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Die Geschichte Naurs, des Königs von Kaschmir

Naur, König von Kaschmir, beherrschte seit seinem fünfzehnten Lebensjahre sein glückliches Land mit Gerechtigkeit, aber auch mit Strenge, und wollte, daß seine Untertanen glücklich würden und das Leben verdienten. Leichtfertigkeit fand niemals Gnade vor ihm; er ließ sich die Verminderung der Abgaben durch eine fleißige Arbeit erkaufen, welche dadurch für seine Untertanen ein doppelter Quell des Reichtums wurde. Er forderte die pünktlichste Gehorsamkeit und verlangte nichts ohne Grund; und notwendigerweise unterwarf er die, denen er Proben seines Edelmutes gab, der strengsten Prüfung ihres Verdienstes. Seine siegreichen Heere hatten ihn zum Eroberer gemacht; sein stolzer Sinn blieb sich immer gleich bei seinen Eroberungen und seiner Staatskunst; seine Nachbarn fürchteten ihn, und seine Völker bewunderten ihn ehrfurchtsvoll: welches das Los der Tugend ist, die sich mit sehr viel Strenge paart. So beherrschte Naur das Land seit zwanzig Jahren, und seine Macht schien sich sowohl auf Mut und Verstand und Gerechtigkeit aufzubauen, daß man niemals geglaubt hätte, er könnte einmal die Kehrseite des Glückes kennen lernen.

Der König hatte niemals das Entzücken der Liebe erfahren und solche Leidenschaft immer für eine menschliche Schwäche gehalten; die zahllosen Schönen, die seinen Harem bevölkerten, den geheimen Ort seiner süßesten Freuden, hatten ihn niemals überzeugen können, daß man dem Willen derer Untertan sein, die man dem seinen unterwirft, und der Sklave seiner Sklaven werden kann. Er hatte mehr denn je diesem Fehler vorgebeugt, als ihm der Aufseher seines Harems die unvergleichliche Fatme zuführte; sie erschien vor ihm zuversichtlicher auf die Vorzüge, mit denen sie die Natur begabt hatte, als es Naur auf die des Thrones war. Die Geisteskraft des Fürsten, der über alle Dinge streng urteilte, selbst die Härte seines Herzens, das nur für das übernatürliche Verdienst empfänglich war, alle diese ihm angeborenen Gefühle, gesteigert durch die Gewohnheit und die Eitelkeit, sie auszuüben, wurden in einem Augenblick vor seiner neuen Sklavin zunichte. Indessen zeigte sie keinen Stolz, der aufreizen konnte; alles war Anmut und Schönheit an ihrer Person, selbst ihr hoher Sinn war für die Erhabenheit ihrer Gestalt und den Adel ihrer Züge notwendig.

Naur fühlte seine Niederlage, wurde zornig darüber und wollte sie sich verhehlen; und in der Hoffnung, sie zu vermeiden, war seine erste Sorge, sich solch eines gefährlichen Gegenstandes zu entschlagen; jedoch ließ sich die Liebe nicht lange unterbinden. Fatme tat so, als ob sie nicht bemerkte, welche Gefühle sie in einem so stolzen Herzen erzeugte, und wünschte sich Glück dazu; ihrer Eigenliebe wurde dadurch geschmeichelt, und sie ergab sich nur den stürmischen Wünschen ihres Herrn, nachdem sie über ihn triumphiert hatte. Der König von Kaschmir war nur allzu entschuldbar, einer so vollkommenen Schönheit nachzugeben; ihre schwarzen Haare machten mit ihrer Länge der dunkelsten Nacht den Vorrang streitig, ihr strahlendes Antlitz sprach zum Monde, als er an seinem vierzehnten Tage schien: Scheine, oder ich scheine. Wenn ein Derwisch, der die Nacht in andächtigen Gebeten verbringt, einzig im Traume ein Wesen gesehen hätte, das ihr zu gleichen vermöchte, würde er darüber den Verstand verloren haben. Ihre Zähne reihten sich noch besser aneinander als der schönste Perlenstrang; das Grübchen in ihrem Kinn war das Gefängnis der Herzen; der köstliche Duft, den ihre Gestalt von Natur verbreitete, übertraf den des geschätztesten Moschus; und das schwarze Mal, das sie neben dem linken Auge hatte, war einer der größten Reize, welche die Liebe ihrer ganzen Gestalt gegeben hatte.

