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Aus finsterer Zeit

Hundertjährig war die alte Almwirtin zu Lankowitz, Martha Meßnerin, am 7. Dezember 1671 zusammen mit ihren zwei Töchtern und einem Enkelkinde als Hexe ins Grazer Rathaus eingeliefert worden. Schon im Sommer waren Gerüchte umgegangen, die sie und ihre Sippe neben anderen der Zauberei bezichtigten. Der Betenkramer zu Lankowitz, Thomann Sagmeister, und der Buttenträger des Klosters, Urban Schober, waren die Hauptankläger. Vielleicht, weil sie hofften, dadurch einem gefährlichen Gerede zuvorzukommen; denn, wie die Folge lehrte, wurden beide durch die Aussagen der Frauen arg belastet, und es gelang wenigstens dem ersten nicht mehr, den Hals aus der Schlinge zu ziehen. Mit Ausnahme zweier Bäuerinnen stammten die Beschuldigten aus der trüben, beweglichen Unterschichte landfahrenden Bettelvolkes. Almhalter und Dirnen, quartierende Soldaten, Meister in der »Passauer Kunst« und entlaufene Studenten fanden sich mit dem Abhub der Ortsrücksassen zu jenen hartlebigen Zeiten in Diebsherbergen, verfallenen Kellern und anderen Orten und heckten Pläne aus, den stets mageren Ranzen zu füllen. Auch aus dem Lankowitzer Neste waren der »Großfozete Leyrer«, der Kaspar, der August und andere Bettler beim ersten Auftauchen des Gerüchtes spurlos ins obere Murtal verstoben, so daß der Verwalter der Herrschaft Lankowitz, Herr Matthäus Rosolenz, nur auf die sechs Genannten greifen konnte, als er im November von der Grazer Regierung den Befehl erhalten hatte, nach den Malefizpersonen zu fahnden.

Das Richterkollegium, das am 9. November die Verhöre begann – ich erzähle alles nach Aktenauszügen aus dem Grazer Statthaltereiarchiv –, bestand aus dem Grazer Stadtrichter Simon Hinkher, dem Ratsschreiber und drei Ratsverwandten. Schon hatte sich in den zahlreichen steirischen Hexenprozessen des 17. Jahrhunderts – die abgelegenen Landgerichte Rein und Feldbach waren die Hauptnester, in die man immer wieder griff – jene stets wiederkehrende Fragestellung, gütlich oder unter verrucht ersonnenen Folterqualen, ausgebildet, deren trocken geschäftsmäßiger Formalismus sich so entsetzlich vom grausigen Hintergrunde der Handlung abhebt. Der Pakt mit dem Teufel, die Buhlschaft mit ihm, gelegentliche wüste Orgien auf Bergesgipfeln und in verfallenen Schlössern, das »Wettersieden« und »Schauerrühren« gegen mißliebige Nachbarn oder aus reiner Bosheit, die Schändung der Hostie, die Verhexung von Mensch und Vieh waren die Untaten, derenthalben die Unglücklichen gewöhnlich vor Gericht gestoßen wurden. Als Hexentanzplatz hat für Steiermark an erster Stelle der Schöckel alten Ruf, dann der Stradnerkogel, der Gleichenberger-, Wildoner-, Pleschkogel, die Stubalpe. In unserem Falle waren das Schloß zu Krems und der Kogel ober St. Johannes der Schauplatz des nächtlichen Spukes. Daß so uralte Leute wie die hundertjährige Almwirtin vor die Hexenrichter kamen, war nichts allzu Seltenes. Die Anna Moseggerin, ein gutmütiges altes Weiblein, das anno 1647 zu Ober-Voitsberg vor dem berüchtigten steirischen Bannrichter Dr. Andreas Barth und sechs Voitsberger Ratsbürgern auf die gleiche Beschuldigung hin treuherzig ihr gutgemeintes, abergläubisches Wirken für Mensch und Vieh zugab, wurde als hundertviereinhalb Jahre alte Greisin das Opfer eines entsetzlichen Justizmordes. Man hat sie nach der Folterung nach einstimmigem Urteil »auf der Tratten« zu Voitsberg mit dem Schwerte hingerichtet. Und Hans Tröpl, der 1589 im Landgerichte Rein des gleichen Verbrechens angeklagt saß, war ebenfalls hundert Jahre alt. Die Wunderlichkeit des hohen Greisenalters, in dem uralter Volksaberglaube sich vielleicht oft mit Gesichts- und Gehörhalluzinationen zu einem wirren Netz verwoben, war der Umgebung unheimlich, und die zähe, lästige Langlebigkeit gab den Gerüchten immer wieder Nahrung.

