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Als Sultan Sulaiman den Thron bestieg, erklärte er Vogel Greif, der das Gebirge von Kaf bewohnte, für den König aller Vögel. Obwohl das kluge Tier siebzehntausend Vogelarten hatte, welche ihm Untertan waren, blieb es doch immer im Dienste des Fürsten und kam jeden Morgen, um ihm den Hof zu machen.
Vogel Greif war eines Tages bei einem Streite zugegen, oder vielmehr einer Verhandlung, welche die Gesetzeskundigen in Sulaimans Gegenwart führten. Einer unter ihnen sagte, man könne nicht wider Gottes Ratschlüsse handeln. Vogel Greif war erstaunt über diesen Satz und unterbrach ihn und sagte mit sehr lauter Stimme: ›Ich meine, daß ich das, was Gott beschließt, verhindern kann.‹ Die Weisen hielten ihm nun vergebens seine Torheit vor und die Gottlosigkeit dessen, was er behauptete; und Gott, der es gehört hatte, wollte sehen, was sein Plan war und welche Maßnahmen Vogel Greif treffen könnte, um seine Beschlüsse scheitern zu lassen.
›Ich will,‹ sprach er nun, ›daß die Tochter des Königs vom Abendlande den Sohn des Königs vom Morgenlande heiraten soll. Geh‹, sprach er zu Gabriel, ›und laß Sulaiman um mein Vorhaben wissen; wir wollen sehen, was Vogel Greif anstellt, um diese Heirat zunichte zu machen.‹ Sulaiman teilte Vogel Greif den Willen Gottes mit und machte ihm noch Vorhaltungen, damit er das Lächerliche seines Unterfangens einsehen sollte; er aber bestand immer auf seiner Meinung und sagte, er werde Mittel finden, die Heirat zu hintertreiben.
›Ich geruhe dir zu verkündigen,‹ fuhr der Sultan fort, Ydaß die Königin vom Abendlande in diesem Augenblicke eine Tochter geboren hat, die man dem Sohne des Königs vom Morgenlande bestimmt.‹ Vogel Greif flog sofort auf, ohne noch vernommen zu haben, daß nur die Nachteule zu ihm halte. Sie war der einzige unter allen Vögeln, welcher glaubte, daß Vogel Greif mit seinem Unternehmen Glück haben würde. Er strich mit der größten Schnelligkeit durch die Luft und kam bald im Abendlande an und suchte eine Weile mit den Augen, um die Gegend zu finden, in der die Prinzessin wohnte; endlich erblickte er sie in ihrer Wiege, umgeben von ihren Nährmüttern. Und er stieß aus hoher Luft auf diesen Platz; die Weiber aber, die sie umgaben, ergriffen die Flucht; und er hob die Prinzessin ohne Widerstand auf und trug sie in das Gebirge von Kaf, wo sein Nest war. Vogel Greif war ein Weibchen; so gab er ihr denn alle Nächte die Brust; und seine Milch war so gut, daß sie bald entwöhnt werden konnte. Schließlich erfreute sie sich einer sehr guten Gesundheit und wurde ebenso schön wie groß; Vogel Greif selbst scheute keine Kosten, um ihr eine angemessene Bildung zu geben, sei es, daß er sie lesen und schreiben lehrte, sei es, daß er sich mit ihr über die Bücher unterhielt, welche er ihr zu lesen mitgebracht hatte. Die Prinzessin, die ihn wie eine Mutter verehrte, gehorchte ihm blind und beschäftigte sich alle Tage in der Einsamkeit seines Nestes; denn Vogel Greif ging unaufhörlich jeden Morgen, um Sulaiman die Dienste anzubieten, die der Fürst von ihm fordern konnte. In Wahrheit kehrte er alle Abende zurück, um mit seiner kleinen, lieben Tochter zu essen und sich mit ihr zu unterhalten. Sie kam schließlich in das heiratsfähige Alter; und in dieser Zeit stieg der Sohn des Königs vom Morgenlande auf den Thron, den ihm sein Vater nach seinem Tode überlassen hatte.
