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40.

Durch Feuer und Wasser.

Ralph hatte sich, als er trotzig von der Plantage fortgeritten, nicht nach Yorkspire begeben, um dort sein ausbezahltes Geld, 240 Dollar, in Saus und Braus zu verjubeln, sondern zur schönen Peggy, für welche er trotz seiner grauen Haare eine kleine Neigung besaß.

Seine Kameraden hatten sich daher geirrt, als sie der fragenden Ellen Yorkspire als den Ort bezeichneten, wo Ralph sein Geld durchbringen würde. Sie hatten eben keine Ahnung davon, daß Ralphs zartfühlendes Herz sich schon längst nach der schönen Peggy sehnte, überdies galt diese Sehnsucht mehr dem ausgezeichneten Whisky, als der jungen Witwe mit der breitgedrückten Nase. Aber sie besaß eine eigentümliche Art, dem Ralph auf die Schulter zu klopfen, wenn sie ihm das Glas kredenzte, das zog den alten Burschen an.

Der Ritt Ellens und Harrlingtons war vergeblich gewesen. Sie fanden den Gesuchten nicht. Dafür bekam Ellen in der nächsten Schenke von dem Wirt, der die junge, reiche Herrin mit Bücklingen empfing, etwas zu hören, das ihr sofort die Zornesröte ins Gesicht trieb.

»Wir haben Ralph vergeblich erwartet. Jammerschade, daß er nicht gekommen ist,« entgegnete der grinsende Wirt auf die erste Frage nach dem Cow-boy.

»Erwartet, wieso?«

»Nun, ganz Yorkspire ist bereit, dafür zu sorgen, daß Ralph festgenommen wird, ehe er Gebrauch von seinem Revolver machen kann.«

»Sprecht deutlicher, ich verstehe Euch nicht,« rief Ellen, obgleich ihr schon eine Ahnung aufging.

»Wißt Ihr nichts davon? Das sollte mich doch wundern,« schmunzelte der Wirt.

»Gar nichts weiß ich.«

»Daß hinter Ralph die Konstabler her sind.«

»Was?«

»Natürlich! Ihr habt doch selbst die Behörde instruiert, daß Ralph wegen Diebstahls sofort festgenommen werden soll.«

Der Wirt blickte so listig, daß anzunehmen war, er glaube selbst nicht an seine Behauptung.

»Ich hätte die Polizei benachrichtigt, daß Ralph zu verhaften sei?« rief Ellen empört.

»Nun oder doch Mister Flexan in Ihrem Namen.«

Ellen wandte sich an Harrlington.

»Was sagst du nun zu dieser neuen Gemeinheit, James? Ich gebe ihm noch deutlich zu verstehen, daß ich Ralph eines Diebstahls nicht für fähig halte, daß ich wünsche, er soll auf meiner Farm bleiben, setze mich selbst aufs Pferd, um ihn zu holen, und während ich mich umziehe, schickt Flexan schnell einen Boten nach Yorkspire, welcher die Polizei auf Ralph hetzen soll, um ihn verhaften zu lassen. Dieser elende Schurke!«

»Ellen,« mahnte Harrlington, mit einem warnenden Blick auf den Wirt.

»Ich bin der Verstellung nun überdrüssig,« entgegnete Ellen ungeduldig, »ärgere mich überhaupt schon lange, mit dem Manne, der mich Stieftochter nennt, nicht so umgesprungen zu sein, wie er es verdient. Doch nun ist es genug, ich zögere jetzt nicht mehr, laut zu sagen, daß Mister Flexan ein Schurke ersten Ranges ist, und wenn dadurch auch Mister Hoffmanns Plan zerstört würde.«

»Ellen, mäßige dich!« bat Harrlington. »Diese Heftigkeit entstellt dich, und dann bedenke, daß alles dies Ralph nicht davor rettet, verhaftet zu werden.«

Ellen brachte das tänzelnde Pferd, welches von der Aufregung seiner Herrin angesteckt worden war, zur Ruhe und sagte freundlicher:

»Da hast du recht, lieber James, wir müssen eben versuchen, Ralph zu finden, ehe die Konstabler zufassen, denn sitzt er einmal hinter Kerkermauern, dann würde es selbst mir schwer fallen, ihn sofort wieder freizubekommen, denn es sind viel Formalitäten dabei notwendig, und ein Tag im Kerker eingeschlossen, bedeutet für den freien Cow-boy ein Jahr. Ich möchte Ralph nicht dieser entsetzlichen Qual ausgesetzt wissen.«

»Wenn wir ihn aber nun treffen, und die Verhaftsbefehle sind schon erlassen?«

»Das schadet nichts weiter.«

»Du kannst sie aufheben?«

»Nicht aufheben, das heißt, nicht widerrufen, aber ungeschehen machen.«

»Das wundert mich,« rief Harrlington erstaunt. »Eine Verhaftung wird doch im Namen der Regierung ausgesprochen.«

»O, lieber James,« lachte Ellen, »wir sind in Amerika und nicht in England. Solange sich nicht die eiserne Tür hinter ihm geschlossen hat, er sich also noch in den Händen der Konstabler befindet, kann ich ihn stets freimachen. Schließlich bin ich ja auch die Bestohlene, nicht Flexan.«

»Dieser muß einen ganz besonderen Grund haben, Ralph als Dieb verhaften zu lassen,« meinte Harrlington nachdenklich, »sollte wirklich ...«

»Lassen wir das,« unterbrach ihn Ellen. »Ich habe dir schon vorhin Andeutungen gemacht, sie bestätigen sich jetzt. Nachher sprechen wir mehr davon. Wirt,« wandte sie sich an den Mann, der in unterwürfiger Haltung vor ihr stand, »wann sind die Konstabler von hier aufgebrochen, um Ralph zu suchen?«

»Vor einer Viertelstunde.«

»Erst? Dann können sie ja noch gar nicht weit sein. Wohin haben sie sich gewendet?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wieviele waren es?«

»Drei Konstabler und ein Sergeant.«

»Wann kam der Bote hier an, welcher die Polizei auf Antrag des Mister Flexan alarmierte?«

»Vor einer halben Stunde.«

»So haben sie eine Viertelstunde gebraucht, ehe sie Yorkspire verlassen konnten?«

»Durchaus nicht, Miß. Die amerikanische Polizei ist nicht so langsam. In dieser Viertelstunde haben sie ganz Yorkspire nach dem Diebe durchsucht.«

»Ralph ist kein Dieb,« sagte Ellen streng. »Also sie fanden ihn nicht?«

»Nein.«

»Und wohin sind sie dann geritten?«

»Nach Norden.«

»Das ist sehr unbestimmt. Ihr habt keine Ahnung, wo sie Ralph zu treffen hoffen?«

»Nicht die geringste.«

»Sollten sie nicht zu jemandem gesprochen haben?«

»Weiß nicht. Vielleicht zu dem Boten, welcher das Schreiben von Mister Flexan brachte. Er ist gut Freund mit einem der Konstabler, hat auch mit ihm gesprochen, als sie in meiner Wirtsstube nach Ralph suchten.«

»Das wäre ein Anhalt. Ja, wenn wir wüßten, wo jener Bote jetzt wäre.«

»Das kann ich Ihnen sagen,« lachte der Wirt. »Harry sitzt in der Stube und läßt sich meinen Wein schmecken.«

»Warum sagt Ihr das nicht gleich?« rief Ellen halb erzürnt, halb erfreut.

»Wußte nicht, daß Ihnen so viel an dem Burschen gelegen wäre.«

»So holt ihn schnell!«

Der Wirt ging in das Haus.

