Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Geschichte von der unerhörten Grausamkeit eines Vaters

Ein Kaufmann, mit Namen Kebal, hatte eine junge, reiche und liebenswerte Frau geheiratet; obschon das Gesetz die Vielweiberei gestattet, wollte das herrische Weib weder Herz noch Bett ihres Gatten mit andern teilen. Schwach und unterwürfig, wie Kebal war, fürchtete er sich vor einer Frau, der er sein Vermögen verdankte, und hatte selbst zu ihren Gunsten auf das Vorrecht, das ihm das Gesetz gab, verzichtet und ihr eine ewige Treue geschworen. Fern von seinem Weibe aber vergaß er bald die Versprechungen, die er ihr gemacht hatte.

Sein Handelsgeschäft hatte ihn zu einer Reise genötigt, auf der er in die Netze einer jungen und schönen Sklavin geriet, die er um fünfhundert Dinare kaufte. Nach neun Monaten brachte diese Sklavin ein Kind zur Welt, dessen Geburt dem Vater sehr zu unpaß kam und ihm den lebhaftesten Schrecken einjagte.

Kebal wünschte Frieden im Hause, und es wurde ihm wahrlich nicht schwer, ihn durch ein Verbrechen zu erkaufen. Seine Gattin, die er in einer Art von Trunkenheit vergessen hatte, stand ihm vor Augen, und die Furcht vor einer eifersüchtigen Frau ließ ihn alles menschliche Gefühl ablegen. Und zwar fing er damit an, seiner Ruhe den unglücklichen Gegenstand seiner Liebe zu opfern; nachdem er die Mutter hatte töten lassen, wollte er auch den Sohn umbringen; aber, so grausam er auch war, die Stimme der Natur machte sich doch in seinem Innern wider Willen bemerkbar und hielt seinen Arm auf. Um nicht gegen sein eignes Blut zu wüten, faßte er den Entschluß, das Kind in die Einöde zu tragen; fest überzeugt, daß sein unglückliches Opfer dort bald umkommen müsse. Die Vorsehung jedoch, die über des Kindes Tage wachte, führte einen Hirten in die Gegend, wo es ausgesetzt war; seine Schönheit, sein klägliches Wimmern, sein Unglück rührte den armen Hirten so, daß er es in seine Hütte trug; sein Weib war ebenso mitleidig wie er, belud sich gern mit dem Kinde und gab ihm eine Ziege als Ernährerin. Es war schon vier Jahre alt, als Kebal auf einer Reise durch den Ort kam, in dem der Hirte, der auch sein Wirt wurde, wohnte; er sah seinen Sohn, den er nicht wiedererkannte; sei es nun, daß er durch die Schönheit des Kindes gerührt wurde, sei es, daß die Natur zu seinen Gunsten sprach, er fühlte sich bei seinem Anblicke betroffen und fragte den Hirten, ob er der Vater des Kindes wäre.

Welche Überraschung für Kebal, als der Hirt ihm erzählte, wie er zu dem Kinde gekommen war, und er in ihm seinen Sohn erkannte! Der Zuneigung, die ihn ergriffen hatte, folgten die Gefühle bitteren Hasses; er verbarg sie indessen und gab vor, daß ihn die Liebenswürdigkeit des Kindes rühre; er drang in den Hirten, es ihm zu verkaufen, und bot ihm fünfhundert Golddinare.

Die kärglichen Umstände des Hirten, seine Liebe zu dem Kinde, die Überzeugung, es würde es bei einem reichen Manne besser haben als bei ihm, ließen ihn in seinen Vorschlag einstimmen. Er argwöhnte nicht im entferntesten das Los, das seines Schützlings wartete.

