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Ostern

So war's vor Jahren gewesen: Weiße Ostern. Über Nacht war Schnee gefallen, großflockig und daunenweich, daß des Morgens die ganze Frühlingsherrlichkeit unter schimmernden Lasten verschüttet lag. An den Birnbäumen trug jedes Blütensträußlein ein lockeres Schneehütlein und wenn man ganz nahe herantrat, sah man durchs sprossende Gezweig weit, weit hinten ganz klein ein Stücklein Alm, in stäubenden Schneesturm gehüllt, der die Kammlinien im Wirbel leicht auflöste und den fernblauen Hochwald fein überzuckerte. Und doch konnte man dem Winter nicht mehr glauben: Bald stachen die saftgrünen Grasspitzen wieder durch die weiße Decke und wenige Stunden später lagen die dampfenden Ackerfurchen wieder braun und glänzend unter der blitzenden Aprilsonne. Über die Schollen lief ein Wispern und Raunen, vom Kirschbaum schlug der Fink und bis in den hohen Himmel hinein trugen die Lerchen ihre frohen Marienlieder.

So war der Sturm sieghaft abgeschlagen und des Nachmittags lag weitum das Land still in den harten Farben des Frühlings, aber warm erschlossen und keimgewärtig, wie in der strengen Schönheit eines jungen Mädchenkörpers, unter dessen herben Reizen ein heißes frauliches Blühen drängt.

Doch nicht die weite Gotteswelt allein rüstete zur Auferstehung; war's doch Karsamstag. Der zog mit seinen Mysterien in die Kirche. Die lag düster verhängt im schweren Dunkel, wie weltenfern vom sonnigen, drängenden Frühling draußen, in der beklemmenden Todestrauer des ersten frühen Christentums. Mächtige Bretterbogen waren als marmornes Grabgewölbe gemalt, mit fremdländischen Pflanzenbüscheln in den Ritzen. Zwei römische Krieger mit Schild und Lanze hielten zu beiden Seiten die Wache. In die Bogen waren farbige Glaskugeln eingefügt, die ein magisches blaues und rotes Licht warfen in die schmale Gruft, darin der tote Heiland ruhte. Und durch den hohen dunklen Raum tönte im harmonischen Dreiklang das Gebet der Pfarrkinder, die gemeindeweise ihre alten Betstunden hielten, heute wie vor Jahrhunderten.

Aber mit der steigenden Stunde lief es wie eine leise Unruhe durch die Menge. Das Gebet verklang und ein erregtes Schweigen lag in der düsteren Halle, die sich unmerklich drückend gefüllt hatte.

Da tönt erlösend der nächste Stundenschlag ins unruhvolle Gedränge. Und wie durch Zauber wandelt sich das Bild. Eine einzelne Stimme hebt an aus der Kirchenmitte. »Hallelujah«, klingt's, zögernd erst, dann fester und in steigender Höhe, dreimal. Und jetzt: »Der Heiland ist erstanden«, tönt's befreiend durch den Raum, froh zitternd und doch kraftvoll. Rauschend sinken die schwarzen Vorhänge nieder, flutendes Sonnengold fällt durch die hohen Fenster, die dröhnend klirren vom krachenden Pöllerschall und brausend und prangend fällt die Musik in jubelnden Hymnen ein zum Preise des wiedererstandenen Heilands. Als ob der lastende Bann gebrochen, drängt alles ins leuchtende Abendgold vor die Kirche, zum Umzug. Voran die alten Kirchenmusikanten. Die blasen einen Ostermarsch auf, streng gesetzt voll altfränkischer Kraft im Prunkstrahl der Trompeten und Hörner, umspielt vom Kleinschmuck der Klarinetten und Flöten. Und so frei und sieghaft steigt die alte Weise in die frische herbe Frühlingsluft, daß sie den alten Musikanten selbst das Herz wärmt. An ihrer Spitze, fest ausschreitend, mein lieber alter Schulmeister Fraidl im zimtbraunen Rock vom feinsten Tuch. Wie ein Bild der guten alten Zeit selbst hebt sich der scharfe Charakterkopf aus der hohen schwarzen Halsbinde. Einmal im Jahre nur bläst hier der Meister der Instrumente die lange altmodische Zugposaune, taktfest im strengen Rhythmus der Weise, daß die weißen Haare ums kahle Haupt wehen.

