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Vom Wintersport

»Keine stolzere Manneslust, als in pfeilschneller Schneeschuhfahrt talab zu sausen, der Herr der Almen, ihr König auch im froststarrenden Reiche der Winterriesen.«

Schmidt, »Die alpine Skitechnik«.

 

Da lag ich nun – endlich, die Nase in einer abgrundtiefen Höhle zerwühlten Pulverschnees, festgefahren in die Sparren eines Almzaunes, mit zerbläutem Hinterteil, der »Herr der Almen«, ihr »König« – aber etwas inkognito! Und da sauste er schon daher, mein dicker Freund, diese zweite alpine Herrennatur, mit mächtigem Bremsprügel angstvoll rudernd, ein irres Lächeln auf den entgeisterten Zügen und wups! – hinein in meinen negativen Thron, mehr Thronfolger als König.

Ich weiß, es ist schwer, einem vom Winde entführten Hute mit Würde nachzugehen, aber es ist tausendmal schwerer, ohne stille Wut diese unentwirrbare Verknotung von Gliedern und Hölzern zu lösen, die uns die Sohlen an meilenweit entfernter Spitze festhält. Wie lächerlich unwürdig für einen Mann von Haltung, diese keuchenden Versuche, auch nur die primitivste menschliche Stellung wieder zu gewinnen.

Im stummen Ringen um die Palme hatte ich mich ergeben und hielt endlich einen rauhrindigen Lärchenstamm brüderlich umschlungen. Mein Thronkollege kämpfte wortlos weiter. Seine eifrigen Versuche, die »Fahrt« wieder aufzunehmen, sein ewiges Japsen zwischen wildem Bäumen und milder Seßhaftigkeit waren erhebend zu sehen. Dies ideale Mißverhältnis zwischen angespanntestem Wollen und der souveränen Macht physikalischer Gesetze erpreßte mir im sicheren Hafen Tränen lachenden Entzückens.

Dann ging es weiter, ein stürzendes Wühlen, ein hastendes Sichaufrecken, dann wieder ein Voranschießen der Beine, ehe der Kopf einen Feldzugsplan auch nur gedacht, nur unterbrochen von kurzen Augenblicken sorgenvollen Genießens. Und stets bedroht im Rücken und zur Seite von meinem Kapriolen schlagenden Fahrtgenossen, der die Almflucht nahm wie ein todernstes Purzelbaummännchen, das Kinder auf einer schiefen Ebene loslassen, und seine Tragikomik trug mit dem eisernen Ernste eines stürzenden Cäsar. Ich war froh, als ich endlich, aus vereistem Hohlweg auf die Dorfstraße zielend, einer alten Kuhmagd unter die Beine fuhr und die widerhaarige Schöne so galant bis vors nahe Dorfwirtshaus rodelte.

So ging's talab!

Und bergauf?

Bergauf, ja – hm – bergauf ist die Sache etwa genau so unterhaltend, als ob man ein Pianino über ein steiles Dach tragen müßte. Nach jedem Schritt dies kurze, sorgenvolle Hasten, dies instinktive Einschalten selten geübter Muskelkombinationen und endlich das ergebungsvolle, unaufhaltsame Rückwärtsrutschen! Das hat etwas Ideales, wenn anders das Kennzeichnende des Idealen im Streben nach Unerreichbarem liegt. In totenstiller Almeinsamkeit geht's ja noch an. Höchstens hie und da ein Aufblick neidvoller Scham zum Bruder Eichhorn, der sich schwerelos durch die Tannenzweige schwingt und uns feinen Pulverschnee in den Nacken stäubt.

Aber vor Zusehern!

Da stehen sie in der vollen, satten Sicherheit ihres bodenschweren Philistertums und genießen mit reinem Entzücken unsere erhabene Erfolglosigkeit. Mit wenigen Schritten ihrer plumpen Schuhe gewinnen sie die Höhe, nach der wir lange unsäglich mühsam in wortlosem Schwitzen streben, und jubeln ihr ironisches »Bravo!«, wenn immer wieder ein edler Kampf im gemeinen Sturz endete. Und erst wenn junge Damen zusehen! Es muß offenbar glücklichere Augenblicke geben, um auf ein Mädchenherz Eindruck zu machen, als die ersten Stunden der Schneeschuhlehrzeit. Ich möchte sie keinem Liebenden empfehlen.

