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Vorfrühling im Februar!
Mit warmem, feuchtem Flügelschlag streicht der Föhn übers klare, schneeweiche Land, das unterm flutenden Licht in tausend rinnenden Wässerlein blitzt und lacht und seinen Eispanzer leichtherzig von den Gliedern streift. Silbern tropft es von den schwarzen Birnbaumzweigen, klingende Perlenketten rollen von den Dachtraufen, glucksende Bächlein jagen in den Rinnsalen der Straße. In den Wasserlachen liegt leuchtendes Blau, und tief am Grunde segeln die hohen Wolken.
Und lachende Lenzgedanken fliegen auf wie ein schimmernder Taubenschwarm, mitten hinein in den strahlenden Himmel, und schwenken heimwärts ins fröhliche Herz.
Und all die Herrlichkeit in einem steirischen Marktflecken, der sich heute zum größten Karnevalsfeste der bescheidenen »Saison« rüstet, zum »Steirerabend«! Es liegt in der frischen Schneeluft wie verhaltenes Jauchzen und Trompetenpracht und hüpfende Mädchenlust. Eine frohbewegte Gruppe, stehen wir mittags ums Brauhaustor, das mit Tannengewinden und Fähnlein seinen letzten Schmuck erhalten soll, der Bürgermeister, der Bezirksrichter, der Oberlehrer und ich, der Arzt.
Da naht galoppierend über den breiten Platz ein Gespann prächtiger Bauernhengste, hinter sich den niedrigen Gebirgsschlitten. Ein Blick, und ich trete aus der Reihe, dem Manne entgegen, der eben vom Gefährt gestiegen, im steiflodenen Gewand, die lederne Weidtasche über die Schulter, dem Krankenboten.
Die braunen Augen flackern unruhig im bleichen Gesicht und suchen voll Sorge in meinen Zügen, während er schnell berichtet: »Beim Ulz im Winkel liegt die Bäuerin in Kindsnöten, es steht schlecht um sie; der Bauer laßt vielmals bitten, sollt's gleich mitkommen!«
Bald darauf geht's im Schlitten durch ein langgewundenes, enges Tal, vorbei am rauschenden Wasser, an Brettersägen und weit verstreuten Gehöften.
Am Talschluß steht ein uraltes Hammerwerk. Hier endet vorerst die Fahrt. Und hoch droben, noch weit hinter den steilen Vorbergen, liegt der einsame Hof, wo man angstvoll auf Hilfe wartet. Das ist ein beklommenes Steigen, ein wortkarges Vorwärtsmühen im knietiefen Schnee, lange, stundenweit.
Endlich sind wir am Ziele, beim knarrenden Zaungatter mit dem verwitterten Herrgottskreuz. Ich trete in die dunkle, niedere Stube – an ein Totenbett. Der letzte Kampf eines Lebens liegt noch in den zerwühlten Falten des armseligen schmutzigen Lagers und darauf die tote Mutter, die noch vor wenigen Stunden nach neuem Leben Hoffnung trug. Ein Zug unendlicher Müdigkeit liegt über dem bleichen Gesicht, das noch die weichen Linien des Lebens trägt. In den mageren Händen ruht der Rosenkranz, neben steht das Weihwasserkrüglein mit dem Tannenreis.
Und wieder ergreift mich, wie so oft, dieser Zug von stiller Bedeutung, von fast anklagender Größe im toten Bauernantlitz. –
Da entsteht ein scheues Flüstern im Hintergrunde: »Der Herr Pfarrer kommt!« Ich trete unter die Tür ins Freie. Von fernher kommt er über die Schneid, aus dem nächsten Tale. Scharf hebt sich die hohe Gestalt vom lohenden Abendhimmel ab, wie er sich im Sturmwind gegen das Haus kämpft. Barhäuptig den schwarzen Kopf, das Chorhemd in die Knie geweht, die Wegzehrung an die Brust gedrückt, schreitet er, mit dem langen Bergstock vorgreifend, gegen das Haus herab. Vor ihm ein Büblein mit dem wehmütig bimmelnden Glöcklein, in der großen Laterne ein brennendes Licht, das gelbgrün glimmt gegen den roten Abendhimmel.
