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5.

Ein aufdringlicher Gesellschafter.

Miß Sarah Morgan hatte wirklich recht gehabt, als sie sagte, die Bären in der Ruine wären lästige Tiere. Sie waren in den Gängen zu Hause; bei Tag und Nacht schlichen sie umher, und es schien ihnen ein ganz besonderes Vergnügen zu bereiten, einen Ahnungslosen bis zum Tode zu erschrecken.

In den unteren Gängen herrschte eigentlich immer Nacht. Nur Fackeln oder Laternen erhellten die Finsternis, und gerade deshalb hielten sich die Bären mit Vorliebe in den Kellern auf. Der einsame Wanderer, der seinen Weg mit der Fackel beleuchtete, konnte sicher darauf rechnen, daß er plötzlich von hinten am Gewand gepackt und festgehalten wurde, oder, daß ihn ein zottiges Fell streifte oder eine nasse Schnauze seine Hand berührte. Da nie das geringste Geräusch solch eine Begegnung ankündigte, so erschrak natürlich der Ueberfallene stets heftig, die Indianer, welche hier fremd waren, am allermeisten, besonders, da sie sich an einem sowieso unheimlichen Orte befanden, von dem die Sage ging, daß es in ihm nicht ganz geheuer sei.

Aber selbst die hier heimischen Indianer erschraken bei solch einer Begegnung oft tödlich. Die Flamme der Fackel malte zitternde Schatten an die Wand, alle Ecken, alle Gegenstände bekamen Leben, und wenn das Gemüt des furchtsamen Indianers aufgeregt worden war, wenn er die Götter und Unholde der alten Azteken vor seinen geistigen Augen in wildem Reigen durch die Gänge tanzen sah, dann umschlangen ihn auch noch unvermutet von hinten ein Paar haarige Pranken, und ein rauher Kopf schmiegte sich an den seinen.

Was Wunder, wenn die Bären mit Scheu betrachtet wurden? Es hätte nicht erst des Befehles von Arahuaskar bedurft, seine Lieblinge vor Mißhandlung zu schützen. Niemand wagte, sich den Bären gegenüber auch nur unwillig zu zeigen, ja, man getraute sich nicht einmal, ihnen in Gedanken zu zürnen, hatten sie ein Unheil angerichtet, aus Furcht, man könnte sich die Ungnade der Tiere zuziehen.

Barzam und seine Genossen konnten aus- und eingehen, wo sie wollten; was sie fanden, gehörte ihnen. Keine Speise lag ihnen versteckt genug; sie kannten alle geheimen Eingänge, alle Mechanismen, und nur zu oft kam es vor, daß ein Indianer neben seinem Lager auf der bloßen Erde schlafen mußte, weil es Meister Petz beliebte, seinen mächtigen Leib auf dem weichen Binsenbett, das mit Decken belegt war, zu dehnen. Als einmal eine Bärin Junge bekommen, waren alle wollenen Hemden, welche die Indianer nicht gerade auf dem Leibe trugen, von den Wänden verschwunden, und nach langem Suchen fand man sie in einem Winkel zu einem bequemen Lager zusammengelegt, auf welchem die Bärin ihre zwei Jungen säugte. Von einer Herausgabe der notwendig gebrauchten Kleider war keine Rede. Die Rothäute dachten auch gar nicht an eine Forderung, sie freuten sich vielmehr über das Tier.

Bis jetzt war Miß Morgan allerdings noch von unliebsamem Besuche verschont geblieben, aber da sie den Teufel an die Wand gemalt hatte, kam er auch. Möglich war es freilich, daß der kluge Barzam ihre Worte verstanden und diese seinen Kameraden mitgeteilt hatte, kurz, das Weib wurde seitdem öfters von einem der Bären in der Behausung aufgesucht.

Es war am Abende nach dem Tage, an welchem die zweite Blutlache entdeckt worden war.

In tiefen Gedanken schritt Miß Morgan den Gang entlang, der sie nach der von ihr bewohnten Kammer brachte. Eine mit Rüböl gespeiste Lampe beleuchtete den unterirdischen Weg, denn auch ihre Kammer lag unterhalb der Erde. Dunkelheit war der einzige Uebelstand, welcher hier herrschte, sonst hatte Sarah nichts zu vermissen.

