine Rücksichten zu nehmen. Wohin wollte Euer Herr eigentlich, und warum war er nicht beritten?«

»Weil ich mich zu schwach fühlte, um ein Pferd besteigen zu können.«

»Hm, sehr rücksichtsvoll von Eurem Herrn. Und wohin wollte er?«

»Nach der Hazienda der Miß Petersen.«

Flexan horchte hoch auf. Da kam ihm der Gedanke, daß dieser Mann zu jenem Herrn gehören mochte, den seine Gäste heute abend erwartet hatten. Der Diener war nicht gerade red- und vertrauensselig, aber offen. Er wollte ihn aushorchen.

»Ah, also nach der Hazienda der Miß Petersen? Gewiß zum Besuch?«

»Ja.«

»Ich kenne diese Hazienda sehr gut.«

»So, seid Ihr dort bekannt?« fragte der Unbekannte, der kein anderer als Snatcher war, lebhaft.

»Natürlich bin ich dort bekannt,« lachte Flexan, der Grund hatte, sich nicht zu erkennen zu geben, »ich bin lange Jahre dort Inspektor gewesen.«

»Ah, seid Ihr es noch?«

»Gewiß, das heißt, wenn die Überschwemmung von der Hazienda noch etwas übriggelassen hat.«

»So schnell ist der Ackerboden nicht zu vernichten.«

»Kennt Ihr die Hazienda?«

»Nein, ich bin nur mit den hiesigen Bodenverhältnissen bekannt, war früher auch Farmer, wenn auch nicht selbständig. Doch sagt, Sir, ist der Stiefvater von Miß Petersen nicht Mister Flexan?«

Diese Frage war an und für sich harmlos, Flexan hätte nicht zu erschrecken brauchen, aber sie wurde mit einer so eigentümlichen Spannung gestellt, sie klang fast ängstlich, so daß Flexan Argwohn schöpfte und, von einer bösen Ahnung erfaßt, beschloß, auf seiner Hut zu sein.

»Richtig, James Flexan heißt er.«

»James Flexan,« murmelte Snatcher zähneklappernd und fuhr dann fort: »Kennt Ihr ihn persönlich?«

»Wie sollte ich nicht? Mein Beruf brachte mich ja täglich mit ihm zusammen.«

Was will dieser Mann, dachte Flexan dabei, und mit einem Male flüsterte ihm sein böses Gewissen zu, daß derselbe ihn suche. Er sprach vorhin von Rache, und er, Flexan, war derjenige, den die Rache treffen sollte.

»Wie sieht er aus?« forschte Snatcher weiter.

»Er sieht noch sehr jugendlich aus, hat, obgleich er alt ist, noch schwarzes Haar, schwarzen Bart und frische Züge.«

»Gerade wie damals,« flüsterte Snatcher.

»Kennt Ihr ihn?«

»Wehe mir, daß ich ihn kennen gelernt habe, er war ein Teufel in Menschengestalt.«

Flexan zuckte zusammen. Wer konnte dieser Unbekannte sein? Das Herz schlug ihm zum Zerspringen. Leise griff er nach dem Revolver, doch dieser nutzte ihm nichts, mit den sechs Kugeln hatte er sechs Menschen über den Haufen geschossen, die nach seinem fliehenden Pferde gegriffen, und sein Dolchmesser hatte er verloren.

»Was habt Ihr gegen Flexan?«

»Nichts,« hauchte Snatcher.

»Macht mir doch nichts weiß; er ist der Mann, den Eure Rache treffen soll.«

Lange ließ die Antwort auf sich warten, des Fiebernden Zähne klapperten entsetzlich, dann erklang es so schwach, daß sich Flexan vorneigen mußte, um verstehen zu können:

»Ihr seid ein Freund von Flexan?«

»Ich? Um Gottes willen, ich bin sein ärgster Feind,« rief Flexan grimmig.

»Warum?«

»Er hat mir das Schlimmste zugefügt, was mir ein Mensch tun konnte, er hat mir mein Lebensglück geraubt.«

»Ja, er ist eben ein Teufel. Was hat er Euch getan, daß Ihr ihn hassen müßt?«

»Ich besaß eine schöne Tochter, ein unschuldiges Kind; er hat sie mit den teuflischsten Künsten sich zu eigen gemacht und dann die Schuld einem Neger zugeschoben. Die Tochter starb, ohne ein Wort gesprochen zu haben, der Neger wurde sofort gelyncht, ich aber weiß, daß er unschuldig gebüßt hat, Flexan war der Schuldige, doch die Beweise fehlen mir.«

Snatcher glaubte die kecke Lüge.