»Könntest du nicht auf dem hiesigen Polizeibureau erfahren, wohin sich die Konstabler gewendet haben?« fragte Harrlington das Mädchen. »Sie müssen doch Instruktionen empfangen haben, ehe sie Yorkspire verließen.«

»Hier sieht es traurig mit dem Polizeibureau aus,« lächelte Ellen. »Der Sergeant ist der oberste Beamte, und da er selbst mitgeritten ist, so ist das Bureau geschlossen. Wir brauchen uns gar nicht erst davon zu überzeugen, ich weiß es bestimmt. Uebrigens ist es mit der Polizei in solch kleinen amerikanischen Städten eine eigentümliche Sache. Man operiert auf eigene Faust, und wird geglaubt, daß ein guter Fang zu machen ist, der sich lohnt, wie hier bei Ralph mit seinen vermeintlichen 80 000 Dollar, so ist alles hinter dem Entflohenen her. Dann liefert man in der nächsten Hauptstation per Telegraph einen Rapport ab, bringt eventuell den Gefangenen hin, und die Sache ist in Ordnung.«

Der Wirt trat mit einem bespornten Manne heraus, der die Livree eines Dieners trug. Sein Gesicht machte auf Ellen einen unangenehmen Eindruck, was durch das Schielen noch verstärkt wurde. Man wußte niemals recht, wohin der Mann eigentlich sah.

»Ihr seid der Mann, welchen Mister Flexan nach Yorkspire gesendet hat, um Ralph durch die Polizei verhaften zu lassen?« fragte ihn Ellen.

»Ich bin der Mann, den Mister Flexan nach Yorkspire an die Polizei gesendet hat, wußte aber wahrhaftig nicht, was in dem mitgegebenen Wische stand,« war die nicht weniger als höfliche Antwort.

Ellen musterte den Mann scharf, er mochte sie wohl ansehen, schielte aber dabei nach Lord Harrlington.

»Jetzt wißt Ihr aber, was Ihr ausgerichtet habt?«

»Gewiß, nun ist es mir klar geworden.«

»Seid Ihr Diener bei Mister Flexan?«

»Reitknecht.«

»Ich kenne Euch nicht.«

»Ich Euch auch nicht.«

»Bursche, seid höflicher!« sagte Ellen mit drohend gerunzelter Stirn. »Ich bin Miß Petersen, Mister Flexan ist nur mein Verwalter. Du stehst vor deiner Herrin.«

Das Gesicht des Dieners nahm sofort eine unterwürfige Miene an, die ihm nicht stand.

»Das habe ich nicht gewußt, entschuldigen Sie mich. Ich habe Sie schon auf der Plantage gesehen, gewiß, jetzt entsinne ich mich.«

»Wie lange befindet Ihr Euch auf meiner Plantage?«

»Seid einem Jahre.«

»Es ist gut. Ihr könnt nichts dafür, daß Mister Flexan gegen meinen Willen die Verhaftung Ralphs angeordnet hat, ich sehe es ein, aber Ihr seid hoffentlich willens, dieselbe zu verhüten, wenn ich es wünsche.«

»Gern, wenn ich es kann. Befehlt über mich, Miß.«

»Ihr kanntet einen der Konstabler?«

»Ja.«

»Er hat mit Euch darüber gesprochen, wohin sich der Sergeant wenden will, um Ralph zu finden?«

»Er sagte es mir.«

»Nun, wohin?«

»Der Sergeant wollte erst nach Saint Claude reiten, ich aber wußte, wohin Ralph sofort läuft, wenn er Geld hat. Er ist sicher bei der schönen Peggy,« sagte Harry mit unangenehmem Lächeln.

»Ah, weißt du das bestimmt?«

»Ganz bestimmt; er ging in letzter Zeit immer dorthin, wenn er irgendwo einen Dollar auftreiben konnte, hielt seine Wege aber sehr geheim. Ich bin ihm dort mehrmals begegnet, daher weiß ich es.«

»Das Wirtshaus, welches Ihr meint, steht in keinem guten Rufe.«

»Bei uns in sehr gutem,« grinste der Diener.

»So warst du es also, der die Konstabler auf die richtige Spur gelenkt hat?«

»Konnte ich dafür? Ich glaubte doch, nur meine Pflicht zu tun, wenn ich behilflich bin, den Dieb zu fangen. Da ich aber nun merke, daß ich eine Dummheit begangen habe, weil Sie den Ralph gar nicht fangen lassen wollen, so bin ich gern erbötig, die Sache wieder gutzumachen.«

»Wie das?«

»Der Sergeant benutzt, um zur schönen Peggy zu kommen, wo er manchmal dienstlich vorsprechen muß, die Brücke an der Hirschlecke. Kennen Sie diese?«

»Ich kenne sie.«

»Das ist ein großer Umweg, ich werde Ihnen einen anderen Weg zeigen, der Sie eine Stunde eher zur schönen Peggy bringen wird, und wenn Sie auch noch zwei Stunden hier zögern. Vier bis fünf Stunden haben Sie sowieso scharf zu reiten, es ist ein tüchtiger Weg.«

»Es ist kaum anzunehmen, daß der Sergeant diesmal die Brücke benutzt, denn es gilt, einen Fang zu machen, von welchem er Gewinn erhofft.«

»O, der Sergeant ist kein Mann, der sich zwecklos die Kleider naß macht.«

»Diesmal aber wohl.«

»Nein, denn Ralph bleibt doch so lange da kleben, wo er sich einmal befindet, bis das Geld vertan ist. Außerdem hat mir der Sergeant auch noch gesagt, daß er die Brücke ganz sicher benutzen wird. Ich sollte ihm die Nachricht bringen, falls Ralph schon wo anders festgenommen sein sollte, damit er den weiten Weg nicht umsonst macht.«

»Trotzdem taugt dein Plan nichts,« sagte Ellen und wendete schon das Pferd. »Ich kenne die Gegend hier sehr gut und reite direkt nach der Waldschenke, komme also doch eher an als die Konstabler.«

»Sie müssen dann aber durch den Schlangenbach.«

»Was macht das?«

»Das macht naß.«

»Bah, daran sind wir gewöhnt.«

»Ich kenne einen Weg, wo man ihn trocken überschreiten kann, und dieser führt ebenfalls direkt.«

»Ich danke, ich brauche Eure Hilfe nicht.«

Lord Harrlington drängte sein Pferd neben das Ellens.

»Nimm den Vorschlag des Dieners an,« bat er. »Warum sollen wir unsere Kleider durchnässen, wenn wir es vermeiden können?«

»Ich traue ihm nicht,« flüsterte Ellen ihm schnell zu.

»Ach, was haben wir von ihm zu fürchten?«

»Gut, ich will dir zuliebe nachgeben, obgleich der Himmel überhaupt aussieht, als wolle er uns bald durchnässen. Aber sagt erst,« fuhr sie, zu dem Diener gewendet, fort, »auf welchem Wege wollt Ihr uns trocken über den Schlangenbach bringen? Ich kenne in der Umgebung keine einzige Fähre.«

»Die existiert auch nicht.«

»Eine Brücke also?«

»Etwas Aehnliches.«

»Und die sollte der Sergeant nicht kennen? Das klingt sonderbar.«

»Es ist eine natürliche Brücke, von einem Baumstamm gebildet, welchen der letzte Sturm entwurzelt und gerade über den Bach geworfen hat. Er ist breit genug, daß ein Pferd mit sicherem Schritt darübergehen kann.«

» All right, so sollt Ihr uns als Führer dienen. Aber wie kommt es eigentlich, daß Ihr als Reitknecht so gut Bescheid im Walde wißt?«

»Ich bin erst seit einigen Tagen Reitknecht im Dienste des Mister Flexan.«

»So? Ich denke seit einem Jahre?«

»Früher war ich Cow-boy.«

»Wie? Seit wann gibt ein Cow-boy seinen Beruf auf und wird ein Diener?«

»Ein Pferd hat mich arg geschlagen, seitdem mag ich mit den unbändigen Tieren nichts mehr zu tun haben, ich halte nur noch schon zugerittene in Bewegung.«

»Hm, sonderbar,« murmelte Ellen, während Harry ging, um sein Pferd aus dem Stall zu holen, »das gefällt mir auch nicht an diesem Menschen.«

»Du bist ja heute ungeheuer vorsichtig,« lachte Harrlington, »das ist doch sonst gar nicht deine Art.«

»Ich weiß nicht, was mich gerade heute so vorsichtig stimmt.«

Der Bediente kam mit seinem Pferde an, er ritt eine prachtvolle Stute, die würdig gewesen wäre, einen Fürsten zu tragen.