Die Räume waren alle vollkommen trocken und wurden von oben durch Löcher, welche aber kein Licht einließen, gut ventiliert. In der Ruine mußten Vorräte aller Art aufgespeichert sein, denn Sarah war mit einem ganz behaglichen Bett versehen worden, hergestellt aus Kissen, Decken und Polstern.

Selbst ein Tisch und ein Stuhl befanden sich in dem geräumigen Gemach, und in einer Ecke standen zwei große Koffer, die Effekten des Weibes enthaltend.

Sarah hatte von außen den sehr einfachen Mechanismus in Bewegung gesetzt, und die Tür schob sich in die Wand zurück. Es war einfach eine Schiebetür, welche beiseite gezogen werden konnte. War sie geschlossen, so war sie von dem Korridor aus kaum zu bemerken, nur eine kleine Nische verriet dem Kenner der Geheimnisse dieser Ruine deren Vorhandensein.

Sarah setzte die Lampe auf den Tisch, ging dann nach der Ecke und öffnete einen der Koffer, dem sie eine Anzahl von Briefen und Schriftstücken entnahm. Sie breitete dieselben auf dem Tische aus und begann, auf dem Stuhle Platz nehmend, dieselben zu sortieren.

Bald hatte sie den gefunden, den sie gesucht. Es war eine kräftige, kühne Männerhandschrift, welche sie lange betrachtete, anscheinend, ohne den Inhalt des Briefes selbst zu lesen.

»Ich werde es versuchen,« murmelte sie dann, den Brief beiseite legend und aus einer Tischlade Tinte, Papier und Schreibzeug nehmend. »Bin ich darin auch nicht so geübt, wie andere, so wird es mir schon gelingen. Aufregung, Angst und ganz besonders die Dunkelheit verdecken etwaige Mängel.«

Sie begann ganz langsam auf dem Papier zu malen, abwechselnd den Blick auf den vorliegenden Brief, dann auf die unter ihrer Feder entstehenden Schriftzeichen richtend. Ein Buchstabe reihte sich neben den anderen, bis endlich die Worte ›James Harrlington‹ entstanden waren.

So täuschend die Unterschrift auch der auf dem Brief nachgeahmt war, nach längerem Vergleichen mußte Sarah mit ihrem Werk doch nicht zufrieden sein, sie schüttelte mißbilligend den Kopf und begann die Schreibversuche von neuem.

Das zweite Mal war sie ungeduldiger. Sie schrieb schneller, und die Folge davon war, daß ihre Schrift dem Muster noch weniger ähnlich, als vorher, wurde.

Aergerlich warf sie die Feder hin und zerriß das Papier mit den Schriftproben in kleine Stücke.

»Morgen früh will ich ernstlich damit beginnen,« sagte sie aufstehend. »Heute bin ich zu aufgeregt dazu. Ich muß die alte Regel beherzigen: Das erste Mal muß es gut ausfallen, oder man muß es auf den anderen Tag verschieben; der zweite Versuch mißlingt stets. Ich habe ja noch einige Tage Zeit, unterdes kann ich andere Vorbereitungen treffen. Und schließlich wäre Harrlingtons Brief an Ellen gar nicht nötig. Besser wäre es allerdings, wenn sie getäuscht würde. Schon ihr Schmerz wäre für mich eine Wonne.«

Sie raffte die Schriftstücke zusammen und wandte sich, um sie wieder nach dem Koffer zu bringen, blieb aber mit einem leisen Schreckensschrei stehen.

Vor ihr stand, den Kopf tief auf den Boden gesenkt, mit der Nase umherschnüffelnd und sich auf den Tatzen wiegend, ein Bär, kleiner als Barzam, aber noch immer stattlich genug.

Sarah kannte das Tier wohl, es war die einzige Bärin in der Ruine, Mythra genannt.

Wie das Tier hereingekommen war, wußte sie nicht, sie hatte wenigstens kein Geräusch gehört, und die Tür war noch geschlossen. Doch die Tiere wußten ja, wie man die Türen offnen und zurückschieben konnte, oder es wäre auch möglich gewesen, daß Mythra unter dem erhöhten Bett geschlafen hatte und nun hervorgekrochen war, um den Bewohner des Raumes zu begrüßen.