Dieser Fürst war so für die Jagd eingenommen, daß er keinen Tag verstreichen ließ, ohne solchen Vergnügungen nachzugehen; doch schließlich langweilte es ihn, immer in denselben Wäldern auf dieselben Tiere Jagd zu machen, und er sprach zu seinen Wesiren: ›Wir wollen uns einschiffen, um in entfernten Gegenden zu jagen, die uns noch unbekannt sind; während unserer Abwesenheit lassen wir dem Lande hier Zeit, sich wieder mit Getier zu bevölkern.‹ Die Wesire antworteten ihm:
›O Fürst, es steht dir an, uns Befehle zu geben, und uns an, sie auszuführen!‹ und ließen alsobald kleine Schiffe herrichten, um möglichst leicht an den Küsten zu landen. Der junge König nun stieg mit seinen Wesiren und seinem Hofe zu Schiff und segelte fort. Da er kein bestimmtes Ziel hatte, so war ihm jeder Wind recht. Nachdem er auf mehreren Inseln gejagt, bei denen seine Schiffe Anker geworfen hatten, erhob sich ein so gewaltiges Unwetter, daß alle seine Schiffe zerschellten oder getrennt wurden; doch mit Gottes Fürsorge kam ein einziges Schiff, das den Fürsten barg, am Fuße des Gebirges von Kaf an. Einige seiner Hauptleute stiegen mit ihm ans Land und waren sehr verwundert, als sie es unbewohnt fanden und nur schreckliche und steile Gebirge antrafen. Indessen schickten sie sich trotz der Dürftigkeit des Himmelsstrichs zu jagen an. Ohne daß es ihm auffiel, entfernte sich der Fürst von ihnen und verirrte sich. Er drang eine Zeitlang aufs Geratewohl vor; endlich bemerkte er einen Baum, der ihn durch seinen Umfang in Erstaunen setzte; vierhundert Männer hätten ihn nicht umspannen können; seine Höhe stand im gleichen Verhältnisse zu dem Umfange des Stammes; und mit gleichem Erstaunen entdeckte er ein Nest auf diesem Baume. Es hatte mehrere Stockwerke, und seine Ausdehnung überstieg die der größten Schlösser. Und es war aus Balken und Bohlen von Zedern und Sandel und all den Holzarten zusammengefügt, die ein schöner Geruch berühmt macht. Der junge Fürst aber prüfte mit der größten Aufmerksamkeit dieses Wunder von Kunst und Natur, als er durch eine Art Fensteröffnung oder durch einen Zwischenraum, den die Holzbohlen ließen, welche dieses wunderbare Nest bildeten, ein junges, noch wunderbareres weibliches Wesen erblickte. Auch sie entdeckte ihn bald. Einige Augenblicke sahen sie sich an, ohne ein Wort sagen zu können, so erstaunt und entzückt waren sie gleichzeitig. Gott gewährte es, daß sie ihre Sprache verstanden. Der Fürst rief aus: ›O Sonne der Schönheit, was machst du in einer Wohnung, die deiner Reize unwürdig ist!‹
›Ach,‹ sprach sie, ›ich bringe die Tage einsam und die Nacht mit meiner Mutter zu. Sie steht in Sulaimans Diensten‹, fügte sie erklärend hinzu. Der Fürst fiel von einem Erstaunen ins andere, und er war es im Übermaße, als sie ihm sagte, daß ihre Mutter Flügel hätte und daß sich das Gebirge, in dem sie waren, das Gebirge von Kaf nannte, welches so berühmt in der Welt und so wenig besucht ist. Der Fürst ließ sie seinerseits wissen, wie ihn ein glücklicher Zufall zu ihr geführt habe. Während er die junge Prinzessin über sein Schicksal unterrichtete, sagte sie zu sich selbst: ›Dieser junge Mensch ist von meiner Gattung, er gleicht mir. Wie zufrieden wollte ich mit ihm leben. Meine Mutter ist nicht so glücklich, unsere Gestalt zu haben; und ihre ist nicht, bei weitem nicht so schön. Das ist wahr,‹ fuhr sie fort, ›aber sie hat Flügel. Ach, wenn ich auch welche hätte, würde ich bald an seiner Seite sein und mich niemals von ihm trennen!‹ Nach solchen süßen Gedanken sagte sie: ›Kannst du kein Mittel ausfindig machen, um in das Nest zu steigen? Wir würden uns dann weniger mühelos unterhalten können!‹
›Weh, ich vermag es nicht‹, erwiderte ihr der Fürst. ›Hätte ich wohl, wenn es möglich wäre, gewartet, bis du mir den Vorschlag gemacht? Hätte ich mich dann auffordern lassen?‹
›Da ich im Zweifel bin,‹ entgegnete die Prinzessin, ›ob es meine Mutter für recht hält, daß du bei mir bist, habe ich ein Mittel gefunden, dich ohne ihr Wissen zu sehn.‹
›Du siehst, o Gebieter,‹ sprach Fatme, indem sie sich unterbrach und Abukazir mit einem heißen Blicke ansah, um ihn zu jedem Unternehmen anzufeuern, ›du siehst,‹ sagte sie, ›welches Gefühl die ganz naturgemäß beherrscht, welche die Welt am wenigsten gebildet hat. Der Prinz‹, nahm Fatme wieder die Erzählung auf, ›fragte die Prinzessin, welches Mittel sie ausgesonnen habe.
