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32.

In der Heimat.

»Heisa, das gilt einen Wettritt,« schrien die Cow-boys und schwangen sich auf die Pferde, und wer keins erhaschen konnte, sprang an den Zaun, stieß die Neger zurück und kletterte auf einen Stein oder einen Baum, um über die fast zwei Meter hohe Fenz hinweg dem aufregenden Schauspiele zusehen zu können.

»Der Mann reitet ohne Sattel.«

»Nein, er hat ihn verloren. Das ist ein Gentleman, die reiten nie ohne Sattel.«

»Aber reiten kann er doch.«

»Die Dame reitet besser.«

»Oho.«

»Sie hat eine bessere Faust.«

»Der Mann auf dem braunen Hengst überholt sie doch.«

»Das fragt sich noch. Sie sollte nur peitschen.«

»Aber sie hat keine Peitsche.«

»Sie schont noch.«

»Nein, sie schont nicht, sie bleibt zurück.«

»Sie schont, sage ich. Was gilt die Wette, daß sie gewinnt?«

»Zehn Dollar, daß der Hengst gewinnt.«

»Dreißig Dollar, daß der Falbe siegt,« erscholl es schon von der anderen Seite.

»Fünfzig Dollar für den Falben. Wer hält?« brüllte ein Cow-boy vom Baume herunter, als gälte es, einen Toten aus dem Schlafe zu wecken.

»Wo soll das Ziel sein?«

»Achtung, ihr Nigger!« warnte ein alter, grauhaariger Cow-boy mit einem ledernen Gesicht. »Sie halten gerade auf hier zu. Sie wollen über die Fenz setzen.«

»Hurra, Jungens,« brüllte wieder der Cow-boy auf dem Baume, »sie halten auf die Fenz zu. Fünfzig Dollar für den Falben. Wer hält?«

»Ich, ich, ich,« schrie es von allen Seiten.

Der braune Hengst hatte alle Aussicht zu gewinnen, aber der Cow-boy auf dem Baume hatte nun einmal besondere Vorliebe für das schöne Geschlecht, er schwärmte für jede Reiterin, und so hielt er die Wette für sie. Aber diese kecke Dame auf dem Falben verdiente auch seine Bewunderung, graziöser, als sie, konnte niemand die Büsche und Gräben nehmen.

»Achtung, Jungens,« schrie wieder Ralph, der alte Cowboy, »sie kommen gerade hierher! Die Fenz ist das Ziel, werft euch den Gäulen in die Zügel, wenn sie darüber sind. Weg da, ihr Nigger!«

Die Cow-boys, welche auf den Reiter gewettet hatten, brachen in ein lautes Hallo aus, der braune Hengst schoß jetzt, von Sporen und Peitsche furchtbar bearbeitet, an dem Falben vorbei, einige Sprünge noch, die Neger stoben auseinander, ein Ruck in den Zügeln, der Hengst hob sich und flog in mächtigem Satz über die Fenz hinweg.

Die Cow-boys brachen in ein lautes Hallo aus, denn der braune Hengst schoß jetzt an dem Falben vorbei.

Eine Viertelsekunde später folgte der Falbe, aber die Reiterin begnügte sich nicht damit, mit dem Tiere den Sprung gemacht zu haben, noch in der Luft hob sie sich im Sattel, und kaum berührte das Roß jenseits der Fenz den Boden, so glitt sie herab und stand aufrecht da, während der Falbe schon weiterjagte.

Staunend hatten die Cow-boys diesem tollkühnen Reiterstückchen zugeschaut. Es war ein Wagnis gewesen, bei welchem die Reiterin ebenso leicht meterweit mit der furchtbarsten Heftigkeit geschleudert oder auch unter dem stürzenden Pferd begraben werden konnte. Die größte Sicherheit, Kaltblütigkeit und Erfassung des rechten Momentes waren nötig gewesen, es gelingen zu lassen.

Dann aber brachen die Cowboys in ein endloses Jubelgeschrei aus und umringten die hochatmende Dame in dem schleppenden Reitkleide, welche es im Reiten mit jedem von ihnen aufnehmen konnte. Sie wartete auf den Reiter, welcher jetzt sein Pferd pariert hatte, umlenkte und zurückritt.

»Gewonnen!« rief er lachend vom dampfenden Pferd herab.