Miß Morgan hatte den Schrecken überwunden, sie wurde jetzt ungehalten über den frechen Eindringling, der ihr den Weg nach dem Koffer sperrte. Doch Mythra war, wenn auch nur ein weibliches Wesen; doch noch immer ein mächtiger Bär; grob durfte man sie auf keinen Fall behandeln, sondern sehr zuvorkommend.

»Geh!« sagte Sarah und suchte das Tier zurückzudrängen.

Die Bärin schmiegte sich aber noch dichter an das Weib, so daß es sich an dem Tische festhalten mußte, um nicht zu fallen, und stieß ein freundliches Brummen aus.

Sarah streichelte das zottige Fell und kraulte in den dichten Haaren; der Bär brummte noch mehr, wich aber keinen Zoll zurück, er drängte sich noch dichter an sie.

Ein fortgeworfener Papierknäuel hatte gar keinen Zweck, Mythra war nicht spielig, sie wollte es nur gut meinen.

Sarah fuhr fort, den Bären zu streicheln, ihm Kosenamen zu geben, aber – sie konnte nicht an ihren Koffer kommen. Die Papiere in der Hand, stand sie noch immer da und wurde gegen den Tisch gedrängt.

Sarah war halb ärgerlich, halb belustigt über den Bären, der in seinen Gunstbezeugungen so hartnäckig war. Schließlich wurde es ihr aber doch etwas bange, als das Tier sie nicht freiließ. Es zurückzudrängen hatte gar keinen Zweck – der Bär stand wie eine Mauer.

Auf die Gefahr hin, das Tier zu erzürnen und gefährlich zu machen, griff Sarah zu einem anderen Mittel. Sie nahm die trübe brennende Oellampe vom Tisch und näherte sie der Schnauze des Baren, hoffend, daß das Licht und die Wärme der Flamme ihn zurückschrecken würden.

Wirklich, sie hatte sich nicht getäuscht.

Kaum kam die Lampe dem Kopfe des Bären zu nahe, als er mit einem plumpen Satze zur Seite sprang und einen mißtrauischen Blick nach dem Mädchen warf, ohne aber in seinem gemütlichen Brummen einzuhalten.

»Siehst du,« lachte Miß Morgan. »Ich bin doch schlauer als du. Warte, Petz, nun weiß ich, was du nicht vertragen kannst!«

Der Bär schnüffelte im Zimmer umher, während Miß Morgan neben dem Koffer niederkniete, die Lampe hinsetzte und die Papiere wegpackte.

Noch nicht lange war sie so beschäftigt, als der Bär sich schon wieder neben ihr befand und ihr neugierig zusah. Sarah achtete seiner erst nicht, weil er sich ruhig verhielt, als aber seine Tatze plötzlich in den Koffer fuhr und zwischen den Briefen zu wühlen begann, mußte sie abermals daran denken, sich seiner zu entledigen.

Zureden und Drohungen mit Worten halfen nichts; der Bär warf die Papiere umher, kehrte die Kuverts um und tat überhaupt gerade so, als könne er die Schrift lesen.

Sarah klappte den Koffer zu, ein Tatzenschlag öffnete ihn wieder, die ungeheure Pranke wühlte weiter, und als die Besitzerin des Koffers den Versuch wiederholte, den Deckel zuzuschlagen, wobei die Tatze dazwischen geriet, wendete der Bär den Kopf ihr zu und stieß ein so unheimliches Knurren aus, daß sich Sarah schnell erhob und in Sicherheit brachte.

Der Bär verstand keinen Spaß, wenn man ihm nicht seinen Willen ließ. Doch jetzt brummte er schon wieder gemütlich und fuhr fort, die Papiere zu zerstreuen und umzuwenden, gerade als hätte er an ihrem Inhalt Interesse.

Sarah dachte daran, wie sie Mythra schon einmal in die Flucht getrieben hatte; sie war nicht gesonnen, sich den ganzen Koffer um und um wühlen zu lassen. Im übrigen hielt sie den Bären für ein gutes, etwas dummes Geschöpf, das ging ja daraus hervor, wie tölpisch er sich mit den Papieren beschäftigte.

Sie näherte sich vorsichtig dem Koffer, brachte mit einem Griff die Lampe in ihren Besitz und führte diese dem Bären vor die Schnauze.

