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Die Geschichte eines Sufis von Bagdad

Unter der Regierung des berühmten Kalifen Harun al-Raschid lebte in Bagdad ein Sufi Ein Mönch, dessen Glaube sich mit den Lehren der Gnostiker berührte., der den Genuß und das Wohlleben liebte; da aber die Almosen, die er von den Gläubigen erhielt, kaum genügten, sein nacktes Leben zu fristen, nahm er seine Zuflucht oft zu Listen, die ihm glückten.

Unter anderm stellte er sich eines Tages vor dem Palaste des Kalifen ein, und als ein Pförtner ihn fragte, was er wollte, erwiderte er, er möge Harun al-Raschid sagen, daß er nicht vergessen dürfte, ihm an jenem Tage tausend Golddinare zu schicken. Der Pförtner lachte ob dieser Antwort, und da er den Sufi für einen Narren hielt, so sprach er in spöttischem Ton zu ihm: »O mein Bruder, ich werde mich dieses Auftrags pünktlich entledigen; doch ich bitte dich, sage mir, wo du wohnst, auf daß man dir die genannte Summe bringen könne.« Der Sufi also nannte ihm seine Wohnung und zog sich in ernster Würde zurück.

Der Pförtner folgte ihm mit den Augen, bis er ihm aus dem Blick entschwand. Dann erzählte er einigen Dienern des Palastes von dem Vorfall, und alle lachten sehr darob und fanden, daß die Geschichte verdiente, auch dem Kalifen berichtet zu werden. Als nun der Beherrscher der Gläubigen diesen Bericht vernommen hatte, lachte er gleichfalls und gab seinen Würdenträgern Befehl, diesen Menschen aufzusuchen und zu ihm zu führen.

Die Würdenträger fanden den Sufi an dem Ort, den er dem Pförtner des Palastes angegeben hatte; und als sie ihm sagten, daß der Kalif ihn zu sehen wünschte, begab er sich mit ihnen in den Palast, wo er kühn vor Harun al-Raschid hintrat. Der Kalif sprach zu ihm: »Wer bist du und weshalb soll ich dir tausend Golddinare geben?« »O Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte der Sufi, »ich bin ein Unglücklicher, dem es an jeglicher Notdurft des Lebens mangelt. In letzter Nacht nun richtete ich, da mein Geist von meinem Elend verbittert und wider mein arges Schicksal empört war, diese Klage an Allah: ›O mein Gott,‹ sprach ich, ›woher kommt es, daß du mir alles versagst, während du den glücklichen Harun al-Raschid mit Gütern überhäufst? Was hat er getan, um solche Gunst zu verdienen? Und was habe ich getan, daß du mich so mit deinem Grimme verfolgst? Ich bin ein redlicher Mann, und er ist vielleicht so vielen Reichtums unwert.‹ Und während ich also klagte, vernahm ich eine Stimme vom Himmel, die zu mir sprach: ›Halt inne, Verwegener, halt inne. Wenn du wider dein Schicksal murrst, so nenne nicht Harun al-Raschid in deinen Reden; sehr zu Unrecht zweifelst du daran, daß der Fürst der wahren Gläubigen das Glück, das er genießt, verdient. Er ist ein tugendhafter König, und er würde dir helfen, wenn er von deinem Elend unterrichtet wäre. Stelle seine Großmut auf die Probe, und du wirst sehen, daß er durch seine Tugend noch höher über den Menschen steht als durch seinen Rang.‹ Als ich das vernahm, o mein Herr,« fuhr der Sufi fort, »hielt ich in meinen Klagen inne, und heute morgen stellte ich mich vor dem Tore deines Palastes ein, um deine Großmut zu erproben, indem ich tausend Dinare von dir erbat.«

Der Kalif brach ob dieser Rede in ein Gelächter aus, bewunderte die Schlauheit des Sufis und ließ ihm zweitausend Dinare geben. Mit diesem Gelde zog sich der Sufi alsbald zurück, und da er sofort begann, im Wohlleben zu schwelgen, so verfehlte er nicht, die Summe, obwohl sie ziemlich beträchtlich war, in sehr kurzer Zeit zu vergeuden.

