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Die Geschichte von Naerdan und Güzülbec

Hüssendschar, ein reicher Edelsteinhändler, wohnte in Erserum; er war schon in einem vorgerückten Alter und hatte von allen seinen Sklavinnen und seinen Frauen mit des Himmels Güte nur eine Tochter bekommen. Wenn die ihn nicht befriedigen konnte, mit Bezug auf seinen Handel, so machte sie ihn glücklich durch die Schönheit, mit der die Natur ihre Gestalt geschmückt und auch gleichzeitig ihren Verstand für alle Talente empfänglich gemacht hatte. Sie war erst sechs Jahre alt, als Ali, Tirmir zubenannt, der immer ein Freund Hüssendschars gewesen war, aus dem Leben schied, ohne seinem einzigen Sohne ein Vermögen zu hinterlassen, obwohl er stets im Rufe gestanden hatte, reich zu sein. Als er in Hüssendschars Armen seine letzten Seufzer ausstieß, empfahl er ihm diesen Sohn, den einzigen Gegenstand seiner Klagen. Der wahrhafte Freund nahm ihn mit Freuden zu sich; solches geschah anfangs nur in der Absicht, der Freundschaft Genüge zu leisten, aber Naerdan, so hieß der Sohn Timur Alis, verdiente sie bald selbst; denn er war freundlicher Gemütsart, und seine Klugheit war seinem Alter überlegen; Dankbarkeit war das erste Gefühl seines Herzens. Hüssendschar wünschte sich Glück zu dem Vermächtnisse, das ihm sein Freund gemacht hatte, und teilte seine Zärtlichkeit zwischen Naerdan und seiner einzigen Tochter Güzülbec. Sie wurden zusammen aufgezogen; ihre Kindheit, die sie durch die gemeinsamen Freuden verband, die Freiheit, immer zusammen zu sein, die sie hatten, oder hauptsächlich Güzülbecs aufblühende Reize und das Verdienst Naerdans befestigte in ihren Herzen eine Neigung, die nichts zerstören konnte, Hüssendschar merkte darum; aber fern davon, ihren Gefühlen ein Hindernis in den Weg zu legen, schien er sie im Gegenteil zu billigen. Der Himmel, der ihm einen Sohn versagt hatte, gab ihm den im Sohne seines Freundes, der sich mit jedem Tage würdiger bezeigte; und Hüssendschar hatte die Freude, einen Schüler nach seines Herzens Wunsch zu haben.

Als Naerdan, der zufällig wenige Jahre älter war als Güzülbec, ein Alter von zwölf Jahren erreicht hatte, erlaubte man ihm nicht mehr, sie zu sehen; sie wurde in das Frauengemach eingeschlossen und Naerdan denen anvertraut, die ihm nach Hüssendschars Vorsätzen, die er über sein Weiterkommen gefaßt hatte, eine dazu geeignete Erziehung geben sollten. Solch eine Trennung war ihm überaus schmerzlich, doch war sie es nicht minder für Güzülbec, die, mehr ihren Gedanken überlassen als er, sich nur noch mit einer Liebe beschäftigte, deren ganze Gewalt sich nach der Entfernung des geliebten Gegenstandes kundtat. Die wuchs mehr und mehr in der Einsamkeit, und da sie ihrem Geliebten nicht zu schreiben wagte, wußte sie sich keines andern Rats, ihn in ihrem Herzen lesen zu lassen, als die Salams, die sie ihm durch eine Sklavin schickte, die ihre Geheimsprache nicht kannte. Das erste, was sie ihm so zukommen ließ, war ein kleines Bündel Ingwer – welches besagt: Mein Herz brennt nur für dich –, dies war zweifelsohne ein großes Entgegenkommen; doch eine so lebhafte Neigung, wie die ihre, ließ sich nicht bescheiden; sie zitterte in Erwartung der Antwort und fürchtete, nicht mehr geliebt zu sein. Wie groß war ihre Freude, als man ihr von Seiten Naerdans ein kleines Stückchen blaues Leinen brachte – welches besagt: Ich bin immer in dich verliebt. Dieses Zeichen drückte wahrlich kein so zartes Gefühl aus, wie sie es gewünscht haben mochte; aber schließlich war sie nicht vergessen, man liebte sie noch; der Reiz dieses Gedankens aber hielt nur kurze Zeit an. Er machte um so vieles lebhafteren Wünschen und Verlangen Platz, von denen sie nicht hoffen konnte, daß Naerdan sie teilte.‹