Der Bär hob die Nase, erschrak aber diesmal nicht wie vorhin; er war doch nicht so dumm, wie Sarah glaubte. Plötzlich herrschte vollkommene Dunkelheit in dem Gemache – der Bär hatte die ihn bedrohende Flamme, vielleicht nur unabsichtlich, durch einen Atemstoß ausgeblasen.

Sarah mußte lachen. Schnell schlug sie auf einem Feuerzeug Licht und entzündete die Lampe wieder. Ihr Strahl fiel auf den Bären, der trotz der Dunkelheit fortgefahren hatte, in den Papieren zu stöbern und jetzt zwischen ihnen schon eine ganz beträchtliche Unordnung angerichtet hatte.

»Vermaledeites Tier,« murmelte Sarah, wagte aber nicht zum zweiten Male, den Bären mit der heißen Lampe zu verscheuchen. Er hätte den Spaß doch einmal übel verstehen können.

Sie ließ dem Tiere seinen Willen, setzte sich auf den Stuhl und betrachtete den Störenfried. Entweder mußte der Bär jetzt, da er nicht mehr gestört wurde, seiner Beschäftigung überdrüssig geworden sein, oder er hatte sich überzeugt, daß in dem Koffer nichts für ihn Wertvolles sei, er ließ ihn in Ruhe, ging nach der Tür und streckte sich dort behaglich aus, den Kopf gerade an die Stelle schmiegend, wo die Tür zurückgeschoben werden konnte.

Schnell schloß Sarah den Koffer, steckte den Schlüssel in die Tasche und begann zu überlegen, wie sie den unverschämten Gast entfernen und auch für spätere Zeit am Zutritt in ihre Kammer ein für allemal hindern könne. Doch wollte sie erst den unliebsamen Gast auf anständige Weise hinauskomplimentieren, und dies glaubte Sarah am besten dadurch zu erreichen, daß sie selbst die Kammer verließ.

Ein Druck öffnete die Tür.

»Komm, Mythra, komm mit mir!«

Willig stand der Bär auf und verließ mit ihr das Gemach, blieb aber wartend draußen stehen, während sie die Tür wieder schloß. Als sie durch den Gang schritt, trabte der Bar hinter ihr her.

»Er wird mir doch nicht folgen wollen?« dachte Sarah. »Erwünscht wäre mir seine Begleitung zu dem Gange, den ich jetzt vorhabe, eben nicht.«

Aber sie hatte sich nicht geirrt, Mythra folgte ihr wirklich auf Schritt und Tritt nach; mochte sie sich wenden, wohin sie wollte und in andere, schmale Gänge einbiegen, immer war der Bär auf ihrer Ferse.

Sarah begegnete einem der ständigen Bewohner der Ruine. Der Indianer schritt, eine brennende Fackel in der Hand, der Behausung Arahuaskars zu.

»Halte den Bären zurück, er soll mir nicht folgen!« befahl Sarah dem Mann.

Sogleich beschäftigte sich der Indianer mit dem Tiere, lockte es und suchte es auch am Fell zurückzuhalten, während Sarah davonging, aber der Bär schien gar nicht zu merken, daß ihn jemand gefaßt hielt.

»Scheuche ihn mit der Fackel zurück!«

Wohl führte der Indianer diesen Befehl aus, er schwang drohend die Fackel vor des Bären Nase, da aber traf ihn ein Tatzenschlag, daß er den Arm mit einem Weheruf sinken ließ, und im nächsten Augenblicke wurde er unter zornigem Geknurr so an die Wand geschleudert, daß ihm alle Knochen krachten.

Der Indianer hatte an dieser Lektion genug, er machte, daß er fortkam, und auch Sarah setzte ihren Weg fort, ohne von dem Bären verlassen zu werden; sie mußte sich seine Begleitung eben gefallen lassen, er trat hier mit dem Rechte des Stärkeren auf.

Eine andere geheime Tür brachte sie ins Freie. Sie versuchte, durchzuhuschen, ohne daß der Bär ihr folgen konnte, denn diesen Mechanismus hätte er allein wohl nicht zu bewegen gewußt, Meister Petz jedoch schmiegte sich immer dicht an sie, und wohl oder übel mußte sie mit ihm auch das Freie betreten.