Ein stummer Gruß, einige halblaute, aufklärende Worte, und der Priester tritt vor der nachdrängenden Menge der Hausbewohner in die niedere Stube. Ein Kind seiner Berge, ein vertrauter Freund seiner Gemeinde, spricht er ein paar kurze Trostesworte zum Bauern, und doch rühren sie in seiner Stimme voll Heimatklang wie weiche, behutsame Hände an die Herzen. Ein stummer Blick, ein Zucken der festgeschlossenen Lippen, ein bedachtsamer Händedruck – das ist alles, womit der Bauer seinem alten Freunde dankt. Dann spricht der Pfarrer ein Gebet, dem die Leute murmelnd antworten.
Da hebt sich aus dem hintersten Winkel der Stube ein Kinderschluchzen, so plötzlich, unaufhaltsam, so herzbewegend in seiner rührenden Hilflosigkeit, daß ich still rückwärts trete. Veverl ist's, das »Zügelkind«, ein schmales Dirnlein von zehn Jahren, mit dicken, aschblonden Zöpfen. Und zwischen den mageren Kinderhänden quillen in schüttelnden Stößen unaufhaltsam die Tränen. Sie hat in dieser Stunde wohl am meisten verloren und dies nun plötzlich begriffen in seiner ganzen Trostlosigkeit. Als »lediges« Ziehkind ist sie am Hofe aufgewachsen, zu schwerer Arbeit gestoßen in der drängenden Not des harten Lebens. Und da hat die nun Tote fast unmerklich über ihr gewacht, ihr manchmal flüchtig mit der rauhen Hand übers Blondhaar gestrichen wie in scheuer Liebe, hat ihr manchmal wie zufällig ein armseliges Spielzeug in die Hand gelegt, ein Stückchen Band, einen grünen Apfel. Viel mehr hat auch ein Frauengemüt kaum übrig im harten Bauernleben für seine Liebsten. Und doch hat's die Kleine mit dem sicheren Gefühl des Kindes empfunden und im treuen Herzen gedankt. Und nun ist ihr knappes, stilles Glück so jäh zerbrochen. –
Ich trete die Heimkehr an und sehe mich im verglimmenden Abend noch einmal um von ragender Höhe. Wie eine Siedlung der Urzeit liegt der weite Hof auf vorspringender Warte, weitläufig, windzerzaust, unter alten Ahornbäumen, vom krummen Almzaun umfangen.
Tief zu Füßen ein blauender Waldgraben, aus dessen Grund die Schneewasser rauschen. Jenseits heben sich die schwarzen Wälder scharf ab von den weißen Schneeleiten der Vorberge und darüber bauen sich in mächtigen Wölbungen hoch auf die ungeheuren Weiten der Almen mit dem letzten rötlichen Schein auf den taubenweichen Linien. Dahinter aber steht dunkel, stahlblau, wie drohend, der nächtige Sturmhimmel. Und nun erwacht wieder der Föhn, jagt wie ein Geier in pfeifenden Stößen um die knarrenden Holzgiebel und wirft splitternde Äste weit hinaus ins Land. Eine wilde, herrliche, nervenaufrüttelnde Musik.
Und wie nun hie und da bis in die hintersten Gräben hinein ein Lichtlein aufblitzt in den einschichtigen Höfen, da bewegt's mich ganz seltsam, wenn ich denke, wie da weit draußen die große Welt in sausendem Schwünge geht, und eben jetzt im Faschingsflitter und in tobender Lust, und in diesen einsamen Weiten mühen sich seit Jahrhunderten treue, stille Menschen hart um die Heimatscholle, immer wehrloser im schärfer drängenden Daseinskampf, und bereiten sich zum stillen Untergang. Und Stunden lauter Lust sind diesen Arbeitsmenschen seltsam und köstlich, wie die spärlichen Rosinen im weißen Festtagsbrot dem Bauernkinde.
In voller Finsternis geht's steil talab.