»Ist das Euer Dienstpferd?« fragte Ellen.

»Nein, es gehört Miß Kenworth, und da sie fast gar nicht reitet, muß ich es tun.«

Die beiden sprengten davon, der Diener voraus, dessen Stute sofort verriet, daß sie den Pferden der Nachfolgenden an Schnelligkeit überlegen war.

»Mich wundert, daß Flexan dieses wertvolle Tier an eine Gouvernante verschenkt hat,« meinte Harrlington, als ein Sprung der vorausgaloppierenden Stute über einen Graben von neuem seine Bewunderung erregte.

Ellen lächelte still vor sich hin.

»Nun, weißt du eine Erklärung dafür?«

»Allerdings. Flexan verfolgte die immer noch ganz hübsche Miß Kenworth mit seinen Liebesanträgen, und da kam es ihm nicht darauf an, als er kein Gehör fand, ihr die Stute zum Präsent zu machen. Daß aber dieser ehemalige Cow-boy sie jetzt reitet, während er einen dienstlichen Weg zu machen hat, hat einen ganz anderen Grund.«

»Schon wieder eine Besorgnis?«

»Diesmal nicht. Harry sollte uns bis Yorkspire einen bedeutenden Vorsprung abgewinnen, deshalb gab ihm Flexan das beste Pferd. Wie hätte er sonst eine halbe Stunde früher eintreffen können als wir, obwohl wir doch immer in Karriere gejagt sind! Ich bin übrigens fest überzeugt, daß er mit Flexan im Bunde steht.«

»Wie kommst du darauf?«

»Er will offenbar verhindern, daß die Verhaftung Ralphs durch uns möglich gemacht wird.«

»Du meinst, er sollte uns irreführen?«

»Das kann er nicht, ich bin hier zu Hause.«

»Oder er weiß dann, daß Ralph nicht bei Peggy ist?«

»Das wäre eher möglich, da er uns aber selbst begleitet, so würde er sich bei seiner Lüge sehr bald fangen. Denn bei Peggy müßten wir dann ja auch die Konstabler treffen. Uebrigens glaube ich selbst bestimmt, daß Ralph in der Waldschenke ist, weil wir ihn in Yorkspire nicht gefunden haben.«

»Aber was sollte uns dieser Kerl da vorn schaden können?«

Ellen zuckte die Schultern.

»Jedenfalls müssen wir ein scharfes Auge auf ihn haben. Bedenke, lieber James, er ist ein Bote von Flexan, und von dem kommt nichts Gutes. Erwünscht wäre es mir, wenn wir bei diesem Ritt gleich den wirklichen Dieb fangen könnten.«

»Du glaubst, daß Eduard Flexan die 80 000 Dollar wirklich gestohlen hat?« fragte Harrlington zweifelnd.

»Sicher, das heißt, wenn sie ihm sein Vater nicht freiwillig gegeben hat, entweder gezwungen, oder weil beide unter einer Decke stecken.«

Zwei Stunden vergingen, ehe die Prärie, der Weideplatz der zu Miß Petersens Farm gehörenden Pferde, passiert war. Dann mußten sie die Ecke eines Waldes durchkreuzen, wobei die Gangart natürlich bedeutend gemäßigt werden mußte. Schon hier machten sie die Bemerkung, daß sich der Himmel mit unheilverkündenden Wolken bedeckt hatte und ein schweres Gewitter oder ein gewaltiger Regenguß zu erwarten war.

Hier stießen sie auch auf den Schlangenbach, und des Dieners Aussage erwies sich als richtig. Ein ungeheuer dicker Baum war entwurzelt worden und lag direkt über dem Gewässer, so eine bequeme Brücke bildend.

Ein ungeheurer Baumstamm bildete eine natürliche Brücke über den Schlangenbach, der sonst nicht zu passieren gewesen wäre.

Der Diener führte die Pferde hinüber, Ellen und Harrlington schritten zu Fuß über die Brücke. Ohne diese wären sie bis auf die Haut naß geworden, denn der Bach war sehr tief.

»Und doch haben wir noch dieses Schicksal zu erwarten,« meinte Ellen, den Himmel musternd, »bald werden die Wolken Ströme von Wasser herabsenden.«

»Wie weit ist es noch bis zur Waldschenke?«

»In zwei Stunden können wir sie erreicht haben, das heißt, wenn sich die Prärie nicht unterdes in einen Sumpf verwandelt. Dann können wir mit der doppelten Zeit rechnen.«

»Es scheint schon Nacht zu werden.«

Wirklich wurde es plötzlich so dunkel, daß man in dem Wald, in dem die Sonne sowieso nur spärlich Zutritt fand, kaum noch die nächsten Gegenstände erkennen konnte.

»Es ist auch schon sechs Uhr nachmittags,« entgegnete Ellen, »es ist nicht mehr weit bis zum Einbruch der Dämmerung.«

»Dann müssen wir irgendwo übernachten.«

»Gewiß, bei der genannten Peggy. Das Haus steht zwar in keinem besonders guten Ruf, aber ich glaube, es wird keinen Flecken auf meine Ehre werfen, wenn ich eine Nacht dort zugebracht habe,« fügte sie lachend hinzu, »in der Wildnis ist man in dergleichen Sachen nicht so penibel. Die Hauptsache ist, daß wir Ralph dort finden und dem Plane Flexans zuvorkommen.«

Als sie den Wald nach einer halben Stunde verließen, empfing sie schon ein starker Platzregen. Zögernd hielt Ellen ihr Pferd im Schutz eines Baumes zurück.

»Das ist ärgerlich,« rief sie, »nun denken wir, wir sind dem Wasser entronnen, und kommen vom Regen in die Traufe.«

»Wir wollen denken, wir seien in Australien, und Sharp hetzte uns durch den Fluß,« lächelte Harrlington.

»Gut, vorwärts denn!«

In großen Sprüngen jagten die drei Pferde über die Prärie hin. Der Regen ward immer heftiger, und bald glich die Ebene einem See. An schnelles Reiten war jetzt nicht mehr zu denken. Es war fast Nacht geworden, und die sonst so klugen Tiere konnten auch nicht mehr, wie früher, die zahlreichen Löcher erkennen, die das Wasser verhüllte; oft genug versank eins von ihnen und konnte nur durch die Geistesgegenwart des Reiters aus seiner bedrohlichen Lage befreit werden.

»Weißt du was, James?« sagte Ellen. »Wir suchen einstweilen eine Unterkunft. Lange kann dieser furchtbare Regen doch nicht mehr dauern, es gießt ja wie mit Eimern herab, und hat er erst aufgehört, so wird sich das Wasser schnell verlaufen.«

»Können wir hier eine Unterkunft finden?«

»Ich kenne eine, sie ist nicht sehr weit von hier gelegen; die wollen wir aufsuchen.«

Sie rief den vorausreitenden Cow-boy zu sich.

»Steht das indianische Grab noch hier?« fragte Sie.

»Ja.«

»Eben noch so erhalten, wie früher?«

»Ganz genau so.«

»Ich meine, mit dem Bretterhaus und der Leiter?«

»Alles ist noch da.«

»Dann wollen wir dorthin, in zehn Minuten können wir es erreicht haben.«

Sie schwenkten etwas von der Richtung ab.

»Seit wann ist denn meine Ellen so umgewandelt, daß sie vor dem Regen ein Obdach sucht?« lächelte Harrlington. »Früher gab es nicht so leicht etwas, was sie bewogen hätte, ihren Weg zu unterbrechen.«

»Du hast recht, James, ich bin eine andere geworden. Ich fühle nicht mehr die Spannkraft in mir, die ich früher besaß. Die lange Seereise hat mich mehr angegriffen, als ich mir manchmal gestehen will.«

»Arme Ellen, du hast Schweres durchgemacht. Gar mancher starke Mann hätte das nicht ertragen können, was du ertragen hast.«

»Nun sehe ich aber dafür einer glücklicheren Zeit entgegen,« rief Ellen heiter. »Wirklich, ich sehne mich nach Ruhe und Bequemlichkeit, zum ersten Male in meinem ganzen Leben.«

»Und die wirst du bei mir finden.«

»Ich werde wohl das nachzuholen haben, was ich früher versäumt habe.«

»Was wäre das?« fragte Harrlington.

