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Seltener Zug von Grossmut seitens eines Kalifen

Unter der Herrschaft Abd al-Maliks, des fünften Kalifen vom Stamme der Umaijaden, lebte in Kufa ein reicher Handelsherr mit Namen Dschaber, der nur einen Sohn hatte; dieses Kind war der Gegenstand zärtlichster Fürsorge eines guten Vaters; und nachdem der ihm in den ersten Lebensjahren eine angemessene Erziehung hatte zuteil werden lassen, wünschte er ihn auch für den Rest seines Lebens glücklich zu sehen, indem er ihm eine liebenswürdige Gefährtin zugesellte.

Dschaber aber war, wie schon erwähnt, reich und ließ Gold in Fülle draufgehen, um eine rührende Schönheit ausfindig zu machen, die jünger als sein Sohn war, unter seinen Augen noch schöner werden und die Zärtlichkeit eines Herrn, dessen Gattin sie werden sollte, verdienen möchte. Eine Zirkassierin wurde unter vielen anderen ausgewählt, um sich dieses glücklichen Loses zu erfreuen. Zeineb – so war ihr Name – wurde hierzu würdig befunden; mit einem entzückenden Äußeren verband sie noch sanfte Sitten und mehr Verstand, als man gewöhnlich bei den hinter die Mauern eines Harems verborgenen Frauen zu finden pflegt, deren Gedanken durch Sklaverei und Furcht ständig verschüchtert werden.

Zeineb war geboren, um zu gefallen, und entzückte bald den jungen Nuuman – so hieß Dschabers Sohn; die Erziehung der beiden Liebenden setzte sich unter den Augen des Vaters fort und vervollkommnete sich durch ihre gegenseitige Liebe; gleiche Lehrer unterwiesen sie in allen gefälligen Künsten, und ihre Fortschritte gingen um so schneller vonstatten, als sie alle beide von dem Wunsche beseelt wurden, noch mehr Gefallen aneinander zu finden. Nachdem die Jahre ihre Bildung und Schönheit sich voll hatten entwickeln lassen, beschloß Dschaber, sie zu vereinigen. Dieser ersehnte Augenblick stand nahe bevor, als Zeineb sich eines Tages in einem Lusthause, das in der Abgeschiedenheit von Dschabers Garten lag, vergnügte, eine Laute zur Begleitung ihrer Stimme ergriff und die Anmut ihres Geliebten und, das Glück, dem sie entgegensah, zu besingen begann.

Hadschadsch, der Anführer der Heere des Kalifen, ging unter den Gartenmauern vorüber und vernahm eine Stimme, die ihn zum Verweilen veranlaßte; als er so die Töne bewunderte, bildete er sich ein, daß die Sängerin nur sehr bezaubernd sein könnte. Der Heerführer wünschte, seinem Kalifen ein Geschenk zu machen, und meinte, wenn die Schöne dem Bilde gliche, das er sich von ihr ausmalte, so würde er dem Kalifen nichts geben können, was ihm angenehmer wäre. Hadschadsch erkundigte sich nach dem Besitzer des Gartens und vor allem danach, wer die junge Schöne sei, der er mit soviel Vergnügen gelauscht hatte.

Man sagte ihm, er irre sich nicht, wenn er sie für schön hielte; daß Zeineb tatsächlich ein Wunder der Natur und Gegenstand der zärtlichsten Sorgen eines reichen Geliebten wäre, der sie zu seiner Frau machen wollte, und daß der Vater dieses Liebhabers, um sie zu kaufen und ihr eine seines Sohnes würdige Bildung zu geben, eine beträchtliche Summe Goldes aufgewandt hätte.