Naur, der stolze Naur, entbrannte in wenig Zeit so für die schöne Fatme, daß er selbst inmitten des innigsten Genusses nicht leben konnte, ohne ihre Schönheit zu betrachten und ihre schönen Haarflechten zu bewundern. Und er war über all die Gefühle überrascht, deren Neuheit sie seinem Herzen noch angenehmer machte; er überließ sich daher unaufhörlich der süßesten Liebe und war berauscht von den Reizen seiner schönen Sklavin, die er alle Tage mit neuer Freude sah. Das schwarze Mal, über das er gar noch entzückter war als über all ihre andern Vorzüge, war ein Samenkorn in seinem Herzen, das dort eine grenzenlose Liebe zeitigte. Der König dichtete im Rausche seiner Leidenschaft folgendes zarte Lied, das man noch heute in Persien singt:

Es war ein Wahn, daß ich sie könnte lassen;
Denn ihre schönen Haare fesseln mich,
Und wider Willen steh ich unterjocht ...

Der zum ersten Male verliebte Naur kannte weder Mißtrauen noch Eifersucht; seine Gemütsart hatte ihn bislang die Frauen nur mit einer gewissen Verachtung ansehen lassen, und in seiner Liebe überließ er sich anfangs der ruhigsten Zuversicht. Und was ihm selbst noch an Stolz Fatme gegenüber blieb, ließ ihn nicht an ihrer Dankbarkeit und Zärtlichkeit zweifeln. ›Da ich endlich liebe,‹ sprach er zu sieh selbst, ›bin ich auch geliebt.‹

Als die schöne Sklavin sich der Macht ihrer Reize wohl bewußt wurde und glaubte, ihres Einflusses auf das Gemüt ihres Herrn hinreichend sicher zu sein und sein Herz unterjocht zu haben, als sie nicht mehr um die Eroberung besorgt war, schien ihr die ihres Herrn nicht zu genügen, zumal sie seiner sicher war, und sie bedurfte für ihr eigenes Glück noch einer anderen. Und wenig geschmeichelt mit einem Liebhaber, in dem sie immer ihren Herrn wiedererkannte, wollte sie ein Herz verwunden, das nur seinem Verdienste das Geschenk verdankte, das sie ihm mit dem ihren machte.

In den Zeiten, wo Kaschmir einen besonderen König hatte, wurden die Harems nicht mit großer Strenge bewacht; es gab sogar mehrere Hauptleute, die für den Dienst des Fürsten ausersehen und durchaus keine Eunuchen waren, die zum Inneren des Palastes Zutritt hatten.

Naur hatte einen Günstling mit Namen Abukazir, den er immer um sich hatte; der war groß, wohlgebaut und von überraschender Schönheit; seine Worte waren so süß wie Honig, und sein Gesicht war nur mit einem zarten Flaum bedeckt, der den Kräutern vergleichbar war, die an den Ufern der Milchflüsse wachsen, die im Paradiese einherströmen. Der diente dem König täglich, wenn er in Fatmes Gemächern war, und niemals hielt sich ein anderer Hauptmann an seiner Seite, wenn er mit seiner schönen Sklavin tafelte. Auf Abukazir warf sie ein Auge und versuchte tausendmal seine Blicke, um den Knoten seiner Gedanken zu lösen: einige Male glaubte sie einen Hoffnungsstrahl in ihnen zu erkennen, aber bald sah sie in seinem ganzen Benehmen nichts weiter als die Merkmale einer Unterwürfigkeit, die sie zur Verzweiflung brachten. Diese Herzenspein trug ihr schließlich eine unbekannte Ruhelosigkeit ein, die selbst ihre Schönheit angriff. Naur äußerte darüber die lebhaftesten Sorgen; jedoch bedauerte sie bald die Verminderung ihrer Reize nicht mehr: die zarten und mitleidigen Blicke, die sich Abukazir nicht enthalten konnte, auf sie zu werfen, belebten sie schnell aufs neue und waren dem wohltuenden Sonnenstrahle vergleichbar, der eine junge Blüte wieder aufrichtet, die ein wütiger Sturm niedergebeugt hat. In Wahrheit waren diese Bezeigungen so klug und maßvoll, daß Fatme darin nur eine geringe Hoffnung lesen konnte; indessen überließ sie sich ihr voller Entzücken.

