Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Almjagd

Haarscharf, wie vor das Glas eines Trieders gerückt, stehen die blauen Berge, die fahlgelben Wiesen, die flammenden Wälder. Und dahinter, schwergeballt, dicktaubengrau die Föhnmauer im Süden. Das gibt schlechtes Wetter und wenig Aussicht auf eine gute Jagd.

Den Sinnen aber ist's eine köstlich anregende Sinfonie von Licht und Luft und Farbe, die Fahrt durch den langen Waldgraben, über dessen Fichtenwände die Abendwolken immer brennender querüber treiben. Doch im stundenlangen Anstieg darauf wächst immer mehr der Schall übers sinkende Licht, ein Quellenglucksen, ein Eulenschrei, der letzte Jauchzer vom Tal. Immer dunkler sinkt der Mantel der Einsamkeit auf die schweigenden Höhen. Und heroben endlich auf dem Joch ist's Nacht geworden, fremd, verlassen, endlos.

Da baut sich vor der Hütte der Rappoltkogel in die Finsternis, sturmüberbraust, in ungeheurer Wölbung, die schwarz gegen den dunklen Himmel steht. Vor ihm ein Waldgraben, aus dessen hinterstem Grund die Wildwasser rauschen. Fast gespenstig nah erscheint der Berg, wenn für einen Augenblick das Mondlicht durch die Wolken sucht. Wie Reiter der Urzeit jagen die Nebelfetzen übers Geschröff, eilig und gespensterbleich, und wieder hinein in die Nacht. Was da droben der Tag zu farbigem Leben beschienen, ist ausgelöscht, eng an die Erde gedrückt; und Gottes Stürme wuchten über die einsamen Höhen. Drüben im Nordosten liegt ein Widerschein unter niederer Wolkendecke: die Lichter von Graz. Ein Auto unter uns schlingt schabend an der lichtüberschneiten Reichsstraße, blendet die Alm jäh aus dem Schlafe, in dem sie längst wieder versunken, ehe die wachen Landfahrer durchs nächste Dörflein hupen. Leute aus Rom, aus Mailand vielleicht. Und morgen abends tanzen sie in München.

An Schlaf ist in der Hütte nicht zu denken. Nicht nur dieserhalb. Auch außerdem. Im Schafstall klimpert hie und da eine Schelle, um die Wände wächst und sinkt der Almwind in ewig wechselndem Rhythmus. Und Jahrhunderte liegen davor im Schlaf versunken, eine Welt gleichmütiger Friedsamkeit, selbstverständlichen Genügens, seit Urzeiten herlebend, in die hinaus die Sinne lauschen wie der rastende Holzwurm im alten Gebälk. Noch brennen weit draußen in den Städten die Lampen um kritzelnde Federn, die Morgen um Morgen hetzenden Haß in die Menge träufeln, auf dem Markte drängt sich der Terrorismus der Unfähigen und des Nachts reibt sich der Satanismus grinsend die Hände unter der Decke.

Still und kalt ist der Morgen nach den Stürmen der Nacht. Fein verblasen liegt der dünne Schnee überm fahlen Bürstling, auf Heidekraut und Preiselbeeren. Beim Moosbründl an der Straße wartet schon die ganze Jägerei. Ein kargfarbiges, stets sich verschiebendes Bild von Männern und wedelnden Hunden, in dem die Lodenröcke, die groben Wadenstutzen, die glosenden Stummelpfeifen vorherrschen. Am verwetterten Filzhut statt des zünftigen Gamsbarts da und dort einen Eichkatzlschwanz. Die Reisjager. Aber darunter windgenarbte Gesichter, oft hart und unschön, aber immer ausdrucksam, und oft mit Augen, die klarer schauen als die schärfste Brille.

