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Über den Kreuzberg

Über den Kreuzberg heißt seit uralten Zeiten das Sträßlein entlang dem sonnigen Rebenhügelzug, der die Täler der Weißen und Schwarzen Sulm im Oberlaufe verbindet. »Wies – Weiße Sulm, – Schwanberg – Schwarze Sulm«, lehrte uns seinerzeit der alte Schulmeister. Das klang verständlich. Vor fünfhundert Jahren galt der Höhenweg als fürnehme Landstraße, der heute tief eingegraben in Sand und Leben zwischen Weinbecken läuft. Fromme Male stehen ihm zur Seite, wo ein Steiglein in Waldnacht schlüpft oder ein Kögerl zu schimmernder Weitschau ladet.

Heut ist's ein Frühlingsmorgengang auf windumsungenen Höhen. Der Himmel eine hohe, blaßblaue Glocke, durch deren Unendlichkeit der Lenzwind braust, der dich jäh anspringt in der Tarnkappe, durch dessen rüttelnde Wucht wie durch Wesenloses die Fernen scheinen, unbewegt in kalter, gläserner Klarheit. Und immer wieder wächst der Sturm aus blauen Wäldertiefen, läuft hügelan und sausend um die schlanke Schönheit nackter Buchenleiber und fährt einem Edelkastanienrecken in die Krone, dem schon vor fünfzig, vor hundert Jahren Sturmfehden die Haut zum Harnisch gehürnt und manchen Arm gebuckelt, daß er wie drohend den längst verharschten Stumpf in den Himmel reckt. Nun sinkt der Wind in sich zusammen, spielt lederbraunes Novemberlaub den Hang heran, dreht's über den Weg zu flüsternden Wirbeln, lauert, lauscht. Und wirft sich in ungeheurem Sprunge der Koralm an die Brust, über deren weiße Wölbungen in der Nacht schimmender Schnee gefallen. Da kann er sich ertoben in unbegrenzten Einsamkeiten, kann schütteln und wühlen und apern und füllen und verschleiern und enthüllen.

So ist er fort, und Palmsonntagsstille feiert am warmen Hang. Durch schiefergraues Buchengezweig fliegt der Blick ins leuchtende Land, über die nächsten Hügelwellen mit Weingartenhäusern und Lindenkronen in blauende Fernen, daraus da und dort ein Kirchlein glänzt, ein wehrhaftes Schlößlein, ein osterfrohes Dörflein im Obstanger.

Und langsam hebt die alte Erde zu reden an. –

Siedlungsgeschichte –! Erster Finkenschlag über winterstiller Erde, ahnungsvolles Frührot überm Zwielicht der Zeiten, karger Trunk aus ihrem rätselvollen Becher, dem hartdurchmaserten. Moor und Heide im fahlen Filz. »Im Moos«, »in den Weiden«, »auf der Heiden« heißt's da und dort noch zu unserer Zeit. Hügelgräber am Waldsaum. Und wenn der Pflug über die lockere Erde geht, so gräbt er zu guter Stunde wohl einen edelgrünen Bronzekelt, ein gläsernes Tränenfläschchen aus geringer Tiefe, das verwundert schwach aufschillert im grellen Licht des Tages, nach anderthalbtausend Jahren. Oder er stößt unterm Moos auf ein Mauerband als Rest eines bescheidenen Landhauses, darin einst ein verdienter römischer Veteran sein Hypokaustum mit steirischen Tannenzapfen gegen den kalten norischen Winter heizte. Und immer wieder sank's zugrunde, was an Schmuck und Gerät die spärlichen Siedler erfreut, unter Brandschutt, unter Rosseshufen, unter Herbstlaub und wucherndem Wildwuchs.

Neue Herren kamen ins Land. Durch Wald und Dorn rodet das Erzstift Salzburg, gewaltig an Macht und Willen. Ungefüge Türme steigen aus dem Tann, wehrhaft, quaderschwer, zu Landsberg, zu Schwanberg, zu Arnfels. In harter Bauernfron spannen sich die Sträßlein über die Höhen, darauf etwa dreihundert Jahre später Ritter Erhart der Eibiswalder zum Landestaiding nach Leibnitz reitet – und ein Viertelstündlein dahinter Meister Ortolf von Altenmarkt, gemächlich und bescheiden, denn er hat aufs Handpferd zwei Fäßlein geladen, die er aus den weiten Burgkellern zu Seggau mit Meßwein zu füllen gedenkt.