Beim ersten gütlichen Verhör leugnete die Greisin standhaft auf alle Fragen um ihre Zauberkünste an Mensch und Vieh, um die Bekanntschaft mit dem Teufel, um nächtliche Flüge und Schmausereien auf dem Schlosse zu Krems und wußte auch keine Mitschuldigen anzugeben. Doch als sie nächsten Tages im Reckturm an der Leiter gestreckt wurde, erpreßten ihr die Qualen ein Geständnis. Vor vierunddreißig Jahren schon habe sie sich auf der Rachalm dem Teufel verschrieben, Anderlmann heiße er, habe sie oft zu sündiger Buhlschaft verlockt. Mit ihren Töchtern sei sie zu öfterenmalen ins Kremser Schloß geflogen, dort habe man gegessen, getrunken und getanzt und dergleichen … Fliegen und Wettermachen könne sie gar wohl. Zu Fernitz habe sie einmal einen Schauer helfen machen, wären bei fünf Tische Zauberer beisammen gewesen. –

Ihr Tod am Christtag – wohl eine Folge der ausgestandenen Tortur – entzog sie dem Hochgericht, doch wurde ihr Leichnam am 28. Dezember auf einem Scheiterhaufen von acht Klaftern Holz verbrannt.

Auch die Tochter der Almwirtin, die vierzigjährige (?) Marie Meßner, bekennt sich im gleichen Verhöre zuerst als unschuldig. Auch die Gegenüberstellung ihrer zehnjährigen Tochter Ursula, die der Mutter »unerschrocken« unters Gesicht sagte, es sei wahr, daß sie aufs Schloß Krems und nach St. Johann geflogen sei und mit ihrem schwarzen Liebhaber gegessen und getanzt habe, änderte ebensowenig an ihrem Leugnen wie die Folter an der Leiter und im spanischen Stiefel an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Erst am dritten Tage tut die fortgesetzte Tortur ihre Schuldigkeit und erpreßt dem gequälten Weibe ein vorläufiges Geständnis: Vor drei oder vier Jahren sei sie von ihrer Mutter und dem Betenmacher zur Zauberei gebracht worden. Im Rafflergraben habe sie sich dem Teufel verschrieben. Seither sei sie mit ihrer Mutter, mit der Schwester Christine, mit ihrer Tochter Ursula, mit dem Betenkramer zu Lankowitz und seinem Weibe sowie mit den Bäuerinnen Andrä Negelin und Eva Dräxlin oft ins Kremser Schloß geflogen! Dortselbst hätten sie gegessen, getrunken und getanzt. Ihr Schwarzer habe Blaßlmann geheißen. Mit den genannten Personen habe sie im Rafflergraben ein grausames Wetter geführt. Aus einem »Donnerstrahlen« und »Hittreich« (Arsenik) hätten sie eine Salbe gemacht, sich damit unter den »Irchsen« (Achseln) eingeschmiert und seien ausgeflogen. Das Wetter sei hinter ihnen hergefahren, über Salla, nach Hirschegg und St. Hemm auf den Lankowitzer Berg und endlich in das Schloß zu Krems. Dabei blieb sie auch, als ihr die angeblichen Mitschuldigen, die man mittlerweile eingezogen hatte, am 7. Jänner 1672 gegenübergestellt wurden. Erst am nächsten Tage widerrief sie gleich ihrer Schwester die Beschuldigung gegen die anderen mit der Angabe, sie habe sich an den bösen Menschen rächen wollen, die sie schuldlos in so schwere Not und bittere Verzweiflung gebracht hätten. Die heilige Hostie habe sie nur einmal verunehrt. Neuerlichen Qualen gegenüber – am 9. Jänner ward sie durch vier Stunden auf die Spitzen des Hexenstuhles geschnallt – blieb sie standhaft. Ihre Mutter, die Schwester Christl, ihr zehnjähriges Dirndl Ursula und die dreizehnjährige Ursula Dräxlin seien aber doch immer mitgewesen. Andere Zauberer wisse sie nicht anzugeben.