»So haßt Ihr ihn?«

»Wie den Satan selbst.«

»So will ich Euch etwas sagen, was Euren Haß vermehren soll, ich will Euch Mittel an die Hand geben, Eure Rache zu befriedigen. Ihr sollt als Kläger gegen Flexan auftreten, wenn das Wasser ihn verschont, meine Freunde aber vernichten sollte.«

»Sprecht! Einen größeren Dienst könnt Ihr mir gar nicht erweisen.«

»Ich sterbe!« fuhr Snatcher mit schwacher Stimme fort. »Ich fühle, wie der Tod langsam heranzieht. Darum will ich Euch mein Geheimnis preisgeben. Ich habe zwar Freunde, welche mich rächen und Flexan als Mörder entlarven wollen, aber es könnte auch sein, daß sie alle dem Wasser zum Opfer gefallen sind.«

»Ihr habt Freunde, welche um Euer Geheimnis wissen, und die Euch unterstützen wollen?«

»Sie waren auf Miß Petersens Farm anwesend, als die Ueberschwemmung eintrat, es sind die Damen der ›Vesta‹ und die Herren des ›Amor‹.«

»Ah!«

»Und auch jener Herr, Mister Hoffmann, welcher mich für seinen Diener ausgab, befand sich auf dem Wege dorthin. Nach seinem Eintreffen sollte Flexan festgenommen werden, ich sollte ihn als den Mörder bezeichnen, denn ich bin es, welcher viele Jahre lang unschuldig für Flexan gebüßt hat.«

»Flexan ist ein Mörder, und Ihr seid für ihn bestraft worden, sagt Ihr?« rief der Angeschuldigte, sich gut verstellend, in höchster Aufregung.

»So ist es! Ich fühle meinen Tod kommen, deshalb will ich Euch alles erzählen, damit ich einen Menschen weiß, welcher die Mittel in der Hand hat, Flexan, dieses Ungeheuer, zu entlarven und für die Wiederherstellung meines guten Namens zu sorgen.«

»Ich will tun, was in meinen Kräften steht, verlaßt Euch darauf,« versicherte Flexan mit fester Stimme und versuchte dabei, die Dunkelheit zu durchdringen, um die Züge des Unbekannten zu erforschen. Doch es gelang ihm nicht. Aus dessen Andeutungen wußte er noch nicht, wen er vor sich hatte, denn mehr als ein Mord belastete sein Gewissen, und gar mancher schmachtete für ihn im Zuchthause oder hatte auch für ihn am Galgen geendet. Solch ein Opfer hatte er hier vor sich.

Flexans Züge waren verzerrt. Die Finger umklammerten krampfhaft den ungeladenen Revolver in der Tasche – in der nächsten Minuten mußte er wissen, wer dieser Mann war.

»Ich bin hier geboren, in Louisiana,« begann Snatcher mit schwacher Stimme, als ob er schon im Sterben liege, »wanderte aber schon frühzeitig nach Australien aus, ließ mich in Sydney nieder und fuhr, nachdem ich mich verheiratet hatte, auf einem Küstenschiff, weil ich so mehr als auf dem Lande verdienen konnte.«

»Faßt Euch kürzer, Fremder, ich sehe, es geht mit Euch zu Ende,« drängte Flexan. »Wie heißt Ihr und der, gegen den Ihr als Kläger auftreten wollt, und was hat er an Euch verbrochen?«

»Ihr habt recht, ich muß schneller sprechen, sonst erfahrt Ihr gar nichts. Mein Name ist Snatcher, der, für den ich als Mörder gegolten habe, ist eben James Flexan, früher aber hieß er ...«

Ein sonderbarer Anblick veranlaßte Snatcher, für einen Moment abzubrechen. Der Vollmond war nicht stehen geblieben, er hatte seinen ihm vorgeschriebenen Weg verfolgt und blickte nun eben durch eine Lücke des dichten Gezweiges neugierig auf die beiden Männer, welche da auf einem Ast nebeneinander hockten und sich unterhielten.

Seine bleichen Strahlen beleuchteten scharf das Antlitz Flexans. Snatcher sah verzerrte Züge unter schneeweißem Haar, glühende Augen, wie die eines Raubtieres, drohend auf die gebrochene Gestalt des Unglücksgenossen gerichtet, und ein heiserer Ruf gellte von Snatchers Lippen:

»Jonathan Hemmings, jetzt habe ich dich!«

Verschwunden waren plötzlich Fieber und Schwäche. Der Anblick desjenigen, der ihn und seine Familie ins Unglück gestürzt, der seinen Namen geschändet, gab ihm für eine Minute seine alte Kraft zurück. Wie ein Panther stürzte er mit einem Sprunge auf ihn zu und krallte die Finger um den Hals des Hazienderos.

»Mörder, Mörder!« kreischte er wild auf. »Du hast Nikkerson ermordet, und ich habe für dich achtzehn lange Jahre im Steinbruch gearbeitet, hundertfacher Mörder, du verfluchte Schlange, die ich am Busen genährt, du sollst mir nicht entgehen!«

Flexan war, obgleich er schon längst wußte, wen er vor sich hatte, auf den Angriff nicht vorbereitet gewesen, er wäre bald vom Ast ins Wasser gestürzt. Um dies zu verhüten, mußte er sich mit beiden Händen anklammern, und so war er wehrlos dem würgenden Griff ausgesetzt.