›Es gibt keines,‹ fügte er hinzu, ›das ich nicht anwenden würde, um dich zu sehen und anzubeten!‹
›Ich merke mit Entzücken,‹ erwiderte sie, ›daß deine Gefühle meinen so gänzlich gleichen. Betrachte den Körper des Kamels, das du wenige Schritte von dir siehst,‹ fuhr sie fort, ›es ist eben gestorben. Die Sonne wird es bald ausdörren, du sollst es mit allen wohlriechenden Kräutern, die du in der Nähe stehen siehst, bekränzen und dich dann in seinem Bauche verbergen, auf daß man dich nicht sehen kann; und ich will dann meine Mutter bitten, daß sie es mir heraufholt, um seinen Bau zu prüfen; sie wird es mir nicht abschlagen; und morgen mittag soll uns ihre Abreise alle Freiheit gewähren, die wir uns nur wünschen können.‹ Alles geschah, wie sie es geplant hatte; und als der Prinz im Neste war, hinderte sie niemand daran, sich die Zeit auf das glücklichste zu vertreiben. Wenn die Mutter ins Nest zurückkehrte, erblickten sie sie gewöhnlich von weitem, und der Prinz kehrte alsobald in sein Kamel zurück, um erst nach ihrer Abreise wieder hervorzukommen. Währenddem wurde die Prinzessin schwanger; und als es so weit war, daß sie gebären mußte, befahl Gott nun dem Engel Gabriel, Sulaiman davon in Kenntnis zu setzen. Der ließ alsobald Vogel Greif kommen und fragte ihn, ob er die Ehe des Morgenlandkönigs mit der Tochter des Königs vom Abendlande verhindert habe. ›Zweifelsohne,‹ antwortete er ihm, ›die Prinzessin ist seit langem in meiner Gewalt; ich kenne niemanden, der sich ihr genähert hat; sie ist in meinem Neste auf dem Gebirge von Kaf; solches genügt, um dir zu versichern, daß sie niemand außer mir gesehen hat!‹
›Hole sie mir sofort,‹ antwortete ihm der König, ›ich will sie sehen und mich selber überzeugen, ob du mir darin nicht die Unwahrheit sagst!‹ Vogel Greif willigte mit Freuden ein; und Sulaiman gab, um ganz sicher zu gehen, nicht betrogen zu werden, zweien andern großen Vögeln Befehl, ihn zu begleiten, um hernach Rechenschaft über sein Benehmen abzulegen.
