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Hungersnot

In alter Zeit, in vorhistorischer, wie man sagt, war's eine Bucht gewesen des mittelsteirischen Tertiärbeckens, die weit hineinschnitt in die grünen Vorberge der heutigen Stubalm. Und als, weiß Gott wie lange nachher, die ersten Siedler kamen, fanden sie noch ein Sumpfland zwischen den Hängen des meilenbreiten Talausganges, trügerisch überbaut von Binsen und Wassergewächsen und versunkenen Urwaldeichen. Fast wie von selbst war im Laufe der Jahrhunderte ein Knüppelweg entstanden, der, auf halbem Weg etwa, eine Stütze fand an einer niedrigen Bodenwelle, die wie eine Insel mitten im Tale lag, knapp und hoch genug, um auf festem Grunde ein paar mächtige Eichen zu tragen. Die waren ein erwünschter Rastplatz nach schwieriger, oft gefahrvoller Fahrt, und manch einer, der sich und seine Last aus gurgelndem Schwarzwasser emporgearbeitet auf sicheren Grund, hing ein ärmliches Kleinod, ein Stück seiner bescheidenen Rüstung an den Stamm der mächtigsten Eiche, so daß der Platz bald zu bescheidenem Rufe gelangte. Als wieder Jahrhunderte später Mönche und Kolonen die Auenwälder des Talgrundes zu roden begannen und die Sonne nun breit und frei in die grüne Dämmerwildnis des Sumpflandes fiel, sanken die Wasser und, als ob sich der Boden gehoben hätte, erwuchsen zwischen den schwarzen Lachen viele Hufe fetten Weidegrundes. Statt des Kreuzes an der Furteiche war eine Kapelle entstanden, aus Holz vorerst, und endlich eine Kirche. Und um diese ein Dorf, dann ein kleiner Markt mit allerlei kunstreicher Hantierung, wie sie früher noch auf dem flachen Lande getrieben wurde, mit dem Kürschner, dem Seiler, dem Schwarzhafner. Da aber jeder rund um den Ort seine Felder hatte, auf denen er zu guter Zeit sorglich baute und der Platz reichlich war, so standen und stehen heute noch die Häuser gar traulich über den Rasen gestellt, daß die Wälder der blauen Almen des weiten Talrundes zu allen Zeiten fröhlich in die blanken Fenster schauen. Ihrer einige tragen noch ein grünverfilztes Mooshütlein aus der Großväterzeit; sonst aber war neben dem Schindeldach der Biberschwanzziegel Mode geworden im Ort. Und der Kirchturm schaut heute unter hochgezogenen Barockbrauen wie verwundert zwischen den Pappeln nach dem Waldrand hinüber, wenn der Lokalbahnzug liederlich pfeifend am hellichten Vormittag der Stadt zu strodelt.

Aber so beschaulich ist's nicht immer zugegangen in unserem Orte. Denn etwas sumpfig ist bis heute noch das Gelände um den Markt geblieben, und wenn im ersten Frühjahr die Schneewasser von den Almen die Kainach randvoll füllen, genügen drei Regentage, daß sich die Erlenbänder und geschnaitelten Eichen der Feldraine in einem flachen See spiegeln. So war es auch vor mehr als hundert Jahren gewesen, und über die böse Zeit von 1814 bis 1817 weiß manch vergilbtes Kalenderblatt gar Trauriges zu melden.

Schon das Jahr 1814 war ein schweres Mißjahr für die ganze Steiermark gewesen. Im August des nächsten Jahres hatten Regen, Nässe und die steten Überschwemmungen die Ernte abermals vernichtet. Und im Frühsommer 1816 stand das Getreide nur fingerlang auf den nassen Feldern. Unter diesem Mangel an den notwendigsten Lebensmitteln stiegen die Preise in erschreckender Weise. Für das Viertel Weizen, das 1813 noch um 9 Gulden zu haben war, wurden 50 Gulden verlangt; das Korn stieg von 7 auf 45, der türkische Weizen ebenso hoch, nicht viel niedriger stand die Gerste im Preis. In den Weingärten lohnte sich die Lese nicht mehr und der Startin mittelmäßigen Weines kostete den ungeheuerlichen Preis von 300 Gulden, das Zehnfache seines früheren Wertes.

Eine furchtbare Hungersnot war die Folge. Um einen Laib Brot wurde ein ganzer Acker weggegeben und noch heute erzählen im Volksmund diese »Laibbrotäcker« von jenen schrecklichen Jahren. Maiskolben, Gras, Laub, Stroh wurde zu Brot gebacken, und oft fand man im Gebirge die Leichen Verhungerter mit dem Grasbüschel im Munde. So steht es in alten Tagebüchern, so erzählen noch heute alte Leute, deren Großeltern jene bitteren Zeiten erlebt haben.

Wohl hatte die Regierung schon all die Jahre her zu helfen gesucht, und zu Beginn des Jahres 1817 erging ein Handschreiben des Kaisers an den Gouverneur der Steiermark, Grafen v. Aicholt, durch das ein allgemeiner Wohltätigkeitsverein im ganzen Lande gegründet wurde mit dem Sitze in Graz und Zweigvereinen in allen Kreisämtern.

Das Volk aber war mißtrauisch und verzweifelt geworden. Was konnte das helfen? Und so hörte es kaum hin, wenn der Pfarrer von der Kanzel verkündete, daß im ganzen Lande eine Sammlung eingeleitet sei. Der Kaiser selber habe 100.000 Gulden gegeben. Hunderttausend Gulden! Das war ein Tropfen auf einen heißen Stein. Sie hörten's mit bösem Lächeln. Was wußte der Kaiser von ihrer Not! Der saß in seinem Schlosse zu Schönbrunn und die Pferde standen bis zum Bauch in Stroh und streuten goldenen Hafer schaffweise aus der Krippe.

Dann fuhr der Gouverneur selbst durchs Land, vierspännig mit Extrapost, mit einem Vorreiter vorn und einem Leibjäger hinten. Da und dort löste sich zögernd ein Pöller, dienerte ein Rentmeister am Kutschenschlag oder hielt ein blasses Mädchen einen Blumenstrauß in den Wagen. Dahinter stand das Volk, stumm und verlegen. Ein Notpfennig wurde gereicht mit herablassender Leutseligkeit und unter Hinweis auf des Monarchen landesväterliche Huld und mit saurem Lächeln entgegengenommen.

Die aber im Moos hatten nicht einmal von diesem Schauspiel was. War doch ihre Insel durch den breiten Spiegel der unter Wasser stehenden Felder von der Straße am Berghang abgeschnitten, so daß sie hilflos vom Rand ihrer Felder aus das ärmliche Gepränge wie ein mageres Märlein winzigklein vorüberziehen sahen. Dann gingen sie still heim. Die Kräftigeren schnürten sich den Leibgurt enger und die Mütter sahen mit herzwunder Sorge nach den blassen, schmalen Wangen der Kleinen, die nicht mehr spielen wollten und immer um Brot baten.

Aber wie immer gedieh auch hier die Not der vielen zum Nutzen einzelner, wenn auch nicht mit so verächtlicher Regelmäßigkeit, wie wir es heute gewohnt sind.

Der Stegweber war ein dürres, zähes Männlein mit einer spitzen, blauroten Nase, an der fast ständig ein Tröpflein hing. Um die schmalen Lippen aber und das glatte Kinn lag's dunkelrot, als hätte er eben vom schärfsten Essig getrunken. Er hatte sich bei guter Zeit einen Kramladen eingerichtet mit Schuhbändern und Talgkerzen, mit Zwirn und Blaudruck und Zucker und Kaffee, mit etwas Gewürz und Pfeifen und Maultrommeln und Fingerhüten. Und hatte in kluger Voraussicht vieles davon schon frühzeitig in Lebensmittel umzusetzen gewußt. Vor allem in Getreide. Aus winzigen Zuschüssen hatte er seinen Kornschrein am Dachboden gefüllt und im Laufe der Jahre war's ein gewaltiger Haufen geworden, heimlich und neidisch gehütet, daran er in stillen Stunden seine listige Freude hatte. »Es muaß no viel teurer wern, viel teurer!« war das ständige Sprüchlein, das er mehr in sich murmelte, wenn der oder jener um bares Geld etwas von seinem Überfluß gewinnen wollte. Schon hatte er den Trambaum seines Holzstübchens unterpölzen müssen, um dem lastenden Druck vom Dachboden zu begegnen. Wenn dann in stiller Nacht die Balken knackten und der verhaltene Fluch eines späten Wanderers ans Fenster schlug, stieg ihm wohl manchmal eine flüchtige Besorgnis auf, aber ein Griff in seinen Schatz schlug wieder alle Befürchtungen nieder. Und am hellen Tage sah er wieder gleichmütig durchs Fenster, wenn sie wieder ein Leichlein über den Steg trugen, das dem schweren, groben Brot zum Opfer gefallen war.

Vielleicht hätte die Sache für ihn auch ein böses Ende genommen, denn das Gerücht von seinem heimlichen Reichtum hatte sich herumgesprochen und das schwelende Feuer des Neides konnte in der Verzweiflung jederzeit zur wilden Brunst aufschlagen.

Aber da kam wie durch ein Wunder Hilfe in höchster Not, ohne daß wir heute wissen, von welcher Seite oder durch welche besonderen Umstände. Unsere Chronik meldet seltsam übereinstimmend mit der Erzählung alter Leute: »Am 26. Juny 1817 war das größte Hagelwetter seit Menschengedenken in hiesiger Gegend. Er fiel in der Größe mittlerer Äpfel. Aber demungeachtet erschlug er die Teuerung.« Und so unsinnig auch diese Verknüpfung ist, so hat sie sich im Volke doch bis heute hartnäckig erhalten.

Und ebenso übereinstimmend weiß man zu erzählen, wie des geizigen Stegwebers Schatz ihm unter den Händen zerronnen sei. Würmer waren in sein Getreide gekommen, Hunderte erst, dann viele Tausende, eine feine Haut hatte dann den Haufen überzogen, immer dichter, und darunter blieben nur übelriechendes Mehl und staubige Spelzen.

Und als sich nach etlichen Tagen endlich einmal wieder der blaue Himmel und die hohen Wolken im abziehenden Gewässer spiegelten und am Sonntag das Landvolk auf allen Wegen und Steglein zum feierlichen Tedeum seiner alten Kirche zuzog, als die Glocken läuteten und nah und fern Pöller krachten, da hing der Stegweber tot im schwarzen Gebälk seines Dachbodens und sah aus gekochten Fischaugen regungslos durch die Bodenluke aufs wiedererwachte Lebensglück derer im Moos.


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