Kebal hatte ihn nicht so bald in seiner Gewalt, als er ihn mit sich nahm und ans Meeresufer führte; die Schönheit des zarten Kindes, seine Unschuld, seine zärtlichen Liebkosungen, seine Schreie, seine Tränen, nichts konnte das Herz des grausamen Kebal rühren. Er nahm seinen Sohn, steckte ihn in einen Ledersack und warf ihn ins Meer, im festen Glauben, daß er dieses Mal nicht dem bitteren Tode entrinnen würde. Der Himmel hatte es freilich anders beschlossen. Der Sack geriet in die Netze eines Fischers, der sie zufällig im selben Augenblicke herauszog.

Der erstaunte Fischer öffnete den Sack, und ein Kind darin erblickend, das noch atmete, hob er es an den Beinen hoch; und nachdem er es wieder ins Leben zurückgerufen hatte, trug er es in seine Hütte. Dem Sohne Kebals war es bestimmt, überall, ausgenommen bei seinem harten Vater, mitleidige Seelen zu finden.

Der Fischer zog ihn in seinem Gewerbe auf; der junge Findling zeichnete sich durch seine Geschicklichkeit und Unerschrockenheit aus und war schon fünfzehn Jahre alt, als Kebal, der zahlreiche Reisen seines Handels wegen unternahm, durch die Stadt kam, wo der Jüngling verweilte; und er begegnete ihm mit dem Fischer, der ihm das Leben gerettet hatte; sie waren mit Fischen beladen, die sie in den Straßen feilboten. Die freundliche Miene des jungen Mannes fiel Kebal auf, und um zu erfahren, wer er war, kaufte er dem Fischer einiges ab und fragte ihn darauf, ob der, so ihm folge, sein Sohn wäre. Der Fischer entgegnete, er sei nicht sein Vater, und erzählte ihm, auf welche Weise er ihn in seinen Netzen in einem zugebundenen Sacke gefunden hatte.

Kebal, der seinen Sohn wiedererkannte, konnte nicht begreifen, wie er dem Tode habe entwischen können, den er für unvermeidlich gehalten hatte. Ob des Mißerfolgs so vieler Verbrechen verzweifelt, beschloß er, bessere Maßregeln zu ergreifen: er bot dem Fischer fünfhundert Dinare als Preis für den jungen Mann, und der Handel wurde alsobald abgeschlossen.

Ohne sich seinem Sohne zu erkennen zu geben, hielt er ihn wie einen Sklaven; seine Sanftmut, seine Treue, nichts konnte den grausamen Vater, der jeden Tag entschlossener wurde, ihn umkommen zu lassen, rühren.

Zwei Jahre waren bereits verstrichen, seit ihm sein Sohn mit einem beispiellosen Eifer diente, als er ihm ein versiegeltes Schreiben gab: »Reise nach Bagdad,« sprach er zu ihm, »dort wirst du meine Tochter finden; ihr übergibst du diese Zeilen; ich befehle ihr, Sorge um dich zu tragen, du bleibst bei ihr bis zu meiner Rückkehr, ich werde nicht zögern, dir bald zu folgen!«

Der Jüngling gehorchte Kebal und machte sich alsbald auf den Weg. In Bagdad angelangt, erkundigte er sich nach dem Hause seines Herrn und klopfte an die ihm bezeichnete Türe. Kebals Tochter öffnete und sah einen Jüngling, schöner als ein Liebesgott, der ihr ein Schreiben von Seiten ihres Vaters abgab. Voller Ungeduld öffnete sie es; aber welcher Schrecken befiel sie, als sie solche Worte las: »Der dir dieses Schreiben überbringt, ist mein größter Feind; ich sende ihn dir, auf daß du ihn töten läßt, und fordere von dir diesen Beweis deiner Liebe!«

Kebals Tochter glich durchaus nicht ihrem Vater und hatte ein einfaches Herz voller menschenfreundlicher Gefühle; sie sah sich den Überbringer des Briefes genau an und konnte sich einer Liebe zu ihm nicht erwehren. Die Liebe gab ihr ein Mittel ein, das Leben dessen zu retten, der ihr in einem Nu so teuer geworden war, und sich für immer mit ihm zu verbinden. Nachdem sie dem Jünglinge aufgetragen hatte, daß er warten solle, verfaßte sie, die Handschrift ihres Vaters nachahmend, ein anderes Schreiben folgenden Inhalts: »Der Überbringer dieses Schreibens ist mir teurer, als es mein Sohn sein könnte, sieh in ihm mein Ebenbild; und vertraue ihm die Verwaltung meiner ganzen Habe an und verheirate ihn mit meiner Tochter Melahie!«

