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Die Geschichte von einem merkwürdigen Abenteuer , das dem Sultan Al-Mahdi zustiess

DER Kalif Al-Mahdi ist einer der ersten Beherrscher der Gläubigen, die auf dem Throne nachlässig wurden, indem sie die Zügel der Herrschaft ungewandten und habgierigen Händen überließen. Eines Tages nun, als er einer Gazelle nachsetzte, entfernte er sich im Jagdeifer sehr weit, und die Nacht überraschte ihn, der halbtot vor Hunger und Ermüdung war, abseits von seinem Gefolge. Nachdem er lange Zeit zugeritten war, bemerkte er im freien Felde ein einsam stehendes Zelt. Dahin lenkte er sein Pferd. An dem Orte angekommen, wo er eine Unterkunft zu finden hoffte, sah er dort einen Mann, der ihn nach Weise der Araber mit viel Freundlichkeit aufnahm; der Fürst verbarg ihm, wer er war, sei es aus Furcht, seinen Wirt zu verwirren, sei es, um einmal im Leben die Freude der Gleichheit zu genießen.

Während der gute Mann sich eilig daran machte, ihm alle nötige Gastfreundschaft zu erweisen, fragte ihn der Kalif, warum er in solcher Einöde hauste. Der Beduine antwortete ihm: »Was du mit Recht Einöde nennst, war ehedem eine große Niederlassung von Arabern und Turkomanen, der Handel und Landwirtschaft in Fülle Nahrung gab und die dem Sultan Abu Dscha'afar-al-Mansúr mit Freude die mäßigen Abgaben zahlte. Der gute Fürst kümmerte sich um die Herrschaft seiner Staaten und wünschte, daß sein Volk glücklich sei; sein gesetzlicher Nachfolger aber überläßt die Völkerschaften in seiner Leichtfertigkeit den Statthaltern der Provinzen des Reiches; und die einst dieses Land innehatten, sind durch die Habsucht jener Statthalter in alle Winde zerstreut.«

Der Kalif vernahm zum ersten Male die Wahrheit und war durchaus nicht verletzt, als er sich einen schlechten Herrscher nennen hörte. Er nahm sich im Gegenteil vor, von jetzt ab das Wohl seiner Untertanen im Auge zu haben; doch ließ er seinen Wirt, der ihn ja nicht kannte, nichts um die Erwägungen, die ihn jetzt beschäftigten, wissen; der Araber wünschte, ihn gut zu bewirten, und wollte gleichzeitig einem Fremden kein Ärgernis geben, daher gab er ihm erst nach langem Zögern zu verstehen, daß er einen Krug Weines besitze, den er ihm gern zu trinken geben wolle, wenn er kein Bedenken habe.

Der Kalif machte sich wenig aus diesem Getränk, ergriff aber die Gelegenheit, sich einem Vergnügen hinzugeben, dessen Verbot so streng war, daß man ihm nur heimlich nachgehen durfte; nachdem er das erste Glas getrunken hatte, sagte er lustig und freundlich zu dem guten Manne: »O Freund, du siehst in mir einen der ersten Großen des Kalifen und sollst den Dienst, den du mir erwiesen hast, nicht bereuen!« Der Araber war durch die Rede erfreut, dankte dem, dessen Stand er nicht gekannt hatte, und bemühte sich, ihn mit mehr Ehrerbietung zu behandeln.

Der angebliche Große des Sultans wandte sich bald wieder dem Kruge zu; Vergnügen und Gemütlichkeit vermehrten sich mit jedem Glase: »O lieber Gastgeber,« sagte er zu dem Beduinen, »ich habe dir eine Unwahrheit gesagt, derer ich mich schäme: sieh in mir den Günstling des Kalifen und seinen besten Freund; ich will mich nicht mehr der Freundschaft erfreuen, mit der mich der Fürst beehrt, wenn ich ihn nicht zu Wohltaten dir gegenüber bestimmen kann!«

Bei solchen Worten wußte der Araber nicht, wie er seinem neuen Beschützer seine Ehrfurcht bezeigen sollte; er stand auf, küßte den Saum seines Gewandes und beschwor ihn, des Trankes, den er ihm so liebenswürdig dargeboten hatte, nicht zu sparen. Al-Mahdi, der am Weine Geschmack bekam, ließ sich nicht lange nötigen: »Ich finde, daß der Wein die Wahrheit herausfordert,« sprach er zu seinem Wirte; »ich bin weder ein Großer noch Günstling des Kalifen, wohl aber der Kalif selbst, und ich wiederhole alle Versprechungen, die ich dir gemacht habe!« Bei dieser Rede hörte der Araber mit Einschenken auf, und als er den Krug zumachte und sich anschickte, ihn wegzustellen, sagte der Fürst, der Freude und Ehrerbietungsbezeigungen erwartet hatte: »Was tust du denn?« Der Araber erwiderte: »Oh, wer du auch seist, ich will dich daran hindern, noch mehr zu trinken; zum ersten Male gibst du dich für einen großen Herrn aus, und ich hatte keine Not, es dir zu glauben, zum zweiten Male bist du schon der Günstling des Kalifen, und dieser Titel flößte mir Hochachtung ein; zum dritten nennst du dich gar den Kalifen selbst; zum vierten Male würdest du dich zweifelsohne als den Propheten bezeichnen, und zum fünften als hochheiligen Allah in eigener Person. Ich fühle, daß ich das nicht alles mit gutem Glauben hinnehmen kann!«

Al-Mahdi konnte sich eines Gelächters ob dieser Einfalt nicht erwehren, und weil er fühlte, daß der Wein seinen Kopf zu benebeln begann, legte er sich auf die Teppiche nieder, die sein Wirt hergerichtet hatte. Am folgenden Morgen war der Weinrausch vorüber, er stieg zu Pferde und nahm den Araber, der nicht wußte, was er von allem, das er gehört hatte, halten sollte, als Führer und überzeugte ihn bei seiner Ankunft in Bagdad, daß er in Wahrheit der Kalif war, und bezahlte ihn mit Reichtümern, die ihn in den Stand setzten, alle Bewohner, die das zeitweilige Mißgeschick dazu gezwungen hatte, das Land, in dem sie wohnten, zu verlassen, wieder zurückzurufen.


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