Und immer wieder zog derweilen der Bauer seine Pflugfurche durch die Jahrhunderte, im Schneckengang der harten Zeitläufte; grub um Stift und Steuer, spannte vor tags zur Robot ein und erst aus, »wann die Sunn will hinter geen« – und baute dann in der schläfernden Sonntagsstille seines Dorfkirchleins immer wieder auf seinen lieben steirischen Herrgott.

Bis wieder einmal der Feind der Christenheit dräuend an den Grenzen der Heimat stand. Gerüchte flogen ihm voraus wie krächzende Raben, von landfahrenden Flüchtlingen schreckhaft vergrößert. Zur Nacht aber glomm da und dort ein warnendes Kreidfeuer auf, wie ein rotes, böses Auge, von der Riegersburg, vom Demmerkogel, vom Radl. Und noch in der Nacht ging's mit Weib und Kindern und Gerät und Vieh in die Wälder.

Aber schlimmer noch, wenn der Gifthauch der Pest unsichtbar übers Land kroch. »Tua du maahn, i werd rechen«, hatte irgendwo in sinkender Dämmerung ein fremdes hageres Weib vor der Dorfgasse zu ihrem hohläugigen Gesellen gerufen. In sieben Dörfern sprach sich's am nächsten Morgen schon herum, und ein grausames Sterben begann … »Iß brav Kranawett und Bibernell, dann stirbst nit so schnell«, hatte ein kleines Vöglein wohl vom Wegkreuz gewarnt. Aber weder die scharf beißende Pimpinella wollte helfen, noch das Räuchern und Aderlassen, noch Latwergen, Theriak und Pestilenzkugeln. Da starben ganze Häuser aus, und flüchtig von der Ferne eingesegnet, scharrte man die Leichen ein. Noch mahnt aus Dorn und Dickicht ein verwittertes Kreuzstöckl mit den Mauernischen für die Pestpatrone Rochus und Sebastian oder die heilige Rosalia an jene harten Zeiten.

Langsam, nur allzu langsam für den Bauer, kamen bessere Zeiten herauf. Noch drückten Robot und Jagdfron und Brieftragen und Botenlaufen und die Kleinrechte und Kucheldienste an Lämmern und Schweinsstelzen und Wein und Wachs und Wolle. Und das überhegte, hochgefreite Wild zertrat nächtens Haferfeld und Krautgarten. Bis zwei Lichtgestalten Befreiung brachten, die große Kaiserin Maria Theresia und ihr eifervoller Sohn Josephus.

Aber davon weiß das Bauernvolk unserer Tage wohl nicht mehr viel. Und wenig mehr von seinem einstigen Liebling, dessen Bild noch da und dort stockfleckig unter blindem Glase in der Stube hängt, vom Prinzen Johann, der im nahen Stainz drüben seine Reben pflanzte und am Rosenkogel den Auerhahn ansprang.

Ein Auto hupt landfahrend irgendwo aus der Tiefe. Mein Höhenweg hat sich etwas belebt. Von der Palmweih kehren sie heim. Und dort tragen gar ihrer zwei an einem klafterlangen Buschen. Ein eisgraues Bäuerlein hält vor mir an. Ein Achtele Wein beim Kirchenwirt hat genügt, ihn anzuregen: »Ja, is a lustigs Örtl da bei uns herobm.« Von der Schwanbergalm über Schöckel und Kulm eilt der Blick wieder heim über die Stummelpfeife. »Aber in mein Jungsein, Herrschaft!, da is oft umgangen! Han no hochzeitgeignt auf der Tanzmühl. Is der Prinz Johann kemm von Stanz übra. Hat mir an Silberzwanzga g'schenkt: ›So, Büabl, und hiaz tuat's mar an Almerischen auf!‹«

Gottlob, tragen seine trüben Augen nur mehr in die sonnigsten Tage der »guten, alten Zeit«. Und eine »Kuba« für den Nachmittag versöhnt das alte Gotteskind mit der neuen –


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