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Sechstes Kapitel

Wie Herr Jobs auch sein Hauskreuz hatte, ob er gleich keine Frau hatte, und von seiner Schwester Krankheit

Indessen das Erdenglück hat hinten und vornen
Doch immer etwas von Stacheln und Dornen,
Und nach diesem Sprichwort ging es auch so
Dem Doktor und Pfarrer Hieronimo.

Seine Haushälterin, die geliebte Schwester,
Das sonst muntre Mädchen, die gute Esther,
Nahm, dies bemerkte er schon einige Zeit,
Augenscheinlich ab an Lebhaftigkeit.

Zwar versah sie ziemlich alle Geschäfte,
Es fehlten ihr auch eigentlich dazu keine Kräfte,
Und sie befolgte treulich spät und früh
Die beste Aufsicht in der Ökonomie.

Allein sie schien oft in Gedanken zerstreuet,
Ward durch gewöhnliche Sachen nicht erfreuet,
Und man sah, daß sie nicht so gar flink
Wie vormals in allem zu Werke ging.

Auch Seufzer, sowohl publice als im stillen,
Entstiegen oft der Brust ohne ihren Willen,
Wenn sie bei ihrem Spinnrädchen saß,
Oder gar indem sie trank oder aß.

.

Ja man sah nicht selten auf ihrem Backenpärchen
Hangen einige perlfarbene Zährchen,
Und ihre klaren blauen Äugelein
Waren oft rot, naß und unrein.

Auch hörte man einigemal in ihrer Schlafkammer
Des Nachts ein heimliches Stöhnen und Gejammer,
Und dennoch sagte oder klagte sie
Ihr dringendes heimliches Anliegen nie.

Auch die frische Farbe ihrer runden Wangen
Ist nach und nach verloren und vergangen;
Vormals war sie schön rosenrot,
Und nun ward sie schier blaß wie der Tod.

Ehmals war sie immer bei gutem App'tite,
Dies setzte bei ihr natürlich gesundes Geblüte;
Aber nun war App'tit, Durst, froher Sinn,
Nächtliche Ruhe et cetera dahin.

Auch hatte sie zuweilen mit Nervenkrämpfen
Und kleinen Anfällen von Ohnmächten zu kämpfen,
Und die allergeringste Kleinigkeit
Erregte Vapeurs und Übelheit.

Sie suchte sich allen Vergnügungen und Kompanien,
So oft es der Wohlstand nur litte, zu entziehen,
Und ihre beste Unterhaltung blieb,
Wenn sie einsam etwa was las oder schrieb.

Dies alles merkte, wie gesagt, Herr Jobs lange,
Drum ward er ob ihres Zustandes sehr bange
Und dachte, sie laboriere an der Atrophie
Und Freund Hein kriegte in seine Klauen bald sie.

Um ihre Krankheit zu erklären und zu kurieren,
Tat er oft studierte Leute konsulieren,
Und mancher berühmter Äskulap
Gab drüber seine Meinung und Rezepte ab.

Der eine suchte den Quell des Übels im Magen
Und gab Vomitive, ihn draus zu verjagen,
Aber es begab sich, daß 's mit dem Vomitiv
Immer schädlich für die Patientin ablief.

Andre rieten auf vorhandene Würmen
Und suchten sie mit Wurmmitteln zu bestürmen;
Einer wagte sogar einen schrecklichen Landsturm
Auf einen vermeinten langen Bandwurm.

Andre suchten das vorhandne Übel zu stillen
Mit Aloe, Galbanum, Stahl und Polychrestpillen;
Denn sie leiteten die ganze Krankheit perfekt
Aus einem gewissen weiblichen Defekt.

Andre suchten sie mit starken Purganzen
Wegen vermeinter Verschleimung zu kuranzen;
Andre kurierten gradezu auf Schwindsucht nur
Und rieten Isländisches Moos und Milchkur.

Andre, meist alte praktische Polypheme
Suchten der Krankheit Sitz im Nervensysteme,
Und nach reiflicher Erwägung rieten sie an
Moschus, Teufelsdreck, Bibergeil und Baldrian.

Andre versicherten dem Herrn Jobs aufrichtig,
Jedoch sub rosa, sie würde wassersüchtig,
Und sagten, seiner Schwester Krankheit sei
Wiß und wahrhaftig eine Kachexei.

Aber alle ihre häufig verschriebne Arzneien
Wollten nicht bei ihr anschlagen noch gedeihen,
Und sie ward nach deren Gebrauch vielmehr
Täglich schlimmer und kränklicher.

Einige alte ehrbare, sachkundige Dorffrauen
Sagten sich eine der andern im Vertrauen,
Die Krankheit der Mamsell Esther wäre nur klein
Und hätte Leben, Kopf, Hals, Arm und Bein.

Aber wir werden's künftig finden und sehen,
Daß dem guten Mädchen drin zuviel geschehen,
Denn die Folge bewies es genung,
Daß jene Sage nur sei Verleumdung.

Dem Pfarrer Jobs deuchte es unerhörbar,
Daß seiner Schwester Krankheit so verschieden erklärbar
Bei den Kennern der Arzneikunst sei,
Und dachte heimlich das Seine dabei.

Er hielt es darum für klug und vernünftig,
Daß sie gar keine Arznei mehr brauche künftig
Und daß man sie fortan in Gottes Namen nur
Bloß überließ ihrer eigenen Natur.

Und das war ihm denn auch gewiß geraten;
Denn unter den Händen der Herrn Hippokraten
Wäre sie bei dem gesundesten Blut
Doch endlich unfehlbar gemachet kaputt.

Er suchte aber sie möglichst aufzuheitern,
Und damit sich das Übel nicht möchte erweitern,
Riet er als ein vernünftiger Mann
Spazieren und angenehmen Umgang ihr an.


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