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Die Geschichte von dem geschlagenen Sultan

Eines Abends traf ein Sultan, der nach seiner Gewohnheit die Gassen seiner Hauptstadt, nur von seinem Wesire begleitet, durchwanderte, am Eingange eines Basars auf einen Mann von ehrwürdigem Aussehen. Der Fürst aber grüßte ihn höflich; und der Unbekannte, der nahe bei seiner Haustüre stand, erwiderte den Gruß und sprach: »Ich bitte dich und deinen Begleiter, in mein Haus zu kommen, habe die Freundlichkeit, o Herr, und nimm eine herzliche Einladung zum Nachtmahle bei mir an!« Ohne zu zögern, gingen der Sultan und sein Wesir mit, und der Fremde benahm sich sehr höflich gegen sie und erwies ihnen besondere Aufmerksamkeit. Reichlich wurde der Tisch besetzt und das Essen alsogleich aufgetragen, es bestand aber aus fünfhundert verschiedenen Schüsseln, und der Hausherr bat seine Gäste, Platz zu nehmen und seiner Bewirtung Folge zu leisten. Der Sultan war erstaunt ob der Üppigkeit und Verschwendung auf der Tafel; und wie er sah, daß außer ihm und seinem Wesire und ihrem Gastgeber niemand weiter zugegen war, sprach er also zu diesem: »O Herr, zweifelsohne hast du noch andere Gäste eingeladen!« Der Hausherr erwiderte: »Nein, ich habe niemanden eingeladen!« »Warum dann diese Verschwendung an Speisen?« fragte der Sultan darauf. »Wie verträgt sich solches mit der Lebensart eines Mannes deinesgleichen?«

Darauf versetzte der Gastgeber dem Sultan einen kräftigen Faustschlag, der ärger denn Feuer brannte, und sprach zu dem Fürsten: »O Freund, bist du denn gezwungen, all das aufzuessen? Iß, soviel du magst, und laß den Rest stehen!«

Der Sultan flüsterte nun dem Wesire zu: »Ich tat freilich unrecht, denn ich habe den Mann durch meine unbescheidene Frage gereizt, mich zu schlagen; doch bei Allah, wenn du kein Mittel ersinnst, wie ich ihm den erhaltenen Hieb schicklich zurückgeben kann, soll es dich gewiß und wahrhaftig dein Leben kosten!« Darauf erwiderte der Wesir: »O Gebieter, du mußt ihn auf morgen zum Nachtmahl in deinen Palast laden und ihm ein Mahl anbieten, das dieses hier in jeder Beziehung an Pracht und Üppigkeit übertrifft, und wenn er es sich dann beifallen läßt, irgendeine Bemerkung darüber zu machen, so kannst du ihm dann den erhaltenen Hieb zurückzahlen!« Der Sultan befolgte aber den Rat seines Wesirs, der ihm zusagte, und lud den Unbekannten zu sich ein.

Etwas betroffen und verlegen trat der Mann andern Abends in den Sultanspalast ein; der Sultan nahm ihn nun freundlich und höflich auf, wodurch er sicherer wurde. Nach einiger Zeit wurde das Nachtmahl aufgetragen und die Tafel mit tausend Schüsseln bedeckt. Der Sultan setzte sich und forderte seinen Gast zum Niedersitzen auf, der aber tat es und sagte gefaßten und ruhigen Tones: »Allahs Wille geschehe! So muß es in der Tat sein; möge der Himmel immerdar die Fülle deiner Tafel segnen! Hier herrscht ein Überfluß von Gerichten, doch Überfluß ist etwas Schönes und ergötzt das Auge, ehe er den Magen zufriedenstellt!« Und er ließ es sich gut schmecken; hernach aber rief er wie zur Danksagung aus: »Gelobt von seinem Volke sei Allah, der Allmächtige!«