So klingt das alte Osterlied um die Kirche, quellend manchmal und manchmal quiekend, als ob aus dem dankbar gebrachten Triumphgesang bisweilen ein Tränlein der Rührung oder juckender Weltlust spränge.

Hinter den Bläsern aber wird der schwankende »Himmel« auf Stangen getragen, von Weihrauch umschleiert, schimmernd darunter in Gold und Brokaten die geistlichen Gewänder, daß das Holzbild des Auferstandenen in den erhobenen Händen des Kirchendieners kleinbescheiden vor dem Prunk des Geleites einherzieht. Und um diesen wandernden Strahlenkern der Feier schwankt ein wogendes Meer andächtig gesenkter Köpfe, barhäuptig die Männer, in buntem Farbengewimmel der Kopftücher die Weiber, schiebt sich, fließt ineinander und drängt dem Weihrauch und den bimmelnden Glocken nach, bis das schwarze Kirchentor wieder die flutende Menge verschlungen. Noch klingt ein feierliches Preislied aus der nun strahlenden Kirche und bald verläuft sich das Volk durch Fluren und Wälder in den stillen Osterabend.

Da und dort löst sich noch ein Pöllerhall, dann sinkt der Abend.

Doppelt eindrucksvoll nach lautem Menschenprunk liegen die Täler und Berge. Dann tun die einsamen Bergbauernhöfe die stillen Lichteraugen auf und lauschen kinderfromm in die schwarze Frühlingsnacht. Und die trägt bald im schweigenden Rund der Berge die Flammenzeichen einer anderen Feier, die aus grauer Urzeit allnächtlich zur Osterzeit hineinragt noch in unsere Tage. Am »Turnbauerkogel« flammt der erste Holzstoß auf, heute wie vor zweitausend Jahren. Noch ruhen unterm Weinbergrasen die Reste einer vorchristlichen Opferstätte, eines späteren Römerturms. Wer weiß es heute? Nur im Namen noch klingt die einstige Bedeutung der ragenden Warte leise nach. Wie mag sich hier noch jahrhundertelang altes Heidentum und junger Christenglaube halb unbewußt gemischt haben in den roten Feuern der Osternacht, die nun allgemach auf allen Höhen ringsum aufschlagen. Und die in stiller Erregung im lohenden Scheine stehen, sie wissen noch manch raunende Sage, manch wundersamen Brauch aus alter Zeit. Was hinter Urgroßvaters Erzählungen liegt, versinkt fürs Bauernvolk schon im Dunkel der Vorzeit, durch keine teilende Marke im Zeitenstrome geschieden. Mochte ihr Vorfahr vor tausend Jahren in mächtigem Schwunge durchs Feuer gesprungen sein, einen heißen Spruch des Segens oder des Fluches auf den Lippen, im Grunde ist es heute wie damals der gleiche Bann eines heiligen Naturdienstes, unter dem sie stehen. Heute wie vor tausend Jahren trägt der hallende Jauchzer, wenn er über die schweigenden Täler klingt, das unbewußte Frühlingsglück des Weltalls und eine heiße Lustwelle des kurzen Einzellebens auf seinen Flügeln.

Die Feuer sind gesunken, die jauchzenden Stimmen verhallt.

Wie ein weiches Atmen streicht der Frühlingswind über die schwarze Erde. Diese kurzen Stunden der Ruhe alles Lebenden, sie wirken – fast schämt man sich, es zu sagen – wie eine künstlerische Pause, eingefügt, um das Kommende zu steigern. Denn nun wird es im Osten allmählich grau, hallende Stimmen der Nacht versinken hinten im Tann, das Frührot steigt auf in zitternden Wellen, krönt wachsend die weißen Almen mit rosigem Schein, weckt da und dort schlaftrunkene Vogelstimmen und bald klingt unterm flammenden Sonnenball ein jubelndes Tedeum über die taublitzenden Halden. Schwingender Glockenklang vom Tale drunten und Pöllerschall weit in der Runde aber knüpfen den hoffnungsfrohen Abend an den prangenden Ostermorgen.


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