Diese betonten letzten Worte richtete Fatme an Abukazir und begleitete sie mit den zärtlichsten Blicken: ›Ich muß gestehen,‹ sagte sie, selbst ihre Erzählung unterbrechend, indem sie für einen Augenblick ihre schönen Augen auf den König von Kaschmir heftete und sie dann wieder unmerklich zu dem aufmerksamen Abukazir hinübergleiten ließ; ›ich muß gestehen,‹ fuhr sie fort, daß die unglückliche Güzülbec zu beklagen ist, eingeschlossen in einem von ihrem Geliebten allzu geachteten Serail, zählte sie die Augenblicke ihrer Jugend und Schönheit. ›Welche Vorzüge,‹ sagte sie sich, ›welche Schätze werden fruchtlos vertan. Mit welcher Erwiderung müßte meine Zärtlichkeit nicht bezahlt werden! Ach! Wieviel Zweige hätte wohl der Keim unserer Liebe, durch meine Sorgfalt gepflegt, getrieben, die sich unter der Last der köstlichsten Früchte beugen würden? Aber nein, der, den ich anbete, liebt mich nicht, denn eine nichtige Ehrfurcht ...‹ Ich will dir nicht die Vermutungen aufzählen, o Herr,‹ fuhr Fatme fort, ›die den Klagen der trostlosen Güzülbec folgten; ich habe dir ihre Geschichte versprochen und nehme sie wieder auf.

Als Naerdan ein Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte, kannte er die Vorteile des Handels so weit und bediente sich der Lehren, die er empfangen hatte, so gut, daß die Erkenntlichkeit, die er Hüssendschar bewies, im Verein mit seiner natürlichen Begabung ihn ganz besonders auf dessen Geschäft achtgeben ließen; sein guter Herr vertraute es ihm während des Verlaufs mehrerer Reisen an, die er nach Indien zu machen hatte. Es gedieh unter seiner Hand, und der Verkauf der Waren, die er ihm in seinem Laden in Erserum gelassen hatte, warf für Hüssendschar noch mehr Gewinst ab als seine Reisen. Währenddessen hatte Naerdan in einer Empfindlichkeit und Treue, wie sie bei einem liebenden Herzen selten zu finden sind, den Verkehr, den er mit Güzülbec gehabt hatte, gelöst; seine Liebe war nicht erloschen, aber sie legte ihm Schweigen auf, und er opferte alle ihre Äußerungen der Redlichkeit. Und wagte nicht mehr, daran zu denken, seines Herrn Tochter zu heiraten, dem der Himmel gegen jede Erwartung endlich einen Sohn gewährt hatte. Dieser Edelmut‹, fuhr Fatme fort, ›konnte Güzülbecs Empfindungen keineswegs verringern und diente nur dazu, sie anzufachen. Inmitten der Freuden, die ihm die unerwartete Geburt eines Sohnes verursachten, konnte Hüssendschar Naerdan nicht genug loben und sagte öffentlich, daß der Erbe, mit dem die Natur seine Wünsche befriedigt hätte, einzig imstande gewesen wäre, die Pläne, die er zu Naerdans Gunsten gehabt hätte, umzustoßen, und fügte hinzu, daß seine Tugend, seine Geradheit und seine reiche Begabung ihn sicherlich bestimmt hätten, ihm seine Tochter und seine ganze Habe zu geben; doch hoffe er, seiner Freunde einen dadurch zu beglücken, daß er ihm einen solchen Schwiegersohn zuführe.

Diese Lobreden bestimmten Kara Mehemmet, den Stiefbruder Hüssendschars, von ihm Naerdan für seine Tochter zu erbitten; und er gedachte selbst den Bund zu schließen, sobald er von einer Reise nach Indien zurück sein würde, die ihn mindestens acht bis neun Monate in Anspruch nehmen mußte. Da er Juwelenhändler von Beruf war, willigte Naerdan, nicht aus einem Wunsche nach Reichtum und Geschäft, sondern mehr, um sich von einer Liebe zu heilen, die er nur noch als eine Undankbarkeit empfinden konnte, in diesen Vorschlag ein.

Solche Nachrichten kamen Güzülbec zu Ohren; sie versetzten ihr Herz in schwärzeste Trauer, vergebens schickte sie ihrem Geliebten einen Apfel – welches besagt: Entferne dich nicht von mir, o Frühling meines Lebens! –, ein Stück rotfarbenen Stoffs – welches besagt: Nimm mir doch das Leben –, eine Olive – welches besagt: Ich will dich lieber tot als unbeständig sehen –, und eine Holzkohle –welches besagt: Ach nein, möchte ich doch sterben und du lange leben! Diese süßen Zeichen des Übermaßes ihres Schmerzes und ihrer Eifersucht vermochten den grausamen Plan des allzu tugendhaften Naerdan nicht umzustoßen.'