Dann saßen wir im kleinen, rauchigen Ortswirtshause. Was ist doch so ein harter Bauernstuhl für eine köstliche Erfindung! Noch brennen die Wangen, noch zittern die Knie, doch beim dampfenden Glühwein ist die äußere Haltung bald gewonnen. Am Nebentisch sitzt ein Kreis von Bürgern mit Frauen und Töchtern. Mit scheuer Bewunderung bestaunen sie uns dampfende, triefende Eisriesen. Gleichmütig sprechen wir von der sausenden Fahrt, vom blitzschnellen Umwerfen im Augenblick der Gefahr, von der unerreichbaren Güte unserer treuen Skier. (Jämmerlich schief getreten, mit zerrissenem Riemenzeug lehnen sie in der Schlafkammer des Wirtes.) Schwer und wuchtig erheben wir uns nach genossenem Mahl, mit der berechtigten Müdigkeit harter Männer, und verlassen die Stube mit einem Gruß voll milden Mitleids zu den dienernden Philistern hinüber. Wie Blei liegen wir im Schlitten, ein sprechendes Zeugnis für die alte Wahrheit, daß der Mensch viel Vergnügen vertragen kann.

So war es vor Jahren.

Heute ist es gottlob anders. Heute ist es kein mühseliges Erkämpfen des Weges mehr, nur ein stolzes Genießen des Zieles.

Durch alten Hochwald schlürfen wir gemächlich bergan. Silberner Rauhreif umspinnt das Gesträuch, unter weichen Schneekappen träumen die jungen Tannlinge. Durch die ziehenden Nebel strömt ein zerstreutes, verklärtes Licht. Endlich – auch heute noch – ist die Jochhöhe erstiegen. Und wie mit einem Zauberschlage stehen wir über dem wallenden Nebelmeer, unter tiefblauem Himmel im warmen Sonnenlicht. Weit schimmern die flachen Almhöhen in leuchtendem Glanze, wie Gestade der Seligen im brauenden Meer. Von den hohen Schirmlärchen fallen weiche Schneeballen, silbern tropft es vom braunen Geäst, alle Schatten ein leuchtendes Blau. In behaglichem Siffeln gewinnen wir den flachen Almrücken.

Und dann geht es an ein weiches Gleiten, erst langsam, ruckweise, dann immer schneller und schneller. Im schattigen Pulverschnee sprüht es hoch auf unter den sausenden Hölzern und jauchzend werfen wir uns der weichen weißen Unendlichkeit entgegen.

Dann mäßigt sich die Fahrt, wir gleiten um ein kleines »Kögerl« und da liegt es vor uns in gastlicher Behäbigkeit, das neue Almhaus auf der Stubalpe, beim altehrwürdigen »Gaberl«. Darum also klang in seliger Sommerszeit die Axt auf leuchtender Höhe, darum rann der Maurerschweiß – eine Droge von sagenhafter Seltenheit, etwa wie Rosenöl aus den Gärten von Schiras – in Strömen um den kantigen Steinsockel, darum flatterte das Gleichenbäumchen endlich am Dachstuhl, flitterbekränzt im würzigen Almwind. Die junge Sektion »Köflach« des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins hat sich, frisch zugreifend, hier ein Alpenhaus gebaut mit helläugig blitzenden Fenstern, mit traulichen Brüstungen und köstlichen Ausbauen zum Blick ins weite blauende Land. Und nun durchwandern wir die kleine Wunderwelt voll frischen Holzduftes vom lichten, fröhlichen Speisesaal mit dem mächtigen steirischen Kachelofen bis zu den kleinen, heimlichen Zimmern, die frohen Menschen entgegenträumen. Und wenn in blauer Sonnwendnacht die Almen von Jauchzern widerhallen, wenn silbernes Mondlicht auf den freien Höhen liegt und manch kleine, verschwiegene Almsünde auf leichten Sohlen über die duftenden Bergwiesen streicht, dann ist das gastliche Haus auf der Höhe der summende Mittelpunkt für viele, deren stumme Glückseligkeit sich hier allmählich beim goldenen Steirerwein im klingenden Liede löst.

Wer aber den kommenden Winter nicht untätig im Kaffeehausqualm der Stadt vertrödeln will, wer ein sehnsüchtiges Herz hat für die eindringliche Klarheit und Pracht winterlicher Hochlandsbilder und vor allem, wer spannkräftige Sehnen hat und ein treues Schneeschuhpaar, der soll schon heute zu uns heraus kommen, und er wird herzlich empfangen sein.

Und wenn er nach einem solchen Tage voll leuchtender Gotteswunder mit dem letzten »Freund« durchs kohlendunstige Kainachtal nach Hause dampft, so bringt er seinen Lieben mit einem herzlichen »Grüß Gott von der Stubalm!« auch den frischen Schneehauch des Hochlandes mit, klare Augen und frische Kräfte für die harte Arbeit der Woche.


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