Sie befand sich zwischen den Trümmern des Säulentempels. Es war Nacht, aber der Mond beschien hell die weißen Säulen, die Zeugen von einstiger Pracht und Herrlichkeit. Der Platz mit den zerstreuten, gestürzten und geborstenen Postamenten und Pfeilern machte den Eindruck eines Leichenfeldes; der bleiche Mondschein erhöhte noch das Grausige der Szenerie.

Sarah schritt zwischen den Steinblöcken hindurch dem nahen Walde zu, immer in Begleitung des Bären, und sie war jetzt froh darüber, das anhängliche und riesenstarke Tier bei sich zu haben. Die unheimliche Stille an diesem schauerlichen Orte, der nur von dem geisterhaften Gekrächz des Käuzchens unterbrochen wurde, ließ ihr Herz doch schneller schlagen; das freundliche Gebrumm des Bären aber beruhigte es wieder.

Sie hielt die eine Hand in dem zottigen Fell desselben versteckt und kraute es. Es hatte etwas Beruhigendes für sie, ein solch starkes Geschöpf in der Nähe zu wissen.

Nur einmal fiel ihr etwas ein, worüber sie sich wunderte. Es war ihr doch, als hätte ihr ein Indianer oder der alte Vater gesagt, die Bären dürften nie in's Freie, täten es auch gar nicht mehr, und Mythra trottelte so sicher zwischen den Steinen herum, als wäre sie hier groß geworden. Möglich, daß dies nur ein verbotener Spaziergang war, dessen sich die Bären vielleicht öfters erfreuten.

Sarah verließ jetzt die Ruine und trat in den Wald, welcher aber, wie schon erwähnt, auch noch von Mauern und kleineren Gebäuden eingenommen wurde. Einem der letzteren, einem noch gut erhaltenen Steinhause, näherte sich Sarah, den Bären noch immer an ihrer Seite.

Als sie die offene Tür des fensterlosen Hauses erreicht hatte, kam ein leises Zischen von ihren Lippen, und sofort zeigte sich, daß diese Priesterwohnung der alten Azteken noch andere Wesen beherbergte, als Kröten, Fledermäuse und Schlangen.

»Sarah, bist du's?« klang eine krächzende Stimme, die so recht in dieses Haus paßte, heraus. »Du bleibst lange.«

»Ich konnte nicht eher kommen. Hast du lange auf mich gewartet?«

»Zwei Stunden schon hocke ich in diesem Loche und lausche dem Quaken der Frösche und dem Rascheln der Schlangen. Aber sie hüten sich, mich zu beißen; sie denken, sie könnten eher sterben als ich, wenn sie mich vergifteten Menschen verletzen.«

»Laß diesen Hohn, wer heißt dich denn überhaupt, dich in dieses Haus zu verkriechen? Du solltest doch nur in der Nähe desselben sein und dich im Gebüsch versteckt halten.«

»Ich fühle mich wohl, wo sich nur Nachttiere aufhalten. Auch ich bin ein lichtscheues Wesen geworden.«

»Es ist Nacht, komme jetzt heraus!«

Sarah war vor der Tür stehen geblieben, der Besitzer der heiseren Stimme aber kam heraus. Es war Eduard Flexan.

Selbst der Bär schien vor dieser ekelhaften Gestalt zu erschrecken; er hob sich auf den Hinterbeinen empor, warf sich dann aber kurz herum und kroch in den Schatten eines Baumes.

»Hahaha,« grinste Flexan, »selbst dein Begleiter hat einen zu ästhetischen Geschmack, um meinen Anblick ertragen zu können. Der schöne Eduard Flexan hätte nicht gedacht, daß bei seinem Anblick einst Mensch und Tier davonlaufen würden. Aber wie steht es nun? Hast du mich hierherbestellt, um mich in die Ruine zu bringen?«

»Ja, Eduard, eben darum! Es hat mir viele Bitten und große Ueberredungskunst gekostet, ehe ich es fertiggebracht habe, aber für dich scheute ich keine Mühe.«

»Hatte es auch satt, draußen in der zugigen und einsamen Hütte zu schlafen. Ich habe noch immer Lust zu leben, Sarah, kannst dich drauf verlassen, wenn ich auch nur noch ein wandelnder Leichnam bin. Aber die Hoffnung, Sarah, hält mich noch am Leben, die Hoffnung, meine Rache befriedigen zu können.«

»Dies kannst du jetzt tun, die Gefangenen sind alle hier, und über die, welche uns beiden besonders angehen, kann ich nach Willkür verfügen. Wir können sie töten oder martern, soviel wir wollen.«

»Wen?«

Sarah wurde über diese Frage unwillig.