Die Vögel aber flogen davon, und Sulaiman ließ einen Diwan versammeln, welcher aus fast allen Gesetzeskundigen und seinem ganzen Hofe bestand, damit sie Zeugen wären von allem, was sich zutragen könnte. Die junge Prinzessin hörte glücklicherweise das Geräusch, welches die Vögel im Fluge machten, und war sehr erstaunt darüber; denn niemals war ihre Mutter zu einer solchen Stunde heimgekommen. Und sie hatte kaum Zeit, den Prinzen, der sich mit ihr unterhielt, zum Verstecken aufzufordern, und ihn schnell in dem Kamele zu verbergen. Ohne sich indessen etwas von dem Schrecken, den sie bekommen hatte, merken zu lassen, ließ sie es sich doch nicht nehmen, ihrer Mutter einige Verwunderung, die ihre Rückkehr in ihr erweckte, und über die Ankunft der beiden Vögel, welche sie begleiteten, kundzutun. ›Oh, meine Tochter, Sulaiman will dich sehen,‹ erwiderte ihr Vogel Greif, ›wir müssen augenblicklich aufbrechen: ich komme nur, um dich zu holen und an seinen Hof zu bringen!‹ Die Prinzessin war erstaunt, jedoch mehr noch um ihren Geliebten besorgt, den sie nicht verlassen wollte; trotzdem verlor sie ihre Fassung nicht und sagte zum Vogel Greif:
›Wie hast du beschlossen, mich hinzubringen, o liebe Mutter?‹
›Ich will dich auf meinem Rücken tragen‹, gab ihr Vogel Greif zur Antwort.
›Aber beim Überfliegen so vieler Meere und Gebirge‹, sagte sie dawider, ›wird mir zweifellos schwindlig werden; der Anblick all der verschiedenen Dinge und die Schnelligkeit, mit der du fliegst, werden mich sicherlich stürzen lassen; mein Tod ist mir gewiß; so zu reisen kann ich mich nicht entschließen. Setze mich vielmehr in den Bauch dieses Kameles,‹ fügte sie hinzu, ›ich will mich darin einschließen und werde nichts sehen, folglich auch in keine Gefahr kommen!‹ Vogel Greif hieß solchen Plan gut und wußte seiner Tochter für diesen Einfall und den Verstand, den sie gezeigt hatte, Dank; die Prinzessin aber setzte sich ins Kamel, wo der Prinz mit einer äußersten Unruhe das Ende einer für seine Liebste und sich so wichtigen Unterhaltung erwartete; und die Geschichte versichert, daß die Prinzessin auf dem Wege eines Sohnes genas.
Als die Vögel vor Sulaiman angekommen waren, der sie inmitten seines Diwans erwartete, hieß er Vogel Greif, selbst das Kamel zu öffnen. Er tat es; aber wie groß war sein Erstaunen, als er in ihm Prinz und Prinzessin erblickte, die ihren Sohn im Arme hielt. ›Trotzest du so‹, sprach Sulaiman zu ihm, ›dem Willen Gottes?‹ Die Scham und der Schmerz und das unmäßige Gelächter des ganzen Diwans bereiteten Vogel Greif schrecklichen Ingrimm; er flog auf, und seit dieser Zeit verläßt er das Gebirge von Kaf nicht mehr. Sulaiman fragte, wo die Nachteule wäre, die Vogel Greifs Plan und Unterfangen gebilligt hatte. Doch sie war verständig genug gewesen, sich zu entfernen; und seitdem haust sie nur noch in entlegenen Gegenden und kommt nur des Nachts hervor.
Du stimmst mit mir überein, o Herr,‹ fuhr Eatme fort, indem sie sich an den König wandte, dabei aber Abukazir mit Augen ansah, in die sie in diesem Augenblicke ihre ganze Seele legte und die ihm sagten: benutze meine Lehre. Diesen Blick begleitete ein Lächeln, das die Luft mit Honig und Zucker erfüllte. Abukazir seinerseits warf ihr so feurige Blicke zu, die all sein Wünschen zu verkünden schienen, daß Fatme zu zittern anfing; doch ihre durch Zärtlichkeit und Entzücken halb geschlossenen Augen waren indessen noch offen genug, um sich Verstehen zu verschaffen und in sein Herz zu dringen: all diese Dinge, die so schwierig auszudrücken und so langwierig zu beschreiben sind, künden das Aufflammen der Liebe.