Die Widerstände, die der Feldhauptmann voraussah, machten ihm Sorge, ohne ihn darum abzuschrecken; da er mit einem Kaufe Zeinebs nicht rechnen durfte, beschloß er ihre Entführung; aber das Haus des Handelsherrn bevölkerte eine große Schar Sklaven beiderlei Geschlechts; überdies fürchtete er sich, Gewalt anzuwenden, worüber man sicherlich Klage führen würde, und die der Sultan, dem er einen Gefallen erweisen wollte, bestrafen möchte. Eine List mußte ihn in den Besitz derjenigen bringen, die er nicht zu entführen wagte. Es gab in Kufa, wie auch anderswo, jene verruchten Werkzeuge des Lasters, die, nachdem sie ihre Ehre mit ihrer Jugend vergeudet haben, mit der der Schönen ihres Geschlechtes Handel treiben. Eines dieser verächtlichen Weiber, die listiger war denn alle ihresgleichen, wurde oft von Wüstlingen gebraucht, von denen sie sich ihre Dienste teuer bezahlen ließ. An diese alte Ränkemacherin wandte sich Hadschadsch. Der Beruf einer Betschwester, dessen sie sich öffentlich bediente, um ihren geheimen andern Stand zu verbergen, dem sie eifriger nachging, öffnete ihr Nuumans Harem; mit verschleiertem Gesichte, eine der größten Gebetsschnüren, die jemals die Heuchelei hergestellt hat, in der einen Hand haltend, mit der andern sich auf einen Stock stützend, als ob sie von der Bürde der Jahre niedergedrückt würde, erschien sie vor Zeineb.

Die ebenso fromme wie zärtliche junge Sklavin hegte von Kindheit an eine große Verehrung für alle, die sich tugendhaft bezeigten; getäuscht von dem scheinheiligen Aussehen der Alten, empfing sie sie mit aller möglichen Ehrfurcht. Ihre freundliche und demütige Miene, die Augen, die bald zum Himmel blickten, bald die Erde küßten, ihre zahlreichen Seufzer, alles beredete Zeineb, daß sie in der glücklichen Lage wäre, in ihrem Hause eine Günstlingin des Propheten zu beherbergen.

Die Gewandtheit der schändlichen Alten bezwang bald Nuumans Geliebte, die sich keines Argwohns dabei bewußt wurde. Als die Scheinheilige der Macht gewahr wurde, die sie erlangt hatte, sprach sie davon, daß sie ihre neubekehrte Freundin verlassen wollte. »Wie grausam bist du, o meine gute Mutter,« sprach Zeineb zu ihr, »uns verlassen zu wollen; welch ein wichtiger Grund zwingt dich, daß wir so bald der Süße deiner Unterhaltung entbehren sollen?« »Wenn ich mich nur mit meiner Freundschaft zu dir beriete,« sprach die Alte dawider, »würde ich dir ohne Säumen meine ganze Zeit opfern, aber für ein in sich gefestigtes Wesen gibt es Pflichten, die es über alle menschlichen Erwägungen hinwegsetzen. Es gibt in der Nachbarschaft hier mehrere Frauen, welche die Frömmigkeit unter ein Dach vereinigt hat; sie üben in der Zurückgezogenheit alle muselmännischen Tugenden aus und feiern nicht allein die vorgeschriebenen Tage, sondern oft noch viele andere, um sich zu kasteien; kurz, alle ihre Zeit ist dem Gebete gewidmet, dem Lesen im Koran und andern guten Werken, die das Gesetz vorschreibt. Ihr beispielhaftes Leben stützt meine Sitten und ihre Reinheit. Die guten Frauen wünschen, obwohl sie viel weiter als ich auf dem Wege zum geistlichen Leben sind, einige Hilfe durch meine schwachen Kenntnisse zu haben. Heute morgen haben sie mich bitten lassen, zu ihnen zu kommen, um sich mit mir über einen Satz des Gesetzes zu beraten, der ihnen Schwierigkeiten macht: darf ich mich ihrem frommen Eifer entziehen, und muß ich nicht zu Freundinnen zurückkehren, welche mir so wert sind?«

Der Wunsch, solche Heilige kennenzulernen, nahm bald der törichten Zeineb Herz gefangen; und sie bat ihre Betschwester, doch eine Bekanntschaft, die ehrenvoll und nützlich sein könnte, zu vermitteln. Die durchtriebene Alte jedoch war dagegen, um das Verlangen ihrer Neubekehrten mehr und mehr zu entzünden; endlich gab sie scheinbar ihrem Drängen nach und willigte ein, sie zu diesen zurückgezogen lebenden Heiligen zu führen. In dem Hause, das nicht weit von Dschabers Wohnung ablag, angekommen, verließ die Alte ihre junge Freundin, um angeblich die heiligen Frauen zu benachrichtigen; es dauerte nur kurze Zeit, daß Zeineb allein im Hausflur war: vier vermummte Menschen faßten sie, und nachdem sie ihr ein Taschentuch in den Mund gesteckt hatten, um ihre Schreie zu ersticken, schleppten sie sie in eine Sänfte, die den Weg nach Damaskus nahm.