»Ein Weib zu sein,« entgegnete Ellen und gab ihrem Pferde die Sporen, daß es mit weiten Sätzen in die anbrechende Dunkelheit flog und den Cow-boy überholte.

Vor Harrlingtons Blicken tauchte ein graues, gespensterhaft aussehendes Gebäude auf. – – – – –

Mitten auf der Prärie erhob sich ein Gebäude, oder besser gesagt, ein Steinhaufen, denn es waren weder Fenster, noch Türen zu sehen, die Steine waren nicht durch Mörtel verbunden, sondern einfach lose übereinander gesetzt, da das Ganze aber eine quadratische Form zeigte, so sah es von weitem wie ein Haus aus.

Der mächtige Steinwürfel besaß eine Höhe von ungefähr sechs Metern und war ebenso breit und lang. Ob er aus den Zeiten der alten Azteken oder der Indianer früherer Jahrhunderte stammte, wußte man nicht, jedenfalls stand er auf dem Grabe eines Häuptlings, der von seinen Kriegern geehrt worden war, indem man ihm nach seinem Tode eine Art von Denkmal gesetzt hatte.

Zu untersuchen, ob der Bau hohl war und Schmuckgegenstände barg, gelüstete niemanden; die Arbeit, die Steine fortzuschaffen, hätte sich doch nicht gelohnt. Fast alle derartigen Bauwerke aus früherer Zeit zeichnen sich dadurch aus, daß man nur ungeheure Blöcke zur Herstellung benutzt, kleinere Steine aber ganz verschmäht hatte, und so war auch dieses Grabdenkmal aus Blöcken zusammengesetzt, von denen man sich nicht erklären konnte, wie es Menschenkräften möglich gewesen, sie übereinander zu schichten.

Ein pfiffiger Kopf hatte es aber doch verstanden, dieses Andenken früherer Jahrhunderte sich nutzbar zu machen.

Wahrscheinlich war es ein Präriejäger oder aber ein menschenscheuer Einsiedler gewesen, der auf den Gedanken gekommen, sich hier oben ein Blockhaus zu bauen, wo er vor wilden Tieren geschützt war und auch recht gut einen Kampf mit Indianern bestehen konnte.

Auf dem Mauerwerk stand eine recht nette Hütte, fast den ganzen Platz einnehmend, so daß nur ringsherum eine schmale Galerie lief. Sie bestand aus dicken, sehr gut zusammengefügten Baumstämmen, das Dach lief schräg, so daß das Regenwasser abfließen konnte, und die Fenster wie die Tür waren von solider Konstruktion.

Dieses Haus stand schon so lange, wie sich die ältesten Bewohner dieser Gegend erinnern konnten – sehr alt wurde hier allerdings niemand – und trotzdem hatte es sich noch gut erhalten. So ausgetrocknet die Baumstämme von der Hitze auch waren, lagen sie doch noch so dicht zusammen, daß kein Luftzug durchstreichen konnte. Das Dach ließ noch keinen Tropfen Wasser durch. Die Fensterläden schlossen ausgezeichnet. Der Riegel an der Tür funktionierte noch, und das einzige, was etwas gelitten, war die Leiter, welche hinaufführte.

Da der Erbauer des Hauses wahrscheinlich nicht imstande war, die sechs Meter zu seiner Wohnung hinaufzuspringen, so hatte er sich eine Leiter gebaut, auf welcher er bequem auf- und absteigen konnte. Da er sie wahrscheinlich jedesmal, wenn er sich zu Hause befand, emporzog, wie er sie beim Verlassen der Hütte hinablassen mußte, so hatte sie bedeutend gelitten, sie hielt aber noch, wenn sie ab und zu von jemandem benutzt wurde.

Die wie eine Festung vom Berge ins Land hineinschauende Blockhütte wurde öfter besucht.

Jäger schliefen darin, beschäftigungslose Cow-boys quartierten sich gleich monatelang darin ein, und es gab auch wirklich kein bequemeres und sichereres Asyl als diese Hütte.

Man brauchte nur die Leiter emporzuziehen, und weder Mensch, noch Tier konnte die Plattform betreten.

Die Hütte bestand aus zwei Teilen. Durch die Tür trat man in den Raum, welcher als Wohnzimmer diente. Er enthielt einen Tisch und einige Bänke, und neben dem Feuerherd lag stark mitgenommenes Kochgeschirr. Brennholz mußte sich jeder aus dem nahen Walde selbst holen.

Im zweiten Zimmer war nichts weiter vorhanden, als eine dicke Schicht köstlich duftendes Prärieheu, das ein auch an seine Nächsten Denkender hier aufgetürmt hatte. Ein Bedürfnisloser, dem Federbett und Sprungfedermatratzen unbekannte Begriffe sind, hätte sich kein besseres Nachtlager wünschen können. Selbst eine Decke war vorhanden, da sie aber nur aus zusammenhängenden Löchern bestand, so lag die Vermutung nahe, daß der ehemalige Besitzer sie nicht als edles Vermächtnis, sondern als wertloses Objekt zurückgelassen hatte. –

In dem triefenden Regen der Nacht standen die drei Pferde an dem Grabdenkmal und knusperten die Halme ab, welche noch über das den Boden bedeckende Wasser hervorragten. Unruhig patschten die Tiere im Wasser, daß es hoch aufspritzte, und ab und zu stießen sie ein ängstliches Wiehern aus. Ihr Instinkt sagte ihnen, daß dieser Regen das Vorspiel einer nahenden Katastrophe sei. Die Zügel waren an Ringen befestigt, welche in das Gemäuer eingekeilt worden waren.

Die Reiter hatten vor dem Regen Zuflucht in der Hütte gesucht, die Leiter lehnte am Gemäuer, damit auch noch andere sie benützen konnten, wenn sie Schutz suchten.

Um den Tisch saßen Ellen, Harrlington und der Diener und aßen die von ersterer mitgenommenen Vorräte, denn ein Ritt durch die Prärie ist keine Vergnügungspartie, man muß sich darauf gefaßt machen, eine Mahlzeit im Sattel zu halten.

Das Essen verlief schweigend; man sprach höchstens ein Wort über den Regen. Man hoffte, er würde bald nachlassen und das Wasser sich dann schnell verlaufen.

Der Diener schien zu ahnen, daß seine Gegenwart störend wirkte, denn kaum hatte er den letzten Bissen der zwar kleinen, aber gewählten Mahlzeit hintergeschluckt, als er aufstand und der Tür zuschritt, welche ins andere Zimmer führte.

Ellen hielt ihn noch einmal zurück.

»Was meint Ihr, was die Konstabler bei diesem Regen machen werden?«

»Sie machen es ebenso, wie wir.«

»Ihr meint, auch sie hätten ein Obdach gegen den Regen gesucht?«

»Natürlich; der Sergeant scheut das Wasser wie eine Katze.«

»Aber von seiner Schnelligkeit hängt ein lohnender Fang ab.«

»Haha, Ralph entgeht ihm doch nicht. Wo der sitzt, da bleibt er kleben, bis er keinen Cent mehr in der Tasche hat.«

»So könnten wir also unter Umständen hierbleiben, bis der Regen vorüber ist?«

»Bis sich das Wasser verlaufen hat, auf alle Fälle. Sie können ruhig auch die ganze Nacht hierbleiben. Der Sergeant übernachtet jedenfalls auf Rickerts Farm, und vor morgen früh verläßt er sein Bett auf keinen Fall.«

»Dann dürfte ihm der Vogel entgangen sein.«

»Ah bah, ich kenne das besser. In der Waldschenke gibt es hübsche Mädchen, und dem Ralph fällt es gar nicht ein, eine weiche Matratze mit dem Sattel zu vertauschen, selbst wenn er die Konstabler hinter sich wüßte. Ein Cow-boy hat nicht so oft Gelegenheit, allein Mädchen zu karessieren, so etwas nimmt er stets mit. Hahaha.«

Lachend verließ der Bursche das Zimmer, wahrscheinlich mit der Absicht, sich drüben im Heu schlafen zu legen.