Da raunte der Kalif seinem Wesir zu: »So gelingt es nicht, wie kann ich einen Mann schlagen, der so vernünftig redet; findest du keinen schicklichen Vorwand, daß ich ihm den Hieb heimzahlen kann, schlage ich dich wahrlich tot!« Sagte der Wesir dagegen: »O mein Fürst, wenn er sich vom Mahle erhebt und dann die Hände waschen will, mußt du so tun, als wolltest du ihm diensteifrig das Wasser selbst aufgießen; sagt er dann: ›Um keinen Preis, o Herr, Allah verhüte, daß du dich selbst so erniedrigen sollst, wahrlich, solches darf nicht sein!‹ so kannst du ihm für diese unpassende Weigerung sicherlich einen derartigen Hieb versetzen, wie es dir beliebt, und dazu sagen: ›O Freund, soll ich erst von dir lernen, welches meine Pflicht ist? Unterstehst du dich, mir zu widersprechen?‹Der Sultan willigte darein; und als der Gast zum Händewaschen aufstand, trat der Herrscher alsogleich herzu und ergriff das Gefäß, um seinem Gaste Wasser über die Hände zu gießen. Sagte der Fremde: »Allah segne dich, o Herr; ich bin entzückt ob deiner Herablassung; möge der Himmel alle deine Unternehmungen segnen!« Nach solchen Worten sah sich der Fürst gezwungen, dem Gaste wirklich Wasser über die Hände zu gießen, ließ sich jedoch dabei deutlich merken, daß er im Innern darüber ärgerlich und erbost war.

Danach wurde der Kaffee herumgereicht; der Kalif aber sprach noch einmal leise mit seinem Wesir und sagte: »Wenn du nicht sofort ein Mittel zu meiner Befriedigung ersinnst, gebe ich auf der Stelle Befehl, dich aufzuknüpfen; solches schwöre ich bei Allah. Nicht genug, daß mich der Mann gezüchtigt hat, ich muß mich auch noch so erniedrigen und ihm Waschwasser über seine Hände gießen!« Der Wesir erwiderte: »O Herr, er muß sich nun bald entfernen, halte dir einen Bambusstock in Bereitschaft, rufe deiner jüngsten Sklaven einen, und wenn der Fremde fortgehen will, so laß deinen Stock kräftig auf dem Rücken des Sklaven tanzen; sagt der Fremde dann: ›Um Allahs und um meinetwillen, o Herr, verzeihe dem armen Sklaven und züchtige ihn nicht so unbarmherzig!‹ so kannst du ihm den Schlag zurückgeben und dabei sagen: ›Ist das nicht mein Sklave, o Herr? Ist Züchtigung nicht zur Erziehung nötig? Unterstehst du dich, mir zu widersprechen?‹«

Abermals tat der Kalif nach dem Rate des Wesirs und schlug den Sklaven, als sich der Fremdling entfernen wollte. Der aber sagte hierzu: »Sehr recht, o Herr, handelst du; schlag ihn nach Nöten. Züchtigung ist das beste Erziehungsmittel, und sollte der junge Sklave dabei des Todes sterben, so ist das Allahs Wille!« Jetzt trat aber der Wesir ungeduldig an den Fremden heran und sprach zu ihm: »Um Gottes willen, Freund, habe doch wenigstens etwas Mitleid und tritt für den armen Sklavenjüngling ein, du kannst doch nicht so hartherzig sein!«

Auf solche Worte versetzte der Fremdling dem Wesir einen Schlag, der noch zehnmal kräftiger war als der, den der Sultan erhalten hatte, und sagte: »Wie, wagst du es, dich in solche Sachen zu mischen? Ist der Bursche nicht ein Sklave, und erzieht ihn sein Gebieter nicht väterlich?«

Da brach der Sultan in ein schallendes Gelächter aus und sprach: »Nun verzeihe ich euch beiden, nachdem es meinem Wesire nicht besser ergangen ist als mir selbst!«


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