Kaum aber sah er sich wieder zu seiner einfachen Lebensweise gezwungen, so wandte er wiederum seine Listen an. Er erfuhr, daß der Kalif leidenschaftlich den Propheten Elias zu sehen wünschte, und daß er dem, der ihn ihm zeigen würde, eine hohe Belohnung bot. Mehr bedurfte es nicht, um den Sufi dahinzubringen, daß er sein Gewerbe übte. Er suchte Harun auf und sprach zu ihm: »O Beherrscher der Gläubigen, ich werde dir in drei Jahren den Propheten Elias zeigen, wenn deine Hoheit mir bis dahin ein Jahrgeld auswirft, von dem ich leben kann. Ich verlange eine gutbestellte Tafel und vier der schönsten Sklavinnen aus deinem Harem.« »Ich gewähre dir beides,« erwiderte der Kalif; »aber bedenke auch, was du mir versprichst. Ich warne dich; wenn ich in drei Jahren nicht den Propheten Elias sehe, so lasse ich dir den Kopf abschlagen.« Der Sufi fügte sich dieser Bedingung, denn er sprach bei sich selber: ›Der Kalif wird mir meinen Trug vergeben, oder es wird sich irgend etwas ereignen, was bewirkt, daß er in Vergessenheit gerät. Inzwischen werde ich drei Jahre in Überfluß und in Freuden verleben.‹ Harun ließ ihm ein Gemach im Palast anweisen und gab Befehl, daß ihm nichts von allem, was er begehren würde, verweigert werden sollte.

Die drei Jahre nun verstrichen, und da der Kalif den Propheten Elias immer noch nicht gesehen hatte, so sprach er zu dem Sufi: »Wir haben vereinbart, daß ich dir den Kopf abschlagen ließe, wenn ich nach drei Jahren nicht den Propheten Elias sehen würde. Die drei Jahre sind verstrichen, du hast mir Elias nicht gezeigt, und also mußt du sterben.« Da nun der Sufi auf diese Worte nichts zu erwidern hatte, wurde er in den Kerker geworfen, und eben stand der Henker im Begriff, ihm sein Leben zu nehmen, als es ihm gelang, die Wachsamkeit seiner Wächter zu täuschen und zu entschlüpfen. Er verbarg sich auf dem Totenacker in einer Höhle, deren Eingang ihm bekannt war.

Dort überließ er sich den grausamsten Gedanken, als plötzlich ein weißgekleideter Jüngling von herrlicher Schönheit vor seinem traurigen Blick erschien und ihn fragte, was ihn gezwungen hätte, sich an einem solchen Orte zu verbergen. Der Sufi erwiderte aber auf diese Frage nur durch einen Seufzer. »Fürchte nichts,« fuhr der Jüngling fort; »ich komme nicht hierher, um dir ein Leid anzutun. Ja, ich bin gesonnen, dir zu dienen. Nenne mir den Gegenstand deiner Sorge und des Schreckens, den ich in deinen Augen lese; vielleicht kann ich dir mehr von Nutzen sein, als du denkst.«

Obwohl nun der Sufi allen Grund hatte, jedem zu mißtrauen, fühlte er doch irgendwie ein Vertrauen in sich keimen, das jegliche Befürchtung vertrieb. Er erzählte dem Jüngling alles, was zwischen ihm und Harun al-Raschid vorgefallen war; und als er geendet hatte, ergriff der Jüngling das Wort und sprach zu ihm: »Ich habe von diesem Abenteuer bereits vernommen, und ich will dir offen sagen, daß ich nicht umhin kann, dich zu tadeln; der Könige darf niemand spotten. Freilich sind sie auch nur Menschen, aber Gott hat sie über die andern gestellt; wir sollen sie auf Erden als die vollkommensten Abbilder seiner göttlichen Allmacht ehren; und wer sie betrügt, der begeht ein Verbrechen, das die schwerste Sühne verdient. Trotzdem aber will ich dir behilflich sein; folge mir, ich will den Kalifen für dich um Gnade bitten, und ich bin fest überzeugt, daß ich sie dir erwirken werde.«

Durch diese Worte fühlte der Sufi sich vollkommen beruhigt; er folgte dem Jüngling; und als der ihn vor Harun al-Raschid geführt hatte, sprach er zu ihm: »O Beherrscher der Gläubigen, ich bringe dir den Sufi, der dich betrogen hat. Ich habe ihn aus dem Versteck geholt, in dem er sich verborgen hatte, und ich komme, um ihn deiner Gerechtigkeit auszuliefern; bestrafe ihn, denn er hat es verdient.« Der Sufi erstaunte in höchstem Staunen, als er seinen Führer also reden hörte. »O Himmel,« sagte er, außer sich vor Schrecken, »wie trügerisch aller Schein doch ist! Wer hätte den Zügen eines so schönen Jünglings nicht vertraut? Wer hätte ihn eines so schwarzen Verrats für fähig gehalten?«