Man kann sich den Zustand der Ärmsten wohl vorstellen; sie beklagte sich beim Himmel ob der Schlechtigkeit der Mensehen und weinte bitterlich um ihren Geliebten, ihren Schwiegervater und das glückliche Los, dem man sie entrissen hatte. Das Grauen vor der Zukunft mischte noch Furcht in ihre Klagen, und die Sorgen, die man um sie trug, bewirkten nur, ihr das Leben noch bitterer und unerträglicher zu machen.

Nach dreißig Tagen mühsamer Reise kam sie in Damaskus an; man brachte dem Kalifen die junge Betrübte im Auftrag ihres Entführers dar; trotz des Schmerzes, dessen Spuren die Schöne trug, erschienen ihre Reize nur um so rührender; zu allem Kummer, der sie bereits quälte, kam noch der hinzu, daß sie wider ihren Willen gefiel.

Der Kalif war ob ihrer Schönheit entzückt und hoffte, daß er ihr die Wolken verscheuchen könnte. Fast alle Schönen, die er erobert hatte, waren anfangs traurig vor seinen Augen gewesen, und der Kummer, den er immer dem Schrecken der Sklaverei zuschrieb und dem Bedauern, zärtliche Eltern verlassen zu haben, machte ihm die Schöne noch anziehender, weil er sicher war, seiner Herr werden zu können.

Das Gepränge des Harems, die Unterwürfigkeit einer Sklavenmenge, die sich stets um die augenblickliche Favoritin des Fürsten schart, selbst die Bemühungen des Sultans konnten einen Schmerz nicht zerstreuen, der mit der Zeit zu wachsen schien; und der Kalif, der, so dünkelhaft wie er war, zu fürchten begann, es mit einer Spröden zu tun zu haben, gestand der Prinzessin, seiner Schwester, seine Liebe und die Hindernisse, die ihr im Wege standen.

Abaza – so hieß des Kalifen Schwester – wollte die stolze Schöne kennenlernen, die ihrem Herrn widerstand. Bei der ersten Begegnung konnte sie sich einer gefühlvollen Aufmerksamkeit für die junge Betrübte, deren Gestalt soviel Milde und Treuherzigkeit versprach, nicht entschlagen.

Die Prinzessin war teilnahmsvoll und fühlte bald, daß Zeinebs Herz nicht frei war, und wußte ihr Dank, daß sie treu war und einen niedrigen Geliebten einem großen Fürsten, der ihr Herr geworden war, vorzog. Beide Schönen wurden bald befreundet, jedoch nicht so innig, daß Zeineb sich ihr Geheimnis entlocken ließ. Abaza, welche die Wahrheit ahnte, riet ihrem Bruder, jedes Gewaltmittel aus dem Spiele zu lassen, indem sie ihm sagte, daß die Zeit das einzige Heilmittel für das Übel sei, das Zeineb plagte.

Wie unglücklich auch die Schöne war, ihr Geliebter, der von ihr getrennt und das Schicksal derer nicht wußte, die er mehr als sein Leben liebte, war nicht minder beklagenswert. Am unheilvollen Tage ihrer Trennung hatte er, der erstaunt war über Zeinebs Abwesenheit, sie mit der lebhaftesten Ungeduld erwartet; und als es ihm offenbar wurde, daß er nicht hoffen dürfte, sie je wiederzusehen, wünschte er, aus dem Leben zu scheiden. Diese heftige Verzweiflung schlug nach einer Reihe von Tagen in beständige Schwermut um: der Schmerz um Zeineb war auf seinem Gesichte zu lesen und grub sich dort jeden Tag tiefer ein. Sein ebenso niedergebeugter Vater lebte in der ständigen Furcht, ihn zu verlieren. Vergebens erwartete er Linderung durch das Verstreichen der Zeit. Er sah mit Schrecken voraus, daß Schmerz und Erschöpfung ihm den einzigen Sohn entreißen würden, als sich das Gerücht in der Stadt verbreitete, daß ein berühmter Arzt angekommen wäre. Dieser Mann kannte Astronomie und Geomantie und alle Geheimnisse der Zauberei. Wir werden jedoch sehen, daß er noch besser die Menschen kannte, die er zugunsten ihrer und seiner Angelegenheiten zu täuschen wußte.

Der geschickte Arzt entdeckte bald die Wahrheit und erkannte, daß die Schwermut seines Kranken nur eine äußere Ursache haben konnte, und da er ebenso gewandt wie wissend war, entlockte er ihm bald das Geheimnis seines Herzens: es war nicht leicht, das Los einer wie von der Erdoberfläche verschwundenen Schönen, die zu verbergen sehr im Nutzen ihrer Räuber liegen mußte, zu erfahren. Seine Gewandtheit und ein glücklicher Zufall hatten den Arzt von allem unterrichtet, was vor sich gegangen war; er zögerte natürlich nicht, seine Entdeckung der Kraft seines geheimen Wissens zuzuschreiben. Es gab damals in Kufa eine Jüdin, die durch einen Edelsteinhandel in ganz Asien umherkam; sie war in Damaskus und mehrere Male im Palaste Abazas gewesen und war von ihr und selbst vom Sultan beauftragt worden, der jungen Zeineb mehrere kostbare Geschmeide anzubieten, die aber unsere junge Schöne immer gleichgültig angenommen hatte.

Die Schmerzensspuren, die der Schönen im Gesicht geschrieben standen, waren den scharfen Augen der Jüdin nicht entgangen; ihr Besuch im Harem hatte sie mit der Liebe des Kalifen und dem Hochmute der schönen Sklavin vertraut gemacht, und sie ahnte, ebenso wie die Prinzessin, die Ursache dieses Hochmutes. Zeineb hatte ihren Namen nicht gewechselt. Die Jüdin, die mit dem arabischen Arzte in Verbindung stand, hatte ihm von Zeineb erzählt, von der Neigung des Kalifen, ihrer Gleichgültigkeit und der geheimen Flamme, die vermutlich in ihr zu brennen schiene. Man braucht sich nicht zu verwundern, daß unser angeblicher Weiser und eine Maklerin in Verbindung standen; beide Berufe haben mehr Beziehungen zueinander, als man denkt. Der Chiromant und unsre alte Jüdin lebten beide von der Kunst, die Menschen zu täuschen, und arbeiteten einander oft in die Hände, um erfolgreich in ihr zu sein.

Der Weise wußte sehr wohl, daß sein junger Kranker aus Liebe zu einer Sklavin mit Namen Zeineb sterben wollte, und daß diese Zeineb in Damaskus war, und kramte die ganze Kunst der Geomantie aus. Er zeichnete eine Weltkugel auf, brachte viele Punkte auf ihr an, und nachdem er Sonne und Mond angerufen und wilde Laute hervorgebracht hatte, verkündete er gewichtig, daß Nuuman nur geheilt werden könnte, wenn er eine Reise nach Damaskus machte, da in dieser Stadt seinen Leiden ein Ziel gesetzt würde. Der dienstwillige Arzt bot sich an, ihn dorthin zu bringen, indem er versicherte, daß er seiner Ratschläge und Hilfe bedürfen würde. Der Vater, der kein Unglück kannte, das dem, seinen Sohn zu verlieren, ähnlich war, stimmte allem bei, um sein Leben zu retten. Er ließ den jungen Kranken mit seinem Äskulap abreisen und gab ihnen so viel Gold mit, als ihn Reichtum und Vaterliebe verschwenden ließen.