Nachdem sie solcherart geschrieben hatte, versiegelte sie das Schreiben. Dann ging sie in das Gemach, wo sie den jungen Mann zurückgelassen hatte. »Du hast dich geirrt,« sprach sie zu ihm, »das Schreiben, das du mir gabest, ist wahrlich für meine Mutter bestimmt; ich will dich in ihr Gemach führen!« Der junge Kebal überreichte der Mutter das Schreiben, die, nachdem sie es gelesen hatte und keinen Augenblick im Zweifel war, daß es von ihrem Gatten komme, den Befehlen, die er ihr gab, nachkam und ihre Tochter alsobald mit dem jungen Manne verheiratete.

Indessen machte sich Kebal, als er alle seine Geschäfte abgewickelt hatte, auf den Weg nach Bagdad. Er war aufs höchste überrascht, als er beim Eintritt in sein Haus seinen Sohn vollen Lebens wieder vorfand. Seine Verwunderung stieg noch, als er vernahm, er sei sein Eidam geworden. Alle diese Ereignisse erschienen ihm sonderbar; doch die Furcht, seine Freveltaten laut werden zu lassen, nahm ihm vollends die Lust, sich Klarheit zu verschaffen; er heuchelte und verbarg unter dem Mantel der Freundschaft den tödlichen Haß, den er immer für seinen unschuldigen Sohn empfunden hatte. Melahie ließ sich nicht durch diese geheuchelte Ruhe täuschen; ihre um das Leben eines geliebten Gatten sich sorgende Zärtlichkeit ließ sie alle Handlungen ihres Vaters auf das genaueste überwachen.

Kebal schenkte einige Zeit nach seiner Rückkehr seinen Dienern mit mehreren Krügen Weins einen Hammel. »Macht euch eine lustige Nacht«, sagte er zu ihnen, »und feiert meine glückliche Heimkehr in die Heimat; aber ich trage euch einen großen Dienst auf: ein heimlicher Feind will mir ans Leben, ich werde ihn heute abend in mein Haus locken; um die vierte Stunde der Nacht wird er dann die Treppe von meinem Gemach herabkommen; sobald ihr ihn hört, sollt ihr ihn erdolchen!«

Die Stunde war gekommen, Kebal sagte zu seinem Sohne, er solle in den Hof gehen, wo die Diener wären, und ihm einen holen; der wollte die verhängnisvolle Treppe hinuntergehen, als ihn seine immer argwöhnische Gattin aufhielt und ihn beschwor, den Befehl nicht auszuführen, hinter dem sie ein Geheimnis vermutete; darauf führte sie ihn mit sich fort.

Indessen wurde Kebal von wechselnden Leidenschaften bewegt; als eine halbe Stunde verrann, ohne daß er etwas von dem Erfolge seines Verrats vernahm, wollte er wissen, ob seine Dienerschaft endlich seine Rache ausgeführt hätte; wie er behende die Treppe hinunterstieg, glaubten die, welche die Ausführung seines Befehls auf sich genommen und bislang niemanden die Treppe herabkommen gehört hatten, daß es ihr Opfer sei, und fielen über ihn her und stießen ihn in der Dunkelheit nieder.

Solches war das wohlverdiente Ende dieses grausamen Vaters. Der, dem er das Leben geschenkt und dem er es mehrere Male hatte rauben wollen, erbte nun all seine Habe; da ihm seine Geburt aber ein Geheimnis war, lebte er ruhig mit seiner Frau und erfuhr niemals, daß sie seine Schwester war.

Der Geschichtschreiber endigt diese Geschichte mit dem allbekannten Sprichworte: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!


 << zurück weiter >>