Naur begriff ihre ganze Gewalt; doch wußte er die Eifersuchtsbewegungen zu dämpfen; ohne Fatme, dem Scheine nach ruhig, zu unterbrechen, so überzeugt, wie er war, hörte er an, was sie nun sagte: ›Du stimmst doch zu, o Gebieter, daß zweien, die sich herzlich liebhaben, nichts unmöglich ist?‹ Abukazir sah die Aufregung, die in des Königs Augen aufstieg, die Mühe, die er sich gab, um sie zu bezwingen; und er wollte reden, dieweil er seinen Gedanken eine andere Wendung zu geben beabsichtigte:
›Erlaube mir, o Gebieter, daß ich nicht zugebe, was Fatme da eben sagt!‹
›Folge mir‹, sprach Naur mit kalter Miene und ging fort, ohne Fatme anzusehen, die Fatme, der er sonst immer so viele Dinge zu sagen hatte.
Gefühle, die man länger verbirgt, werden nur um so lebhafter; es scheint, daß Worte sie verfliegen lassen und vermindern. Obwohl Naur nichts hatte verlauten lassen, stand sein Entschluß doch fest: seinen Handel mit der Treulosen zu brechen und sich ob ihrer Untreue zu rächen. Der Zwang, den er sich für einen Augenblick auferlegte, hatte keine andere Begründung als in der Scham, sich eifersüchtig zu zeigen.
Sowie Naur in sein Gemach zurückgekehrt war, überließ er sich allen Stürmen und aller Qual der Eifersucht. Das entschwundene Vertrauen, der Verlust dessen, was man noch wider seinen Willen liebt und man nun auf einmal haßt, die Pläne der Rache und der Verzeihung, endlich die Schwäche, die man sich vorwirft, quälten den König, den ein Nu unglücklich gemacht hatte, ihn, den man einige Augenblicke vorher als den glücklichsten Menschen auf der Erde bezeichnen konnte.
Um indessen nicht voreilig zu handeln, sondern die Klugheit, die ihm eigen war, anzuwenden, wollte er seinen Wesir über die Art der Bestrafung, welche die Schuldigen treffen mußte, um Rat fragen. Seine durch Fatmes Vorgehen gedemütigte Eigenliebe wollte sich zum mindesten dadurch Linderung verschaffen, daß sie eine Geduld in Anwendung brachte, deren Ausübung ihm schwierig erschien.
Sowie die Sonne ihre weiße Fahne gehißt und die Nacht, die Königin der Sterne, sich verkrochen hatte, stieg der König auf seinen Thron; und streng gegen sich selbst, wie er es gegen andere war, wollte er trotz der Verwirrung seiner Seele der Pflicht nachkommen, die er sich auferlegt hatte; und er ließ nach seiner Gewohnheit verkündigen, daß alle seine Untertanen ihr Recht vor ihm suchen könnten. Und in Wahrheit fühlten alle, die ihre Zuflucht zu ihm nahmen, wenn sie auch kein Unrecht erlitten, durch die Härte seiner Urteile doch den Zorn, der ihn in diesem Augenblicke gegen die gesamte Menschheit beseelte. Der Eifersüchtige scheidet sich von der Menschengattung ab, und bei dem Gerichte, das er beruft, sieht er alle andern wie so viele Feinde an; wenn der Rausch der Leidenschaften verflogen ist, bleiben in der Seele nur sanfte Gefühle zurück, die Duldsamkeit denen gegenüber bewirken, die den Fehlern verfallen sind, von denen man geheilt ist. Naur dagegen war weit entfernt von dieser glücklichen Ruhe, die philosophisch stimmt, den Menschen solche Umstände allein meistern läßt und ihn bewegt, die Beleidiger zu verachten.
Als Naur die wahre Pflicht der Könige erfüllt hatte, indem er selbst Gerechtigkeit übte, blieb er mit seinem Wesire allein, den er seit langem als seinen Freund schätzte. Mehr als einmal bestimmte ihn die Klugheit, seinem Minister nichts zu sagen und bei der Wahl seiner Rache nur auf sich selbst zu hören. Doch konnte er seinen Zorn nicht mehr allein tragen, vielleicht suchte er einigen Trost für sich bei dem Geständnisse seines Schmerzes; und da seine Eifersucht ihm um so mehr Qual verursachte, als sie ihn bedrückt hatte, so vertraute er seinem Wesire alles bis aufs kleinste an, was ihm zugestoßen war, und fragte ihn am Schlusse um seinen Rat. Der Wesir aber riet ihm, ohne zu überlegen, Abukazir und Fatme töten zu lassen. Nur noch über die Art im unklaren, in der man der beschlossenen Rache genugtun sollte, kamen sie endlich überein, daß man ihnen folgenden Tages einen Gifttrank reichen wollte.
