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In der östlichen Abdachung der Koralpe liegt ein Kranz von Siedlungen, der klingt lieb und vertraut dem Wanderer wie dem Trinker: Stainz, St. Florian, Landsberg, Schwanberg, Hollenegg, Wies, Eibiswald. Kristallklare Bergwässer rauschen aus grünen Klausen zu Tal und verströmen ruhig zwischen Rebhügeln im feuchtschweren Schollengrunde. Das Sulmtal! – Wie weiches Gleiten klingt's, wie quillendes Drehen in grünen Wirbeln, als ob sich das Wort von selbst verschlissen hätte aus dem » ad Sulpam« der Römer, die damit keltisches Sprachgut bewahrten. Und auch das Leben gleitet behaglich in diesen Gauen dahin, die eine regsame Kleinkultur in treuer Pflege hält. Da steigt die Sonne auf über ernst ausschreitenden Pflügern, schaut zur Mittagsrast in weite Schüsseln und kühle Schilcherkrüge und grüßt beim Scheiden verträumte Täler voll Abendfrieden und Feierklang.
So war's hier gewesen seit Urväterzeiten. Nur selten zogen drohende Wolken auf, wie anno 1482, als der Sackmann auslief aus dem Drau- und Lavanttale und den Türkenschrecken in die Täler warf oder wenn wieder einmal ein Kriegszug gegen Italien Straßen und Wege mit wüstem Soldatenvolk füllte.
So kam's auch zur Franzosenzeit und fand – wenigstens für das Jahr 1805 – einen bodenständigen Chronisten.
» Wieser- und Altenmarkter-Zeitung 1805« steht in verschnörkelter Frakturschrift am Kopfe jeder der vier Nummern eines engbeschriebenen, fünfzehn Seiten starken Heftes, das das steiermärkische Landesarchiv in seiner Handschriftensammlung verwahrt. Der dritten französischen Invasion auf dem Boden unserer grünen Mark gelten diese Aufzeichnungen eines ungenannten Verfassers, und was in den trüben Tagen vom 9. November 1805 bis zum Frühling 1806 Bürger und Bauern jener Gegend an Jammer und Not, an Schimpf und Gewalt zu dulden hatten oder was überdies noch an erschreckenden Gerüchten übers Land fuhr, das findet sich treulich darin gebucht. Dabei stammen die Aufzeichnungen vorwiegend aus der engeren Heimat des Chronisten, aus dem Sulm-, Laßnitz- und Saggautale. Nur wenige Nachrichten kommen aus entfernteren Gegenden, aus Leibnitz und Radkersburg, aus Mahrenberg und Unterdrauburg, ziemlich viele jedoch aus Graz.
Ich kann hier nicht näher eingehen auf die einzelnen Akte, die sich auf der gewaltigen Kriegsbühne des Jahres 1805 entrollten, und erinnere nur kurz an den allgemeinen Charakter dieser dritten französischen Invasion, soweit sie den Boden Steiermarks traf. Abgesehen von dem unglücklichen Zuge des Meerveldtschen Korps über Weyern, Mariazell, Aflenz, Bruck, Graz, der den österreichischen General bei Mariazell über zweitausendfünfhundert Mann gekostet haben soll, gab es in Steiermark nur kleinere Kämpfe und Vorpostengefechte, für die Mittelsteiermark bei Ehrenhausen und am Seggauer Berge. Es waren mehr die wüste Wirtschaft des übermütigen Soldatenvolkes, die unerträgliche Höhe der Kontributionen, die unerschwinglichen Lieferungen und drückenden Vorspanndienste, endlich die erschreckenden Gerüchte über drohende große Schlachten, die immer wieder die geängstigten Gemüter in Atem hielten. Marmonts Herrschaft in Graz dauerte mit kurzer Unterbrechung vom 14. November 1805 bis zum 11. Jänner 1806 und schon Mitte November waren französische Vorposten über Preding und Gleinstätten in Eibiswald erschienen; denn vom Drautale zog Erzherzog Johann, vom italienischen Schlachtfelde über Krain Erzherzog Karl gegen die südliche Steiermark und österreichische Pikets standen zuzeiten am Radlpaß oder hatten die Verhaue auf der Pack zu schützen. Unser Gebiet lag also mitten zwischen den streitenden Parteien, und so konnte die oben angeführte Handschrift oft aus nächster Quelle schöpfen.