Umständlich und oft nach mystischen Marken wird der Jagdplan besprochen. Und bald steh ich oben am Eckpfeiler des weiten Almbogens, der die tiefen Wälder umsäumt. »A guta Stand« – lobt der anstellende alte Jirgl – »da hat vorfertn da Herr Verwalter an wundaschönen Fuchs daschossn – wann er in Trieb is, kemman tuat a glei – und ban Wasserl druntn is nachtn Hochwild einzogn –«

Ich danke freundlich. Und muß ganz intus lächeln. Wie lange schon sind sie vorüber, die Jahre herzpochender Weidmannslust! Wie bin ich jedem Wild und Waldgetier seither zum nichtgeahnten stillen Freunde geworden, dem die Büchse nur der Schlüssel ist in ihr verhohlenes Märchenreich. Sein Werden und Vergehen, sein stummes Verlöschen und Auferstehen im ewigen Ring des Universums, wie seltsam trostvoll sind sie für einen, dem zuzeiten schon ein Jenseits von fernher seltsam kühl durch die Seele weht.

»– und as selbe Kuahli« – mischt sich eine Stimme aus dem Diesseits drein – »sowull i's 'n Kulmjoggl selm weit übazohlt han, is mir heut no net foal – und wia hoch i's schätz, geht an ondern an Dreck an –« Seltsam klar trägt der Wind das sachliche Gespräch zweier bäuerlicher Nachbarschützen zu mir herüber. Gute Nacht, Hochwild!

Aber hinter mir im Wald drunten hat es leise gefiept. Und über den Kahlschlag des Nachbarreviers herauf setzten flink und geisterstill zwei Rehe. Handbreit stehen dem Bock noch heute im Oktober die Krucken über den Lauschern, wie sie so gestreckten Trägers bergaufzu huschen. Vor dem Querzaun droben stutzen sie. Einen Augenblick. Und schon hat der Bock steilauf über den mannshohen Zaun gesetzt, leicht wie zum Spiel. Ängstlich sucht die Geiß entlang, bis sie durch eine Lücke schlüpft. So sind beide entronnen.

Ein Hornstoß drunten und gehorsam wende ich mich der beginnenden Jagd zu. Ein ungeheurer Talkessel ist's, an dessen Rand ich stehe. Mir zu Füßen blaut's vertraut herauf. Der Glasererwald, das Farnloch, der Tannriegel, der Zwölmerschlag. An den Schlägen der Schluchten seidengelbes Blochholz, wie aus der Zündholzschachtel geschüttet; und war doch achtzigjähriger Bestand. Und überm lockeren Zwirnfaden des Farnsteiges der Große und der Kleine Brandkogel, scharf ins Himmelsblau ragend. Wie nackte Ellbogen aus einer moosgrünen Bauernjoppe starren die Felsknochen aus den winddurchscheuerten Almböden. Da drunten kenne ich jedes Steiglein, jeden Winkel, jedes Bründl. Wie da oft am späten Nachmittag beim regungslosen Ansitz der Schlag zu leben begann! Das rucksende Eichhorn am Stamm herab, der hoppelnde Hase unterm Lattich, der Feuermolch unterm Brunnentrog, der Sang der Spottdrossel vom Tannwipfel. Wie die Farben langsam verlöschten, bis nur mehr die weißen Blütenkerzen aus dem Dämmer stachen. Und dazu das ewige Wasserrauschen aus den Gräben! Und wieder im Morgengrauen das erste Schmalreh im Schlag, kaum wahrnehmbar, bis es im steigenden Frühlicht leuchtend im rubinroten Moos stand. Vor vielen Jahren war's gewesen.

Da läutet drunten die Meute hellauf. »Tuck-tuck!« tuscht ein übereiltes Dublee. Dann weinen die Hunde weiter, immer eifriger hinterher, bis ein bedachtsamer Blattschuß sie verstummen läßt. Für einen Augenblick. Bald hallt's wieder durch die Forste, vom Echo vertragen, hitzig jaulend, bald hoch, bald tief. Immer näher. Jäh reißt's mich um, unbewußt. Ein brandroter Prachtfuchs ist durchs Erlach gewischt. Noch auf der Flucht obenan quittiert er meinen Fehlschuß mit einem höhnischen Schwenken der Lunte. Stiller wird's wieder. Ein brauner Vieräugl hetzt herauf zu, mutterseelenallein, und stöbert laut jaulend durchs Gedachs. Dem Almbauer sein Waltl. »Der lüagt! –« meint mein Nachbar drüben, weil er ohne Spur ausgibt … Doch immer näher kommt die Jagd. Da und dort fällt ein Schuß. Schon hallt das »Do, do, do, Waltl –!« der Treiber durch die Stämme her und endlich steht der Jirgl vor mir, mißmutig und abgehetzt.