Doch nur einen Augenblick dauerte dies, dann wendete sich das Blatt. Snatchers Kräfte schwanden sofort wieder, doch die Flexans wuchsen in der Todesangst.

Snatcher sollte nicht seine Absicht, im Sterben sich zu rächen, erreichen, sondern eines gewaltsamen Todes, des Todes durch Mörderhand, enden.

Flexan hatte wieder festen Sitz gefaßt, seine Hände waren frei, und sein Revolver schmetterte in das Gesicht des Würgers. Die Hände sanken schlaff herab, und jetzt legten sich Flexans Finger um den Hals des Unglücklichen.

»Snatcher,« hohnlachte der Teufel mit weißen Haaren, »hast du mich wiedererkannt? Ja, ich bin's, bin Jonathan Hemmings, bin's, der Nikkerson ermordet hat, aber mit deinem Dolchmesser, und deswegen wurdest du für den Mörder gehalten. Hahaha, habe ich meine Rolle damals nicht gut gespielt? Du Narr, elender, fahre hinab und grüße Nikkerson und die übrigen, welche durch meine Hände starben. Hinab mit dir!«

Noch ein kurzes Ringen, dann hoben Flexans kräftige Arme den Mann auf und schleuderten ihn vom Aste hinab.

Noch einmal gelang es Snatcher, den Ast mit einer Hand zu fassen, während sein Körper schon im Wasser lag, ein Schlag mit dem Revolver, die zerschmetterten Finger lösten sich, ein gellender Schrei, dann versank der Unglückliche in der gurgelnden Flut.

Flexan war auch noch zum Mörder an dem geworden, der statt seiner für einen von ihm verübten Mord gebüßt hatte.

Der Haziendero kannte keine Gewissensbisse, er wurde vielmehr von einer wilden Fröhlichkeit befallen; war er doch nun eines Anklägers entledigt. Daß noch andere lebten, die um seine Verbrechen wußten, daran dachte er jetzt nicht, er befand sich überhaupt in einer seltsamen Verfassung, seine Lustigkeit war unnatürlich, es war fast, als hätte sich das Fieber seines Opfers auf ihn übertragen.

Wild lachend rutschte er auf dem Ast nach dem Stamme zu, lehnte sich an und machte es sich so bequem wie möglich.

»So ein Tor,« lachte er heiser, »teilt mir mit, daß er Flexan sucht, weil dieser der eigentliche Mörder und er unschuldig ist, und hat den immer vor sich, an dem er sich rächen will. Hahaha, köstlich, habe noch nie so etwas erlebt!«

Immer lachend streckte er beide Beine auf dem Aste aus, der breit genug war, ihm einen Sitz zu gestatten, von dem er nicht so leicht herunterfiel, selbst, wenn er von der Müdigkeit überwältigt worden wäre.

Er konnte sich lange nicht über das Schicksal Snatchers beruhigen, immer wiederholte er dieselben Worte.

»Nein, so ein verfluchter Narr! Sucht Flexan, um sich an ihm zu rächen, und dabei sitzt dieser immer neben ihm, will ihm sogar die Geschichte erzählen, die Flexan nur zu gut kennt. Hahaha, es ist zum Totlachen.«

Dann fuhr er sich mit den Händen nach dem Kopf, der heiß wie glühendes Eisen war.

»Weiß der Teufel,« murmelte er, »ich glaube, ich bekomme auch das Fieber. Ein Wunder wäre das freilich nicht, bei dem schnellen Ritt durch das Wasser, wobei ich keine geringe Angst ausgestanden habe, denn der Tod des Ertrinkens ist der schrecklichste, den ich mir nur denken kann. Dann die aufregende Szene mit diesem dummen Narren, die hat mich auch nicht gerade beruhigt, und überhaupt ist das Klima sehr ungesund, wenn es lange geregnet hat, und durch die Überschwemmung werden die Fiebermiasmen wohl auch nicht getötet. Ach, wie mein Kopf schmerzt, noch niemals, wenn ich Fieber gehabt habe, hat es darin so gewühlt und gehämmert wie jetzt. Verdammt!«

Wieder hielt er den Kopf, er fühlte ordentlich das Klopfen der Pulse. Er mußte sich immer mehr sagen, daß er von einem Fieberanfall heimgesucht wurde.