Die fünfzigjährige Christine Meßner, die zweite Tochter der Almwirtin, leugnete zuerst ebenfalls. Doch auch sie machte die Tortur gefügig. Schon vor zwanzig Jahren habe sich ihr der Teufel in menschlicher Gestalt genähert. Stindelmann heiße er, er habe ihr auch das Zeichen auf dem Kopfe gemacht (das stets so eifrig gesuchte Hexenmal), habe sie zur Verleugnung der heiligen Dreifaltigkeit und zur Verunehrung der Hostie angeheißen. Auch sie belastet den Betenkramer schwer, ebenso die Mutter, die Schwester und die Kinder. Auf dem Schlosse zu Krems hätten sie alle getafelt, die Zellerin zu Köflach habe gekocht und den Wein aufgetragen, die Negelin habe etwas in einem Glase gehabt, damit habe sie können Schauer rühren. Habe auch die anderen mit einer Hexensalbe angeschmiert, daß sie ausfliegen konnten. Auch sie gibt aus Rache ihre Angeber als Mitschuldige an. Einmal habe sie die Hostie aus dem Maul genommen, zwei habe sie in der rechten Achsel eingenäht, doch konnte die Untersuchung durch den Freimann dort keine »Masen« (Narbe) entdecken. Neuerliche Folterungen verändern dies Geständnis nur in unwesentlichen Dingen. Zum Fluge sei sie von der Mutter mit einer grünen Salbe bestrichen worden, die sei gemacht gewesen aus St.-Johannes-, Dreikönig-, St.-Stephans-Wasser und Hranabetten. Damit hätten sie auch die Hagelwetter und großen Wind gemacht. Ihrer (stummen und blödsinnigen) Tochter Schwarzer heiße auch Blaßlmann. Von ihm trüge sie auch das Zeichen am linken Arme (auch das konnte der Freimann nicht finden). Auf ihres Stindelmann Verlangen habe sie einstmalen nach der Kommunion die Hostie aus dem Maul genommen, außerhalb des Freithofes auf die Wiese getragen, auf die Erde gelegt und mit Füßen getreten in des Teufels Namen. Darauf habe der Teufel die Hostie mit der Hand aufgeholt, wohin er sie getan, wisse sie nicht.

Mittlerweile waren die beiden Kinder, die zehnjährige Ursula Meßnerin und die dreizehnjährige Ursula Dräxlin, wohl infolge der ausgestandenen Schrecken, erkrankt und lagen vom 23. Dezember 1671 bis zum 10. Februar des nächsten Jahres im Spitale. Trotzdem wurden sie am 9. Jänner dem Verhöre beigezogen. Ursula Meßnerin belastete ihre Mutter und die Großmutter schwer, gibt an, wie diese sie und andere mit der Salbe angeschmiert und das Fliegen gelehrt hätten. Zum Hexentanz habe der Schwarze mit der Fiedel aufgespielt. Ihre weiteren Aussagen lassen auf frühe sittliche Verderbtheit schließen, wie sie unterm fahrenden Volk jener Tage wohl gang und gäbe war.

