Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Geschichte von Dalla El-Muhtala und ihren zwei Männern

In der Stadt Kairo lebte einmal eine Frau, die man Dalla el-Muhtala hieß. Ihre Geschichte ist bei Arabern und Persern wohlbekannt. Diese Frau hatte zwei Männer: jeder von ihnen glaubte, sie wäre nur seine Frau. Die beiden Männer kannten einander nicht, und keiner von ihnen wußte, daß die Frau außer ihm noch einen andern Mann hatte. Einige Zeit hindurch diente sie ihnen als Frau, und keiner wurde auf diesen Umstand aufmerksam. Der eine von ihnen war ein Gauner, der andere ein Dieb, und sie alle beide waren Schüler der Frau.

Eines Tages kam der Gauner zu seiner Frau und sprach: »Heute ist meine Gaunerei entdeckt worden; gib mir Reisekost; ich will auf einige Tage nicht mehr in die Stadt kommen.« Ein Kuchen und ein Hammel fanden sich bei der Frau vor. Diese zerschnitt sie in zwei Hälften und gab die eine Hälfte von beiden dem Gauner zur Reisekost. Der Gauner nahm sie und ging seines Weges.

Nach einiger Zeit kam der Dieb und sprach: »Heute ist mein Diebstahl entdeckt worden, gib mir Zehrung, ich will auf einige Tage nicht mehr in die Stadt kommen!« Die Frau gab dem Diebe die noch übrige Hälfte des Kuchens und des Hammels. Der Dieb nahm sie auch und ging seines Weges.

Der Gauner war auf seinem Wege an einem Brunnen und an einem schattigen Orte angelangt und hatte sich daselbst gelagert. Bald nachher kam auch der Dieb hier an. Als sie nun im Schatten saßen, legten sie ihre Zehrung in die Mitte, um sie zu essen. Der Gauner wie der eben angelangte junge Mann blickten beide auf ihren Kuchen und wurden gewahr, daß, als sie die Hälften zusammenhielten, sie beide einen Kuchen ausmachten. Ihre Hammelstücken hielten sie ebenfalls aneinander und sahen, daß sie auch einen Hammel ausmachten. Der Gauner sagte alsbald zum Diebe: »Es ist wohl erlaubt, den Reisegefährten zu fragen: Woher kommst du?« Jener erwiderte: »Aus Kairo!« Der Gauner fragte weiter: »Aus welchem Stadtviertel?« Der entgegnete: »Aus dem und dem Stadtviertel?« »Wo«, fragte ersterer weiter, »liegt dein Haus?« Erwiderte er: »Auf dem und dem Platze!« »Wie«, fragte der Gauner noch, »heißt deine Frau?« Er versetzte dawider: »Dalla el-Muhtala!« »Heda, o mein Bruder,« fuhr jener fort, »die Frau, welche du genannt hast, ist ja meine Frau, jenes Haus mein Haus; es sind einige Jahre her, daß sie meine rechtmäßig erkaufte Ehefrau und jenes Haus mein Haus ist. Warum lügst du?« Der Dieb entgegnete: »Heda, o Mann, bist du verrückt, oder spaßest du? Es sind einige Jahre her, daß sie meine rechtmäßig erkaufte Ehefrau ist. Was sprichst du da?« Mit diesen Worten erhob sich zwischen ihnen ein Streit. Der Gauner sagte: »Wir brauchen uns darüber gar nicht zu streiten; komm, wir wollen gehen und die Frau selbst darum fragen! Dann muß es sich ja zeigen!«

Mit diesen Worten machten sie sich auf und kamen zur Frau. Als die sie wiedersah, wußte sie, was es zu bedeuten habe, stand auf und legte einem jeden von ihnen ein Kissen hin. Sie setzten sich; sie aber ging und setzte sich ihnen beiden gegenüber. Darauf sprach der Gauner: »O Frau, es ist uns heute eine schwierige Frage aufgestoßen: bist du das Weib dieses Mannes oder meines?« Die Frau erwiderte: »So wahr ich lebe, waret ihr bis jetzt alle beide meine Männer, und ich war auch die Frau von euch beiden! Von jetzt ab aber wird derjenige von euch mein Mann sein, der in seinem Geschäfte geschickter als der andere ist und mir mehr nach Hause bringt!«

Der Dieb und der Gauner waren mit diesem Vorschlage einverstanden. Darauf sprach der Gauner: »Heute will ich einen Gaunerstreich ausführen, begehe du morgen einen Diebstahl!« Alsbald stand der Gauner mit dem Diebe auf, und sie gingen zusammen auf den Markt. Der Gauner sah unterwegs, daß ein Franke tausend Golddinare zählte, sodann in einen Beutel tat, diesen in eine Rocktasche steckte und auf den Markt ging. Sogleich machte sich der Gauner schnell an ihn heran, zerschnitt die Rocktasche des Franken mit einem Messer, zog den Beutel heraus, nahm ihn und ging auf einen weiten Platz. Hier nahm er neun Golddinare heraus, warf seinen silbernen Siegelring hinein, auf dem sein Name eingegraben stand, und steckte den Beutel wieder in die Tasche des Franken. Diese Gaunerstücke sah der Dieb alle, aber der Franke merkte nichts davon. Der Gauner kam in kurzem auf einem Umwege vor den Franken, packte ihn am Kragen, schlug ihn einige Male und sprach: »Heda, o Verfluchter, warum hast du mir meinen Beutel mit tausend Golddinaren genommen?« Der Ungläubige sagte ohne weiteres: »Sie gehören ja mir!« Aber das half ihm nichts; der Gauner führte ihn vor den Kadi und verklagte ihn. Der Kadi fragte den Ungläubigen: »Wie viele Golddinare waren darin?« Erwiderte der: »Es sind volle tausend Golddinare!« Sprach der Gauner: »Du lügst, es sind tausend weniger neun, und auch mein Siegelring, auf dem mein Name eingegraben steht, befindet sich darin!« Der Kadi ließ den Beutel ausschütten, und auch der Siegelring fiel mit heraus. Man zählte die Golddinare, und es kamen tausend weniger neun heraus. Der Kadi gab dem Ungläubigen einige Backenstreiche, und dem Gauner überreichte er den Beutel. Dieser nahm ihn auch an und brachte ihn mit dem Diebe zur Frau. Diese und der Dieb lobten ihn sehr.