Naur glaubte, eine gerechte Handlung auszuführen, und mußte sich zwingen, seine Rache bis dahin aufzuschieben; aber es bedurfte der Zeit, um solch grausamen Trank zu mischen, auch mußte man eine Gelegenheit ersinnen, ihnen diesen ohne Aufsehen zu geben, zumal der König, einzig und allein, um seine Schande und seine Schmach zu verbergen, dem Gerede entgehen wollte; so wurde er denn dadurch gezwungen, allem beizustimmen. Und sie versprachen sich ewiges Schweigen, um die Fürstenehre zu wahren; wenn Geheimnisse solcher Art ausgesprengt werden, vermehren sie die Reue, die das Verbrechen allein bewirken darf.
Der Wesir verließ Naur und kehrte in seine Wohnung zurück; seine erste Sorge war, seine einzige Tochter aufzusuchen, die er fast wahnsinnig liebte; die Trauer, die er auf ihrem Gesichte las, betrübte ihn, und Besorgnis erfüllte sein Herz. Er wollte die Ursache ihres Kummers wissen; alsbald erzählte sie ihm, daß sie den Harem des Königs verlassen wollte, dieweil Fatme sie, noch dazu im Beisein sämtlicher anderer Frauen, verächtlich behandelt habe. Der für seine Tochter erregte Wesir ließ sich durch die blinde Freundschaft, deren Taten oft ebenso gefährlich sind wie die der grimmigen Feindschaft, verleiten; er vergaß, welche Wichtigkeit er dem Geheimnisse, das ihm sein Gebieter anvertraut hatte, beimessen mußte, und sprach zu ihr: ›Tröste dich, o meine Tochter, die Rose ihres Lebens wird bald entblättern und Fatmes Name unverzüglich aus der Liste der Lebenden gestrichen werden.‹ Die Neugierde seiner Tochter wurde nur heftiger angeregt durch eine so haltlose Rede, die ihr unverständlich sein mußte und sie nötigte, mehrere Fragen an ihren Vater zu stellen und ihn zu beschwören, sie aufzuklären und zu unterrichten.
›Darf man ein Geheimnis, das einem anvertraut ist, bei sich behalten,‹ sprach sie zu ihm, ›noch dazu ein Geheimnis, das die Ehre und das Leben eines so geliebten Vaters angeht?‹ Mit einem Wort, sie setzte ihm so gut zu, daß ihr der Wesir nicht allein alle Vorgänge mitteilte, sondern sie auch um die Rache wissen ließ, die der König auszuüben beschlossen hatte. Die Wesirstochter war vor Freude außer sich; denn die Rache ist das lebhafteste Gefühl aller gewöhnlichen Frauen, sie dankte ihrem Vater tausendmal, indem sie gleichzeitig versprach, ein für ihre eigene Genugtuung so wichtiges Geheimnis stets treu bewahren zu wollen. Ihr Vater ging von ihr, nur an die Freude denkend, sie so besänftigt zurückzulassen, und ließ die Angelegenheiten in Ordnung bringen, die ihm sein Amt auferlegten. Und er war kaum von ihr weggegangen, als Fatme, die selbst über das Benehmen betroffen war, dem sie mit ihrem verliebten Kopfe die Wesirstochter ausgesetzt hatte, einen Hauptmann des Innern des Palastes sandte und ihr Entschuldigungen über den Vorgang sagen ließ. Die Höflichkeitsbezeigung war noch nicht ganz ausgesprochen, als die ihn unterbrach, indem sie sagte: ›Jedermann wird mir bezeugen, daß sich die Verachtung, mit der ich behandelt wurde, nicht gutmachen läßt, und daß Fatme Bestrafung verdient; gleichwohl denke ich nur wenig daran, weil sie sich bald nicht mehr rühmen kann, sich so hart gegen mich vergangen zu haben; ihr Tod wird mich völlig rächen!‹ Der Palasthauptmann schien nun von dieser Nachricht entzückt zu sein und sprach zu ihr:
›Wie sehr freut mich deine Rede! Mein Herz zittert vor Freude bei der Hoffnung, die du ihm machst. Wann werden wir so glücklich sein, den König eines so festen Entschlusses fähig zu sehn? Aber er steht doch zu sehr in Fatmes Banne‹, fügte er hinzu.