Auch die dreizehnjährige Ursula Dräxlin sagt gegen ihre leibliche Mutter, die Bäuerin Eva Dräxlin, aus und wirft ihr Zauberei und Hexenflug, nächtliche Gastereien und das Wettermachen vor. Ober Lankowitz habe die Maidl (Marie Meßnerin) am Auffahrtstag um zwei Uhr nachmittags ein grausames Schauerwetter gemacht, das alles erschlagen habe. Die Leute hätten in Hagelkörnern graue Haare gefunden, die von der alten Almwirtin Kopfhaar stammten. Die anderen seien auch dabei gewesen und vor dem Schauer hergeflogen. Zusammen mit den anderen seien sie auch einige Male zu Grätz in der Vorstadt in einem Keller gewesen, haben dort getrunken und die Fässer mit eigenem Unrat nachgefüllt. Doch könne sie den Ort nicht mehr angeben. Ihr Schwarzer heiße Hänzerlmann, sei ihr vor zwei Jahren zuerst im Schlosse zu Krems als Bock erschienen, seien gar viel Leut dort gewest. Zum Fluge sei jede auf ihrem Schwarzen gesessen und habe den Spruch gebraucht: »Teufel, jetzt wollen wir heimfliegen, wir befehlen uns in dein Herz und du befiehlst dein Herz in unser Herz.«

Mit der stummen und blödsinnigen Tochter Christine war ein Verhör überhaupt nicht möglich.

Auch das gütliche Befragen der übrigen in den peinlichen Handel verwickelten Personen, des Buttentragers Urban Schober, des Betenkramers Thomann Sagmeister und der Bäuerin Eva Dräxlin von Lankowitz, ergab nichts Neues. Sie leugneten standhaft, seien völlig unschuldig und wurden unter dem Eindruck des Widerrufes ihrer Komplicen aus dem Kerker entlassen gegen die Angelobung, sich auf Verlangen jedesmal freiwillig nach Graz zu stellen.

Am 3. Februar 1672 wurde das Urteil gefällt. Marie und Christine Meßnerin sollten bei dem Hochgerichte auf dem Scheiterhaufen erdrosselt und ihre Körper zu Pulver und Asche verbrannt werden. Die beiden Mädchen, Ursula Meßnerin und Ursula Dräxlin, sollten in warme Badewannen gesetzt und ihnen darin von der Grazer Stadthebamme (die sie auch anstatt des Freimanns um die Hexenmale hatte besichtigen müssen) die Adern geöffnet werden, damit sie sich zu Tode »verblieten«. Sodann sollten ihre toten Leiber auf dem Scheiterhaufen zu Pulver und Asche verbrannt werden.

Die Stumme wurde losgesprochen, weil sie als Blödsinnige nicht sündigen könne. Nicht einstimmig. Ein Beisitzer verlangte, auch sie solle »zerdrosselt und verprennt« werden, daß der Teufel keine Gelegenheit habe, im christlichen Körper zu sündigen. Doch verfügte der endgültige Spruch, daß sie im Landgericht Voitsberg ihre dauernde Verpflegung finden solle.

Das Urteil ist wahrscheinlich am 10. oder 11. Februar vollzogen worden, da die Kinder noch bis zu jenem Datum im Spital verpflegt wurden. Marie und Christine Meßnerin waren vorher noch drei Tage lang auf dem Hochgerichte ausgestellt worden. Die für die damalige Zeit recht beträchtlichen Kosten des Verfahrens (für die Spitalspflege der Kinder, für die Atzung der Inhaftierten, fürs Richterkollegium, für den Freimann und sein grauenhaftes Handwerk – Haare abschneiden, Suchen der Hexenmale, Nadelprobe, acht Torturen, Hinrichtung und Verbrennen – sowie für die verwendeten Materialien von 32 Klaftern Holz zu vier Scheiterhaufen und vier Bund Stroh) betrugen 251 Gulden 10 Kreuzer, doch verringerte sich dieser Betrag durch die bei der alten Almwirtin vorgefundenen 60 Gulden auf 191 Gulden 10 Kreuzer. Der Inhaber des Landgerichtes Ober-Voitsberg, Herr Rudolf Graf von Wagensperg, sollte ihn zahlen. Doch erst, als die Regierung mit der Exekution drohte, ließ er sich dazu herbei.

Der Prozeß hatte im nächsten Jahre noch ein Nachspiel. Der so vielfach bezichtigte Betenkramer Thomann Sagmeister, der die ganze Familie Meßner aufs Hochgericht gebracht hatte, wurde im April 1673 neuerlich eingezogen, zu Ober-Voitsberg gütlich und peinlich befragt und fast sicher auch hingerichtet.


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