»Ein ekelhafter Kerl,« sagte Harrlington, »er hätte uns überhaupt sofort verlassen können, nachdem er uns den gestürzten Baum gezeigt.«

»Was soll ich denn tun?« entgegnete Ellen. »Ich habe ihm deutlich genug zu verstehen gegeben, er könnte nun nach Hause reiten. Er nimmt keine Notiz davon. Es ihm zu befehlen, hat gar keinen Zweck, seit ich weiß, daß er Cow-boy gewesen ist. Diese Burschen lassen sich nichts sagen.«

»Er hat aber nicht das offene Benehmen eines solchen.«

»Aber doch ihre Sitten, auch er läßt sich nichts sagen, wie ich schon bemerkt habe. Uebrigens, James, auf deinen Wunsch hin habe ich ihn mitgenommen, darum mußt du ihn nun auch dulden.«

Beide blickten schweigend zum Fenster hinaus.

»Es läßt nach mit regnen,« meinte der Lord.

»Wie lange kann es aber noch anhalten!«

»Willst du die Nacht hierbleiben?«

»Ich denke ja. Ich sehe die Richtigkeit der Bemerkung des Cow-boy ein. Erreichen wir morgen früh die Waldschenke, so ist immer noch Zeit, Ralph zu retten.«

»Dann will ich wenigstens den Diener hinausweisen, der Kerl scheint schon drüben zu schlafen. Eine Frechheit ist es, ohne uns zu fragen, Besitz von diesem Raum zu ergreifen, der dir gebührt.«

»Laß nur, James, ich bleibe wach!«

»Du kannst drin schlafen, ich und der Diener legen uns hier auf die Bänke.«

Ellen schüttelte schwermütig den Kopf und schlang dann den Arm um des Mannes Nacken.

»Ich bleibe bei dir,« flüsterte sie zärtlich.

»Du willst die ganze Nacht hier sitzen bleiben?«

»Wenn du es ertragen kannst, für mich soll es eine Freude sein.«

»Ich kann es nicht zugeben.«

»Ich bitte dich darum!«

Nach längerem Widerstreben fügte sich Harrlington, den Diener schlafen zu lassen, während sie beide hier wachten.

Es war völlig dunkel in der Stube, Ellen schmiegte sich dicht an ihren Bräutigam.

»Wie naß du bist,« sagte er bedauernd.

»Habe ich schon so viele Tage in nassen Kleidern verbracht, so wird es mir diesmal auch nichts schaden; du bist auch nicht trockener.«

»Ich kann es aber nicht dulden, daß du aufbleibst. Du könntest es dir drüben bequem machen, ich will vor der Tür dein treuer Wächter sein.«

»Sprich nicht mehr davon, ich bitte dich darum! Ich mag nicht allein sein, ich will mit dir wachen.«

Ellens heißer Atem streifte seine Wangen. Sie fühlte, wie ein Zittern durch den Körper des Mannes ging. Er drückte sie noch fester an sich und flüsterte ihr ins Ohr.

»Wenn ich dich nun sehr, sehr bitte, würdest du dich nicht schlafen legen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich will bei dir bleiben.«

Harrlington wollte sich aus ihrer Umarmung befreien, sie aber hielt ihn fest.

»James, mißdeute meine Antwort nicht,« flüsterte sie hastig, »lege ihr keinen anderen Grund unter! Ich fürchte mich, allein zu sein, bange Ahnungen durchbeben mein Herz, ich weiß selbst nicht warum.«

»Fürchtest du dich vor mir?«

»Nein, James, ich weiß, was du damit sagen willst, und ich weiß auch, du bist ein Ehrenmann, der nicht das mißbraucht, was ihm vielleicht die Gelegenheit bietet. Etwas anderes ist es, was mich mit so trüben Ahnungen erfüllt.«

Harrlington wurde plötzlich ganz still, und Ellen ahnte, was in ihm vorging.

»Nicht lange mehr, nur wenige Monate noch,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »und wir sind für immer vereint. Ach, wie sehne ich mich nach der Zeit, da ich dieses wilde Leben hinter mir habe, da ich an deiner Seite in Glück und Ruhe leben kann!«

»Warum aber stürzest du dich immer wieder in neue Abenteuer und Gefahren?«

»Ich vermeide sie jetzt.«

»Nein, dieser Ritt wäre auch nicht notwendig gewesen.«

»Ich konnte nicht anders. Mein Zorn war zu groß, als ich die Verdächtigung Ralphs durch Flexan hörte. Aber ich verspreche dir, es soll das letztemal gewesen sein, daß ich gehandelt habe, ohne dich erst zu fragen. Vergib mir, bedenke, es ist nicht möglich, daß aus einer wilden, trotzigen Natur mit einem Male eine sanfte werden kann, so wie du von mir wünscht, ich bedarf der Erziehung und will mich von jetzt ab dir fügen. Du sollst keinen Anlaß mehr zur Klage haben, ich will dir gehorchen, ich will dir folgen, nicht mehr eigenmächtig handeln, sondern dich handeln lassen und dir dabei helfen. Bist du so mit mir zufrieden?«

»Meine Ellen!«

»Ich weiß wohl,« fuhr das Mädchen fort, »daß dir mein Charakter so, wie er früher war, nicht gefallen hat. Du liebst an einem Mädchen nicht diese wilde, ungestüme Natur, du schiltst sie unweiblich, du willst die, welche du liebst, sanft, zart, nachgiebig haben, sie soll sich nicht auf sich selbst verlassen sondern allein auf ihren Mann. Ist es nicht so?«

»Ja,« hauchte Harrlington.

»Und so sollst du mich finden, wenn wir beide vor den Altar treten. Von dem Tage an sollst du mich völlig verwandelt sehen, und schon jetzt will ich mich bemühen, mich zu ändern, denn deine Liebe zu erwerben, soll mein schönstes Ziel, deine Liebe zu besitzen, mein höchstes Glück sein.«

»Wie kannst du so sprechen, Ellen! Besitzt du nicht schon meine innigste Liebe?«

»Auch deine Zufriedenheit möchte ich haben; nichts darfst du an mir auszusetzen haben. Nur dein Wille soll fortan noch gelten, ich habe keinen mehr.«

Harrlington war glücklich. Er hatte den Sieg davongetragen, seiner Beharrlichkeit war es gelungen, Ellen zu dem zu machen, was sie jetzt war oder was zu werden sie doch gelobte. Sie versprach ihm, eine treue, ergebene Gattin zu sein, ein Weib, welches nicht mehr mit rücksichtsloser Energie alles zu überwinden sucht, was sich ihm hinderlich in den Weg stellte, sondern ein Weib, welches in Demut zu seinem Manne aufschaut und von ihm Hilfe erwartet, solange es Sachen betrifft, welche zu besiegen die Pflicht des Mannes ist.

Wohl gibt es im Menschenleben oftmals Gelegenheit, wo auch die Gattin beweisen kann und muß, daß sie an der Seite des Geliebten jeder Gefahr trotzt, gegen jeden Feind kämpft, aber nach Besiegung der Gefahren und Feinde darf sie nicht den Beifallsruf der Welt erwarten, im Glück der Kinder und im tiefsten Innern des eigenen Herzens muß sie den Lohn für ihren Heldenmut finden. Die Zeiten der Amazonen sind vorüber, nur schwacher Ruhm winkt ihnen, Treue, Liebe, Tugend, Ergebenheit, Gehorsam und Mut und Freudigkeit beim Ertragen von Leiden und Unglück haben unsere heutigen Dichter zu besingen, und fürwahr, diese Tugenden des Weibes sind des Ruhmes wert.

Harrlington kämpfte noch einige Zeit gegen den Schlaf, der sich auf seine müden Augen senken wollte, doch lange konnte er nicht widerstehen. Die letzten Tage waren aufregend gewesen, er hatte in der Nacht vor Liebesseligkeit keine Ruhe finden können, dazu jetzt der anstrengende Ritt, war's ein Wunder, wenn ihm bald der Kopf auf die Brust sank, er sich immer schwerer gegen die Wand lehnte, bis auch er in das Reich der Träume entrückt war?