»Durchaus nicht,« entgegnete die Dame, ebenfalls lachend, »ich habe die Wette gewonnen.«

»Oho, alle diese Gentlemen sind Zeugen, daß mein Brauner zuerst in den Hof setzte.«

»So haben wir ja gar nicht gewettet.«

»Nicht? Um was denn sonst?«

»Mister Wood, Sie haben doch sonst ein so gutes Gedächtnis, entsinnen Sie sich nicht mehr auf den Wortlaut der Wette?«

»Wer den Hof innerhalb der Fenz zuerst betritt, soll gewonnen haben.«

»Nun, habe ich ihn nicht zuerst betreten?«

Der Herr brach in Lachen aus.

»Dann muß ich mich allerdings besiegt erklären, und ich tue es gern.«

»Und ich erkläre,« fügte die Dame hinzu, »daß Ihr Brauner allerdings gewonnen hat, es wäre aber nicht der Fall gewesen, wenn ich eine Reitpeitsche besessen hatte.«

»Das geht mich nichts an,« entgegnete der Herr trocken, sprang vom Pferde und bewillkommnete die übrigen Wettreiter, Herren und Damen, welche, da sie die Hoffnung auf den Sieg doch aufgegeben, den Weg nicht über die gefährliche Fenz, sondern durch das Tor genommen hatten.

Die anderen Reiter waren noch weit entfernt.

Als die Dame während des Satzes über die Fenz abgeglitten, war der Falbe also weitergejagt, doch blitzschnell hatten sich ihm von beiden Seiten zwei Cow-boys in die Zügel geworfen und ließen sich, unbekümmert um die drohenden Hufe, schleifen. Noch war das Tier nicht zum Stehen gebracht worden, als der eine Cow-boy auf die Füße zu stehen kam, ein Griff in die Mähne, ein Satz, und der verwegene Gesell war mitten im Laufen auf den Rücken des Pferdes voltigiert.

Es war Ralph, der alte Cow-boy, dessen Glieder durch das Alter noch nichts an Gelenkigkeit eingebüßt hatten.

Mit einem Schenkeldruck, der das Tier tänzeln machte, brachte er es der Herrin zurück, und jetzt fiel der Blick der Dame, die sich bisher lächelnd im Kreise der sie anstaunenden Männer umgesehen hatte, als suche sie nach alten Bekannten, auf ihn.

»Ralph,« rief sie fröhlich und sprang, das Reitkleid zusammenraffend und die freie Hand ausstreckend, an den Cow-boy heran, »Ralph, alter Kerl, kennst du denn deine Freundin nicht mehr?«

Mit offenem Munde starrte der Mann das junge Mädchen an, dessen schon tiefgebräuntes, aber frisches und gesundes Antlitz von dem wilden Ritt noch dunkler geworden war, so daß es an Farbe denen der Cow-boys fast nicht nachstand.

»Ne, Fräulein,« stotterte er befangen, »kann mich nicht entsinnen ...«

»Aber Ralph, kennst du denn das Mädchen nicht mehr, welches du reiten gelehrt hast, das mit dir in kurzen Kleidern wie toll hinter den fliehenden Herden hergejagt ist, sie umritten hat? Nebeneinander haben wir gehalten und sie zum Stehen gebracht. Weißt du nicht mehr, wie du mir den Gebrauch des Lassos zeigtest, wie du dich freutest, als ich das erste Pferd fangen wollte und abgeschleudert wurde, bis ich es ohne deine Hilfe doch fest hatte; weißt du noch, Ralph ...«

Da jauchzte der alte Bursche plötzlich auf und warf sich vom Pferde herab.

»Gottes Tod,« schrie er, »Ellen, wahrhaftig, 's ist unsere Ellen – Miß Petersen, wollte ich sagen,« verbesserte er sich schnell, ergriff aber dennoch ohne alle Scheu die Hand und schüttelte sie, als wolle er den Arm ausrenken. »Verdamm' meine Augen ...«

»Fluchst du immer noch?« lachte Ellen.

»Nein, ich hab's mir abgewöhnt. Verdamm' meine Augen, konnte ich alter Spitzbube mir nicht gleich denken, daß das nur Ellen sein konnte, die vom springenden Pferde aus dem Sattel glitt? Nun bleibt Ihr hier? Hurra, dann geht's wieder hinter den Pferden her. Die Pfeife habe ich auch noch, sie ist nur ein bißchen kürzer geworden. Wie war's auf dem Wasser? Aber das Reiten habt Ihr doch nicht verlernt, Gott verdamme mich – wollte sagen, der Teufel segne mich – nein – na, Ihr wißt schon, was ich sagen wollte.«

Die Worte sprudelten dem Graubart nur so über die Lippen, er war vor Freude schier närrisch.