»Nun, Harrlington und Ellen natürlich,« rief sie, »wen denn sonst, Törichter!«

»So willst du Ellen martern?«

»Natürlich. Jeden Blutstropfen will ich ihr langsam abzapfen. Oder hattest du es mit der, die dich verschmähte und verachtete, vielleicht anders vor? Ah so – –«

Sarah beugte den Kopf zurück und brach in ein schallendes Gelächter aus, dessen Echo den Wald ertönen machte.

»Was hast du, Weib?« murmelte Eduard bei diesem Ausbruch von Lustigkeit grimmig.

Es dauerte lange, ehe Sarah sich beruhigt hatte.

»Ich verstehe dich,« sagte sie endlich, noch immer manchmal vom Lachen unterbrochen, »du hast noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß du Ellen für dich gewinnen könntest. Armer Mann, du dauerst mich! Wärest du bei vollem Verstande, so müßtest du die Hoffnungslosigkeit deiner Absichten einsehen.«

Eduard packte das Weib hastig am Arme und schüttelte es, so sehr sich auch Sarah sträubte und sich von dem Griffe, vor dem sie sich ekelte, zu befreien suchte.

»Zweifle wenigstens nicht an meinem Verstand!« donnerte er sie an. »Er ist ebenso gesund wie der deine. Soll ich es dir beweisen, heh?«

»Laß mich los!« flehte Sarah, die vor diesem Manne ihre sonstige Standhaftigkeit und Energie zu verlieren schien.

Eduard ließ sie los.

»Soll ich dir beweisen, daß ich bei klarem Verstande bin?« wiederholte er. »O, ich kenne deine Absichten ebensogut wie die meinen, und die deinigen sind nicht minder wahnsinnig. Auch du hoffst, Harrlington noch besitzen zu können. Ist es nicht so? Sprich!«

»Es ist so.«

»Und denkst du nicht daran, daß Harrlington dich ebenso verachtet, vielleicht noch mehr als Ellen mich?« fuhr Eduard fort. »Welchen Plan hast du ausgesonnen, um seine Liebe zu gewinnen? Du hoffst doch nicht etwa, Ellen bei ihn ausstechen zu können? Mir paßte das schon, aber es geht nicht.«

Sarah antwortete nicht, entweder wußte sie keinen Plan, oder sie wollte ihn nicht verraten.

»Ich weiß sehr wohl, was deine Absicht ist,« begann Flexan wieder. »Du möchtest Harrlington besitzen und Ellen, deine verhaßte Nebenbuhlerin, vernichten; aber bei Himmel und Hölle, krümmst du ihr auch nur ein Haar, so schicke ich dich dahin, wohin du gehörst. Derselbe Befehl, den ich einst gab, gilt auch noch heute. Es war dein Glück, daß statt Ellen damals eine andere am Marterpfahl endete, sonst, bei allen Teufeln, hätte ich dich desselben Todes sterben lassen. Was dir gelingt, gelingt mir erst recht.«

Ruhig hörte Sarah diesen Wutausbruch an, sie dachte an keinen Widerspruch.

»Wenn aber Ellen dich nicht erhört, was gar nicht zu bezweifeln ist?« fragte sie gelassen.

»Warum soll sie mich nicht erhören?«

Sarah lachte auf.

»Sprich nicht so töricht, Eduard! Du verstellst dich ja nur. Ellen ist ein schönes Weib, das muß ihr der Neid lassen, und du bist ihr gegenüber ein – ein –«

»Scheusal,« ergänzte Flexan.

»Gut, da du es selbst sagst, kannst du es als keine Beleidigung betrachten, wenn ich es nachspreche. Hat Ellen dich als schönen Mann verabscheut, wie kannst du verlangen, daß sie dich jetzt als ein Scheusal umarmt?«

Der Mondschein beleuchtete das unförmliche Gesicht Flexans, und schaudernd sah Sarah, wie es sich in teuflischer Schadenfreude verzerrte.

»Dann gibt es nur noch die Rache,« sagte er heiser, »die mir für ihre Liebe Ersatz bieten kann.«

»Das sagte ich ja auch, töte, martere sie! Dann ist mir und dir geholfen.«

»Ich habe eine andere Rache, eine viel fürchterlichere.«

»So wende sie an!«

»Ich töte sie nicht.«

»Nicht? Was denn?«

»Ich lasse sie leben.«

»Das darfst du nicht,« rief Sarah hastig. »So lange Ellen lebt, kann ich nicht auf Harrlington hoffen.«

»Es gibt noch etwas anderes, wodurch sowohl deine, als meine Absicht erreicht würde.«

»Und was wäre das? Spanne mich nicht länger auf die Folter!« rief das Weib ungeduldig.

Langsam griff Flexan in die Tasche und brachte daraus ein Fläschchen zum Vorschein.

»Was ist das?« fragte er.

»Gift?«

Der Mann entfernte den Glasstöpsel und hielt das Fläschchen dem Weibe hin.

»Riech' hinein!«

Sarah nahm einen scharfen, ätzenden Geruch wahr, so heftig, daß sie erschrocken zurückfuhr.

»Schwefelsäure,« stammelte sie, entsetzt die Hand zurückstoßend, welche die gefährliche Flüssigkeit hielt.

»Konzentrierte Schwefelsäure,« grinste Flexan. »Das wird's tun. Meinst du nicht?«

Im Nu hatte Sarah den Plan erfaßt, mit dem sich Flexan trug. Ja, fürwahr, teuflischer konnte er nicht sein, aber auch nicht besser für Eduard und für sich selbst.

»Nun, was sagst du dazu?« grinste Eduard weiter.

»Ich werde noch einmal in aller Form um ihre Hand anhalten, und bekomme ich abermals einen Korb, dann,« Eduards Gesicht nahm einen fürchterlichen Ausdruck an, »dann kannst du deine Rache befriedigen, Sarah, dann kannst du aus Ellen ein Wesen machen, das mit mir an Häßlichkeit wetteifert.«

»Gib mir das Fläschchen!« hauchte Sarah, die Hand nach der furchtbaren Waffe ausstreckend.

»Hier ist es!« Er reichte ihr das Verlangte. »Der Stöpsel schließt gut, du kannst es ruhig einstecken. Aber nicht eher darfst du davon Gebrauch machen, als bis ich es dir heiße.«

»Nicht eher, verlaß dich darauf!« versicherte Sarah.

»Und dann,« fuhr der Mann fort, »dann bist du am doppelten Ziele angelangt und ich desgleichen. Du hast deine Rache befriedigt und brauchst keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten. Hahaha, möchte das Gesicht von Harrlington sehen, wenn er seine schöne, mit Schwefelsäure geschminkte Braut zum ersten Male erblickt!«

Sarah antwortete nicht, krampfhaft schlossen sich die Finger um das Fläschchen in der Tasche.

»Jetzt komm! Es ist ein Zimmer für dich in der Ruine bereit,« sagte sie.

»Noch eins, Sarah,« entgegnete er. »Was wir jetzt verhandelt haben, war mir nicht die Hauptsache. Wo ist Hoffmann, dieser Teufel? Ist er sicher gefangen, damit ich ...«

»Rege dich nicht auf!« unterbrach ihn Sarah schnell, die schon wieder einen Ausbruch seiner maßlosen Wut fürchtete, die ihn stets befiel, wenn er auf Hoffmann, den Verschulder seiner Krankheit und Häßlichkeit, zu sprechen kam. Sie mußte ihn in der einmal gefaßten Meinung lassen, daß sich Hoffmann ebenfalls gefangen in der Ruine befände.

»Hoffmann sitzt in seiner Kammer und erwartet dich,« lachte sie. »Er wird sich wundern, wenn er sieht, wie seine Quecksilberkur dich zugerichtet hat.«

»Der Schurke,« zischte Flexan. »Tag und Nacht brüte ich darüber nach, wie ich ihn eines tausendfältigen Todes sterben lassen kann.«

»Frage die Indianer! Sie werden dir nützliche Ratschläge erteilen können. Doch komm jetzt! Der Tau beginnt zu fallen; es wird kalt.«

Beide wandten sich zum Gehen; geräuschlos erhob sich der Bär aus dem Schatten des Baumes und gesellte sich ihnen bei. Mißtrauisch betrachtete ihn Flexan, doch er konnte ich denken, daß das Tier gezähmt war.

