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Die Geschichte von den drei Derwischen

Drei Derwische verabredeten einst eine Reise miteinander und traten daher an einen Schiffseigner heran, der von Syrien nach Zypern segeln wollte, und baten ihn um einen Platz auf seinem Schiffe. Der hatte nichts dagegen, verlangte jedoch, daß ihm jeder Derwisch einen Golddinar dafür zahlen sollte.

Der älteste der Derwische sagte zu ihm: »Nein, wir können dir unmöglich Geld dafür geben!« »Und warum nicht?« fragte der Eigner. »Weil wir heilige Männer und gewisser göttlicher Gaben teilhaftig sind!« antwortete der Derwisch. Der Eigner entgegnete: »So laßt doch hören, was solches für göttliche Gaben sind!« »Nun, ich bin imstande, einen Gegenstand in der Entfernung einer Jahresreise zu erkennen!« sagte der älteste der Derwische. »Ich aber«, rief der zweite Derwisch, »kann ebensoweit hören, wie unser Bruder sieht!« Darauf fragte der Eigner den dritten Derwisch: »Und du, welche göttliche Gabe besitzest du denn?« »O Herr,« antwortete der, »ich bin ein Ungläubiger!«

»Du ein Ungläubiger?« sagte der Eigner, »packe dich, ich führe ein Schiff, das dem Sultan gehört, und darf wahrlich keinen Ungläubigen an Bord nehmen. Deine Gefährten sollen mit mir fahren, doch du mußt zurückbleiben.« Hierauf versetzten die beiden andern Derwische: »O Herr, wir bitten um Vergebung, aber ohne unseren Bruder können wir unmöglich reisen; wir müssen mitsammen fahren oder aber alle drei hierbleiben!« »Wenn es sich so verhält,« sagte der Schiffseigner, »will ich in Anbetreff der göttlichen Gaben, derer ihr teilhaftig seid, den Unglauben eures Bruders übersehen und euch alle drei aufnehmen!«

Die drei Derwische schifften sich nun ein; dem Fahrzeuge aber wehte ein günstiger Wind. Als die drei Derwische auf der Fahrt mit dem Eigner auf Deck saßen, sprach der älteste der Derwische: »Siehe da, die Sultanstochter von Indien sitzt am Fenster ihres Palastes und hält eine Stickerei in der Hand!« »Pest über deine Augen,« rief der zweite Derwisch dazwischen, »die Nadel ist ihrer Hand in diesem Augenblicke entglitten, und ich höre, wie sie auf den Boden fällt!« Da sprach der dritte Derwisch zum Schiffseigner: »O Herr, soll ich nun ein Ungläubiger sein oder nicht ?« worauf dieser antwortete: »Komm mit mir in meine Koje, ich will mich fortan auch mit dir zum Unglauben bekennen!«


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