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Zweites Kapitel

Wie der zweite Teil des Lebens von Hieronimus Jobs sich mit seinem Leichenbegängnisse anhebt

.

Hat man wohl je irgend gehört und gelesen,
Daß ein Lebensbeschreiber in der Welt gewesen,
Welcher den zweiten Teil der Lebensgeschichte anhebt,
Da, wo der Held der Geschichte nicht mehr lebt?

Dennoch soll dieses, wie wir nun werden sehen,
Von mir ohne alles Bedenken geschehen;
Ich passiere folglich in diesem Fall
Für ein leibhaftes Schriftstelleroriginal.

Alles, was ich in den folgenden Jahren
Von Hieronimus Jobs ferner gehört und erfahren,
Das erzähl' ich ohne Umstände getreu
Und tue davon weder etwas ab noch bei.

Indessen was ich nun von ihm singe und sage,
Geschiehet freilich nicht immer und alle Tage;
Doch ist's auch überall nicht so bestellt
Wie im Lande Schwaben und in der Welt.

Es gingen fast alle Bürger, arme und reiche,
Mit dem wohlseligen Hieronimus in Schildburg zur Leiche,
Und es schallte traurig aufs offne Grab
Glockengeläute vom Kirchturm herab.

Hinter dem geistlichen Herrn im Trauerornate
Folgten sämtliche Glieder vom Magistrate;
Jeder Mann und noch mehr jede Frau
Beobachtete Rang und Etikette genau.

Der Pfarrer schien noch während dem Marschieren
Seinen wohlgewählten Leichtext zu studieren,
Und Küster und Schulkinder sangen jämmerlich
Das bekannte Lied: »Herzlich tut mich« etc.

Die Reihe der Leidträger war ungewöhnlich
Lang und der Zug traurig und ansehnlich;
Fast jeder weinte und manchen Flor
Sah man flattern vom langen Ohr.

Denn kein Nachtwächter seit undenklichen Zeiten
War so beliebt gewesen bei allen Leuten,
Und jeder, der ihn kannte, behauptete kühn:
Daß er gestorben, sei mordschade um ihn.

Der armen Witwe ihr Leid schien am größten,
Und man vermochte sie kaum zu trösten;
Obgleich sie noch war gesund, frisch und jung
Und allenfalls zur dritten Ehe gut genung.

So kam der Leichenzug im langsamen Trabe
Zum Kirchhofe bei dem schaudervollen Grabe,
Und man machte feierlich alsobald
Zur Einsenkung des Sarges die Anstalt.

Da hub der Pfarrer, im Perorieren nicht blöde,
Erst an zu sagen eine stattliche Leichenrede,
Worin er, wie Recht ist, mit großem Lob
Anfangs die Verdienste des Sel'gen erhob:

Wie daß er in seinem ganzen Wandel und Wesen,
Ein getreuer Nachtwächter des Städtleins gewesen,
Und daß er dafür im Grabe nun
Nach so langem Wachen könne friedlich ruhn.

Er hatte aber noch gar nicht lange gesprochen,
Da wurde er durch ein Geräusch unterbrochen,
Und ehe er mit dem Exordium
Zu Ende kam, ward er plötzlich stumm.

Dies große Geräusch, Stöhnen, Pochen und Prallen,
Tat aus dem Sarge des weiland Jobs schallen;
Jeder stutzte und spitzte das Ohr,
Und manches Haar sträubte sich hoch empor.

Himmel, was gab dies für ein Spektakel!
Alles schrie laut: Mirakel, Mirakel!
Alt und jung, Küster und geistlicher Herr
Flohn, als ob Feuer hinter sie wär'.

Alle und jede erschreckte die Meinung:
Es spuke hier eine Gespenstererscheinung;
Denn im Schwabenland war man in dem Stück
Der Aufklärung noch etwas weit zurück.

Da flogen im Fliehen Flöre und Tücher,
Trauermäntel, Allongeperücken und Bücher,
Hauben, Haarbeutel, Handschuh umher,
Und plötzlich wurde der Kirchhof schier leer.

Aber Herr Schneller, seit geraumen Jahren
In Heilkunde und Physik weidlich erfahren,
Welcher zum Glücke dem Sarge nah stand,
Merkte sogleich, wie die Sache bewandt.

Er schrie laut zu dem fliehenden Haufen
Man möchte nicht so erschrecken noch weglaufen,
Denn das Ding wäre nicht so arg.
Er warf indessen den Deckel vom Sarg.

Alsobald dieses von Herrn Schneller geschehen,
Hat man mit großer Verwunderung gesehen,
An Bewegung der Hände, des Leibes und Kopfs
Den wieder auflebenden Nachtwächter Jobs.

Dieser Vorfall ist zwar sonderbar zu hören,
Indes läßt er sich ganz natürlich erklären,
Weil der gute Hieronimus zwar
Tot schien, aber nicht eigentlich tot war.

Jener Doktor hatte ihm auf Tod und Leben
Ein seinsollendes Lebenselixier eingegeben,
Welches aber, als ein starkes Opiat,
Drei Tage lang seine Wirkung tat.

Man hatte ihn also und dergestalten
In seinem Schlafe für wirklich tot gehalten.
Dieses Beispiel lehret nun jedermann,
Wie leicht man sich am Tode irren kann.

Man sagt, es hätte schon andre Fälle gegeben,
Daß man ohnmächt'ge Menschen, bei noch leben-
digem Leibe, aus Irrtum hab'
Zu frühzeitig gebracht in die Erde hinab.

In unsern Tagen ist's also 'ne rühmliche Mode,
Daß man vorsichtig ist bei der Menschen Tode
Und daß nun niemand mehr in die Erde sinkt,
Bis er, salva venia, faul ist und stinkt.

Beiläufig führ' ich dies jedem zu Gemüte,
Damit man überall ein Unglück verhüte;
Denn ein jeder ehrlicher Biedermann
Könnte sonst mal erschrecklich laufen an.

Auf Herrn Schnellers Veranstaltung faßten
Nun die Träger den Sarg mit dem weiland Erblaßten,
Trugen ihn geschwinde ins nächste Haus,
Zogen die Totenkleider ihm aus,

Und Herr Schneller, der rüstige Bader,
Schlug ihm drauf tüchtig eine Ader,
Rieb Stirn und Schläfe mit Salmiak
Und setzte ein Klistier von Rauchtabak.

Der Leib ward mit warmen Tüchern frottieret,
Die Nase mit Essig und Spiritussen geschmieret,
Und so kehrte Hieronimus zum Glück
Bald wieder ganz ins Leben zurück.

Er hat sich darauf seit diesen Stunden
Völlig gut und gesund befunden,
Und des Herren Schnellers Arzenei
Truge dazu augenscheinlich bei.

Nur behielt er noch lange eine blasse Farbe
Und am Kopf vom Stoßen im Sarge eine Narbe,
Wurde jedoch von solcher Zeit an
Ein sehr vernünftiger und braver Mann
.

Ob etwa die Herren Psychologen
Die Ursach' einer so günstigen Änderung erwogen
Und ob davon mehr Exempel sein,
Dieses zu erfahren sollte mich freun.


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