So fest war der Schlaf der beiden, daß sie nicht merkten, wie die Tür aufging, ein Kopf mit im Dunkeln glühenden Augen hereinsah und dann der Cow-boy völlig hereinschlüpfte.

Gleichzeitig ertönte in der Ferne ein Donnern, welches schnell näherkam. Auch dies vernahmen die Schlafenden nicht; kein Gott warnte sie, und dieser Mann, der die anstürmende Gefahr kannte, die nachfolgende ahnte, erst recht nicht.

»Sie schlafen,« murmelte der Schuft mit schadenfrohem Grinsen, »besser kann ich's nicht treffen, meinen Auftrag auszuführen, und ich denke, Mister Flexan wird mit mir zufrieden sein. Hätte wirklich nicht geglaubt, daß sich mir eine so günstige Gelegenheit bieten würde. Hm, ich bin lange genug bei den Rindern gewesen, um zu wissen, was diese Flucht trotz des sumpfigen Bodens bedeutet, und darum muß ich mich beeilen. Ich muß den Tieren vorauseilen, und ich bin keine Wasserratte.«

Während dieses Selbstgespräches hatte er einen Faden und ein Täschchen hervorgezogen, schlüpfte wieder in den mit Heu angefüllten Raum hinein, kehrte aber sofort wieder zurück.

»Hihihi,« kicherte er, »das wird eine Ueberraschung geben. Good-bye, ihr beiden, euer letztes Stündchen naht.«

Leise öffnete er die Haupttür, kletterte die Leiter hinab und entfernte dann diese selbst von dem Gemäuer.

Ungeduldig stampften und wieherten neben ihm die Pferde. Sie hörten das näherkommende Brausen und wußten, in der Prärie geboren, was es zu bedeuten hatte; die Rinder und Büffel flohen vor dem Tode.

Da löste eine Hand ihre Zügel von den Ringen und, von Todesangst getrieben, jagten sie vor den Rindern einher – nur auf einem der drei Pferde saß ein Reiter. –

Ellen fuhr plötzlich erschrocken auf, sie warf einen Blick durch das Fenster in die vom Mond beschienene Nacht.

»James,« schrie sie entsetzt, »die Rinder fliehen!«

Im Nu war Harrlington wach und trat neben Ellen an das Fenster. So weit das Auge reichte, sah es nichts als eine mit Büffeln bedeckte Ebene, dazwischen höchstens ein Pferd, einen Hirsch, eine Gazelle oder sonst ein freies Tier der Steppe. Wie ein Meer wogte es auf und ab, und die harten Hufe entlockten dem Boden einen dumpfen Donner.

»Daß wir das nicht gehört haben!« rief Harrlington bestürzt.

»Wenn sich nur unsere Pferde in ihrer Angst nicht losgerissen haben, dann ist alles gut.«

Mit diesen Worten eilte Ellen hinaus, bog sich auf dem schmalen Plateau, welches die Hütte noch frei ließ, hinab und – schrie vor Schreck laut auf.

Harrlington gesellte sich ihr bei.

»Die Pferde sind fort!« rief er.

»Und die Leiter auch.«

»Die Tiere haben sie umgeworfen.«

»Dann müssen wir einen hohen Sprung wagen.«

»Er ist nicht gefährlich,« tröstete Harrlington, »der schlammige Boden schützt uns vor Schaden. Aber schlimm sieht es dann mit dem Gehen aus.«

»Ja, das wird ein schweres Stück Arbeit,« entgegnete Ellen, die sich schnell wieder erholte. »Wir dürfen uns keine Hoffnung machen, die Waldschenke vor morgen abend zu erreichen, wenn wir nicht unterwegs auf Hilfe treffen.«

»Warum fliehen die Tiere? Es ist übrigens ein imposanter Anblick.«

»Das Warum ängstigt mich auch; umsonst begeben sich die Tiere auf diesem morastigen Boden nicht auf die Flucht. Wir müssen jetzt abwarten, bis die Herden vorüber sind, lange dauert es nicht mehr, dort sehe ich schon die letzten Reihen.«

Sie gingen in die Hütte zurück.

»Wir haben ja Harry ganz vergessen,« sagte Harrlington plötzlich, »der Kerl hat einen Schlaf wie ein Murmeltier.«

Ellen erwiderte erst nichts, sie wandte sich jäh um und blickte Harrlington mit großen, erschrockenen Augen an.

»James, ich habe eine Ahnung,« stammelte sie dann.

Dieser erbleichte.

»Was? Du glaubst doch nicht etwa ...«

Schon war Ellen an der Verbindungstür, riß sie auf und überflog mit spähenden Blicken das Gemach – es war leer.

»Fort!« murmelte sie.

»Mit unseren Pferden.«

»Natürlich, er ist ein Schurke!«

»Warum hat er uns nicht geweckt?«

»Er ist der Diener meines Stiefvaters, das ist eine genügende Erklärung. Er soll uns vernichten.«

»Ich sehe keine so ungeheure Gefahr.«

»Wer weiß – halt, was ist das?«

Ellen sog die Luft ein, sie erblaßte.

»Riechst du nichts?«

Harrlington prüfte die Luft.

»Nein.«

»Es riecht so süßlich angenehm.«

»Ich merke nichts.«

»So brandig.«

»Angenehm und brandig zugleich?« lächelte Harrlington.

»Ja, etwa wie Räucherpulver.«

»Ach so. Halt, ich weiß es. Wenn viele Pferdehufe den Boden stampfen, so wird ein eigentümlicher, brenzlicher Geruch erzeugt, wie ich schon selbst gefunden habe, und ebenso wird es bei diesen zahllosen Rindern sein.«

»Du hast recht, aber nur, wenn der Boden sehr trocken ist, entsteht dieser Geruch, nicht bei solcher Feuchtigkeit.«

»Was könnte es sonst sein?«

Sie durchstöberten das Heu, fanden aber nichts.

»Riechst du es noch immer?«

»Nein.«

»So wirst du dich vorhin getäuscht haben.«

»Das ist kaum möglich. Ich roch es, als ich hier eintrat, jetzt habe ich mich bereits daran gewöhnt.«

Ellen gab sich zufrieden.

Jetzt erreichten die letzten Reihen der Tiere das Gebäude. Den Kopf tief geneigt, stießen sie mit den mächtigen Hörnern unter ängstlichem Gebrüll die vorderen in die Fleischteile, und da ein jedes dies tat, um das vordere zu schnellerem Laufe anzutreiben, so konnte man sich erklären, warum solch eine fliehende Herde so schwer aufzuhalten ist. Das Tier, welches fällt, wird sofort zerstampft, auch jetzt konnte man hier und da eine formlose, dunkle Masse am Boden liegen sehen.

»Wir müssen den Sprung wagen,« rief Lord Harrlington am Fenster.

Ellen blickte starr der Herde nach.

»Wo sind die Schakale und Wölfe?« flüsterte sie.

»Wie meinst du das?«

»Wo sind die Raubtiere, welche stets in ungeheurer Anzahl jeder fliehenden Herde folgen, um die gestürzten Tiere zu fressen?«

Auch Harrlington wurde ängstlich, Ellen sprach in so sonderbarem, aufgeregten Tone.

»Erblickst du in dem Fehlen dieser Raubtiere eine neue Gefahr für uns?«

Ellen wendete den Kopf der anderen Richtung zu.

»Da kommt sie schon!« rief Ellen gellend. »Siehst du den silbernen Streifen? Das ist Wasser! Eine Ueberschwemmung!«

»Wir müssen fliehen!« schrie Harrlington und schlang den Arm wie schützend um Ellen.

