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Aus blauender Waldschlucht schießt ein Wildbach, stürzt kopfunter über eine mächtige Tafelwehr und trägt aus blaßgrünen Wirbeln seine Fluten breit überströmend in weitem Bogen durch den sandigen Talgrund. »Am Gries« hat es in grauer Vorzeit hier geheißen, die sandige Au mit den wenigen stets bedrohten Hütten unter windzerzausten Ulmen. Mit besseren Zeiten erwuchs dann aus saurem Untertanenschweiße ein geducktes Dörflein unterm Falkenblick der drohenden Bergfeste, drückte sich durch die Jahrhunderte unter Brünsten, Kriegsnöten und kümmerlichen Strahlen landesväterlicher Huld. Und heute ist es ein stattlicher Markt trotz anderen, mit Zwiebelkirchturm, mit Bezirksgericht und Steueramt und allem, was sonst noch das Leben wohnlich macht.
Zwar gar so glatt soll es nicht gegangen sein! Denn als die Zeit erfüllet war, kam die Eisenbahn. – Sollte vorerst kommen. Noch heute spricht man mit scheuem Raunen von den wilden Kämpfen der Eingeborenen, die damals den Ort durchtobten, und wie sich einzelne Geschlechterälteste mannhaft gegen die »Verkehrswohltat« sträubten, bis die hohe Regierung zu rechter Zeit – wirklich einmal – das Schienennetz fast über die Köpfe der raufenden Parteien warf. Damit waren sie in ein Zipfelchen Weltverkehr verstrickt und mußten sich wohl oder übel in die neue Zeit finden.
Und sie taten es. Taten es sogar so rasch, daß die kleinen Kramläden vor Erstaunen die Fensteraugen so weit und lange aufrissen, bis ihnen richtige Spiegelscheiben darin saßen. Nun ging es flott vorwärts. Aus stillen Wiesenwegen sind schotterige Straßen geworden, ein Männergesangverein »Eintracht« pflegt unentwegt jeden Samstag abend das deutsche Lied und die neugegründete Vorschußkasse kann dem Drängen derer, die es eilig haben mit dem Sprung in die neue Zeit, kaum mehr genügen.
Draußen aber, wo der wilde Bach nun grämlich in seinem alten Bette schleicht – denn seine beste Manneskraft hat er dem schnurgeraden Werkskanal überlassen müssen – ist eine alte Gasse stehen geblieben, wie vergessen von der neuen Zeit.
Da stehen in eigensinniger Reihe niedrige, geduckte Häuschen, von weit vorspringenden, hochrückigen Dächern überbaut. Und drinnen hantieren in stillen Dämmerstuben altmodische Leute, die die Not ihrer alten Tage oder zunehmende Vereinsamung sich hier einheimen ließ, die kein klingendes Kinderlachen an die Sorgen des Lebens bindet oder mürrischer Eigensinn lange schon vom neuen Geschlechte schieden. Mit wunderlichem Gehaben hausen sie hier, kochen in finsteren, gewölbten Küchen, kramen in alten Truhen, nesteln an verschlissenem Kleiderzeug, sorgen für den Tag in dumpfen Kellerlein und auf hochgiebeligen Dachbodenräumen, wo in schiefen, buntbemalten Schreinen alter Hausrat mürfelt und unter den Sparren allerlei Samenwerk und vertrocknetes Kraut seltsamen Geruch ausströmt. So schlagen sie sich durch den langen Winter.
Doch wenn, wie heute, nach schwarzen Frühlingsnächten voll pfauchender, rüttelnder Tauwindstöße die nahen Bergwälder eines Morgens blauschwarz stehen in der klaren feuchten Lenzluft und am Mühlanger Schneeglöckchen und Krokus am Rande der sprudelnden Wässerlein schaukeln, dann stiehlt sich mit dem ersten Sonnengold auch ein verschämtes Behagen in die Winkel und Ecken der stillen Gasse. Und wenn nun ein junger Gesell singend vorbeizieht, so fahren die Bewohner nicht mehr humpelnd in ihren Bau, daß er nur mehr einen krummen Rücken, ein verschlissenes Wams unter der Tür verschwinden sieht. Blinzelnd sehen sie ihm nach, prüfen dann Himmel und Wolken und beginnen ums Haus herum nach den Schäden zu sehen, die ein harter Winter getan. Dann räumen sie auf in den kleinen Gärten, was faulend unter Schneewächten lag, graben emsig in der schwarzen, lockeren Erde, teilen trippelnd die Wege und säen den kleinen Bedarf. In bunten Scherben stellen sie altmodischen samtbraunen Goldlack ans Fensterbrett. Und halten dann wohl auch, ans ausgeflickte Zäunlein gelehnt, ein ehrsames Feierstündchen mit Nachbarn und Gevattern. Von fernher aber schwingen verlorene Leierkastentöne eines alten Volksliedes durch die laue Luft, und den Bach entlang ziehen singend die Kinder, die Kleinsten sorglich mitschleppend, und flöten eintönig auf den neuen Weidenpfeifen.
Und über dem Bache, da hebt eine gar köstliche Welt an, das verheißungsvolle Reich des Vorfrühlings, voll herber Schönheit und verhaltener Kraft. Da dehnt sich die Muttererde in weiten Wellen über Hügel und Gründe. Wie zarte rötliche Seide keimt die Wintersaat aus den Furchen, und ein verschämtes Grün zieht über den braunen Rasen, darauf die Anemonen nicken, noch fröstelnd wie Festjungfrauen, die in zu dünnen Kleidchen und leicht verschnupft einen hohen Gast erwarten sollen. Dann sinkt die Sonne. Violette Schatten legen sich ums feine nackte Buchengeäst im Talgrunde. Flügelschwer zieht ein Krähenschwarm zu Walde. Über den braunen Ackerrücken wandelt noch bedächtig ein pflügendes Rindergespann in den leuchtenden Abendhimmel hinein, der fleischgewordene Nervenfrieden. Und über den knospenden Bergwald, der als dunkler Kamm den Hügelsaum überstiegen, leuchtet in ferner Pracht ein Streifen schimmernder Alm, als ob ihr kalter, schneestäubender Weihnachtszauber noch einmal dem siegenden Bergfrühling über die Schulter lugen wollte. Dann löst der sinkende Abend alle Farben zu dämmerigen Halbtönen, fängt alle harten Linien ein zu weicher, träumender Ruhe. Vom dunklen Grunde leuchtet ein einsames Feuer auf und über die schlafende Welt schwingt ein feiner Duft verbrannter Reben, ein leichter Brandgeruch von den Stoppelfeldern.
Das ist die stille Abendfeier des Vorfrühlings.
Nur zögernd wenden sich die Schritte zur Heimkehr.
Der heilige Johannes auf der alten Holzbrücke legt still den Finger an den Mund, als ob er den heiligen Frieden hüten wollte. Ihm zu Füßen blutet in rubinrotem Glase ein zuckendes Flämmlein. Stärker rauschen die Wasser unter den Jochen. Der Wind steht auf in den nächtigen Wäldern, und bald darauf braust unter der blauen Sternennacht der Föhn sein jauchzendes Sturmlied vom Zusammenbruch alles Schwachen, Morschen, von der ewigen Kraft der siegenden Jugend, von Lenz und Auferstehung.