»Lauter Patzer! 'n Eßmaster is a Tier auf dreiß'g Schritt kemman – und da Almbauer hat an kapitaln Bock g'fahlt. Drei Rech, daß vielleicht liegn, und a paar Hasn – und da Fuchs?« Betroffen zucke ich die Schultern. »Gehma!«

Durch den letzten Hof steigen wir nieder, einen wahren Fuchsbau von altersbraunem Gebälk in kümmerlichstem Stande. Vergrämt und blaß waltet die Bäuerin im Stall. Der Mann ist im Kriege geblieben, weil er noch am letzten Tag vor dem Zusammenbruch an die Front geeilt war, gerade recht zur Gefangennahme und zum langsamen Hinsiechen im italienischen Lager.

In kleinen Trüpplein schlendern die Jäger die Straße herab im lauten Widerspruch der Meinungen. Hoch überm Dörflein hält mich die weite Umschau. Frieden und Ruhe und Sonne! Über den Wäldern blauer Herbstrauch, im Tal die weiße Straße, an den Hängen da und dort ein gelber Marmorbruch. Nun läuten sie zum Mittag.

Im Dorfe drunten hat die stundenlange Spannung längst ihre laute Lösung gefunden. Zum Schneiden dick steht der Tabakqualm in der niederen Wirtsstube. Urwüchsiges Jägerlatein findet dröhnenden Dank. Und immer weiter greifen die Erinnerungen zurück an verklungene Weidmannslust, an Schußneid, an Wildererglück und Jägertod. Seltsame Geschichten tauchen auf, manch unerklärliches Schicksal, manch rätselhafter Spuk. Und auf einmal ist richtig der helledige Teufel um sie, als verwunschener Jäger, als Schatzhüter im Farnloch, als Venedigermanndel am Peterriegel. Gerade zum Abschied noch fange ich eine Geschichte auf, die der Jirgl mit allen Eiden beschwört:

»Da drennt im Obersteirischn is a Bauernhaus, hoaßt ban Reff, do is a der Teufl umgangn. Hobm die Hausleut bold neama bleibn mügn. Kimmt amol a Bärntreiber, hat ang'haltn um a Nachthirberg. Jo, sognt sie, dobleibn kinnt a schon, oba mir selba mügn neama bleibn ban Haus, müan olli Nocht donigehn. Jo, moant da Bärntreiba, wann da nur die Erlabnus hiat, bleibn möcht er schon. Alsdann bleibt a richtig über Nocht und schliaft in Bachofn eini. Und da Bär is davor fürg'legn. Wia's zwölfi schlogg, kimb akrat der Teufl eina bei da Tür. Da Bär dos sechn und von Herd oba und graft mit eahm, daß die Fetzn g'flogn san. Und 'n Teufl richtig außig'spullt ba da Tür. Und dar oa draußen schiach büllt! Wia sie furt san in da Fruah, loahnt da Bauer übers 'n Weg, Hot da Teuft vun Wold obag'schrian: ›Neff, Neff, host dei grabs Katzli noch?‹ – ›Jo‹, sogg da Bauer. – ›Selm gehri neama ins Haus. Obar in Stodl‹, sogga, ›bleib i noch!‹ Oba vun selm an woar da Teufl verkemm –«

Draußen hupt das Auto. Weich sinke ich in die Polster. Wie im Fluge schließen sich die Tannenwände hinter mir. Und damit versinkt diese ganze grüne Welt wieder in den stillen Frieden der Jahrhunderte.


 << zurück weiter >>