Der Kalif nun saß auf einem Lager, und sowie er den Sufi gewahrte, konnte er eine Regung des Grimmes, der ihn beherrschte, nicht unterdrücken. »O du Halunke,« rief er, »du Sünder, der du dich durch deine Flucht zum zweitenmal schuldig machtest, jetzt sollst du unter den furchtbarsten Qualen sterben.« Er hatte diese Worte im Tone der Wut gesprochen und sich dabei unter so heftigen Gesten bewegt, daß sein Lager, dessen einer Fuß kürzer war als die andern, umstürzte und ihn in seinem Sturze mitriß. »Gut,« sagte da der Jüngling, der den Sufi begleitete, »ein jedes Ding hat seine Ursach.« Ein Diener beeilte sich alsbald, den Kalifen wieder aufzuheben, und dabei faßte er ihn so hart am Arme an, daß er einen Schrei ausstieß. »Gut,« sagte der Jüngling, der schon einmal gesprochen hatte, »ein jedes Ding hat seine Ursach.«

Als nun Harun al-Raschid sich wieder erhoben hatte, wandte er sieh dreien seiner Wesire zu, die anwesend waren, und sprach zu ihnen: »O Wesire, was sollen wir mit diesem Sufi beginnen ?« Da versetzte der erste Wesir: »O Beherrscher der Gläubigen, wir müssen diesen Betrüger vierteilen und an eine Zeltstange hängen, um die andern Menschen zu lehren, daß niemand Könige belügen darf.« Da ergriff der junge Führer des Sufis das Wort und sprach: »Dieser Wesir hat recht, denn ein jedes Ding hat seine Ursach.« Der zweite Wesir aber war nicht der Ansicht des ersten. »Ich wollte,« sprach er, »man kochte ihn lebendig in einem Kessel und würfe ihn dann den Hunden als Fraß vor.« Und als der Jüngling das hörte, sprach er: »Dieser Wesir hat recht, denn ein jedes Ding hat seine Ursach.« Der Kalif fragte schließlich auch den dritten Wesir, der wiederum anderer Meinung war. »O unser Herr,« sprach er, »das beste ist, wenn deine Hoheit ihm vergibt und ihn in Freiheit setzen läßt.« »Vortrefflich,« rief der junge Mann zum drittenmal, »ein jedes Ding hat seine Ursach.«

»O Jüngling,« sagte da Harun, indem er den Führer des Sufis fest ansah, »weshalb hast du diese Worte so oft wiederholt? Meine drei Wesire waren sämtlich verschiedener Meinung, und trotzdem sagtest du, nachdem ein jeder von ihnen gesprochen hatte: .Dieser Wesir hat recht, denn ein jedes Ding hat seine Ursach.' Wenn du also sprachest, so steckte eine geheime Absicht dahinter, und also erkläre mir, was du meintest.« »O König,« erwiderte der Jüngling, »deine Hoheit ist gefallen, weil das Lager, auf dem du saßest, einen Fuß hat, der kürzer ist als die andern drei; und da ein Hinkender dieses Lager gemacht hat, so sagte ich alsbald: ›Gut, ein jedes Ding hat seine Ursach.‹ Der Diener, der dich aufhob und so hart am Arme packte, war der Sohn eines Gliedereinrenkers, und also sagte ich: ›Gut, ein jedes Ding hat seine Ursach.‹ Als dann der erste Wesir seine Meinung dahin abgab, daß der Sufi auf eine Zeltstange gesteckt werden müßte, sagte ich: ›Gut, ein jedes Ding hat seine Ursach‹, weil dieser Wesir der Sohn eines Fleischers ist. Die gleichen Worte wiederholte ich, als der zweite Wesir eine andre Meinung vernehmen ließ; denn da er der Sprößling eines Koches ist, so konnte er keinen Wahrspruch fällen, der besser mit seiner Herkunft im Einklang gestanden hätte. Der dritte aber, der dir anriet, Verzeihung zu üben, ist von edler Geburt, und deshalb sagte ich wiederum, daß jegliches Ding seine Ursach hat.

O unser Herr,« fuhr der Jüngling fort, »nachdem ich dir diese Aufklärung gegeben habe, muß ich dir noch eine weitere geben. Erfahre, daß ich der Prophet Elias bin. Du sehnst dich seit so langer Zeit danach, mich zu erblicken, daß ich dir die Befriedigung deines Wunsches nicht abschlagen wollte. Aber bedenke auch, daß ich damit ein Versprechen erfülle, das der Sufi dir in seiner Verwegenheit gegeben hat.« Und kaum hatte der Jüngling also gesprochen, so war er auch schon verschwunden. Der Kalif freute sich in höchster Freude, weil er Elias gesehen hatte; er vergab dem Schuldigen und warf ihm sogar ein Jahrgeld aus, damit ihn die Not nicht länger zwänge, Schelmenstreiche zu begehen, um in Ruhe leben zu können.


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