»Nun, habe ich mit meiner starken Natur schon so manchen Anfall überstanden, so werde ich wohl auch diesen aushalten. Daß ich ins Wasser falle, davor brauche ich keine Angst zu haben, der Ast ist breit genug, selbst wenn ich einschlafen sollte. Ach, könnte ich dies doch, welche Wohltat wäre das, und dann, wenn ich aufwachte, sollte die Prärie wieder trocken sein.«

Es dauerte nicht lange, so fiel Flexan in jenen Zustand, welchen das Fieber stets mit sich bringt. Man weiß nicht, ob man wacht oder träumt, man glaubt eher, zu wachen, sucht sich aber immer einzureden, man träume nur. Dabei zaubert einem die Phantasie die grausigsten Bilder vor. Früher erlebte Szenen wiederholen sich ganz getreulich, und zwar eben diejenigen, an die zu denken man sich sonst scheut, schon längst vergessene Gestalten erscheinen und schrecken den Fiebernden.

Wer das tropische Wechselfieber durchgemacht hat, erinnert sich mit Entsetzen dieses Zustandes.

Auch Flexan träumte so deutlich, als wache und erlebe er alle seine Schandtaten nochmals. Er sagte sich zwar immer und immer wieder, er träume nur, vergebens, er erlebte das, was er verbrochen, zum zweiten Male.

Er mühte sich ab, die Zahl der von ihm getöteten Opfer zu finden, er murmelte Namen. Bald war das Resultat 6, dann wieder 20, und er konnte nicht mit sich einig werden, welche Nummer auf Snatcher fiel. So viel war daraus zu erkennen, daß er das Morden einst als Handwerk betrieben hatte.

Dann kam Nikkerson ihm in den Sinn.

Er befand sich damals in Sydney. Hungernd und obdachlos schleppte er sich durch die Straßen, dem Tode nahe. Eines Nachts fand ihn Snatcher schlafend im Rinnstein liegen. Der eben nach langer Reise zu Weib und Kind heimkehrende Matrose fühlte Mitleid mit dem Unglücklichen, er nahm ihn mit nach Hause, und er und sein Weib pflegten den Halbverhungerten, der sich Jonathan Hemmings nannte.

Der Matrose gab ihm Speise und Kleidung, er beherbergte ihn wochenlang und lief während der freien Zeit umher, um für den Hilfsbedürftigen, der sich langsam erholte, Arbeit zu finden.

Sydney war damals übervölkert, es war schwer, Arbeit zu bekommen, und Snatcher fand keine.

Sobald Hemmings gehen und stehen konnte, nahm er seinem edlen Wohltäter diese Mühe ab, er selbst ging am Tage fort, um Arbeit zu suchen, und erst der Abend brachte ihn in Snatchers Haus zurück.

Aber wie wurde Snatchers Güte vergolten?

Er war ein Freund von ausländischen Waffen. Er sammelte, kaufte oder erwarb solche durch Tausch, wo er nur konnte. Auf seiner letzten Reise hatte er von einem Schiffskameraden ein arabisches Dolchmesser erstanden, dessen Klinge mit Gravierungen und dessen Griff mit eingelegten Gold- und Silberplatten geschmückt war.

Er hatte viel dafür bezahlen müssen, aber er war doch überglücklich, Besitzer dieser wertvollen Waffe zu sein. Er zeigte sie jedem und prahlte mit ihr. Sein Glück wuchs, als ein Waffenkenner in Sydney behauptete, das Messer stamme aus den Zeiten der Osmanen. Er bot Snatcher 100 Dollar dafür; doch dieser hätte, obgleich er nur wenig oder gar keine Ahnung von den arabischen Eroberern besaß, das Messer jetzt nicht für 1000 Dollar und noch mehr verkauft.

Dadurch wurde das Dolchmesser berühmt. In den Zeitungen wurde seiner Erwähnung getan, und so kam es, daß noch andere Sachverständige nach ihm fragten.

Da erlitt Snatcher eine furchtbare Niederlage.

Der erste Waffenkenner war keine Kapazität in seinem Fache gewesen, schon der zweite bewies, daß erstens die Gold- und Silberplatten nicht echt, zweitens, daß das Messer eine sehr plumpe Imitation der alten Osmanischen sei.

Ein Hunderte von Meilen zugereister Antiquitätensammler warf den Dolch beim ersten Blick sofort verächtlich zur Seite und erklärte, solcher Messer würden heutzutage unzählige hergestellt, das Stück zu einem halben Dollar. Es sei ein arabisches Schiffsmesser, weiter nichts.

Der gute Snatcher hatte neben dem Schaden – es hatte ihm zehn Dollar gekostet – noch den Spott, seine Kameraden hänselten ihn, der ›Messerheld‹ wurde in den Zeitungen lächerlich gemacht.

Das konnte Snatcher nicht vertragen, er wollte seine Ehre retten und griff zu einem nicht gerade ehrlichen, aber doch unschuldigen Mittel.

Wehe ihm, daß er, anstatt offen zu sein, zum Betrüger wurde, und obwohl der Betrug ein noch so unschuldiger war, er mußte ihn mit seinem Lebensglück büßen.