»Nein, ich weiß nicht, was du für einen Ausdruck gebrauchen wolltest,« lachte Ellen, »aber ich weiß, daß du dich freust, mich wiederzusehen, und ich freue mich ebenso. Ach, da sind ja auch noch Dan und Fred und Bill und Ned, auch den dort kenne ich noch. Wie freut es mich, euch begrüßen zu können, und daß ihr es gerade seid, die mich in der Heimat zuerst bewillkommen.«

Des Begrüßens war kein Ende. Von allen Seiten streckten sich Hände aus, alle wurden erfaßt und geschüttelt, immer neue Freudenrufe erschollen. Die junge Herrin wurde förmlich erdrückt von den wilden, verwitterten Gestalten, man hörte kein ›gnädiges Fräulein‹, nur ›Ellen‹ oder ›Miß Ellen‹, höchstens einmal ›Miß Petersen‹.

»Genug, genug, ich sehe euch ja nachher wieder! So laßt mich doch nur einmal frei, ich habe noch andere Freunde zu begrüßen. Wo ist Martha?«

»Die wird sich riesig freuen, sie ist im Haus; heute ist die Ernte verkauft worden.«

Endlich gelang es Ellen, durchzukommen und sich den Freunden und Freundinnen beizugesellen, welche jetzt alle angekommen waren. Es waren Lord Harrlington, Hastings, Williams und alle diejenigen Damen, welche sich nicht mehr von diesen trennen wollten, Hannes und Hope und noch viele andere. Sie hatten sich nicht zurückhalten lassen, sondern sich der in ihre Heimat reisenden Ellen angeschlossen. Die Kranken weilten noch unter der Pflege ihrer Geliebten auf der Besitzung Hoffmanns, man wollte bald wieder dorthin zurückkehren.

Auch Johanna befand sich unter den Angekommenen, doch Hoffmann fehlte.

Nick Sharp beliebte es, sich wieder einmal Mister Wood nennen zu lassen. Sein Pferd hatte vorhin das von Miß Petersen geschlagen, als sie, von der übermütigen Laune erfaßt, einen Wettritt arrangiert hatte.

Alle waren schon aus dem Sattel gesprungen und hatten die Pferde herbeieilenden Dienern übergeben, unter denen Ellen nur sehr wenige bekannte Gesichter entdeckte.

»Ich grüße dich, meine Heimat!« rief sie jetzt fröhlich. »Einsam und traurig zog ich aus ihr fort, heiter und reich an Freunden kehre ich wieder. Auch arm war ich damals, arm und leer im Herzen, jetzt aber bin ich reich, denn,« sie warf sich an die Brust Harrlingtons, ich bringe dich ja mit, du bist von jetzt ab mein Schatz, mein Reichtum, mein Alles auf Erden. Und hätte ich auch alles, alles auf dem wilden Meere verloren, dich habe ich doch dabei gewonnen.«

Zärtlich umschlang Harrlington die Geliebte, preßte sie an sich und küßte sie.

»Auch ich habe dich gewonnen, Ellen, ich kann eher so sprechen, als du. Wenn man gewinnen will, muß man kämpfen, und ich habe gekämpft und gerungen, bis der Sieg mein war und mir der Preis zufiel.«

»Du glaubst, ich hätte nicht gekämpft? O, wenn du wüßtest, wie. Es war kein offener, nein, ein heimlicher Kampf, und dieser ist doppelt furchtbar. Stolz und Liebe stritten miteinander, mein Herz war eine Walstatt, bis die Liebe siegte. Denn ich habe dich ja vom ersten Augenblick an geliebt, da ich dich gesehen; den Stolz gebändigt zu haben, diese Ehre mußt du mir allein lassen, wenn ich dich und die Schicksalsfügungen mich als Kampfgenossen anerkennen will.«

»Streiten wir uns nicht um die Ehre, sondern teilen wir den Gewinn,« lachte Harrlington und schloß seiner Braut durch einen Kuß den Mund, zwei andere nahmen die Tränen von den Wimpern, obgleich sie nur freudetrunkene Augen verschleiert hatten.

Die beiden Liebenden konnten nicht sofort die innige Umarmung lösen.

»James, du stehst auf deinem eigenen Boden,« flüsterte Ellen.

»Noch nicht,« lächelte der Lord.

»Doch! Was mir gehörte, gehört jetzt dir, ich habe keinen Anspruch mehr darauf.«

»Du verschenkst sehr leichtsinnig.«

»Ich bin überhaupt kein Freund von Geschäften; deshalb ist es Eigennutz, wenn ich dich bitte, schon jetzt die Plantage als dein Eigentum anzusehen.«

»Ich verstehe dich nicht. Sprichst du im Ernst?«

Ellen lachte.

»Gewiß, James! Sieh, wenn man jahrelang abwesend gewesen ist und man kommt endlich wieder, dann erwarten einen fürchterlich viele Geschäfte. Ach, mir graust schon, wenn die Bücher aufgeschlagen werden und ich sie prüfen soll, ich muß es scheinbar tun, man muß sich in Respekt zu halten suchen, die Beamten wollen gewissermaßen mit ihrer Ehrlichkeit prahlen. Eine seltsame Art und Weise, als ehrlicher Mann Lob hören zu wollen, nicht?«

»Ja, die Ehrlichkeit wird rar, wer sie hat, zeigt sie gern, und wer sie nicht besitzt, noch mehr.«

»Und diese Geschäfte könntest du mir doch eigentlich abnehmen,« fuhr Ellen fort.

»Wenn du mir die Vollmacht dazu gibst.«

»Die hast du schon.«

»Oder wir machen es zusammen.«

»O, das geht auch. Dann verfliegt die Zeit schneller, wenn wir zusammen in die Bücher mit den endlosen Zahlenreihen blicken.«

»Nun, wir werden sehen, wie wir dies unangenehme Geschäft am schnellsten und besten erledigen, Mister Wood, was wünschen Sie?«

Diese Frage klang etwas unwirsch. Der Detektiv war aber auch ein zu großer Pechvogel, eben wollte Lord Harrlington wieder etwas von Liebe sagen, und natürlich mußte Sharp dazwischenkommen und ihn stören.

»Sie brauchen mich nicht so grimmig anzublicken,« sagte der unverwüstliche Detektiv kaltblütig, »es tut mir allerdings sehr leid, Sie stören zu müssen, doch ich mußte Sie darauf aufmerksam machen, daß dort Ihr zukünftiger Schwiegerpapa angelaufen kommt, um seine Gäste zu begrüßen. Ich glaube, er wird sich über den unerwarteten Besuch riesig freuen.«

Mit einem Zug des Mißvergnügens wandte Ellen den Kopf dem Hause zu.

Mister James Flexan kam aus dem Hauptportal und eilte der Gruppe von Herren und Damen zu, welche noch immer von Cow-boys und Negern umringt waren.

Hätte man sein Gesicht noch in der Flur selbst beobachten können, so hatte man in seinen Zügen einen namenlosen Schreck gelesen, den Ausdruck der furchtbarsten Angst, jetzt aber drückte es geheuchelte Freude aus.

Er war im Gesellschaftsanzug, hatte schnell einen Zylinder aufgestülpt und lief nun, lächelnd und sich krampfhaft die Hände reibend, auf die Gruppe zu, sie mit den Augen überfliegend und dann sich direkt an Ellen wendend.

Scheu wichen die Neger vor dem Haziendero zurück, der hier die Rolle eines Fürsten spielte.

Ellen ließ zwar die Arme von des Lords Halse, behielt aber seine Hand in der ihren. Mit kalten Augen musterte sie den Ankommenden, ebenso Harrlington. Die übrigen Herren und Damm näherten sich langsam.

»Ellen,« rief der alte Herr und eilte mit vorgestreckten Händen auf sie zu, »endlich, endlich erinnerst du dich, daß du noch ein Vaterhaus besitzest, in dem sich liebende Herzen um dich sorgen und sich nach dir sehnen. Sei mir gegrüßt, meine Tochter, vergiß der vergangenen Zeiten und nenne mich fortan deinen Vater! Nochmals, herzlich willkommen in deiner Heimat.«

»Guten Tag, Mister Flexan,« klang es eisigkalt aus Ellens Munde.

Bestürzt blieb der Haziendero stehen, seine Hände sanken schlaff herab, es war, als hätte ihn plötzlich der Schlag getroffen. Seine Gestalt brach fast zusammen, aber auch nur einen einzigen Augenblick währte diese Bestürzung, ein oberflächlicher Beobachter hätte sie nicht einmal wahrgenommen.

Sofort faßte er nach dem Hut, und mit einem süßlichen Lächeln verneigte er sich gegen Ellens Begleiter.

»Lord Harrlington, habe ich die Ehre? O, ich habe schon so viel von Ihnen erzählen hören – Unglaubliches – und wie mich das freut, Sie an der Seite meiner Tochter zu sehen!«

»Lord Harrlington – Mister Flexan,« stellte Ellen vor.

Der Lord begrüßte ihn höflich, aber ebenfalls eisigkalt, und Flexan wagte nicht, dem Bräutigam seiner Stieftochter die Hand zum Gruß zu bieten, wie es sich gehört hätte.

Ellen stellte weiter vor, Flexan schien überglücklich zu sein, er floß über von Komplimenten und Schmeicheleien, sein ganzes Wesen zerschmolz in Höflichkeit und Ehrerbietung. »Wie mich das freut,« kam wohl hundertmal über seine Lippen, welche beständig leise zuckten.

Auf Seiten der Herren und Damen dagegen nur leichtes Hutabziehen, flüchtiges Nicken, ein kaltes ›Guten Tag‹ und abweisende Blicke.

Diese peinliche Vorstellung war vorüber, unangenehm für die Gäste, geradezu niederschmetternd für den Hausherrn, und dennoch sah man ihm nicht das geringste Mißbehagen an. Alles an ihm war Liebenswürdigkeit und Freude.

»Doch nun bitte ich die Herrschaften, ins Haus zu treten. Dann entschuldigen Sie mich einen Augenblick, damit ich persönlich Fürsorge treffen kann, daß es meinen Gästen an nichts fehlt. Ich wäre unglücklich ...«

»Es sind meine Gäste, Mister Flexan,« warf Ellen ein, Sie beachtete nicht den warnenden Blick, den ihr Nick Sharp, als Mister Wood vorgestellt, zuwarf. Eine lautlose Stille trat ein. Alle fühlten, daß in Ellens Einwurf geradezu eine Beleidigung lag, nur Flexan selbst schien dies nicht zu merken.

»Natürlich, natürlich,« beeilte er sich zu sagen, »es sind eigentlich nicht meine, sondern deine Gäste, liebe Ellen, aber es würde mir unendliches Vergnügen bereiten, den Wirt spielen zu dürfen.«

»Sie werden mit der Baumwollenernte sehr beschäftigt sein.«

»Durchaus nicht, alles schon verpackt.«

»Oder mit dem Verkauf.«

»O, hm hm,« hustete Flexan, »der ist bereits abgeschlossen.«

»Sie haben das Geld schon empfangen?«

Diesmal wunderte sich Flexan wirklich, das sah man ihm an. Er war nicht gewöhnt, daß sich seine Stieftochter um Geschäfte kümmerte. Doch den Schrecken verstand er trefflich zu verbergen, nur nicht vor zwei außerordentlich scharfen, fest auf ihm ruhenden Augen, vor denen des Detektiven.

»Ah, seit wann interessiert sich meine schöne Tochter denn so für Geschäfte?« stellte er sich freudig erstaunt. »Hat sie dies auf der Reise gelernt? Ich dachte ...«

»Ich frage Sie, Mister Flexan, ob Sie das Geld schon empfangen haben,« wiederholte Ellen ungeduldig.

»Gewiß, es sind ...«

»Wir sprechen nachher darüber,« unterbrach ihn Ellen nachlässig, »es ist mir nur lieb, da ich gerade eine größere Summe in bar brauche. Doch nun bitte ich Sie, mir zu folgen,« wandte sie sich an die Freunde, »Sie sind meine Gäste, betrachten Sie mein Haus als das Ihrige, befehlen Sie ohne alle Umstände.«

Sie gingen zusammen nach der Hauptpforte. Flexan schritt neben Ellen, fand aber von dieser gar keine Beachtung. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißtropfen, obgleich es gar nicht so besonders heiß war.

Ellen sprach auch nicht zu ihm, sondern zu ihrem Begleiter auf der andern Seite, zu Lord Harrlington, als sie sagte:

»Mich wundert nur, daß Martha mir noch nicht entgegengeeilt ist. Sie hat doch sicher schon von meiner Ankunft gehört. Ueberall wurde ja mein Name gerufen, und sie kennt mich doch, wenigstens meinem Bilde und meinen Briefen nach. Sie wird doch nicht krank sein?«

»O, daß ich das in der Aufregung vergessen habe,« nahm Mister Flexan sofort das Wort und zog ein bekümmertes Gesicht, »in der Tat, liebe Ellen, Martha ist ein kleiner Unfall zugestoßen.«

»Was ist mit ihr?« rief Ellen erschrocken, ihr kaltes Benehmen welches sie dem Stiefvater gegenüber zeigen wollte, vergessend. »Sie ist doch nicht krank?«

»Nein, ein Ueberfall ...«

»Ein Ueberfall?«

Schon war Sharp, der für dergleichen unglaublich feine Ohren hatte, hinter ihm.

»Ja, es hatte nichts zu bedeuten,« fuhr Flexan kurz fort.

»Ein Ueberfall in meinem Hause? Auf Martha? Unmöglich. Wer sollte es wagen ...«

»Ein Fremder –«

Flexan konnte nicht weiter erklären, Ellen ging oder rannte vielmehr dem Hause zu, Harrlington ihr nach, doch beide wurden von Sharp überholt.

Der Haziendero kämpfte seine Unruhe nieder, er wandte sich an die übrigen Gäste, welche langsamer dem Hause zuschritten, und erzählte ihnen, wie ein Mann auf sein Pflegekind und dessen Gouvernante einen räuberischen Anfall gemacht habe, kurz bevor die Herrschaften angekommen wären.

Der Räuber sei an der Ausführung seines Vorhabens gehindert worden und geflohen, Miß Kenworth und ihr Zögling seien völlig außer Gefahr.

Flexan vermied sorgfältig, das Aussehen, des Mannes zu beschreiben, er ahnte fast, daß diese Gäste Eduard Flexan auch in seiner jetzigen Gestalt kannten, er sprach immer nur von einem ›Fremden‹ der sich unter dem Vorwand, ihn zu sprechen, ins Haus geschlichen habe.

Aufgefordert, eine Beschreibung von ihm zu geben, antwortete er mit schön und wichtig klingenden, aber leeren Wortphrasen, wie sie einem jeden nur einigermaßen gewandten Weltmann stets zur Verfügung stehen, und welche bei harmlosen Zuhörern auch keinen Argwohn erwecken.

»Ich sprach den mir völlig unbekannten Mann im Wartezimmer vor meinem Bureau,« schloß Flexan. »Sein Aussehen wie auch sein Benehmen, war ein ganz seltsames, fast das eines Idioten, wenn nicht ein kluger Blick in seinem Auge gelegen hätte, wie man dies häufig bei menschenähnlichen Affen findet. Er bot sich mir als Pferdebändiger an, und es fiel mir auf, daß er eine zwar große, dicke Hand besaß, welche aber wohlgepflegt war, wie man sie bei Cow-boys nicht eben findet. Ich hielt ihn für einen Geistesgestörten und wies ihn kurz ab. Er entfernte sich und hat darauf einen Raubanfall versucht.«

Kopfschüttelnd hatte ihm Sir Williams zugehört.

»Idiot – kluger Blick – menschenähnlicher Affe – wohlgepflegte Hand – Pferdebändiger,« murmelte er, »nein, da werde ein anderer klug daraus, ich kann es nicht.«

Harrlington, Ellen und Sharp fanden die Gouvernante an dem Bette Marthas. Das Mädchen hatte sich erholt, doch sah es von dem überstandenen Schrecken der Todesnot noch bleich und angegriffen aus. Der Hals zeigte dunkelrote Flecken, welche die würgenden Finger zurückgelassen hatten.

Dieselben Zeichen trug auch der Hals von Miß Kenworth. Als die drei eintraten, überzog eine tiefe Röte ihr Antlitz, scheu senkte sie das Auge, doch gleich schlug sie es wieder offen und groß auf. – Es begegnete ruhig dem prüfenden Blick des Detektiven, dieser nickte und gab ihr die Hand wie einer alten Bekannten.

Dann, als sie zu Ellen hinüberschaute, zog eine noch dunklere Blutwelle über ihr Gesicht, doch Ellen achtete ihrer jetzt nicht, sie kniete neben dem Bettchen und hielt die Hand des Kindes.

»Martha, kennst du mich?«

Das Kind nickte nur, es streichelte die Hand des Mädchens, und selige Freude verklärte sein Gesicht. Zum Sprechen war es zu schwach, es bewegte nur die Lippen, und Ellen konnte ihren Namen von ihnen ablesen.

»Armes Kind,« flüsterte Ellen, »nie, nie sollst du erfahren, wer deine ...«

Ellen sprach nicht weiter, sie beugte sich über das Kind und küßte es wiederholt mit tränenden Augen.

»Was kannst du dafür? Wer du auch seiest, ich will deine Schwester sein.«

»Nicht Martha? Soll ich dir keine Schwester sein?«

Das Kind schüttelte das Köpfchen.

»Meine Mutter,« lispelte Martha.

»Ja, deine Mutter!«

Ellen richtete sich auf und strich sich das vorgefallene Haar zurück. Ihr Blick begegnete dem der Miß Kenworth. Ellen trat auf diese zu und ergriff herzlich ihre Hand.

»Ich danke Ihnen, Miß Kenworth,« sagte sie einfach, »ich zähle eine Freundin mehr.«

Miß Kenworth versuchte ihr scheu die Hand zu entziehen, doch Ellen hielt sie fest.

»Ich kenne und nenne Sie nicht anders mehr, denn als meine Freundin,« wiederholte sie.

Da trat Nick Sharp dazwischen.

»Wenn die Begrüßungen vorüber sind, so wollen wir an die Aufnahme des Tatbestandes gehen,« sagte er kurz. »Miß Kenworth, bitte, teilen sie uns mit, wie sich die Sache zugetragen hat!«

Miß Kenworth warf einen Blick auf Martha, winkte dann den dreien und trat ans Fenster. Die Entrüstung über die freche Tat überwog das Staunen der Zuhörer, nur Sharp blieb unverändert.

»Also sein eigenes Kind schont er nicht, wenn es gilt, seine Leidenschaft zu befriedigen. Es ist entsetzlich! Und offen sagte er aus, daß er keine Vaterliebe mehr kennt? Hat Martha gehört, daß er seinen Namen nannte?«

»Nein, ich habe sie deswegen schon ausgeforscht. Sie soll es auch nie erfahren.«

»Nimmermehr, sie soll den Namen Flexan auch nie tragen. Mister Sharp,« wandte sie sich an den sinnend dastehenden Detektiven, »da ist Arbeit für Sie. Warum zögern sie noch? Suchen Sie ihn zu greifen.«

»Erlauben Sie erst, daß ich mir überlege, mit welcher Hand ich ihn greifen soll,« entgegnete Sharp trocken, »übrigens ist mein Name Wood und kein anderer.«

Ellen wurde etwas verlegen.

»So habe ich das nicht gemeint.«

» All right, ich gehe.«

»Schonen Sie ihn nicht, auch wenn sein Tod nicht in die Pläne paßt,« rief Ellen dem Detektiven nach, »er ist ein Raubtier, kein Mensch.«

Ein spöttisches Lachen war die Antwort.

Miß Kenworth blickte dem Hinausgehenden nach und dann auf Ellen. Wieder übergoß ihr Gesicht eine purpurne Röte, ein Zittern ging durch ihren Körper, und plötzlich schlug sie die Hände vors Antlitz, warf sich übers Bett und weinte laut.

Verwundert schaute Harrlington auf Ellen, er kannte diese Dame nicht, noch weniger konnte er sich ihr rätselhaftes Betragen erklären.

»Lieber James, laß uns einen Augenblick allein,« bat Ellen. »Suche deine Freunde auf.«

Der Lord hauchte einen Kuß auf ihre Stirn und verließ das Zimmer.

Ellen beugte sich über die Gouvernante, zog sie empor und nahm ihr die Hände vom Gesicht.

Als Martha die Tante weinen sah, brach auch sie in Tränen aus.

»Nicht weinen, nicht weinen, Tante!« jammerte sie.

»Hören Sie, nicht weinen,« sagte Ellen liebreich und zog sie an ihre Brust, »Martha will es nicht, und ich will es auch nicht.«

»O, Sie sind so gut zu mir, und ich verdiene es nicht,« schluchzte die Unglückliche.

»Warum nicht? Was Sie auch begangen haben mögen, Sie haben es nicht nur gebüßt, sondern es auch wieder gutgemacht, und das ist viel wert. Seien Sie wieder heiter und glücklich, es steht Ihnen nichts im Wege.«

»Ein Gespenst schreckt mich.«

»Welches Gespenst?«

»Meine Vergangenheit. Ach, wenn Sie ahnen könnten, welch martervolle Stunden ich hier verbracht habe. Mein einziges Glück war Martha, in ihrer Gesellschaft floh das Gespenst, aber dann kamen die Nachtstunden, o, diese schrecklichen, einsamen Nachtstunden, dann quälte es mich, daß ich zu sterben wünschte, Nur der Gedanke an Martha hielt mich aufrecht.«

»So sollen Sie ständig in Gesellschaft Marthas bleiben und in der meinen, wir beide wollen das Gespenst bannen, bis es das Wiederkommen vergißt.«

Miß Kenworth schüttelte den Kopf.

»So lange ich hier nicht gekannt wurde, mochte es gehen, aber wer mag mit mir zusammenleben, der mich kennt?«

»Ich,« entgegnete Ellen fest. »Sie leben fortan als Miß Kenworth an meiner Seite, und wer es wagt, Sie zu beleidigen, der beleidigt mich. Ich und Lord Harrlington werden wachen, daß Ihr Friede nicht gestört wird.«

»Wer mich kennt, hat das Recht, auch an meine Vergangenheit zu denken.«

»Wer kennt Sie denn hier? Nur ich. Nicht einmal Harrlington hat eine Ahnung, wer Sie sind. Habe ich es ihm mitgeteilt – was meine unbedingte Pflicht ist – so wird auch er Ihnen als Freund die Hand reichen.«

»Und jener – jener Mister Sharp?« hauchte die Gouvernante.

»Ich denke, er wird sich bald auf Nimmerwiedersehen entfernen. Ich habe ihm früher bitter unrecht getan, ich habe ihn gehaßt und verachtet, doch ich bat's ihm ab. Jetzt steht er hoch in meiner Achtung, wenn ich ihn auch nicht als Gesellschafter wünsche. Er ist etwas rücksichtslos.«

»Rücksichtslos?«

Miß Kenworth schauerte wie im Fieber zusammen.

»Er kann entsetzlich sein,« stöhnte sie dann leise.

Wieder zog Ellen sie an ihre Brust und streichelte sanft das Haar, als hätte sie ein Kind vor sich und nicht eine Dame, welche bedeutend älter war, als sie.

»Ich weiß,« sagte sie zärtlich, »Sharp erzählte mir selbst alles. Kam mir sein Verfahren auch anfangs so barbarisch vor, daß ich ihn fast von neuem zu hassen begann, so habe ich doch später anders denken gelernt. Was er getan, hat er nur in guter Absicht und zu Ihrem Besten getan.«

»Ja, das hat er, aber ich möchte ihn nicht mehr sehen.«

»Dies soll auch nicht geschehen, ich werde dafür Sorge tragen. Wollen Sie also bei mir bleiben und als meine Freundin hier leben?«

Die Gouvernante schaute das junge Mädchen fest an, und ein seliges Lächeln breitete sich über ihr Antlitz.

»Wenn ich darf?« flüsterte sie endlich.

»Nicht dürfen, ich bitte Sie ja darum.«

»Ja. Ach, so sehr gern.«

Ellen zog die Hand der neuen Freundin an sich und schlug mit ihrer anderen Hand kräftig ein.

»So ist unser Bund besiegelt,« rief sie fröhlich. »Wir sind Freundinnen, wollen es bleiben und uns in die Erziehung Marthas teilen. Ihr früherer Name und alles andere ist vergessen, nichts soll von dem über meine oder über eines anderen Lippen kommen. Sie sind von jetzt ab Miß Kenworth. Diesem Namen haben Sie Ehre gemacht. Kümmern Sie sich nicht mehr um Ihre Verwandte, Martha und ich wollen Ihnen alles sein, und hat man Ihnen die Heimat genommen, ich will Ihnen eine andere geben. Sie sind nicht mehr bei fremden Leuten, Sie sind in Ihrer Heimat. Und nun habe ich noch jemanden, der vor Freude jubeln wird, wenn er Sie wiedersieht.«

Ellen sprang auf und eilte hinaus. Miß Kenworth streckte die Arme aus, als wolle sie die neue Freundin zurückhalten, doch diese war schon fort, da stürzte sie auf die Knie und schlug die verklärten Augen zum Himmel auf.


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