»Zu spät, wir können dem Wasser nicht entgehen, zu Fuß gleich gar nicht.«

»Was ist zu tun?«

»Wir müssen hierbleiben, hier sind wir sicher.«

»Wir haben keinen Proviant bei uns.«

»Diese Gegend fällt stark nach der Küste zu ab. Ich versichere dir, morgen hat sich das Wasser wieder verlaufen, und wäre die Ueberschwemmung auch noch so stark. Ich habe schon einmal eine solche in dieser Gegend durchgemacht. Fürchterlicher, als jene, kann diese auch nicht werden.«

Fünf Minuten später kam die erste Welle an, zehn Minuten darauf befanden sich beide auf einer Insel mitten im wogenden Ozean.

»Wir sind hier sicherer, als wenn wir im Sattel säßen,« sagte Ellen, fast heiter, »unsere Lage ist durchaus nicht schlimm, sie gefällt mir sogar, weil du bei mir bist.«

Ein Händedruck war die Antwort.

»Warum nur mag Harry die Pferde losgekettet haben und ohne uns geflohen sein?« fragte er dann.

»Ja, warum? Wenn nur keine Teufelei dahintersteckt.«

Ellen hob den Kopf und sog abermals prüfend die Luft in die Nase ein.

»James, riechst du nichts?« schrie sie.

»Wahrhaftig, es riecht brandig.«

»Horch, was ist das? Es knistert so.«

Ellen stürzte nach der Tür, riß sie auf und prallte zurück – eine feurige Garbe schlug ihr entgegen, das Heu im Nebenraume stand in Flammen.

Beide stießen Schreie des Entsetzens aus, sie befanden sich auf einer brennenden Insel, unter sich das reißende Wasser, neben sich das verzehrende Feuer.

»Hah, jetzt weiß ich, was ich vorhin roch,« schrie Ellen, »es war eine brennende Zündschnur.«

»Zurück auf das Plateau! Können wir nicht löschen?«

»Wir haben nichts, um Wasser zu schöpfen.«

»Die Balken sind vom Regen durchnäßt, sie werden kein Feuer fangen. Nur das Heu brennt ab.«

»Die Balken sind aber inwendig trocken geblieben. Sieh, dort brennt es schon!«

Ihr Entsetzen wuchs. Das brennende Heu strahlte eine intensive Hitze aus, schon konnten sie es nicht mehr in dem ersten Räume aushalten, sie mußten ins Freie eilen und standen nun zwischen Feuer und Wasser auf einem Platze von kaum einem Meter Breite.

Ellen hatte recht, das Holz fing doch Feuer, weil es inwendig trocken geblieben war, und die äußere Nässe verdunstete schnell. Ehe sie es sich versahen, stand der hintere Teil des Bauwerkes, wo das Heu gelegen, in lichterlohen Flammen. Schon leckte das begehrliche Element das Dach hinauf und versuchte seine verzehrende Kraft am Nebenraume.

Stand auch dieser in Flammen, dann blieb den beiden nichts anderes übrig, als ins Wasser zu springen wenn sie den Verbrennungstod nicht dem des Ertrinkens vorzogen. Doch sie konnten schwimmen, also würden sie letzteres wählen, wenn sie auch keine Hoffnung nähren durften, sich zu retten.

Ihr erstes, maßloses Entsetzen wich bald der Kaltblütigkeit; es war ja nicht das erstemal, daß sie dem Tode ins Auge sahen.

Ellen war wieder ganz die Alte. Vergessen war alles, was sie vorhin ihrem Geliebten versprochen hatte, und jetzt war auch die Zeit, ihre Energie zu zeigen.

»Wir müssen ins Haus zurück und versuchen, Balken loszubrechen, um ein Floß zu bauen, hier außen kann man sie nicht fassen,« rief sie.

Sie drangen abermals in den Raum ein. Die sengende Hitze raubte ihnen fast den Atem; aber sie mußten aushalten.

»Dicht an der äußersten Wand, hier, hier habe ich vorhin eine Ritze entdeckt.«

Sie grub schon ihre Finger in eine Spalte zwischen zwei Stämmen und suchte einen davon durch Rütteln zu lockern. Harrlington sah, wie ein Finger ihrer Hand blutete, auch er folgte ihrem Beispiel.

Beide rüttelten wie wahnsinnig an dem Balken. Ach, hätten sie doch nur eine Axt, eine Brechstange oder nur ein Stück Eisen gehabt!

Immer heißer wurde es. Die Seitenwand fiel, das Feuer kam zu ihnen herein. Sie befanden sich in einem Backofen.

Harrlington strengte seine stählernen Muskeln zum Zersprengen an, er achtete es nicht, daß die Haut am oberen Teile der Hand zerschunden wurde, ebensowenig Ellen, ihre Energie ersetzte die ihr fehlende Kraft. Gleichmäßig zogen und schoben sie hin und her, und die Balken lockerten sich merklich. Aber die Flammen kamen immer näher, die Hitze wurde unerträglich.

»Wir müssen fliehen, oder wir verbrennen,« keuchte Harrlington.

»Nur diesen Balken,« entgegnete Ellen.

»Wir bekommen ihn nicht los.«

»Wir müssen, nur diesen einen, auf ihm können wir uns stundenlang halten.«

Da krachte der Baumstamm unter einer Kraftanstrengung Harrlingtons in den Fugen, er hatte sich gelöst. Harrlington sprang zu Ellen, welche näher an der offenen Tür stand und so frische, kühle Luft bekam, ein Ruck, und auch hier ging der Balken aus den Fugen.

»Hinaus!« schrie Harrlington, sprang zurück und faßte das hintere Ende, während Ellen schon das vordere aufhob.

Sie trugen den Balken hinaus, doch Harrlington stand noch in dem Raume, dessen Dach schon lichterloh brannte.

»Wir werfen ihn hinunter und springen sofort nach,« rief Ellen, »sofort, hörst du?«

»Los!«

Plätschernd stürzte der Baumstamm ins Wasser, schon wollte Ellen nachspringen, da krachte es hinter ihr. Sie sah, wie ein brennender Balken von oben herabfiel und Harrlington zu Boden schlug. Mit einem furchtbaren Schrei sprang sie auf ihn zu, hob ihn auf und schleifte ihn ins Freie.

Im Nu sprang Ellen auf ihn zu, hob ihn auf und schleifte ihn ins Freie.

Sie sah den Balken noch treiben, ohne Besinnung warf sie sich, Harrlington in den Armen haltend, ins Wasser. Sie sank tief, doch Ellen war eine Schwimmerin, welche weder durch ihre Kleidung noch dadurch gehindert wurde, daß sie einen anderen Menschen zu tragen hatte. Mit einigen Stößen des freien Armes erreichte sie wieder die Oberfläche und arbeitete sich dem forttreibenden Balken nach.

Ein Glück war es, daß Harrlington bewußtlos war, denn wäre er nur verletzt, aber bei Besinnung gewesen, so hätte er sich leicht so an das Mädchen klammern können, daß ihm das Schwimmen unmöglich gemacht wurde.

In wenigen Augenblicken hatte Ellen den Balken erreicht. Hochaufatmend hielt sie sich daran fest und betrachtete das Antlitz Harrlingtons.

Sie sah auf den ersten Blick, daß sein Kopf von dem brennenden Sparren getroffen worden war, sein Haar war verbrannt; sonst war er unverletzt, soweit sie es wenigstens beurteilen konnte. Vielleicht war aber auch eines seiner Glieder zerschmettert worden.

Ellens Herz krampfte sich bei diesem Gedanken zusammen.

»James, um Gottes willen, was ist dir? Komm' zu dir, wache auf!«

Harrlington schlug die Augen auf; wirr blickte er um sich.

»Wo bin ich?« stöhnte er und strich sich mit der nassen Hand über die Stirn.

»Bei mir!« jauchzte Ellen förmlich auf. »Fühlst du irgendwo Schmerzen?«

»Nein, nur der Kopf brennt mir.«

Er schloß die Augen wieder, verlor aber nicht von neuem das Bewußtsein, was wohl geschehen wäre, wenn er nicht in dem kalten Wasser gelegen hatte.

Ellen nahm ihn wieder in den einen Arm, schleppte ihn weiter nach vorn und versuchte dort, ihm auf den Balken zu helfen. Da er selbst fast gar nichts dazu tat, so merkte sie, daß der Schlag ein sehr heftiger gewesen sein mußte.