Tief, tief in der untersten Schublade der Kommode verbarg er den verhängnisvollen Dolch, und dann trat er hin vor seine ihn verspottenden Kollegen, ihnen erzählend, er habe den Dolch für zwanzig Dollar an einen alten Narren verkauft. Dabei zeigte er die blinkenden Goldstücke vor, und man hielt Snatcher für einen klugen Mann, der sich vor Schaden zu hüten wußte.

Niemand hatte eine Ahnung, daß der Dolch in der Schublade lag, mit Ausnahme Snatchers selbst, seiner Frau und – Hemmings'.

Dieser hatte gesehen, wo das Messer versteckt wurde, doch er war ja ein Gast, der seinem Wohltäter dankbar sein mußte. Er blamierte Snatcher durch seine Aussage sicher nicht.

Gleich darauf verließ Hemmings das Haus seines freundlichen Wirtes, er schloß sich einer Expedition ins Innere des Landes an, wie er sagte, und war auch wirklich bald darauf verschwunden.

Die Sache verhielt sich aber anders.

Hemmings ernährte sich professionsmäßig vom Rauben und Stehlen, wobei es ihm auf einen Mord mehr oder weniger nicht ankam. Es ging ihm schlecht, weil er von seiner Bande, mit der er arbeitete, versprengt worden war – er brauchte zu seinen Unternehmungen stets Helfer, – und hier in Sydney fand er einige alte Bekannte, man brütete neue Verbrechen aus.

Als Opfer wurde ein amerikanischer Wollhändler ausersehen, Mister Nikkerson, welcher jeden Tag in Sydney eintreffen konnte, um Wolle zu kaufen.

Es wurde gelost, wer den Raubmord an dem große Summen bei sich tragenden Mann ausüben sollte, und das Los traf Hemmings.

Nun galt es, einen Plan auszuhecken, daß er den Verdacht der Täterschaft von sich ab auf jemanden anders lenkte, so daß er selbst gar nicht in Betracht kam. Dann galt es nur eine schnelle Flucht, und der Mörder war mit der erbeuteten Summe in Sicherheit.

Hemmings war schlau, o, so schlau! Er wußte nicht nur sofort Rat, sondern konnte sogar auch noch seine Genossen mit einer kleinen Summe abspeisen.

Er hatte wunderbares Glück, das Schicksal kam seinem Plane noch zu Hilfe.

Einige Wochen schon war Hemmings aus Snatchers Hause geschieden, als letzterer eines Abends etwas angetrunken auf der Straße ging und aus Versehen einen elegant gekleideten Herrn unsanft anrempelte.

»Dummkopf, sieh dich vor,« rief Mister Nikkerson – denn dieser war es – ein etwas heftiger Charakter.

Auch Snatcher besaß damals noch junges, feuriges Blut, welches leicht in Wallung geriet. Er fühlte sich in seiner Ehre schwer gekränkt, stellte sich sofort in Boxerpositur und forderte, der Herr solle das Wort Dummkopf zurücknehmen oder einer von beiden müsse Blut lassen.

Lachend zogen ihn seine Freunde davon, und der aufgeregte Snatcher, der gerade sehr kampfeslustig, stieß gegen den Beleidiger Drohungen aus, die, so harmlos sie im Grunde genommen auch waren, doch sehr grimmig klangen.

Am anderen Morgen fiel Mister Nikkerson in einer dunklen Passage durch Mörderhand, die Geldsummen auf der Brust waren geraubt worden, und neben der Leiche lag – das arabische Dolchmesser.

Snatcher selbst gehörte zu denen, welche die Leiche zuerst fanden, und beim Anblick des wohlbekannten Messers erschrak er furchtbar, was dem Späherblick der Polizisten nicht entging.

Er wurde sofort als des Mordes verdächtig eingezogen.

Der arme, ehrliche Matrose war dem schlauen Richter gegenüber furchtbar dumm! Um sich wegen des angeblichen Verkaufs des Messers nicht zu blamieren, log er, um sich zu rechtfertigen, widersprach er und ritt sich immer tiefer ins Unglück.

Zitternd und mit käseweißem Gesicht stand der Unschuldige vor dem Richter. Es war das Spiel der Katze mit der Maus.

»Gehört dies Messer Ihnen?«

»Nein.«

»Lügt nicht! Es ist allgemein bekannt, daß dieses Messer Ihnen gehört.«

»Ich habe es verkauft.«

»An wen?«

Nach langem Besinnen nennt Snatcher einen Namen, stotternd spricht er ihn aus.

»Wie heißt der Mann?«

Jetzt klingt der Name schon anders.

»An den wollen Sie das Messer verkauft haben?«

»Ja.«

»Können Sie dies beschwören?«

»Nein,« ruft Snatcher erschrocken.

Die Zuhörer beginnen schon zu lächeln.

