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Sturmnacht

Ein grauer Alltag wie viele, in unsteter Arbeit zerpflückt, ohne segenschwere Müdigkeit am Ende. Und ein Juliabend im Garten, heiß und dunstig, unter dem Baum und Strauch lautlos in schwarze Nacht sich lösen, ein totenstilles Verlöschen alles Sichtbaren, kein kindermüdes Schlafengehen.

Im Zimmer erdrückende Schwüle, trockene, stehende Luft. Eine Zeitlang habe ich gelesen, dann das Licht gelöscht. Nun liege ich still und starre ins Dunkel. Bilder der verflossenen Tage steigen wieder auf, mit ernstem, verändertem Gesicht, nachdrucksam, irgend ein hartes Wort, eine allzu flüchtige Arbeit, eine kommende Möglichkeit, hartnäckig, bald drohend. Ein Versagen raunen sie zu, ein Verzweifeln am Werk wollen sie versichern. Dann flüchtet aus dem Netz der quälenden Vorwürfe die einsame Seele wie vors Tor ihrer festen Tagesburg und sieht verlegen, hilflos in die schwarze Nacht. Und Vorwürfe fallen sie wieder an wie geifernde Hunde. Was der Tag gebracht an Arbeit und Streben, klein sieht's aus, jämmerlich dem Untergange zutreibend. Im Hintergrunde lauert die Zukunft und am Ende steht der Tod, unentrinnbar – unentrinnbar! Nach schwarzverhangenen Tagen herabdrückenden Leides um die Lieben, lähmenden Entsetzens, das trostlose, harte Scheiden von Licht und Leben. Unruhig schlägt das Herz. Ich weiß: Das feste Haus, in dem die Seele wohnt, ist mürbe schon seit langem. Schon klopft der Totenwurm im Gebälk. Zögernd schlägt es vom Kirchturm. Wie schwere Tropfen fallen die Stunden ins Meer der Ewigkeit. Noch wenige Jahre abnehmender Kraft, stillen Wehrens und ich stehe am Ufer. Und neben mir gehen ruhig und gleichmäßig die Atemzüge meines lieben Weibes. Eines der Kinder flüstert auf im Traume wie ein kleiner Vogel im Nest und versinkt wieder in den weichen Kinderschlaf, voll arglosen Vertrauens in den Schutz des Vaters.

Ich horche auf die Straße.

Da wischt es am Boden dahin, eilig, fast lautlos, mehr geahnt als erlauscht. Und schon ist es an den Fensterbalken, weich, wie tastend und wieder versinkend. Kleine Steinchen springen durch den Kamin, auf dem Dachboden oben schlürft es wie weicher Katzentritt. Und nun ist's auf. In kurzen Stößen lüpft es die weichen Schwingen, wächst in Teilen einer Minute zum gewaltigen Brausen, drückt und prustet gegen die Scheiben und wuchtet schon wieder brüllend auf ungeheuren Geierflügeln über Land und Meer in weitem, unwiderstehlichem Schwunge. Von fern her heult ein Hund – er wittert eine Feuersbrunst, sagten wir als Kinder. Ein Wagen jagt auf der Gasse drunten heimzu durch Nacht und Sturm. Türen schlagen. Ein Fenster klirrt im Nebenhause aufs Pflaster. Und dazwischen heult mit grausigen Urwaldskräften der Sturm, bald weich geduckt, bald brüllend aufgebäumt. Dann wieder Totenstille.

Da knistert es auf der Diele und fängt die Sinne rasch ins Enge. Im Holzwerk knackt es, erst drüben bei der Tür, dann am Spind. Jetzt ist es ganz nahe am Lager, wie weiches Streifen von Kleidern. Und aus dem Dunkel starrt es mich an mit kalten Mörderaugen, der Schrecken meiner Kindertage, die Furcht des Menschen vor dem Menschen, die schnürende Angst vor dem Tode, der mit harter Knochenfaust ins warme Leben faßt. Im Lauschen schlägt das Herz fast hörbar gegen die Rippen.

Und da plötzlich ein scharfes Pfauchen aus heiserem Riesenrachen, das losbricht zum wildbrausenden Wehruf weithin übers schlafende Tal. Das Nebelhorn – Feuer!

Ich springe ans Fenster. Da steht der Himmel in blutiger, ungeheurer Lohe. Ganz nahe droben im nächsten Dorfe brennt es. Hinterm schwarzen Gitterrost der Obstbäume flammt eine wallende Hölle und sprühende Funkengarben stieben hochauf in den Himmel. Übers Pflaster drunten ein klapperndes Laufen, erst wenige, mit hastendem Raunen, hinterher ruft eine Stimme: »Feuer, Feuer!« Und bald hetzt ein schwarzer Schwarm durch die Straßen in keuchender Hast. Rot bricht es durch die Gasse, gegenüber auf dem Platz, zur Seite des rasselnden Wagens schwarze Gestalten. Helme blitzen auf, warnend ruft das Horn. Die Feuerwehr! So wälzt es sich die Bergstraße hinan. Beim Haus an der Ecke droben, das bis ans Dach erstrahlt im Widerschein der Glut, stutzen die Pferde. Ein sausender Peitschenhieb und in prachtvollem Schwunge setzen die Hengste durch die blutigrote Gasse bis nahe ans Ziel.

Ein weiter Hof im Viereck. Vor der dichten Kette der Menschen schlägt aus dem schwarzen Balkenwerk des mächtigen Stadels die feurige Lohe schon überm Dach zusammen. Ein Prasseln und Knattern ist das, ein hastiges, gieriges Fressen rundum, ein schmatzendes Lecken der Flämmchen und Flammen, das überm stürzenden Sparrenwerk sich aufbläht zur wirbelnden sausenden Brunst wie ein ungeheures Scharlachtuch, von stiebenden Funken durchsternt.

Über tiefen, erlösten Atemzügen trinkt das Auge das fremde Bild. –

Zunächst dem Feuerherd ein Kreis von Heroen, mit weit ausholenden Gebärden und überlauten, hastigen Zurufen, doppelt gespornt vom jähen Anlaß und den Blicken der Menge. Die aber steht müßig. Die erst noch beklemmende Angst verströmt, verebbt im bloßen Schauen, wie das entsprungene Untier nun in Bande geschlagen werden soll. Der seltene Aufriß der Gefühle ist niedergesunken ins breite Bett kleinbürgerlicher Neugier, billiger Hilfsbereitschaft. Man erzählt und fragt, man krittelt, rät und ordnet an, greift zu und läßt los und drückt sich wieder in die Menge. Eine Schar junger Burschen höhnt raunend die Wehr und belästigt Frauen und Mädchen. Am dunklen Tümpel unten arbeiten einige an der Pumpe, still, keuchend und ungesehen. Schon wandern die Eimer. Manch rasche Frauenhand drückt sie die Zeile entlang den ungeschickten Männern zu. An einer fernen Ecke reißt ruhig und ganz für sich ein alter italienischer Maurer Stangen aus dem Feuerkreis, ein ziemlich müßiges Beginnen, aber voll ernster, eindrucksvoller Hilfsbereitschaft. Eine alte Magd hat schweigend und sicher die letzten Tiere aus dem Stall getrieben, in stiller, treuer Tätigkeit. Der Bauer selbst, eine riesige Gestalt mit rauchgeröteten Glotzaugen, erscheint zuzeiten auf dem breiten Antrittstein des abseits gelegenen Wohnhauses, starrt abwesend in die Menge und greift hilflos wieder zur Tabakpfeife. Abseits im Schatten rafft unbeachtet ein altes Weiblein Ackergerät und allerlei Kleinkram zur Seite und fährt eilig mit dem Strandgut in die Büsche. Da und dort erliegt vielleicht einer noch der Versuchung im Finstern.

Der äußerste Kreis der Umstehenden besteht aus reinen Schlachtenbummlern, die sich am seltenen Feuer das matte Gefühl wärmen. Da drückt sich manch Pärchen im Hintergrund die Hände, manch verwegener Scherz nützt den unvermuteten Anlaß. Die junge Schauspielerin, die zur Sommerfrische im Orte weilt, steht im leichten Nachtkleide, ein Seidentuch um die jungen Brüste geschlungen, und starrt wie gebannt in die Glut. Dahinter flüstert ihr der Artillerieleutnant heiße Worte zu. Sie antwortet mit weicher, zögernder Stimme, die wie auf Samtpfoten geht, als ob die knatternde Lohe ihre Sinne gefesselt hielte. Und schmiegt sich wieder mit einem Ruck der schlanken Schultern in den Schal. Scharlachrot glimmt die Glut in ihren Augen, wie sie regungslos ihre starke Sinnlichkeit auf den Begleiter wirken läßt.

Das Feuer ist eingedämmt. Immer breiter werden die schwarzen Felder, die der zischende Wasserstrahl ins rote Balkenwerk zeichnet. Die Wolken darüber sind nur mehr zartrot erleuchtet und darunter flattern heimatlos weiße Tauben wie Liebesgötter auf einem Bilde Watteaus. Die Zuschauer klappern plaudernd heimwärts. Doch für die Willigen gibt es noch lange Arbeit. Der Bauer erzählt nun, ruhiger geworden, seine Vermutungen über den Ausbruch der Brunst. Der Schaden ist durch Versicherung gedeckt. Langsam schreite ich als einer der letzten heimzu. Schon graut im Osten der Tag und aschgraue Wolken beginnen sich rubinrot zu säumen. Einsam und verschlafen liegt die hallende Gasse im fahlen Licht des ersten Morgens. Ein leises Sporenklirren hinter mir: Mars schlüpft aus dem warmen Tempelchen Thaliens. Die Schwalben zwitschern an den Dachrinnen, in den Kronen der Kastanienbäume schimpft das Spatzenvolk.

Ich trete ins Haus. Im tiefen Morgenschlafe träumen die Meinen. Ich schaue aus dem Fenster. Weißer Dampf wogt noch droben über der Brandstatt. Aber über den jungen Sommermorgen ziehen die ersten Sonnenpfeile hin, in taufrischem Prangen liegt unter mir der Garten. Die Schrecken der Nacht sind verflogen, verflogen im wehenden Morgenwinde die trüben, schwächlichen Sorgen und mählich erwachen die Stimmen des köstlichen, starken Lebens.


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