Als es Nacht geworden war, nahm der Dieb eine Strickleiter und ging mit dem Gauner an den Palast des Königs. Der Dieb befestigte hier die Strickleiter mittels des an ihr befindlichen Hakens. Er selbst stieg zuerst hinauf und ließ dann den Gauner folgen. Der Dieb nahm den Gauner und führte ihn zu des Königs Schatzkammer, brachte mehrere Schlüssel hervor und schloß die Türe auf. Durch die trat der Dieb mit jenem herein und sprach: »Soviel Gold und Silber du fortbringen kannst, nimm mit dir!« Als sie nun nach Herzenslust genug fortgeschleppt hatten, kehrten sie um und kamen an den Ort, wo der König schlief. Der Gauner sprach: »Was tust du?« Erwiderte der Dieb: »Ich gehe und frage den König, ob deine Geschicklichkeit größer ist als meine!« Sprach der Gauner: »Komm um Gottes willen, wir wollen fortgehen: ich will hiermit auf die Frau Verzicht geleistet haben!« Der Dieb erwiderte: »Nein, ich gebe die Sache nicht eher auf, als bis ich den König wirklich darum gefragt habe!« Der Dieb ging hinein und sah, daß der König schlief, und daß ein Page dessen Fuß rieb und bald wachte, bald schlief. In seinem Munde kaute er Mastix. Der Dieb ging hinein und verbarg sich ziemlich leise unter dem Thronsessel, steckte eines Pferdehaares Spitze dem Pagen in den Mund, und der Page kaute zugleich mit dem Mastix das Haar. Der Dieb zog dann an dem Haare und stahl auf diese Weise den Mastix aus des Pagen Munde hinweg. Der Page schlug seine Augen auf und suchte bald hier, bald dort seinen Mastix, fand ihn aber nicht. Als einige Zeit vorüber war, schlief er wieder ein. Der Dieb hielt ihm nun ein betäubendes Mittel an die Nase, und der Page verlor die Besinnung. Da stand der Dieb auf und hing den Pagen an seiner Hüfte an der Decke wie eine Lampe auf, nahm des Königs Fuß auf sein Knie und fing an, ihn zu reiben. Diesem ganzen Treiben sah von draußen der Gauner zu, und indem er seinen Hals hineinsteckte, rief er: »Komm um Gottes willen, wir wollen gehen!« Sprach darauf der Dieb zum Könige: »O König, ich will dir etwas erzählen, wenn du mir von deiner Schlafstätte aus zuhören willst!« Sprach der König: »Erzähle, wir wollen hören!« Darauf fing der Dieb an, dem Könige seine ganze Geschichte mit dem Gauner von Anfang bis zu Ende bis dahin zu erzählen, wo er mit dem Gauner gekommen und in die Schatzkammer eingetreten sei, seinen Begleiter draußen vor der Schlafstätte des Königs gelassen, selbst aber darin durch List dem Pagen den Mastix aus seinem Munde gestohlen, jenen oben an der Decke aufgehängt und selbst den Fuß des Königs gerieben habe. Alle diese Streiche erzählte er dem Könige; der Gauner aber steckte schon zum zweiten Male von draußen seinen Kopf herein. Der Dieb jedoch fuhr fort: »O König, ist die Geschicklichkeit des Gauners größer, oder die des Diebes? Welchem von ihnen beiden soll die Frau gehören?« Der König erwiderte: »Die Geschicklichkeit des Diebes ist größer, also gehört ihm auch die Frau!« Nachdem er noch ein wenig des Königs Fuß gerieben hatte, und der König wieder eingeschlafen war, stand der Dieb auf und ging mit dem Gauner nach Hause, wo er der Frau diesen Vorfall, des Königs Antwort und das Geständnis des Gauners erzählte. Die Frau lobte ihn auch dafür sehr und nahm ihn sich von nun an allein zum Manne.

Als es Morgen geworden war, erwachte der König und fand den Pagen an der Decke aufgehängt. Und erkannte, daß der, welcher ihm während der Nacht seinen Fuß gerieben und alle die Dinge getan hatte, wohl der Dieb gewesen sein möchte. Er wunderte sich sehr darüber; alsobald ließ er aber durch einen Herold ausrufen: »Wer dies auch immer getan haben mag, fürchte sich nicht, sondern komme – es soll ihm, bei Allah, von mir kein Leid geschehen! Das Geld, das er sich aus dem Schatze genommen hat, soll sein rechtmäßiges Eigentum sein! Auch will ich ihm ebensoviel als tägliches Gehalt aussetzen!«

Als der Dieb solches hörte, ging er zum König und gab sich ihm zu erkennen, legte ein reuiges Geständnis seiner Missetaten ab und unterließ sie von nun an. Der König verzieh ihm sein Vergehen und schenkte ihm ein Ehrenkleid, setzte ihm ein Gehalt aus, und er genoß von jetzt an bei dem König die höchste Gunst.


 << zurück weiter >>