»Warum nicht?«

»Weil ich das Messer gar nicht verkauft habe,« ruft Snatcher, wie von einer Zentnerlast befreit.

»Also war es in Ihrem Besitz?«

»Ja.«

»Warum behaupteten Sie vorhin das Gegenteil?«

»Weil ich mich schämte.«

Nach langem Fragen wird endlich der Grund klar, warum Snatcher das Messer nicht verkauft, sondern in seiner Schublade verborgen gehalten hat.

Der Richter verkündet ihm, daß er beschuldigt ist, Mister Nikkerson ermordet und beraubt zu haben, da aber verschwindet alles Zagen und Bangen, hochaufgerichtet steht Snatcher vor dem Richter und schaut ihn mit flammenden Augen an.

»Das ist nicht wahr,« ruft er mit fester Stimme und hebt die Rechte auf, »meine Hand soll auf der Stelle verdorren, wenn sie dieses Messer mit Blut befleckt hat.«

Doch was gibt der Richter auf solche Ausrufe. Er kann sie täglich noch viel schöner hören.

Das Messer ist das seine, er hat es in der Kommode aufbewahrt und die sofortige Haussuchung hat ergeben, daß es nicht mehr dort ist.

Snatcher und seine Frau beschwören, das Messer nicht herausgenommen zu haben.

Endlose Kreuz- und Querfragen folgen, Snatcher widerspricht sich immer mehr.

»Wer war dabei, als Sie das Messer in der Kommode versteckten?«

»Nur meine Frau.«

»Sonst niemand?«

»Nein.«

»Besinnen Sie sich.«

»Es war niemand anders dabei.«

Kratzend fährt die Feder des Protokollisten über das Papier.

»Halt!« schreit da plötzlich Snatcher auf. »Jonathan Hemmings hat es noch gesehen.«

»Warum sagen Sie das jetzt erst?«

»Ich hatte nicht gleich daran gedacht.«

Snatcher muß erzählen, wie er Hemmings zu sich genommen.

»Sie kannten den Mann nicht?«

»Nein.«

»Waren niemals ein Freund von ihm?«

»Nein.«

»Und haben ihn so mir nichts, dir nichts von der Straße aufgelesen und zu sich ins Haus genommen?«

»Ja.«

»Warum?«

Ja, warum? Das konnte Snatcher auch nicht sagen.

»Ich hatte Mitleid mit ihm.«

»Hm, hm, höchst sonderbar,« brummt der Richter, und auf der Galerie hört man lachen.

Snatcher wird abgeführt, erst nach zwei Tagen steht er wieder vor dem Richter.

»Ihre Aussagen über Hemmings haben sich als richtig erwiesen. Haben Sie sonst noch etwas betreffs dieses Mannes hinzuzufügen?«

»Ich glaube, Hemmings ist der Mörder des Mister Nikkerson,« sagte Snatcher nach langem Zögern leise.

Der Richter machte ein strenges Gesicht.

»Sie sprechen da eine furchtbare Anklage aus. Da Sie es nur glauben, will ich sie lieber gar nicht beachten.«

»Nein, nein,« schrie Snatcher verzweifelt auf, »kein anderer als Hemmings ist der Mörder.«

»Beweise!«

Ja, woher wollte Snatcher Beweise nehmen? Daß Hemmings der Versteckung des Dolches beigewohnt hatte, war die einzige Ursache zur Anklage.

»Geben Sie sich keine Mühe, Hemmings zu verdächtigen,« fuhr der Richter in strengem Tone fort, »es ist schon durch Nachforschung erwiesen, daß Ihre früheren Angaben richtig waren. Bereits 14 Tage vor der blutigen Tat hat dieser Hemmings mit einer Karawane Sydney verlassen. Das angegebene Signalement und der Name stimmen, Hemmings war nicht hier, sondern tief in den Steppen Australiens.«

»Er kann aber zurückgekehrt sein.«

»Niemand ist von dieser Karawane zurückgekehrt oder wird je zurückkehren,« sagte der Richter feierlich, »die Expedition ist bis auf den letzten Mann umgekommen, verschmachtet oder unter den Keulen der Eingeborenen gefallen.«

»Dann suche man nach den Leichen! Dem Hemmings fehlte der kleine Finger an der linken Hand, daran ist seine Leiche sofort zu erkennen.«

Einige der Zuhörer lächelten mitleidig.

Verräterische, eingeborene Führer hatten die mitgenommenen Wassersäcke der Reisenden aufgeschnitten; was nicht verdurstet war, das hatten die Keulen der Schwarzen niedergeschmettert. Wo lagen jetzt wohl ihre Leichen? Außerdem fraßen die verhungerten Dingos, die wilden Hunde Australiens, auch Knochen, die etwa gefundenen Skelette waren also verstümmelt.

Dies teilte der Richter dem Angeklagten mit kurzen Worten mit, Snatcher konnte nichts darauf erwidern.

Dennoch mußte noch einmal Nachforschung geholten werden, doch die Anfragen blieben erfolglos. Jonathan Hemmings konnte trotz der genauesten Angaben nicht gefunden werden, und so wurde denn bestimmt angenommen, daß er bei der Expedition mit zugrunde gegangen sei.

Snatcher riß sich durch sein tölpelhaftes, besser gesagt, unerfahrenes Benehmen immer mehr hinein, aber unter den Richtern befanden sich auch Leute, welche begriffen, daß man ohne einen anderen Grund, als bloß aus reiner Herzensgüte einen armen Menschen von der Straße auflesen und in sein Haus nehmen konnte; diese Braven taten ihr möglichstes, Snatcher zu retten. Gelang es ihnen auch nicht völlig, so konnten sie doch wenigstens die schon verhängte Todesstrafe umändern.

Ein Jahr lang saß Snatcher in Untersuchung, dann wurde über ihn das Urteil gefällt:

»25 Jahre Zwangsarbeit im Steinbruch zu Hughenden.«

In diesem Steinbruch kam Snatcher zu der festen Ueberzeugung, daß Hemmings und kein andrer der Mörder des Mister Nikkerson war, er hörte in der leise gefühlten Unterhaltung der Sträflinge öfters den Namen Jonathan Hemmings, erkundigte sich und erfuhr, daß dieser Mann ein ganz gefährlicher Verbrecher sei, der schon zahllose Raubmorde auf dem Gewissen habe.

Snatcher versuchte nochmals, seine Stimme geltend zu machen, er wollte die Untersuchung von neuem eingeleitet wissen – vergebens! Niemand hörte auf den Sträfling. Man bedeutete ihm vielmehr, daß er in Eisen gelegt würde, wenn er verriete, mit den Sträflingen gesprochen zu haben.

Allerdings war sein Notschrei nicht ungehört verhallt. Man versuchte nochmals, Jonathan Hemmings ausfindig zu machen, aber es gelang nicht.

Ueberdies war Nikkerson ein reicher und angesehener Amerikaner. Sein Tod forderte Sühne, und so mußte eben Snatcher, einmal gefangen, zum Opfer dienen. Er war ja nur ein einfacher Matrose, was war da viel Geschrei zu machen! Noch ganz andere hatten auf einen bloßen Verdacht hin unschuldig gebüßt.

Snatcher erfuhr aber von einem Kameraden, daß Hemmings unter dem Namen James Flexan noch lebe und in Amerika die Rolle eines reichen Hazienderos spiele, nachdem es ihm gelungen war, das Herz der verwitweten Mistreß Petersen zu erobern. –

»Hihihi,« kicherte Flexan auf dem Baumast, während unter ihm das Wasser floß, und murmelte, »Snatcher, Snatcher, du dummer Narr, hast dein Messer gut verborgen, was? O, ich weiß, wo es liegt. Bst, vorsichtig, leise – das Kind schläft – das Fenster steht auf – so, nun durchgestiegen – die Kommode geöffnet – da ist der Dolch – er gehört nicht mir – nein, Gott bewahre – er gehört Snatcher – man wird ihn bei der Leiche finden – Hemmings ist ja ins Innere mit der Expedition – hihihi, alles famos arrangiert.«

Der Fiebernde durchlebte noch einmal die damalige Szene.

»Verfluchter Snatcher, du glaubst, ich sei Nikkersons Mörder? Zum Teufel mit dir, Hund, ins Wasser hinein mit dir! Hei, wie das plätschert! Was, du hältst dich noch fest? Schade, daß ich mein Messer verloren habe, das schöne, arabische Messer. Puff, der Kolbenschlag genügt auch. Hei, wie er plätschert, wie er das Wasser hinunterschluckt, als wäre es Wein! Jetzt taucht er unter, fort ist er. Adieu, Snatcher. Nun, kannst du noch sagen, daß ich Nikkerson gemordet habe?«

»Du hast Nikkerson ermordet, nicht ich,« rief da eine hohle Grabesstimme.

Flexan riß die gläsernen Augen auf, er zupfte sich an der Nasenspitze, kniff sich in die Ohren, aber es half nichts, das Gespenst wich nicht. Vor ihm, zwei Meter von ihm entfernt, saß auf demselben Baumast Snatcher, das Wasser floß ihm aus den Kleidern, und er starrte ihn aus hohlen Augen an. Gerade so hatte er vorhin ausgesehen, als Flexan ihn erkannte, und der Mond beschien ihn auch jetzt.

»Unsinn,« lachte Flexan gellend, »ich träume ja nur, ich habe Fieber! Dieser Kerl da ist eine Ausgeburt meiner erregten Phantasie.«

»So wache doch auf,« ertönte die Grabesstimme zurück, »aber du kannst nicht aufwachen, denn du wachst ja schon. Ja, ja, glotze mich nur an, ich bin wirklich Snatcher.«

»Lügner, ich habe ja Snatcher mit eigenen Augen ertrinken sehen.«

»Das Wasser hat mich nicht behalten, es spie mich wieder aus, damit ich Rache nehmen kann an dem, der mich ins Elend gestürzt hat, denn du bist es, der Mister Nikkerson getötet hat.«

»Hahaha, du bist nur eine Truggestalt.«

»So, meinst du?« hohnlachte das Gespenst, griff in die Tasche und brachte einen Dolch heraus. »Kennst du noch dieses Messer? Ich habe es unten gefunden und mit heraufgebracht.«

Flexan erkannte das Messer, welches er vorhin verloren hatte.

»Und kennst du dieses?«

Das Messer verwandelte sich plötzlich in der Hand des Gespenstes, Flexan sah jetzt das arabische, dessen Griff mit Gold- und Silberplatten ausgelegt war.

»Haha, daran erkenne ich, daß ich träume! Wie könnte sich das Messer sonst verwandeln?«

»Ich bin nicht Snatcher selbst, sondern nur sein Geist und komme, mich zu rächen.«

»Du Narr, es gibt ja gar keine Geister. Ich träume nur, werde aber gleich aufwachen.«

Flexan kniff sich wieder in die Ohren, grub die Nägel ins Fleisch, bis das Blut kam, aber die Gestalt wich nicht.

»Verschwinde, Snatcher, ich bin aufgewacht!« schrie er.

»Erst wenn ich dich gemordet habe! Du glaubst nicht, daß ich der Geist von Snatcher bin?«

»Nein, es gibt keine Gespenster.«

»So will ich es dir beweisen, ich werde dich greifen und würgen.«

Die Gestalt streckte die Hand aus, eine Hand mit zerschmetterten, blutenden Fingern, wie sie Flexan mit dem Kolben des Revolvers zugerichtet hatte, streckte sie krallenartig aus und rutschte langsam auf Flexan zu.

Dieser redete sich nicht mehr ein, daß er nur träume, er schrie vor Entsetzen laut auf, seine Haare sträubten sich, und mit einem Sprunge saß er schon auf dem nächsthöheren Ast.

»Du entkommst mir nicht,« grinste unten das Gespenst. »Rache, Rache, Rache will ich haben! Du hast Nikkerson ermordet, und ich habe für dich gelitten. Mörder, Mörder, Mörder, ich greife und würge dich doch!«

Er schlang seine dürren Arme um den Baumstamm und kletterte nach oben, auf Flexan zu, und dieser retirierte abermals einen Ast höher. Das Dolchmesser kam oftmals ganz bedrohlich in seine Nähe, aber immer wich er einem Stich oder der fürchterlichen Umarmung durch einen schnellen Sprung aus.

Noch mehrmals versuchte Flexan, durch Ausrufe sich aus dem Traum zu wecken. Vergebens! Das Gespenst antwortete stets mit einem neuen Hohngelächter.

Deutlich konnte Flexan die Wassertropfen sehen, welche aus den Kleidern des Gespenstes fielen, die blutende Hand, die Züge des Gesichtes, den Dolch, und schon zweifelte er nicht mehr daran, daß er wirklich von Snatcher verfolgt wurde.

Wie ein Eichhörnchen mußte Flexan von Ast zu Ast, bald nach oben, bald nach unten springen, wollte er sich von dem Gespenst nicht fassen lassen, welches ihm zwar langsam, aber mit unermüdlicher Beharrlichkeit folgte.

»Mörder, Mörder, Mörder!« wimmerte es unaufhörlich in Flexans Ohr. »Immer fliehe, du entgehst meiner Rache doch nicht, du hast Nikkerson ermordet!«

Schrecklich, hinter sich das Gespenst, bald den Dolch zückend, bald die Krallenfinger zum würgenden Griffe ausstreckend, und unter sich die reißende Flut. Auf Flexans Stirn standen dicke Schweißtropfen, von Erschöpfung und Todesangst ausgepreßt, seine Glieder versagten fast den Dienst, und dennoch durfte er in seiner Flucht nicht einhalten.

Er dachte nicht daran, zu erwachen, er hoffte nur noch auf das Morgenrot, denn Gespenster können ja das Tageslicht nicht vertragen, dann mußte es in Nebel zerrinnen.

Endlich, endlich rötete sich der Himmel im Osten. Blutig stieg die Sonne am Horizont auf, aber das Gespenst wich nicht. Nach wie vor rutschte es seinem Opfer nach. »Mörder, Mörder, Mörder!« wimmerte es, und Flexan mußte noch immer von Ast zu Ast springen, denn unter sich erblickte er nichts als eine unübersehbare Wasserfläche, ihm ebenfalls den Tod verheißend.


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