Tief unten am Grunde schießen zwei mächtige Gräben zusammen, unheimlich tönt das Tosen ihrer Schneewasser in die brausende Föhnnacht. Vom Hammerwerk klingt das Dröhnen und Schnattern der Sensenhämmer, aus den offenen Toren loht blutroter Schein in die kohlschwarze Nacht. »An der Wegscheid« hat's hier geheißen schon seit uralter Zeit, und war vorerst eine Taverne gewesen, ein niederer, ungefüger Bau, in den die Stuben, die Gewölbe und winkligen Treppen eingegraben sind wie in einen massiven Steinwürfel. Da saßen einstens wohl nur der Wirt, der Schmied und der Kohlenbrenner in der niederen Stube, hörten es gleichmütig, wenn die Wölfe nachts von der Leiten heulten, und besprachen mißtrauisch den späten Gast, der Herberg suchte vor der weiten Fahrt über die Alm. Das Wirtshaus blieb, doch aus der alten Zeugschmiede gegenüber ist in langen Jahren ein steirisches Sensenhammerwerk erstanden, das bald fröhlich gedieh und den Talschluß füllte mit Werksgaden und Kohlbarren und dem köstlichen Herrenhaus unter mächtigen Lindenkronen. Und Generationen fleißiger Hausmütter schufen am weiten alten Garten und pflegten ihn, bauten ein »Stöckel« daran und ein Glashäuslein und spannen liebend die Heimat ein in ein Gerank von Efeu und wildem Wein.
Im Wirtshaus »an der Wegscheid« aber geht's heut, am Faschingdienstag, gar hoch her. Hinter den Hirschgeweihen der Gaststube steckt frisches Tannengrün, weiße und rote Papierrosen prangen in den Efeuranken um die Bilderrahmen, blauer Tabaksqualm steht in dicken Schwaden unter der niederen Decke. Zur scharfen, zügigen Musik drehen sich nimmermüd die Paare. Durch Rauch und Dröhnen und Strampfen erreiche ich den Ecktisch, um zu warten, bis der Schlitten bespannt wird. Da führt unter befreundeten Bauern der baumlange Eßmeister vom Sensenwerke das Wort, eine der Prachtgestalten, wie sie nur die Alpen wachsen lassen. Der Wald, die Jagd und steirisches Eisenstrecken, das sind die Dinge, von denen er lebhaft und hochgemut erzählt. Er baut da auf vor den sinnenden Köpfen die ganze altsteirische Hammerherrenherrlichkeit, mit stolzem, kühnem und urwüchsigem Humor, dem dröhnendes Lachen dankt. Wie er »in seinem Aufwachsen« gedient auf dem altberühmten Sensenhammer »auf der Waserleit«, und wie sein Werksherr ein gewaltiger Meister gewesen sei im Sensenschmieden und ein mächtiger Herr über Wald und Alm, über Forellenwässer und die ganze Jägerei. Da gab's im Herrenhaus im oberen Stock eine Stube, da hingen reihenweise die Flinten und Birschstutzen, Fangzeug und Wildschützenwehr. »A Saudirn hat er g'habt, alloan für die Hünd« (nur zur Fütterung der Meute), rühmt er, daß den Bauern die Köpfe rauchen ob solcher Großmächtigkeit.
Und immer wieder drehen sich am Tisch vorbei die Paare, rumpelt der Baß, quinquiliert die Klarinette und jauchzen gellend die Tänzer. Ein schlanker Bursch mit blondem Ringelhaar unterm grünen Hütel zeigt merkwürdig weiche Hüftlinien; ein verschämter Blick aus dem holdseligen, erhitzten Gesichtlein, und verschwunden ist das Stubenmädel des Werksherrn, dem die männliche Verkleidung unter guten Bekannten ein erlaubter Spaß schien.
Der Schlitten ist eingespannt, in der Taverne dröhnt es taktfest weiter. Heim geht es durch den Graben neben dem tosenden Wasser. Der Mond ist aufgestiegen hinter den schwarzen Tannenzacken der Steilwände. Wie Reiter der Urwelt jagen die Wolken übers enge Tal. Weit hinten vom Berge aber schimmert ein einsames Lichtlein herab: Beim Ulz im Winkel halten sie Totenwacht. Verflogen sind die Tanzweisen, über die brausende Sturmnacht hinweg ruft die Tote das beklommene Gemüt.
Wir klingeln durch den Markt. Hinter den erleuchteten Fenstern im Brauhaussaale drehen sich die Paare wie Schattenbilder im raschen Vorübergleiten.
Ich aber habe daheim lange keinen Schlaf finden können.