In Damaskus angekommen, erlangte der Arzt, der weniger unwissend und dreister war als seine Genossen, in kurzem mehr Ansehen als sie alle. Er mietete sich einen Laden und stattete ihn mit sehr viel Arzneimitteln aus, die für ihn sehr nützlich waren und denen, die sich ihrer bedienten, nichts schaden konnten. Nuuman, der als sein Schüler durchging, verteilte die Heilmittel; und die hinreißende Schönheit des Schülers sorgte dafür, dem Arzneiladen Kundschaft zuzuführen.

Der Ruf des Arztes drang bald bis ins Serail. Der Kalif hatte alle Ärzte der Stadt aufgeboten, um die Schwermut der schönen Sklavin zu verscheuchen und eine schnellere Heilung der Übel herbeizuführen, die nicht in ihr Fach schlugen. Der verliebte Fürst wollte auch noch diesen Mann, den man für sehr geschickt ausgab, zu Rate ziehen und schickte die Oberaufseherin des Serails, mit Namen Razie, zu ihm, die dem Arzte im Auftrag des Sultans des langen Einzelheiten über den Zustand seiner Favoritin angab. Der Araber hatte in der Tat das einzige Mittel, das Zeineb heilen konnte. Er ließ nun den jungen Nuuman eine Flasche holen und ihn eigenhändig auf ein an die Flasche geheftetes Papier schreiben, auf welche Weise man die Flüssigkeit, die sie enthielt, anwenden mußte.

Man kann sich denken, daß Nuumans Handschrift der süßen Zeineb bekannt war, und kann sich auch leicht die Verwirrung vorstellen, die sich angesichts dieser bei ihr einstellte; sie vermehrte sich noch, als sie in Erfahrung brachte, daß diese Handschrift einem jungen Manne aus Kufa angehöre, der herrlich schön sei, aber einen Kummer zu tragen scheine. Auf diese Einzelheiten hin wurde Zeineb ohnmächtig; als sie mit Razies Hilfe und mehr noch durch die Kraft des köstlichen Wassers wieder zu sich gekommen war, verrieten bald die Tränen der Liebenden, ihre hastigen Fragen und die Freude, die sie wider Willen überkam, ihr Geheimnis.

Die mitleidige Oberaufseherin beschloß, Zeineb, die sie bisher so unglücklich gesehen hatte und an der sie sehr lebhaften Anteil nahm, zu retten: war es doch das Schicksal unserer Schönen, immer geliebt zu werden. Razie kehrte nach dem Laden des geschickten Apothekers zurück, und nachdem sie lange von ihrer jungen Kranken gesprochen hatte, von der Hilfe, die das Mittel des Arztes ihr gebracht habe, von ihrer Schönheit und Traurigkeit, den Reizen, die sie über alle ihre Gefährtinnen erhebe, und der Liebe des Kalifen, deren Lohn ihm niemals zuteil geworden wäre, wurde nun Nuuman, der alle Worte, die er nur hören konnte, gierig verschlang, seinerseits ohnmächtig.

Razie, die in dem Herzen des jungen Mannes hatte lesen wollen, war sehr zufrieden, ihn so empfindlich zu sehen. Nachdem sie ihm mit dem Arzte ihre Hilfe hatte zuteil werden lassen, gab sie ihm zu verstehen, daß er sie gerührt habe, und versprach ihm, um seinen Schmerz zu lindern und seine Liebe zu ermutigen, einen Schutz, den der junge Mann mit all seinem Blute würde bezahlt haben und den er sich mit seinem ganzen Vermögen zu vergelten erbot.

Die erste aller Wohltaten mußte das Zusammenbringen Nuumans mit der sein, die seine Gattin hieß. Mit einer Verkleidung ließ sich solches bequem ins Werk setzen. Nuuman wurde in Mädchenkleider gesteckt. Ungeachtet der Regelmäßigkeit seiner Züge konnte sein Gesicht nicht mehr für das einer Frau gehalten werden; der Schleier, der es verdecken mußte, begünstigte allein diese Täuschung.

Bei dem Tore des Serails angelangt, räumte die Oberaufseherin die Schwierigkeiten fort, welche die Eunuchen machen, um eine fremde Frau in das Innere zu lassen. Diese ging als das Weib des Arztes durch. Sie stiegen beide zusammen in eine lange Galerie hinauf, und Razie, die aus Zurückhaltung nicht Zeuge des ersten Wiedersehns unserer beiden Liebenden sein wollte, bezeichnete der angeblichen Arztfrau Zeinebs Zimmer. Es war dem der Prinzessin Abaza benachbart. Nuuman, ganz verwirrt, irrte sich in den Türen. Als er in eine Flucht von Zimmern eingetreten war, von denen eines immer noch schöner war als das andre, erblickte er im letzten eine prachtvoll gekleidete Frau, die ihn hart anfuhr: was sie so dreist mache, ungebeten bei ihr einzutreten.

Der vor Schreck erstarrte Nuuman wollte einige Worte vorbringen, aber seine Stimme verriet ihn noch mehr. Die Prinzessin argwöhnte, daß sich hinter dem Schleier ein Mann verbarg, riß ihn herunter und überzeugte sich alsobald von der Wahrheit ihrer Vermutung. Dann verdoppelte sich ihr Zorn; und als sie willens war, den Kecken seinem Verhängnisse auszuliefern, stürzte er sich ihr zu Füßen und bat sie, zu Zeinebs Füßen sterben zu dürfen, welche die eigentliche Ursache seines Verbrechens wäre; sich rettungslos verloren gebend, erzählte er ihr in wenigen Worten mit ebensoviel Unbefangenheit wie Schmerz, und ohne die Knie der Prinzessin zu lassen, die er immer umfaßt hielt, seine Geschichte. Abaza, die von Haus aus gutmütig war, hörte der Geschichte seiner Leiden teilnahmsvoll zu und war froh, den Grund von Zeinebs Schwermut gefunden zu haben; sie ließ die junge Geliebte sofort kommen und zeigte ihr den, um den sie so viele Tränen vergossen hatte. Wir nehmen davon Abstand, die Überraschung und das Entzücken und die Freude der beiden Liebenden zu schildern. Als sie mehrere köstliche Stunden miteinander verbracht hatten, wollte ihnen die Prinzessin, die ihre Beschützerin geworden war, ein kleines Fest geben, das von allen Sklaven, die ihr dienten, ausgeführt werden sollte. Der stets verschleierte Nuuman ging als eine Fremde, welche die Prinzessin, um Laute zu spielen, herbeordert hatte, die er tatsächlich auch vollendet schlug. Nach einem herrlichen Mahle ließ die Prinzessin Zeineb jene süße Weisen singen, die sie in ihrer Betrübnis mehrere Male angestimmt hatte, als sie um ihren lieben Nuuman klagte; dieser begleitete die Stimme seiner Herrin mit Lautenspiel; und diese durch Künstler, die sich so wohl zu unterstützen wußten, ausgeführte Musik schien selbst denen köstlich, die nicht wußten, welch lebhafte Freude die Musizierenden empfanden, indem sie ihre Talente also vereinigten. Zeinebs rührende Stimme wurde auch außerhalb des Gemachs der Prinzessin vernommen. Der Sultan, der unter ihrem Fenster vorüberging, wurde durch die Töne festgehalten, die immer den Weg zu seinem Herzen gefunden hatten; er trat ein und führte ein heiteres Wortgefecht mit seiner Schwester, weil sie sich in ihrem Gemache Genüssen hingäbe, an denen sie ihn nicht teilnehmen ließe.

Die wohltätige Abaza nahm die Gelegenheit wahr, zwei Menschen glücklich zu machen und den Fürsten von einer Leidenschaft zu heilen, die für ihn nur unheilvoll enden konnte. Sie empfing den Kalifen mit aller Ehrfurcht, die sie ihm als ihrem Gebieter schuldete, und aller Zärtlichkeit, die sie für ihren Bruder empfand; sie reichte ihm selbst die köstlichen Getränke dar und ließ vor ihm durch ihre Frauen gefällige und prächtige Tänze aufführen, um seine Augen zu erfreuen und seine Laune aufzuheitern. Dann bat sie ihn um die Erlaubnis, die Vergnügungen wechseln zu dürfen, und ließ nun durch ihre Frauen, die sich dessen auf das anmutigste zu entledigen wußten, mehrere Geschichten erzählen. Als der Fürst an den erfindungsreichen Geschichten Vergnügen fand, hub Abaza ihrerseits mit Erzählen an:

»O Herr,« sprach sie zu ihm, »ich will deiner Erhabenheit eine Geschichte erzählen, deren unglücklicher Ausgang in gleicher Weise Liebe und Menschlichkeit empört. Ein reicher Kaufmann in Agra hatte einen Sohn, den er glücklich machen wollte, und wählte ihm eine Gattin aus, die er seiner würdig achtete, und die gegenseitige Zuneigung der beiden Liebenden rechtfertigte bald die Wahl des Vaters; alle drei würden sich eines beständigen Glücks erfreut haben, wenn nicht ein erbärmlicher Wesir, der nur darauf bedacht war, die Wünsche seines Gebieters zu stillen, um ihn mit Weichlichkeit einzuschläfern, die junge Gattin ihrem Schwiegervater und ihrem Geliebten entrissen hätte, um sie dem Sultan als Sklavin zu schenken. Der Fürst verliebte sich als Besitzer solch seltenen Schatzes alsbald in sie, doch hatte er niemals das Glück zu gefallen, seine Sklavin verging vor Schmerz in seinen Armen und dachte unaufhörlich des Gatten, dem man sie entrissen hatte, und erwiderte die Zärtlichkeiten ihres Herrn nur mit dem kältesten Hochmute. Endlich fand der Gatte, der sie anbetete, das Mittel, in das Gefängnis seiner Herrin einzudringen – denn nichts ist der Liebe unmöglich; er hatte das Glück, die zu sehen und zu hören, der er sein Leben geweiht hatte, als sie beide der eifersüchtige Sultan überraschte. Sein Stolz und seine verschmähte Liebe entzündeten den lebhaftesten Zorn in ihm, er wollte ihre Rechtfertigung nicht anhören; und in beiden Gatten nur eine treulose Sklavin und einen Kecken sehend, der in seinen Harem eingedrungen war, zog er einen Dolch und opferte beide seiner Rache. Ich muß gestehen, daß mich das Unglück dieser beiden unschuldigen Opfer immer hat zittern lassen, und glaube nicht, daß Sultansmacht stärker ist als die der Liebe und Ehe!«

»Ich denke wie du,« sagte der Fürst ganz gerührt, »wir haben billig keine Macht über zwei Herzen, die sich lieben und durch die heiligen Bande verknüpft sind. Ein Weib gehört seinem Manne vor allen andern an, und wie groß auch die Leidenschaft eines Sultans ist, sie muß der gegenseitigen Liebe weichen!«

Da rief die Prinzessin aus: »O Beherrscher der Gläubigen, du hast einen Urteilsspruch verkündet, der deiner Weisheit und Güte würdig ist. Hier stehen Gatte und Gattin, von denen ich dir eben erzählte; du bist ein wohltätiger Fürst, der alles Unrecht wieder gutmacht, das man ihnen angetan hat. Diese Sklavin, der du nicht gefallen konntest, ist die rechtmäßige Frau dessen, den du da unter Gewändern siehst, die seinem Geschlecht nicht zukommen. Liebe und Kummer haben ihn die Gesetze des Harems übertreten lassen, du wirst ihm verzeihen, daß er treu und gefühlvoll gewesen ist und dich für edelmütiger denn alle Fürsten Indiens gehalten hat!«

Nuuman und Zeineb fielen zitternd und bestürzt dem Sultan zu Füßen, der durch das vorausgegangene Lob seiner Schwester erwärmt, nur daran dachte, es durch die Belohnung der Tugend, der Treue und des Mutes derer zu verdienen, welche die Gesetze unweigerlich mit dem Tode bestrafen würde. Er schickte sie mit reichen Gaben heim, ihnen keinen andern Spruch sprechend als den, sich immer zu lieben; einen Spruch, dem sie ihr ganzes Leben nachlebten. Der kluge Arzt, der das Heilmittel für ihre Leiden so geschickt zu finden gewußt hatte, galt fortan in ganz Arabien mehr noch für den Arzt der Seele als für den des Leibes.


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