›Wenn du ein Geheimnis zu wahren vermagst‹, entgegnete die Wesirstochter, ›will ich dir die Einzelheiten eines Vorgangs erzählen, von dessen Mitteilung ich mich noch nicht erholt habe, so sehr hat sie mich überrascht.‹ Der Hauptmann versprach ihr mehr, als sie verlangte; und bald hatte sie ihm ihr Herz ausgeschüttet. Nicht sobald war dieser davon unterrichtet, als er zu Fatme eilte und ihr erzählte, was er eben gehört hatte; seine Anhänglichkeit an diese, die Verpflichtungen, die er ihr gegenüber hatte, und die Freundschaft, die ihn seit langem mit Abukazir verband, bestimmten ihn, keinen Augenblick zu verlieren, um ihn hiervon zu benachrichtigen und einen Wortbruch zu begehen.
Wie anders würde sich das Leben an Höfen gestalten, wenn Falsch und Mangel an Verschwiegenheit nur dazu dienten, seinen Freunden gefällig zu sein!
Fatme war sehr überrascht, als sie diese grausame Neuigkeit vernahm; und sie würde wie alle Liebenden geschworen haben, daß sie sich Zwang angelegt und daß der König auch nichts hätte merken können. Aber die Nachricht war so zuverlässig und eingehend, daß sie, nur noch das Unglück, das sie bedrohte, sehend, mit solcher Überzeugung und Lebhaftigkeit auf den Palasthauptmann einsprach, bis sie ihn überredete, Abukazir in ihr Gemach zu bringen. Er kam als Sklave verkleidet dorthin; ihre Unterhaltung währte lange und war eingehend. Wo kommt die Liebe nicht zum Ziele, die im Bangen um die Tage dessen ist, was man liebt? Diese selbe Liebe schien ihr Vorhaben zu erleichtern; sie zettelten geschickt eine Verschwörung unter den Mißgestimmten an, die sich in jedem, selbst in dem am gerechtesten geleiteten Reiche antreffen lassen. Abukazir und Fatme vereinigten also ihre mißgestimmten Freunde; und in derselben Nacht wurde Naur und sein Wesir, die durchaus nicht auf ihrer Hut waren, unbarmherzig gemeuchelt.«– –
»Das ist wohlgetan,« sprach Hudschadsch, »er hätte wohl auch ohne Vorsatz und ohne seinen Wesir um Rat zu fragen, so klug sein können. Die so begierig nach unnützen Ratschlägen sind, fragen niemals danach, wenn sie sie am nötigsten haben!«
»Es ist wahr, o Herr,« antwortete Moradbak, »doch wenn übermäßige Vorsicht ein Fehler ist, so sind die Gefahren, die von einem pflichtvergessenen Weibe drohen, noch beträchtlicher!«
»Sie sind nicht alle so wie du«, versetzte Hudschadsch mit einer so milden Miene, wie man sie seit zwanzig Jahren nicht an ihm gesehen hatte; »auch unsere Väter haben es für sehr gut befunden,« fuhr er fort, »daß man sie nur zu sehr gefangenhalten und einsperren müsse. Es ist genug für heute,« sprach er weiter, »geht alle und ruht euch aus, und stellt euch morgen pünktlich zur gewohnten Stunde ein!«
»Das wollen wir tun, o Herr,« erwiderte Moradbak, »und ich werde das Vergnügen haben, dir eine mogolische Geschichte zu erzählen!«
»Das Land tut nichts zur Sache«, sagte er ihr noch.
»Ich hoffe,« fuhr Fiteads schöne Tochter fort, indem sie sich mit einem bescheidenen Lächeln zurückzog, »daß sie deine Erhabenheit unterhalten wird!«
Folgende Geschichte aber erzählte Moradbak am nächsten Tage: