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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Worin länglich die Antwort der Frau Witwe Schnaterin Jobs zu lesen, auf den Brief ihres Sohnes

Mein geliebtster Sohn! An Dich zu schreiben
Konnte ich nicht lassen unterbleiben,
Besonders rührte es mich, daß Du
Mir wieder 60 Gulden sandtest zu.

Alles ist mir richtig gekommen zu Handen,
Und ich habe aus Deinem Briefe verstanden
Deine Herzensgüte und Zärtlichkeit,
Und das hat mich mehr als das Geld erfreut.

Zwar ist mir letztes sehr gut zustatten gekommen,
Denn Geld gereicht immer zum Nutzen und Frommen;
Aber Deine gutartige Kindlichkeit
Geht, so wahr ich 'ne ehrliche Witfrau bin, weit.

.

Ich hab' mich vormals freilich sehr müssen behelfen
Und nach dem nötigsten Unterhalt kümmerlich gelfen,
Und, wahr ist's, aus Ungeduld
Gab ich Dir davon oft alleine die Schuld.

Allein, alles ist längst vergessen und vergeben,
Denn Du erleichterst mir und unsrer Esther das Leben,
Schickst uns soviel Geld, und seitdem
Leben wir gemächlich und sehr bequem.

Ehmals schmachteten wir in Frost und Hitze,
Aßen kaum satt Wasserschnell, Brei und Grütze,
Trunken nur Kofent und kahlen Tee,
Und in der Haushaltung war lauter Weh.

Uns borgte weder Schuster, Weber noch Schneider
Die nötigen Schuhe, Leinwand und Kleider,
Und in unsrer Wohnung überall
War's durchlauchtig wie in 'nem Notstall.

Zwar suchten Deine Schwester und ich uns mit Ehren
Durch fleißige Handarbeiten zu ernähren,
Allein, wir kamen damit nicht weit
In dieser so hoch schwer teuern Zeit.

Esther hätte zwar extra was können akquirieren,
Denn viele junge Herren suchten sie zu verführen,
Doch weil sie ihnen keine Audienz gab,
So zogen sie mit der langen Nase ab.

Nun aber sind wir frei von Nahrungssorgen,
Brauchen nicht mehr zu darben und zu borgen
Und danken den frohen Lebensgenuß
Dir, mein geliebter Hieronimus!

Der Himmel wolle ferner Dich beglücken
Und Dir einst eine fette Pfarre zuschicken;
Dann beschließ' ich, wie Du es schreibest mir,
Meine alten Tage, so Gott will, bei Dir.

Deine Schwester grüßt Dich zu hunderttausend Malen,
Denn sie kann Deine brüderliche Lieb' nicht anders bezahlen,
Und sie bedankt sich hiemit herzlich vor
Die ihr gesandten zwei schönen Louisd'or.

Apropos! was soll ich eigentlich daraus schließen,
Daß der junge Herr Baron sie so zärtlich läßt grüßen?
Ich hoffe, er hat doch wohl auf sie nicht
Eine besondere unlautere Absicht?

Nun will ich zu verschiedenen Neuigkeiten,
Welche hieselbst vorgefallen sind, schreiten;
Sie sind zwar meist unangenehm und schlecht,
Aber doch alle authentisch und echt.

Das Gewitter hat vor etwa vierzehn Tagen
In Herrn Advokaten Schlucks Garten eingeschlagen,
Davon sind viele Bäume zerknickt,
Und das Lusthaus ist gleichfalls zerstückt.

Man hat dies als eine Vorbedeutung angesehen
Dessen, was drei Tage hernach geschehen,
Da der liebe Mann, gesund und guter Ding,
Plötzlich den Weg ad patres ging.

Er hat zwar keine Kinder, die um ihn trauern,
Auch glaub' ich nicht, daß seine Erben ihn bedauern,
Denn er saß sehr warm in der Woll'
Und hat seine Kisten von Talern voll.

Man hat ex post vieles gesagt und geplaudert,
Wofür einem die Haut grauset und schaudert,
Nämlich es ginge gedachter Herr Schluck
Bei hellem Mittag herum als Spuk.

Einige haben ihn gesehn durch dem Fensterglase
Mit seiner Brille auf der großen Nase
Und sein Advokatengewand
Leuchtend wie höllischer Feuerbrand;

Und in seinem Hause höret man Jammer und Gepolter,
Als läg' einer auf der peinlichen Folter;
Und er rasselt mit Ketten an der Tür;
Gott bewahr' jeden Christenmenschen dafür!

Man hat einen Werwolf hier kürzlich gesehen
In Gestalt eines großen Hundes herumgehen;
Auch spricht man von mancher Behexerei,
Welche hieselbst geschehen sei.

Ich aber wollte schier gewiß darauf wetten,
Daß die Seher und Erzähler sich geirret hätten;
Denn in Schildburg trau' ich keinem einzigen Mann
Es zu, daß er die Kunst des Hexens kann.

Der vorige Winter war hieselbst sehr strenge,
Es gab Schnee, Schloßen und Eis in Menge;
Melde mir, ob vielleicht dorten bei dir
Der Winter gleichfalls so streng war als hier.

Man hat auch damals mit Schrecken gesehen
Am Himmel ungewöhnliche Zeichen stehen,
Und es schosse daselbst wunderlich überall
Am Firmamente heftiger Feuerstrahl;

Davon glauben nun billig die Schildburger Leute,
Daß es ein Unglück für unser Städtlein bedeute;
Doch Herr Schneller sagt, es bedeute dies nicht,
Sondern das Ding würde genannt Nordlicht.

Indes hat man doch aus der Zeitung gesehen,
Daß vielleicht ein Krieg werde entstehen;
Und, gib acht, so wahr ich ehrlich bin!
Unser Schildburg kommt dann auch mit drin.

Die Ernte ist dies Jahr sehr gut gediehen,
Weil der Himmel günstiges Wetter dazu verliehen;
Hoffentlich wird dann der liebe Branntwein und 's Brot
Wohlfeil und mindert die Hungersnot.

Aber dagegen sind die Weinlesen
Desto kümmerlicher in diesem Herbst gewesen;
Denn die Stöcke standen meistens kahl,
Und der Most ist teils sauer, teils schal.

Dieses macht denn nun wohl leider heuer
Den guten Wein noch seltner und teuer,
Und die vielen lustigen Zecher allhier
Müssen sich dann helfen mit Wasser und Bier.

Den hiesigen Kirchturm will man ausbessern
Und die Kirche selbst etwas vergrößern;
Denn man sagt, unsers Städtleins Christenheit
Habe sich vermehret seit kurzer Zeit.

Einige hartnäckigte Herren Konsistorialen
Wollen aber nicht einwilligen, viel weniger was zahlen;
Man hofft aber, die Kosten zu bringen herbei
Durch eine Kollektensammelei.

Freilich, der Kirchturm ist sehr verfallen und zerborsten,
So daß Eulen und Dohlen drin hausen und horsten;
Aber für die wahren Christen, die hier sein,
Ist, wie mir deucht, die Kirche selbst nicht zu klein.

Seitdem unsre Herren jene Verordnung gaben,
Hat man keinen lebendigen Menschen wieder begraben;
Da sieht man, was ein gescheites Mandat
Für wohlersprießliche Folgen hat.

Sonst, wenn unsre Herren was kommandieren,
Pflegt niemand den Befehl zu vollführen,
Weil ihre Obrigkeitsautorität
Nicht gar weit bei der Bürgerschaft geht.

Unser Fürst ist neuerdings durch's Städtel passieret,
Da hat die Bürgerschaft das Gewehr gepräsentieret
Und mit Trommel und Fahne und großer Pracht
Einen kostsplitterlichen Aufzug gemacht.

Nur ein einziger tat beim Feuern und Schießen
Unvorsicht'gerweise sein Leben einbüßen;
Sonst ging alles, zu Schildburgs Ehr',
Ohne sonderliches Unglück her.

Unser alter Pfarrer hat's Zeitliche gewechselt;
Man hat zwar 'nen neuen herausgedrechselt,
Doch bei der angestellten Pfarrerwahl
Geschah wie gewöhnlich viel Zank und Skandal.

Herr Lippel Schnack, unser dicker Bürgermeister,
Wird tagtäglich älter, dümmer und feister
Und bekommt jetzt zum verdienten Arbeitslohn
Aus der Kammerkasse eine Pension.

In der Stadt und auf'm Lande herrscht eine Seuche,
Da gibt es also natürlich manche Leiche;
Doch an Örtern, wo keine Ärzte sind,
Sterben sie nicht so häufig noch so g'schwind.

Im vor'gen Jahr hat sich's Unglück zugetragen,
Daß ein Mensch jämmerlich ward totgeschlagen,
Und der ergriffene Täter kam
Dafür ein Vierteljahr zur Festung lobesam.

Es ist alles jetzt sehr dürftig und teuer,
Dennoch sinnet man auf Vermehrung der Steuer;
Denn man versteht sich hieselbst ebenso
Aufs leidige Plusmachen als anderswo.

Nachbars Minchen hat einen kleinen Knaben,
Ich hab ihn als Patin aus der Taufe gehaben;
Wer sie eigentlich gebracht hat zu Fall,
Erzählt man sich sub rosa überall.

Es ist, als wär's Unglück in unserm Städtchen
Mit den jungen mannbaren Dirnen und Mädchen;
Denn es trägt sich zu fast alle Monat,
Daß eins eine Tochter oder 'nen Sohn hat.

Man hält fleißig hier Bälle und Assambleen
Und tut sich da recht herrlich und lustig begehen;
Doch vielleicht folgt einst dieser freudigen Sach'
Bei manchen der hinkende Bote nach.

Man hat das Rathaus kürzlich renovieret
Und in der Polizei manches reparieret;
Zum Exempel: Man ist nun von Bettelei,
Doch weiß Gott, wie lange es dauert, frei.

Auch hat man sehr lange nichts gehöret,
Daß irgend die Nachtruhe wäre gestöret
Durch Einbruch oder nächtliche Dieberei;
Das macht gleichfalls die gute Polizei.

Item, man gibt fleißig acht auf Maß und Gewichte,
Nimmt Bäcker, Krämer und Brauer in Brüchte,
Wenn etwa Brot und Ware nicht gehörig schwer
Oder das Bier zu leicht und zu dünne wär'.

Man hat auch durchgehends die Stadtstraßen
Mit neuen Steinen wieder pflastern lassen,
Weil das neue Pflaster vom vorigen Jahr
Nicht zum besten geraten war.

Die Stadttore hat man abgebrochen
Und solche aufs neue künftig zu bauen versprochen,
Man kaufte auch gern eine neue Kirchuhr,
Hätte man dazu das Geld nur.

Die Schloßwarte will man demolieren
Und die Steine anderweitig emploieren,
Und damit das Obere von selbst folgen kann,
Fängt man mit der Abbrechung von unten an.

Einige andere nötige Ausbesserungen
Hat man dem Meistfordernden verdungen;
Denn es sieht leider elend und kraus
Mit andern öffentlichen Gebäuden aus.

Man probierte bei dieser greulichen Hitze
Sehr oft unsre große Brandspritze;
Denn man hat gefunden, wenn Brand entsteht,
Daß sie meistens nicht richtig geht.

Man hat noch kürzlich in diesen Tagen
Einige junge Männer zu neuen Bürgern geschlagen
Und für die übermorgende Nacht
Öffentlich angesagt eine Gaudiebsjagd.

Neulich fiel ein Kind in den großen Stadtbrunnen
Und ist drin kaum dem Ertrinken entrunnen;
Da hat man nun gleich die Kautel erdacht
Und den Brunnen vernagelt und zugemacht.

Weil man sich im Finstern auf der Straße leicht verletzet,
So hat man alle sechs Schritt Nachtlaternen gesetzet;
Aber noch zur Zeit fehlet es an
Dem nötigen Fonds zu Öl oder Tran;

Denn aus den ehmaligen publiken Kapitalen
Läßt sich seit langen Jahren nichts bezahlen;
Man sagt, es wäre alles Stuck vor Stuck,
Sowohl Kapitale als Zinsen kaduk.

Man hat der Bürgerei zum besten vor 14 Tagen
Die Stadtbleiche verkäuflich losgeschlagen,
Und das Plätzchen, wo sonst der Galgen stand,
Ist gemacht zu schönem Ackerland.

Das Rathaus wird an den, der's meiste bietet,
Nächstens verpachtet oder auf 8 Jahr vermietet;
Nur ein Zimmerchen bleibt vakant davon,
Um drin zu verrichten die Session.

Man bezeiget vielen guten Willen,
Die Stadtgräben zu verschütten und auszufüllen,
Weil doch ohnehin ein jedermann
Ins offne Städtel 'reinkommen kann.

Ein fremder Spitzbub ward gestern attrappieret,
Den hat man zur Strafe durch alle Straßen geführet,
Mit einer großen Kappe mit Schellen dran,
Und ihn dann wieder seines Wegs laufen lan.

Einige Bürger gehn nachts fleißig patrouillieren,
Um etwa verborgene Diebe aufzuspüren,
Und melden es immer durch der Klapper Getön,
Woher sie kommen und wohin sie gehn.

Es ist befohlen, daß jeder vor seiner Tür fleißig putze,
Weil die Straßen beständig stinken von Mist und Schmutze;
Denn es gibt, wie Dir bekannt ist, allhie
Viele Kühe, Schweine und andres Vieh.

Man spricht von noch mehr Projekten im hiesigen Staate,
Allein sie beruhn noch bloß heimlich im Senate,
Welcher mit aller Anstrengung und Macht
Aufs Wohl der Bürger tagtäglich bedacht.

Hier ist angekommen eine Puppenspielerbande,
Die schleppet gewaltig viel Geld aus dem Lande,
Vornehme und Geringe gehen täglich viel,
Um zu besehen das herrliche Spiel;

Vorgestern haben sie »Doktor Fausts Leben«,
Gestern die »Heilige Genoveva« gegeben,
Und am heutigen Abend gibt man
Die gräßliche Tragödie von »Don Juan«.

Was nun noch betrifft Deine hiesigen Verwandten,
Freunde oder sonstigen Bekannten,
So ist da des Dinges noch mancherlei,
Was Dir zu wissen angenehm sei.

Deinen Sukzessor, den bewußten Nachtwächter,
Findet die ganze Bürgerschaft je länger je schlechter,
Denn er tut meistens die nächtliche Pflicht
So recht, wie es sich gehöret, nicht.

Er kann lange nicht so gut wie Du ehmals blasen,
Singet auch etwas undeutlich durch die Nasen,
Deswegen spricht man durchgehends hier
Noch immer mit allem Ruhme von Dir.

Herr Schneller pflegt sich oft bei mir zu erkünden,
Wie es stehe mit Deinem Wohlbefinden;
Er kuriert noch immer frisch drauf los
Und purgiert mit seinen Pillen klein und groß.

Vetter Kaspar hat gestern den Ehbund erneuert
Und seine goldne Hochzeit hoch gefeiert,
Doch über die Freude, die da regiert,
Haben sich viele Bürger mokiert;

Weil mancher guter Ehemann wohl eben
Solche Jubelei nicht verlangt zu erleben,
Denn die Zeit kam ihm zu lang an
Mit seinem teuren Ehegespann.

Der junge Kunz hat 'ne Erbschaft erworben
Von 'nem reichen Onkel, welcher gestorben.
Und was dieser geizig zusammengescharrt,
Verzehrt jener nun mit guter Art:

Er hält Kutschen, Pferde und Mätressen,
Beschäftigt sich täglich mit Spielen, Trinken und Essen
Und ist für 100 Reichsgulden bar
Neulich geworden ein Hofrat gar.

Ich leide zuweilen mancherlei Schmerzen
Bald im Kopf, bald im Magen, bald am Herzen,
Bald geht's mir im Leibe rundherum,
Herr Schneller nennt's Malum historicum:

Ich kann aber gemeinlich diese Plagen
Mit 'nem Schlückchen Kümmel oder Anis verjagen
Deswegen nehm' ich abends und morgens davon
Gewöhnlich eine etwaige Portion.

Dein zweiter Bruder zieht fleißig auf Kirmsen und Messen,
Ihm fehlt es nicht am nöt'gen Unterhalt und Essen;
Denn er führet noch immer lobesam
Seinen kleinen Nürnberger Puppenkram.

Er hat sollen Ratmann hieselbst werden,
Fürchtet aber die rathäuslichen Beschwerden,
Denn man geht alle vierzehn Tage 'rauf
Und sitzt da und sperrt das Maul weit auf;

Und die etwa damit verbundne Ehre
Lohnet kaum, daß man sich drum beschwere;
Denn außer einem Hasen und 'nem Viertel Wein
Bringet der ganze Dienst nichts ein.

Dein ält'ster Bruder mit dem häßlichen Weibe
Sucht sich auswärtig allerlei Zeitvertreibe;
Denn er hat zu Hause sein Kreuz
An seines Weibes Gesicht und Geiz.

Was betrifft Deine ält'ste Geschwister,
So lebt diese mit ihrem Gatten, dem Küster,
Noch immer in ehlicher Einigkeit,
Ausgenommen dann und wann 'ne Kleinigkeit.