Diese ersten Annäherungen gewöhnten Liebhaber und Geliebte bald daran, sich ihrer Augen und ihrer Augenwimpern zu bedienen, um sich Bitten und Antworten zuzustellen, indem sie eine glückliche Gelegenheit erwarteten, die zarten Vorwürfe, die süßen Fragen und zärtlichen Versicherungen ausdrücken zu können, die den Reiz aller Liebesabenteuer oder mehr noch einer keimenden Liebe ausmachen.

Hierzu war die Essenszeit am günstigsten für sie, weil sie sich dann sehr lange und aus nächster Nähe sahen. Fatme, die in Abwesenheit ihres Liebsten zu sterben glaubte, dachte nur daran, sie möglichst auszudehnen, und der Vorschlag, den sie deswegen dem König machte, diente nur dazu, ihn noch heißer als vorher zu entflammen, weil er urteilte, der Wunsch, ihn öfters zu sehen, verursachte solches.

Eines Tages nun, als sich der Fürst und die schöne Sklavin einander bei Tische gegenübersaßen, ließ Fatme, sooft sie es ohne Gefahr einrichten konnte, ihre Blicke zu Abukazir hinübergleiten. Der bediente seinen Herrn, und ungebundener in den Vorsichtsmaßregeln, da er, hinter ihm stehend, dabei nicht beobachtet werden konnte, verschlang er sie mit seinen Blicken, während Naur sie selbst mit solcher Leidenschaft anblickte, daß er nur sie in der ganzen Natur sah und solche Stelle des göttlichen Korans auf ihren rosigen Wangen zu lesen vermeinte: Das Weib ist das beste Werk des Schöpfers. Diese Blicke genügten nicht, um Fatmes Herz zu beruhigen und zu unterhalten; die Schöne der Schönen wünschte das Vergnügen, ihren neuen Liebhaber zu sehen und von ihm gesehen zu werden, länger auszukosten und wollte noch die Mittel finden, ihm den Umfang ihrer Liebe zu zeigen und die seinige besser erfahren zu können; sie schlug daher dem Könige vor, ihm eine Geschichte erzählen zu dürfen. ›Ich willige darein,‹ entgegnete er, ›wenn wir vom Mahle aufgestanden sind, und werde mit Begeisterung die Reize deines Geistes kennenlernen, die sicher denen gleichen, welche deine ganze Gestalt meinen Augen darbietet!‹ ›Wenn ich es wagen darf, meinem Herrn und Gebieter etwas vorzuschlagen,‹ nahm das schöne Mädchen das Wort, ›so scheint es mir, daß sich eine Geschichte geeigneter in dem Zustande, in dem wir sind, erzählen läßt. Wenn sie weniger spannend ist, greift man nach einer Frucht, verlangt Scherbett oder einige Schlucke Weines von Schiras; solches vermehrt die Lebhaftigkeit der Erzählenden und entschädigt den Zuhörer für die langweiligen Dinge; ich finde, daß diese Hilfe unbedingt notwendig ist! Diese geheuchelte Bescheidenheit zog ihr die erwarteten Lobsprüche zu und gab nur noch mehr Lust, sie anzuhören. Die Blicke Abukazirs und des Königs Worte versicherten ihr, wie sehr sie sich darauf freuten. Die lebhafte Fröhlichkeit und die Anmut, mit der sie diesen Vorschlag begleitete, hatten in ihren Gemütern die höchsten Erwartungen hervorgezaubert. Als Fatme nichts am Reden hinderte, nahm sie also das Wort:


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