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Einundzwanzigstes Kapitel

Ade! der junge Herr reiset ab

Nicht immer kann man in Rosen sich baden,
Man muß auch oft durch dick und dünne waten;
Denn so ist es auf unsrer Lausewelt
Leider von alters her bestellt.

Das heißt: Wir können manch angenehmen Bissen
In unserm Erdenleben hier und da genießen,
Und der tut gar nicht übel dran,
Der's Gute mitnimmt, wenn er's kriegen kann;

Aber es ist uns auch manches bitteres Essen,
Mancher Kummer, manches Leid zugemessen,
Und da ist nun mein Rat unmaßgeblich,
Daß man geduldig drin ergeb' sich.

Auf diese sehr vernünftigen Reflexiones
Hat mich zum Glück die Abreise des Barones
Und seine Trennung von Stehre gebracht;
Ich hätt' sie sonst nicht aus mir selbst gemacht.

In der Nacht vor seiner Abreise
Hatte er und seine Geliebte verstohlnerweise
Noch eine Zusammenkunft zu guter Letzt,
Wie wir oben gehört haben, angesetzt.

Da gab's hinc inde ein Gewimmer, ein Gewimmer,
Ein Gewimmer, wie es vielleicht nimmer
Zwischen zwei Verliebten je geschehn,
Welche sich zu Nacht alleine sehn.

Ich vermag's nicht in extenso zu beschreiben,
Wie weinerlich es sie allda mochten treiben,
Meine Augen würden dabei zu naß
Und zu leer an Tinte mein Tintenfaß.

Es ward da noch einmal mit den feierlichsten Eiden
Die ew'ge Treue befestigt zwischen beiden,
Und Frau Echo mit ihrem Widerhall
Bekräftigte alles dazu noch dreimal.

Auch hat man unverbrüchlich abgesprochen,
Sich Briefe zu schreiben wenigstens alle vier Wochen
Durch die bishero gebrauchte Adress',
Damit einer den andern nicht vergess'.

Schon öffnete die alte Jungfer Aurore
Droben die schönblauen Himmelstore
Und erschien im Rosenkleide hübsch und fein,
Und Herr Phöbus kutschierte hinterdrein.

Das ist verdolmetschet in der gewöhnlichen Sprache:
Man blieb beisammen, bis der Morgen anbrache,
Und endlich unter vielem Ach und Weh
Erfolgte das schmerzlichste Adieu.

Ach, ach! das letzte Küssen und Umarmen
War eine Szene jämmerlich und zum Erbarmen,
Bis zuletzt ein jeder für sich
Mit rotgeweinten Augen nach Hause schlich.

Als hernach, zirka ein Viertel nach neun auf der Uhre,
Der junge Baron von Ohnewitz wegfuhre
Und Esther ihm im Wagen nachsah,
Fiel sie in eine Ohnmacht beinah.

Sie ist auf ihr Zimmer alleine gegangen,
Tränen rollten reichlich von ihren Wangen,
Ein Schnupftuch verhüllte Stirn und Gesicht,
Und sie aß und trank den ganzen Tag nicht,

Klagte auch schrecklich über Kopfschmerzen
Und winselte über Drücken und Not am Herzen,
So daß ihr Bruder fast drob erschrak,
Obgleich er merkte, was dahinter stak.

Auch der junge Herr im Reisewagen
War similiter sehr zu beklagen,
Denn man sah's ihm gar deutlich an,
Es sei ihm innerlich was angetan.

Ich selbst habe ihn zwar nicht gesehen,
Doch kann ich es wohl von selbst verstehen,
Und jeder andrer Vernünftiger schließt dies
Aus den vorhergegangenen Prämissis.

Indessen bekam er bald wieder Courage,
Denn er hatte eine schöne Equipage
Und gutes Reisewetter und saß bequem,
Und hatte in seiner Schatulle noch außerdem

Nicht allein bares Geld wie Häcksel,
Sondern auch noch manche wichtige Wechsel,
Samt und sonders so eingericht't,
Daß sie gleich bezahlt wurden nach Sicht;

Ja sogar schriftliche Rekommandationen
An viele hohe und berühmte Personen;
Und so hätte ich ohne eigenes Geld
Mit ihm reisen mögen durch die halbe Welt.


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