Endlich lag Harrlington auf dem Balken, der stark genug war, beider Last zu tragen, ohne unter die Oberfläche zu sinken.

»Kannst du dich so festhalten?« fragte sie.

»Ja.«

»Ohne herabzufallen?«

»Ich halte mich. – Ellen, wo sind wir?«

»Aus dem Feuer ins Wasser geraten. Jetzt bleibe ruhig liegen, wir werden uns retten!«

Sie glitt nach hinten.

»Du hast mich gerettet, ich weiß es jetzt,« stöhnte Harrlington.

»Wo bist du?« fragte er dann, da er unfähig war, den Kopf zu heben.

»Ich werde den Stamm dem Walde zulenken; halte dich nur gut fest!«

Ellen hatte sich auf den hinteren Teil des Stammes geschwungen und suchte nun durch Bewegungen der Hände und Füße ihm eine solche Richtung zu geben, daß sie nach dem in der Ferne auftauchenden Walde getrieben wurden.

Dort gedachte sie einen breitästigen Baum aufzusuchen, auf dem sie die Ueberschwemmung überstehen wollten. Ohne den Balken wäre ihnen dies auf keinen Fall gelungen, sie wären schon auf dem halben Wege ertrunken, so gute Schwimmer sie auch waren. Ellen rechnete noch zwei Stunden, ehe sie den Saum des Waldes erreichten, und ein guter Schwimmer kann sich zwar auch mit Leichtigkeit so lange über Wasser halten und dabei eine bedeutende Entfernung zurücklegen, wenn er nicht zu gleicher Zeit gegen den Strom schwimmen muß. Dies war aber hier nötig. Der Wald lag weit links ab. Die Strömung hätte sie eine Meile davon entfernt vorbeigetrieben, und Ellen bot nun ihre ganze Kraft auf, dem Stamm eine andere Richtung zu geben, so daß sie das Ziel erreichten.

Harrlington war wieder völlig zu sich gekommen und sprach mit Ellen. Diese bat ihn, ruhig liegen zu bleiben und sich zu schonen. Sie könne den Balken allein lenken. Zu gleicher Zeit hielt sie scharfe Umschau nach etwaiger Hilfe.

»Mir fiel ein brennender Sparren auf den Kopf, ich entsinne mich ganz gut,« flüsterte Harrlington, »ich brach ohnmächtig zusammen. Du mußt mich hervorgezogen haben und mit mir ins Wasser gesprungen sein. Ist es nicht so, Ellen?«

»Es ist so, James,« entgegnete Ellen einfach, aber mit freudigem Herzen. »Was ist weiter dabei? Hättest du es nicht ebenso getan?«

Harrlington glaubte, er hätte sich erholt, richtete sich auf und wollte seine Kraft mit der ihren verbinden. Aber schon bei der ersten Bewegung sank er mit leisem Stöhnen in seine alte Lage zurück.

»Ich kann nicht; mein Kopf schmerzt zu sehr.«

»Du sollst auch nichts, als ruhig liegen bleiben. Halte dich nur fest, das ist deine einzige Aufgabe!«

»Ich kann dich doch nicht so allein arbeiten lassen.«

»Da ich unsere Rettung nun einmal begonnen habe, so laß sie mich auch beenden,« lachte Ellen fröhlich, »du hast mir oft genug beigestanden.«

Ellen fühlte sich so heiter, wie seit längerer Zeit nicht. Obgleich in einer schrecklichen Situation, hätte sie doch aufjubeln mögen, sie wußte selbst nicht warum.

Doch sie waren noch nicht in Sicherheit, vielleicht stand ihnen das Schwerste noch bevor.

Die zweite Stunde war schon vergangen. Ellens Anstrengungen war es gelungen, den Balken dahin zu bringen, wo sie ihn haben wollten; sie trieben jetzt direkt dem Walde zu. Es war ein schweres Stück Arbeit gewesen. Auf Ellens Stirn vermischten sich Wasser- mit Schweißtropfen, aufgelöst hing ihr das nasse Haar um den Kopf, das Zeug klebte am Körper, und die Brust rang nach Atem.

Harrlington hatte sich ruhig verhalten.

»Ellen,« flüsterte er jetzt leise, »stehen Sterne am Himmel?«

»Gewiß, über uns«

»Auch am Horizont?«

»Nein, der ist noch ganz mit dicken Wolken bedeckt.«

»Dort stehen gar keine Sterne?«

»Kein einziger. Warum stellst du diese merkwürdige Frage?«

Harrlington richtete sich etwas auf.

»Sehe ich denn diese Sterne dort nur in meiner Phantasie, oder ist es etwas anderes?«

Er deutete dabei nach einer Richtung des Waldes.

»Das sind keine Sterne, das sind Lichter,« jauchzte Ellen auf, die leuchtenden Punkte zwischen den Bäumen jetzt ebenfalls wahrnehmend, »Freue dich, James, Rettung naht sich!«

»Rettung?« lächelte Harrlington schwach.

Ellen legte die Hände trichterförmig an den Mund.

»Boot ahoi,« gellte ihre Stimme durch die Nacht.

»Du bist auf der Prärie, sie verstehen diesen Schifferruf in Seenot hier nicht.«

»Aber sie hören meine Stimme – Boot ahoi!«

Lang aushaltend tönte der Ruf, fand aber keine Erwiderung.

»Es ist nur ein Licht,« rief Harrlington.

»Und es bewegt sich, also muß es ein Boot, ein Floß oder sonst ein Fahrzeug sein.«

»Vielleicht ein Wagen.«

»Auch möglich – Boot ahoi!«

»Es liegt still, das Licht wird hochgehoben, sie haben uns gehört.«

»Wir treiben vorbei,« rief Harrlington angsterfüllt, und es schien in der Tat so.

Ellen richtete sich hoch auf, schwenkte den Arm und rief:

»Was für ein Licht ist das?«

»Johanna!« ertönte es zurück; Angst und Freude lagen zugleich in diesem Ruf.

»Nicht Johanna,« entgegnete Ellen, ins Wasser gleitend. »Es ist Hoffmann,« fügte sie murmelnd hinzu.

Es war die höchste Zeit, daß dem Balken eine andere Richtung gegeben wurde, sonst trieben sie vorbei, denn das Licht war schon ganz nahe. Glücklicherweise war die Strömung nicht mehr so sehr reißend.

Ellen schwamm und stieß den Balken mit kräftigen Stößen vor sich her, ihm eine andere Richtung gebend, als die Strömung wollte. Immer näher kam das Licht. Sie sah ein Fahrzeug schwimmen, sie erkannte neben Hoffmann einen anderen Menschen. Der Balken stieß an, prallte ab, wurde über sofort von vier Händen gefaßt und herangezogen.

»Miß Petersen,« rief Hoffmann erstaunt, »sind Sie es wirklich? Wer ist Ihr Begleiter?«

Hoffmann dachte schon an Snatcher.

»Lord Harrlington. Nehmen Sie erst ihn ins Boot!«

»Wir sind auf einem Wagen.«

»Der aber jetzt als Boot dient.«

Lord Harrlington war schon wieder so weit hergestellt, daß er sich allein auf den Wagen schwingen konnte. Zitternd vor Anstrengung sanken beide auf die Sitze, die Kleider von Wasser triefend, die Haare vom Feuer versengt.

»Gelobt sei Gott, wir sind gerettet!« seufzte Ellen aus tiefstem Herzen.

»Amen,« fügte Harrlington leise hinzu.

»Woher kommen Sie?« fragte Hoffmann, jetzt erst die Verletzungen bemerkend, welche kein Wasser hatte anrichten können. »Doch nicht aus dem brennenden Gebäude?«

Ellen nickte.

»Vor dem Regen suchten wir Schutz in einer Blockhütte, bis uns das Feuer daraus vertrieb, dann fanden wir Zuflucht im Wasser. Das war eine schreckliche Nacht, und doch schön – James, durch Feuer und Wasser!«

Harrlington drückte innig ihre Hand.


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