Er hat andershin einen Ruf bekommen,
Aber denselben weislich nicht angenommen,
Denn sein hiesiger Dienst nährt ihn treu
Und er wird reich und porkulent dabei.

Deiner Schwester Gertrud ihren wackern Knaben
Vom Prokrater Geier hat man vor kurzem begraben;
Übrigens lebt besagte Schwester Gertrud
Als Putzmacherin hieselbst wohlgemut.

Schade, daß der Junge nicht mehr am Leben!
Er hätte auch einst 'nen guten Prokrater abgegeben;
Denn er war an Einfällen sehr schlau
Und im Fordern und Nehmen fix und gau.

Die andre Schwester hat noch beim alten
Witwer treulich bisher ausgehalten,
Und als eine wack're Haushälterin
Pflegt sie ihn noch immer und wärmet ihn.

Was endlich betrifft Deine jüngste Schwester,
So ist sie noch immer die vorige gute Esther,
Sie nimmt vorlieb mit geringer Kost
Und gereichet mir zur Stütze und zum Trost.

Möchte wünschen, daß 'nen reicher und vornehmer Mann käme
Und das Mädel zu seiner Ehegattin nähme;
Denn findet sich nicht eine gute Partie,
So heiratet sie, wie sie versichert, nie.

Denn sie ist gar nicht aufs Mannsvolk beflissen,
Hält nichts von Tanzen, Pfänderspielen und Küssen,
Ist auch, wie sonst die meisten Mädchens, nicht
Aufs leidige Romanenlesen erpicht.

Judex Squenz ist vom Fürsten kassieret,
Weil er oft zu parteiisch hat judizieret;
Hier trügt also vom Krug das Sprichwort nicht:
Er geht so lange zu Wasser, bis er bricht.

.

Ich hätte Dir zwar gern mehr wollen schreiben,
Lasse es aber bei diesen paar Zeilen diesmal verbleiben;
Vielleicht, ob Gott will, schreibe ich schier-
künftig etwas ausführlicher Dir.

Alle Freunde und Lieben lassen Dich herzlich grüßen,
Und weil die Post abgeht, will ich eilig schließen.
Ich verbleibe immer mit dem zärtlichsten Sinn,
Deine liebe Mutter Witwe Jobs Schnaterin

Ich muß noch eben zu Deinem Ergötzen
Ein kleines Postskriptchen hier nachsetzen,
Denn es fehlet mir, dem Himmel sei Dank! hier
Weder an Zeit, noch Tinte, noch Papier.

Gevatter Theis ist vor anderthalb Wochen
In den Ehstandskittel förmlich gekrochen,
Die Hochzeit war lustig, doch höre ich heut,
Die ganze Affäre sei ihm schon leid.

Nichte Trine hat von ihrem lieben alten
Kobus neulich ein Kind erhalten,
Doch durchgehends glaubet und denket man,
Daß er selbst wenig darzu getan.

Herrn Thums seine Porzellanfabrikaten
Wollen bisher noch nicht recht geraten,
Denn es fehlet an guter Erde nicht nur,
Sondern auch an Arbeitern und Glasur;

Überhaupt scheinen vernünftige Dinge und Fabriken
In unserm Städtlein nicht recht zu gelücken;
Ob's am Klima oder sonstwo fehlt,
Lasse ich an seinen Ort gestellt.

Man will eine Lesegesellschaft hier errichten
Von Historien und anmutigen Gedichten,
In dem Verzeichnis finde ich mit
Den »Eulenspiegel« und »Gehörnten Siegfried«.

Der alte Schmudel aus dem Hebräerorden
Hat's Judentum quittiert und ist Christ geworden;
Dagegen bei uns manch sogenannter Christ
Ein unbeschnittner Jude längst war und ist.

Der Kaffee ist im Preise sehr hoch gestiegen,
Dies erregt allgemeines Mißvergnügen,
Denn in diesem ausländ'schen Produkt
Wird hier mancher Gulden verschluckt.

Ich höre, man will Deine Taten und Dein Leben
In Dortmund verbessert und vermehrt herausgeben,
Denn sowohl lust'ge als ernsthafte Herrn
Lesen von Dir und Deinen Taten gern.

Herr Schlauch wird, wie ich von Herrn Schneller vernommen,
Bald die Schwindsucht an den Hals bekommen.
Ich schließe nunmehr vergnügt und bin
Ut supra, deine Mutter Schnaterin.


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