Allseits hielt man scharfe Vorpaß. Unter den sichtbaren militärischen Vorpostenketten lief ein verborgenes Netz unverdächtiger Kundschafter; wandernde Krämer, »Hühnertrager«, Jäger der umliegenden Herrschaften bildeten ein vertrautes Korps von »Rekognoszenten«, wie sie die Handschrift nennt. Dazu brachten flüchtende Studenten, rückkehrende Vorspannfuhrleute, entlaufene verkleidete Soldaten manche schreckhafte Kunde. Und was davon täglich in seinem stillen Hauptquartier zu Wies in der Zeit vom 11. November 1805 bis zum 11. März 1806 – soweit reichen die Aufzeichnungen – zusammenlief, das hat der unbekannte Verfasser gewissenhaft in seinem Diarium mit möglichster Objektivität vermerkt, hie und da mit einer kurzen kritischen Richtigstellung übertriebener Zahlen, allzu unwahrscheinlicher Gerüchte, ruhig und manchmal nicht ohne leisen Spott über die begreifliche Kopflosigkeit seiner geängstigten Mitbürger.
Wer der Verfasser war? Das ist bei dem vollständigen Mangel jeglicher persönlicher Andeutungen aus dem Heft nicht zu ersehen und auch im Archiv fehlen Bemerkungen über die Art der Erwerbung usw., die Handhaben böten zu weiterem Suchen. Es sind die Schriftzüge eines älteren Mannes, säuberlich, doch nicht geziert. Man denkt zunächst an einen Beamten, Verwalter, Aktuar usw. der umliegenden Bezirksherrschaften, der am ehesten Gelegenheit haben konnte, die Überbringer der Nachrichten anzuhören, doch ist die Schrift hiefür zu wenig ausgeschrieben und flüchtig, mehr persönlich, sozusagen innerlich. Ein Diener der Kirche hätte fromme Einschaltungen und allgemeine Betrachtungen wohl schwer unterdrückt, könnte es aber immerhin sein. Vielleicht hat ein Schulmeister oder ein Bürger besserer Bildung, der sich zur Ruhe gesetzt, möglicherweise mit militärischer Vergangenheit, die Nachrichten gesammelt. Für beides sprechen der verhältnismäßig gute Stil – die zahlreichen Verstöße gegen die Rechtschreibung dürfen in jener Zeit nicht allzuschwer zählen – und eine relativ genügende Vertrautheit mit Namen, Orten und Benennungen der einzelnen Vorgänge.
Die Aufzeichnungen beginnen am 9. November 1805 mit einem Briefe aus Graz: Die Franzosen sind schon in »Eysenärzt«; in der Landeshauptstadt herrscht ungeheure Verwirrung. Erzherzogin Elisabeth ist aus Tirol über Graz nach Ungarn geflüchtet, »auch ist hier der ganze Hoffstatt aus Salzburg angekommen«. Die Ämter werden geschlossen, die »Bapiere einbackt und auf die Blötten an der Muhr gebracht«. Das Militär steht mit scharfen Patronen marschbereit, die schweren Verbrecher auf dem Schloßberg werden ebenfalls auf der Mur nach Ungarn verschifft, »mit Ausnahme des berichtigten Räubervorstehers Hann, der vom Militär über Gleistorff am Lande abgeführt wurde. Die Recrudirung ist so stark als sie vielleicht noch nie gewesen ist. Um fünf Uhr abends werden schon alle Kaffeh und Gasthäuser durchsucht und wer darin angetroffen wird, kommt zum Militärdienste, wenn er anders dazu fähig ist. Man sieht weder auf Stand noch Karakter«. Die drei Bürgerkorps halten strenge Disziplin. Die Lebensmittelpreise steigen besorgniserregend.
Nun folgen in bunter Reihe Nachrichten aus der näheren Umgebung, natürlich im scharfen Lokalkolorit. Am 11. November löst sich der Martini-Kirchtag zu Leibnitz auf einen falschen Alarm hin vom Anrücken der Franzosen in wilder Flucht auf. »Im Nu waren die Waaren wieder eingebackt und einige Kramer auch fort mit ihren Kraxen über den Seggauerberg. Die Bürger, ergriffen von panischen Schrecken, liefen herum wie Unsinnige, die ächtzenden Weiber verbargen sich mit ihren wimmernden Kindern so gut sie konnten«. Doch als sich der Lärm gelegt hatte, entwickelte sich noch ein ganz gutes Marktgeschäft unter den Zurückgebliebenen. Die gleichen Szenen wiederholten sich am gleichen Tage zu Eibiswald, wo der Sohn des Bäckermeisters Hubmann, ein aus Graz geflüchteter Student, mit der Nachricht vom Einzuge der Franzosen in die Landeshauptstadt heillose Verwirrung hervorrief. Da die Spannung aufs höchste gestiegen war, unternahmen die beiden Kapläne von Wies und Eibiswald über Gleinstätten und Preding eine etwas waghalsige Kundschafterfahrt nach Graz, wo sie um dreiviertel sieben Uhr abends an der steinernen Brücke vor der Linie ankamen, zum Entsetzen des Mauteinnehmers, der solche Neugier nicht begreifen konnte. Tapfer kämpfen sich die beiden in ihrem Wagen durch die Wogen flüchtenden Volkes und fluchender Fuhrleute. »Am unteren Gries« wurden sie denn auch richtig von französischen Husaren und Dragonern angehalten; zwar kamen sie glücklich durch, doch waren sie froh, als sie um die »wälische« Kirche herum das freie Feld gewonnen hatten. »Beide Reißende behaupten, daß sie noch nie eine so zwecklose und mit so auffallenden Beschwerden verbundene Reise gemacht haben.«
Nun entwickeln sich die Ereignisse rasch. Schon am 20. November sind vierundzwanzig französische Ulanen über Gleinstätten nach Eibiswald zum Vorpostendienste auf dem Radl gezogen. Alle Wege und Stege sind von streifendem Kriegsvolk erfüllt, die Unsicherheit am Lande nimmt bedenklich zu. Am 19. November kommt Doktor von Podpeschnigg in Limberg (ober Schwanberg) an und erzählt, wie er und sein Reisegenosse, der Sohn des Leibnitzer Bürgermeisters Valentin Kaspaar, auf der Flucht aus Wien durch Obersteier zu Kapfenberg von zwei bayrischen Soldaten ihrer Uhren und Barschaft beraubt worden seien. Doch dem rohen Auftreten der Feinde gegenüber erlahmte auch bisweilen die steirische Geduld. Man griff, wenn es anging, zur Selbsthilfe. Aus Mahrenberg meldete man unterm 22. November, die Bauern auf der Pack hätten vierundzwanzig französische Soldaten aufgehoben und nach Klagenfurt ins Hauptquartier gebracht, »und man fand bey der Undersuchung, daß sie lauder verkleidete bäurische Bauern (Bayern) waren«. Ebenso machten es die Bürger von Frohnleiten mit zwölf gefangenen Franzosen. Manche Ereignisse entbehren nicht eines leicht tragikomischen Einschlages: Zwei Mann eines kroatischen Regimentes des Erzherzogs Johann, dessen Vorposten in Eibiswald standen, sollten die störrischen Bauern von Welsbergel zu Vorspann zwingen, doch setzten sich die Tapferen zu Wies »beim Taverner« fest und erklärten: »Dort sind die Franzosen, dahin gehen wir nicht!« und kehrten um. Als Dorfbewohner von Fantsch bei St. Andrä im Sausal nach Einbruch der Dunkelheit dem befreundeten österreichischen Pikett das Nachtmahl zutrugen, tappten sie trotz des drohenden »Halt! Wer da?« unbekümmert vorwärts und wurden von einer Salve empfangen, die glücklicherweise zu hoch ging und keinen Schaden tat.
Mittlerweile waren sich die Parteien schon etwas nähergerückt, denn aus Wies wird unterm 25. November gemeldet: »Die Vorposten des Erzherzogs Johann breiden sich hier immer weider aus; einer derselben steht sogar schon bey Welsbergel mit vierzig Mann (im Sulmtale). Wir haben hier einen prächtigen Prospekt auf den Radel, wo wir hier eine große Menge Wachtfeuer von den dortigen Wachtfeuern sehen. Alles ist hier in der gespandesten Erwardung der Dinge, die über unser Vaderland kommen sollen. Die Franzoßen (sechstausendfünfhundert Mann stark) haben ein Lager bezogen, welches sich von Pundigam bis Straßgang erstreckt. Man glaubt, die österreichische Armee, die bis jetzt noch in allen herumliegenden Gegenden zerstreut liegt, werde dem Feund in seinem Lager attaquieren. Nach einigen Nachrichten soll unser Landesvater in Krakau schon schwer krank liegen, nach anderen habe der russische Kayser bei Wien Gift bekommen und sey von da kranker nach Krakau gebracht worden. Gestern wurden im Marburger Kreisamte hundert Stardin Wein ausgeschrieben, um damit unsere geschwächten Armeen zu stärken.«
Wie hier die Gerüchte über beide Potentaten, so trafen auch andere Tatarennachrichten über wahrhaft groteske Haupt- und Staatsaktionen ein – begreiflicherweise oft gerade aus den kleinsten Orten –, doch werden sie häufig nach der Aufzeichnung vom Verfasser mit der Einschaltung »Lüge«, »den Tatsachen nicht entsprechend« abgetan.
Die Not der armen Bewohnerschaft wuchs. Man hört aus Eibiswald vom 1. Dezember: »Unsere Lage ist unbeschreiblich, denn die ununterbrochenen Truppendurchmärsche werden uns noch ganz aufzehren. Heute haben wir wieder fünfhundert Mann Wallachen zu beherbergen und ohne Zahlung zu bewirten; auch sind schon wieder Quardiere gemacht auf sechshundert Mann für Kanonen und Munizion. Sie zehren uns noch ganz auf und lassen sich's sehr weidlich bekommen. Alles tun die Menschen gern, doch können sie Uibermuth und Raub nicht hindern; täglich müssen wir die erbärmlichsten Klagen hören von den einschichtigen Bauern, welche aller ihrer Habe beraubt worden. Vieh von jeder Gattung, Kühe, Ochsen, Schweine, Schafe, Geiße und Federvieh, ja selbst die Kästen in den Bauernhütten bleiben von den Anwessenden nicht verschont. Zwei Menschen vom Radl starben schon vor Furcht und Mißhandlung. Alle brechen des nachts unvermuthet auf, folglich muß man selbst die Nacht hindurch wachten, wenn man vor Raub und Feuer sicher sein wyll, wie wir auch heute an zwey Orten Feuer hatten, aber zum Glücke von den Hauswirthen gedämpft wurde, welche das in der Länge ohne Krankheit nicht werden aushalten können. In der Zeit von vierzehn Tagen sind hier schon zehntausend Mann durch und wir haben das erfreuliche Aviso, daß wieder soviel beordnet sind über den Radl nach Eibiswald. Wohin? das weiß man nicht, denn die Offiziers wissen so wenig als ihre Tambours.« Und das waren noch Freunde!
Am gleichen Tage, frühmorgens um sechs Uhr, als die Leute bei der Rorate waren, kam es zu einem scharfen Scharmützel am Seggauer Berge bei Leibnitz zwischen sechshundert französischen Reitern und vierhundert österreichischen Grenzern. Mit zwanzig Blessierten mußte der Feind abziehen und wandte sich gegen den Markt. »Bey dem Fleischer H. Püchler verlangten sie Geld, Branndwein und Wein, das er ihnen gab; andere kamen zum Herrn Bürgermeister Valentin Kaspar, die ebenfalls Geld verlangten, der den Zusammenschuß am Rathause mit zweymahl 120 fl. überbrachte, der dortige Kaufmann Herr Johann Mörth jun. mußte sein Gewölb öfnen und ein ganzes Stuck blaues Tuch hergeben; Herr Kaufmann Klemend, der ebenfalls um Geld angegangen wurde, zog seine Brieftasche aus dem Sacke, um einiges Geld herzugeben, dem sie aber die ganze Brieftasche abnahmen, worin 300 fl. waren. Dem H. Geyer, gewesenen Apotheker, nahmen sie seine Sackuhr und goldenen Ring ab, weil er versicherte, daß er kein Geld habe, da er erst im verwichenen Sommer abbrannte. Dem dortigen Weißgerber foderten sie auch Geld ab, da er aber eine gleiche Entschuldigung wie H. Geyer vorschützte, so forderten sie Wein und Branndwein. Weil er keines von beiden im Hause hatte, wollte er solches holen gehen; bey seinem Weggehen erhielt er in seinen Rücken eine Stichwunde, die allem Anscheine nach sein Leben kosten mag. Der Schade, den der ganze Markt bei dieser Gelegenheit erlitt, samt dem Pferde, welches dem Herrn Staudinger, dortigen Lederermeister, abgenommen wurde, wurde auf 750 fl. geschätzt. Alles dieses war das Werk einer halben Stunde, drum kam auch die Hilfe der österreichischen Hussaren zu spät.«
Dazwischen werden wieder an anderen Tagen bemerkenswerte Einzelschicksale vermerkt, in die die kritische Zeit nähere oder fernere Bekannte verstrickt hatte. Unschuldig war jedenfalls das Vergehen des Harnerwirtes zu Vordersdorf bei Wies, der nächtlicherweile von einer Patrouille aufgehoben und nach Gleinstätten gebracht wurde, weil er bei der Hochzeit des Jakob Knappitsch hatte schießen lassen und die Vorposten dadurch irregeführt hatte. In der gleichen Nacht wurde der Richter zu St. Martin im Sulmtale, namens Marx, vom Militär aufgehoben und nach Gleinstätten gebracht. »Die Ursache war, weil er zu frey in seinen Reden war und über die Obrigkeiten und Staatsverfassung schimpfte; besonders soll er sich sehr unbedachtsam von seiner Unterredung mit dem Feunde zu Grätz geäußert haben. Er wurde von Gleinstätten auch sogleich wieder unter guter Bedeckung zum Generalstab nach Marburg geführt.«
Viel besprochen wurde in jenen Tagen im ganzen Lande auch die bedenkliche Rolle des Grazer Bürgers und Gastwirtes Franz Haas, zugleich Verwalters des Heiligen-Geist-Spitales, jenes Mannes, der anno 1797 eine nicht geringe politische Einsicht bewiesen hat, in den folgenden Jahren aber – die Gründe sind nicht ganz klar – immer mehr die Partei der Franzosen ergriff und im Jahre 1805 nach dem eigenen Zeugnisse Marmonts diesen die wertvollsten Nachrichten aus dem österreichischen Hauptquartier zutrug. Er mußte flüchten, wurde in Waldstein bei Übelbach aufgegriffen, nach längeren Verhandlungen den Franzosen übergeben, mit denen er am 11. Jänner unrühmlich aus der Heimat entschwand. Über ihn meldet eine Notiz aus Wies vom 11. Dezember: »Heute lief hier die Nachricht ein, daß schon Steckbriefe ausgeschickt seyen (hinter) dem Haas von Graz, der als Vaterlandsverräther einen ziemlichen Klupp beysammen hatte, daß er bey seiner Abreise den Weg über die Pack mit seinem Sohne genohmen habe; der Einbringer dieses Verräthers erhält 2000 fl. Doussör. Der Fleischer Schwarz und ein Bäckermeister, beyde von Preding, sollen auch zu diesem Klupp gehören. Darum sie auch wirklich gestern abgeholt und nach Graz geführt worden seyn.«
Das waren glücklicherweise nur seltene Ausnahmen. Es fehlte nie an Beispielen eifrigen Dienstes, aufopfernder Vaterlandsliebe, wie folgende Nachricht aus Preding vom 2. Dezember beweist: »Gestern speißten drei franz. Offiziers bey unserem H. Pfarrer, deren Truppen in mehreren Kompagnien bestehend, außer unserem Markte in der Ebene kambierten. Nach Tisch ersuchten sie den dortigen H. Kaplan Kurz, er möchte den beamten Gößnitzer von Hornegg herabhollen. Dieser weigerte sich, der dabey sich befindende franz. Major ließ dann zwey bürger kommen, dennen er eben den Auftrag gab, die zwar fortgiengen, aber den Verlangten nicht brachten, denn sie giengen gar nicht in daß Schloß. Nach geendeter Mahlzeit giengen alle drei Offiziere fort, befragten die bürger, ob sie nicht eine bestimmte Summe Geldes für obbenanden beamten geben wollten, da diese aber versicherten, daß sie selbe unmöglich zusammenbringen würden, so detachierten die Franzosen unverzüglich eine Kompagnie Soldaten in das Schloß Hornegg, die den Beamten abhollen sollten; zum Glücke aber war dieser schon vor einer halben Stunde entwichen. Die Franzosen throtten das Schloß anzuzinden, wenn sie den Verlangten nicht ausliefern würden, sie machten auch wirklich alle Anstalten dazu, doch auf die dringende Bitte und gewisse Versicherung, daß er sich entfernt habe, wollten sie dies keineswegs glauben … sie nahmen daher den Amtsschreiber dieses Schlosses mit sich, und glaubten, daß dieser der Gesuchte seye, führten ihn in ihr Lager und wollten ihn standrechtmäßig erschießen, nachdem sie einen Priester zu ihm Hollen ließen, der ihn auf seinem Todte zu bereiden sollte, der würdige H. Verwalter erschien auch ihm Lager und bürgte mit seiner Person, daß sie sich irren und rettete so den Unglücklichen. Die Ursache von dieser Affaire war folgende: Herr Gößnitzer schickte drei Hühnertrager nach Grätz, die die feindlichen Lager rekognoszieren sollten, die auch wirklich ihr Möglichstes thaten und erschwert mit Nachrichten nach Hause zurückkehrten; dieser gute Beamte sammelte alle eingezogenen Nachrichten in einem Briefe und schickte mit diesen den Schloßjäger nach Gleinstätten mit dem Auftrage bey der Nacht, daß er das Schreiben dem dortigen Kommandanten des aufgestellten Piketts überreichen solle. Dieser kam wirklich in die Nähe von Gleinstätten, wo ihm eine franz. Patrolle begegnete; in der Meinung, daß dieses Österreicher seien, gab er den Brief den Wachtmeister der Husaren von der Patrolle, die den Brief in Preding öffneten, und noch bey der Nacht mit demselben nach Grätz eilten, worauf dann gleich des anderen Tages die oben beschriebene Geschichte geschah.«
Heiterer klingt eine Geschichte von jenem Mauteinnehmer gegen die Pack zu, die man von Deutschlandsberg unterm 8. Dezember meldete: »Da dieser erfuhr, daß die Franzoßen eingerückt seyen, ließ er alle Feuergewehre, die in der umliegenden Gegend zu bekommen waren, zusammenkommen, steckte bey den Fenstern des Mauthauses selbe hinaus und unterhielt immer einige Bauern, die in dem Hause selber immer recht laut reden mußten. Es kam richtig eines Tages eine Streifpartie und verlangte von dem Mauteinnehmer Geld; dieser aber entschuldigte sich, daß er keines habe, nun trangen die Franzoßen mit Gewalt in ihm, es müssen einige eingenohmene Mauthgelder vorhanden seyn, und wenn er diese nicht ausfolgen lassen werde, so werden sie Gewalt brauchen. Der Einnehmer aber andwordete ganz kaltblütig: ›Werden sie Gewald brauchen, so werde (er) Ihnen selbe entgegensetzen‹, und zeigte ihnen zu gleich auf die Fenster, die sie vermuthlich eher nicht betrachtet haben, und da sie jedes Fenster mit Feuerröhren versehen sahen, zogen sie sehr eilfertig wieder ab.«
Mittlerweile hatte sich draußen auf der großen Weltbühne Gewaltiges ereignet. Am 3. Dezember war die Dreikaiserschlacht bei Austerlitz geschlagen worden, der am 6. ein Waffenstillstand folgte. »Erzherzog Karl soll bei der Nachricht, daß der Waffenstillstand beschlossen sey, seine gewöhnlichen Fraisen bekommen haben«, bemerkt der Chronist respektlos.
Noch folgten schwere Tage, besonders für die armen Bewohner von Graz, als Marmont im Bestreben, den Schloßberg wieder in eine starke Festung umzuwandeln, mit Demolierungen begann. Auch davon weiß unsere Handschrift zu melden: »Mehrere verläßliche Nachrichten von Gratz bestätigen, daß sich die Franzoßen zu Gratz zu verschanzen anfangen, darum seyen auch wirklich schon die Häuser um den Schloßberg abgetragen, den vom verstorbenen Mohrenwirth erbauten grienen Anger außer dem Burgthore erwarde ein gleiches Schicksal. Der durch die schon eingelegten Verschanzungen gemachte Schaden wird sehr beträchtlich angegeben, die meisten Häuser in der Vorstadt Graben, Geydorf und St. Leonhardt erwarben täglich den Ruin ihrer Wohnungen.«
Endlich wird Frieden im Lande. Am 27. Dezember wird er zu Preßburg geschlossen, doch erst am 11. Jänner 1806 verlassen die Franzosen die Landeshauptstadt. Und wie das grollende Wetterleuchten eines abziehenden schweren Gewitters brachte ihr Abmarsch den Orten an der Rückzugslinie, voran Marburg und Cilli, noch schwere Bedrängnis.
Immerhin löste sich langsam der Bann von den gequälten Gemütern; ja die dumpfe Trauer der letzten Monate schlug zuzeiten – eine begreifliche Rückwirkung – in laute Lust um. Und so möge denn am Schlusse als freundlicher Sonnblick nach finsterer Sorgennacht die Schilderung meines Gewährsmannes stehen, die er vom Einzuge der heimischen Vaterlandsverteidiger am 16. Jänner »in Gratz« entwirft: »Heute rückten wieder unsere vaterländischen Krieger hier ein. Herr Dobler (der tapfere Bürgeroberst) ritt mit einer Anzahl bürgerlichen uniformierten Tragoner denselben bis zur Pfarre St. Leonhart entgegen, wo das Militär schon en Parate entgegenmarschierte; eine unzählige Menge Zuschauer von allen Klassen und Ständen fühlten die ganze Leonhartergasse. Mehrere bürgl. Dragoner öfneten den herrlichen Einzug, welchen sechs Kompagnien Tyroller Schützen in der besten Ordnung mit zwölf Trompeter folgten, dann kam General Chasteller begleidet von seinem Offiziers-Korps und von H. Dobler mit seinen Ordinanzen und höheren Offizieren, dann das Badailion Grenadier von Strassoldo, dann mehrere Badailionen Musquidier von. Erzherzog Rudolf und Strassoldo. Der Zug ging über die Jakominivorstadt, durch die Herrengasse auf den Hauptwachplatze, wo ein laudes Vivatrufen unsere tapferen Krieger empfieng, besonders herablassend ist das Betragen des H. Generals Chasteller, wodurch er sich das Wohlwolen aller Bewohner der Hauptstadt beim ersten Anblick hier erwarb.«