»Ist das dein ständiger Begleiter?« fragte er.

Mißtrauisch betrachtete Flexan den Bären und fragte: »Ist das dein ständiger Begleiter?«

»Seit etwa zwei Stunden, ja,« lachte Sarah. »Er hat an mir ein ganz besonderes Wohlgefallen gefunden.«

Als wolle der Bär die Wahrheit der Worte bezeugen, sprang er an Sarah empor, so daß sie bald gestürzt wäre.

Sie schlüpften durch dieselbe Pforte in das Innere der Terrasse hinein, durch welche Sarah sie vorhin verlassen. Sie versuchte dabei wieder, sich des Tieres zu entledigen, aber mit einer Gewandheit, die man dem plumpen Körper garnicht zugetraut hätte, wußte es mit hineinzuhuschen.

Sarah führte Flexan durch lange, stockfinstere Gänge, der letzte von ihnen war so niedrig, daß sie sich nur gebückt vorwärtsbewegen konnten, und schließlich öffnete sich unter des Weibes kundiger Hand eine ganz versteckte Tür, welche zu Flexans künftigem Aufenthaltsort führte.

Das Gemach mußte Jahre lang, vielleicht Jahrhunderte hindurch völlig unbenutzt dagelegen haben, es war halb zerstört und von geschäftigen Händen schnell aufgeräumt und vom Schutt befreit worden. Im übrigen war es bequem ausgestattet. Sarah schärfte Flexan ein, dieses Gemach nie zu verlassen, selbst wenn er ihr etwas mitzuteilen hätte, ja, selbst wenn er irgend etwas nötig brauche; denn sein Aufenthalt hier müsse ganz geheim gehalten werden, weil die Indianer den häßlichen, ekelerregenden Menschen, der öfters Anfälle von Tobsucht bekäme – Sarah sprach sehr offen – wie einen bösen Gott fürchteten.

Doch brauche er nicht in Sorge zu sein, sie selbst würde jeden Tag einige Male zu ihm kommen, ihm alles zum Leben Nötige bringen und mit ihm sprechen.

Dann verließ sie ihn, ohne ihm den komplizierten Mechanismus der Türe erklärt zu haben. Sie hoffte, es würde ihm nicht glücken, denselben jemals zu finden. Als sie hier eingetreten, war der Bär draußen geblieben; sie fürchtete schon, ihn ihrer wartend zu treffen, sah aber mit Freuden, daß er nicht mehr da war. Sie hatte vor dem Tiere, das sich ihr als steter Begleiter aufzudrängen schien, eine förmliche Angst bekommen, denn tat sie etwas, was seinem Willen entgegenlief oder belästigte, so bekam sie stets das drohende Knurren zu hören.

Daß der Bär keinen Spaß vertrug, hatte die Begegnung vorhin mit dem Indianer gezeigt.

Sarah brannte die Laterne, welche sie an diesem dunklen Orte immer bei sich trug, nicht an, sondern begnügte sich, den unsicheren Weg mit Streichhölzern nur zeitweilig zu erleuchten, um bei der Annäherung des Bären rechtzeitig im Dunklen verschwinden zu können.

Sie hatte auch das Glück, unbelästigt ihr Gemach zu erreichen, der Bär hockte nicht davor, wie sie schon geglaubt hatte.

Ohne Licht anzubrennen, entkleidete sie sich, warf die Sachen über den Stuhl und wollte sich auf das Bett legen, als sie mit einem Schreckensruf zurückfuhr.

Sie war mit einem rauhen, haarigen Körper in Berührung gekommen – Mythra hatte bereits ihr Bett eingenommen, rührte sich nicht und fing jetzt sogar an zu schnarchen.

Sarah hütete sich, den ungeladenen Gast zu wecken, sie bereitete sich aus ihren Kleidern ein Lager an der Erde und beschäftigte sich fast während der ganzen Nacht mit den Gedanken, wie sie Lord Harrlington für sich gewinnen, über Ellen triumphieren, eine furchtbare Rache ausüben und sich Eduard Flexans und dieses aufdringlichen Bären entledigen könnte.


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