Hier konnte es Fatme, indem sie sich noch einmal unterbrach, nicht über sich bringen, einen Gedanken auszusprechen, dessen Sinn nur ganz harmlos für den König von Kaschmir sein konnte, für Abukazir jedoch einen bitteren Vorwurf enthielt. ›Man kann,‹ sagte sie, ›ich gebe es zu, sich selbst den Gefühlen einer wahren Dankbarkeit aufopfern; aber gestattet uns die Tugend keine anderen Opfer? Man ist entzückt, in dem Herzen, das man liebt, die Grundsätze der Tugend zu finden, aber sie arten in Barbarei aus, wenn man sie zu weit treibt! Ach, wie kann man sich entschließen, das, was man liebt, zu opfern ? Denn schließlich konnte Naerdan doch nicht wissen, ob Güzülbec ihr Unglück überleben würde; doch der gerechte Himmel, der Himmel war weniger streng als er und billigte ihr Verderben nicht. Die zärtliche Liebende wußte in ihrer Verzweiflung nicht, an wen sie sich in ihrem Unglück wenden sollte, und klagte einer alten Jüdin, die ihr oft fremde Kostbarkeiten verkaufte, ihre Not. Die Alte nun ließ sich von ihrem Zustande rühren, mehr jedoch noch durch die Belohnung, die sie ihr zusicherte, wenn sie diese Heirat verhindern könnte. ›Nimm alles, was in meinen Händen ist‹, sprach Güzülbec leise zu ihr; ›daß Naerdan nur keiner andern angehöre; und ich schwöre dir beim heiligen Propheten, ich will nichts besitzen, was nicht dir gehören soll. Hätte ich doch alle Schätze Indiens, um dich für meine Dienste verpflichten zu können!‹ Die Jüdin verließ sie, indem sie ihr schnelle Hilfe versprach und versicherte, daß sie sehr bald von ihr Nachrichten bekommen sollte.

Am Tage, der dem folgte, an dem die Jüdin Güzülbec so trostreiche Versprechungen gemacht hatte, begegnete Hüssendschar in den Straßen Erserums Kara Mehemmet, der vor erst vier Monaten abgereist war, und versicherte ihm seine Überraschung, die; durch eine so schnelle Rückkunft verursacht war. Kara Mehemmet aber entgegnete ihm, daß er einen seiner Geschäftsfreunde auf der Hälfte des Weges nach dem Orte, den er aufsuchen wollte, angetroffen und ihm die Geschäfte, die er in Indien gehabt hätte, so vorteilhaft abgetreten habe, daß er sich entschlossen hätte, sich nicht mehr so großen Mühseligkeiten auszusetzen, die seinem Alter nicht dienlich sein könnten, und endlich der Ruhe genießen wollte, die ihm sein Reichtum im Vaterlande zu suchen erlaubte. Hüssendschar erinnerte ihn auf der Stelle an das Übereinkommen, das er mit ihm getroffen hatte und das die Heirat zwischen Naerdan und seiner Tochter anging. Kara Mehemmet erklärte sich bereit, solches auszuführen, doch wünschte er, daß die Hochzeit in einem Landhause vor sich ginge, dessen Erwerbung er gemacht hätte. Hüssendschar willigte ohne weiteres in dies Verlangen ein. Sie brachen auf der Stelle auf, um Naerdan zu suchen, und fanden ihn in dem Geschäfte Hüssendschars tätig. Und Kara Mehemmet sprach zu ihm: ›O lieber Sohn, wenn du mir folgen willst, sollst du meine Tochter sehen, sie ist nun fünfzehn Jahre alt; und sollst sie heiraten, wenn sie dir zusagt!‹ Naerdan antwortete ihm bescheiden, aber doch ziemlich kalt und folgte ihnen mit einer gewissen Freude, in der Hoffnung, durch dieses Mittel sich eine Neigung aus dem Kopfe schlagen zu können, der er sich nicht mehr glaubte hingeben zu dürfen.

Kara Mehemmet nun führte sie aus den Toren der Stadt hinaus. Als ihn Hüssendschar diesen Weg einschlagen sah, sagte er zu ihm: ›Nun, o lieber Freund, wo liegt denn das Haus, in dessen Besitz ich dich nicht weiß?‹ Kara Mehemmet antwortete ihm: ›Man muß sich seiner Reichtümer freuen; du sollst sehen, auf welche Art meine neue Besitzung geschmückt ist; seit langem freue ich mich auf das Erstaunen, das du zeigen wirst; und die Heirat meiner Tochter mit Naerdan ist das Ziel eines Geheimnisses, das ich bis heute aus einem reizenden Wohnsitze gemacht habe, dessen ich mich in Ruhe erfreuen will, indem ich Naerdan mit den Vorteilen meines Geschäfts auch alle Sorgen überlasse, die es mir brachte!‹ Als er solche Rede beendigt hatte, standen sie vor einem großen Hause, dessen Tor von zwei Türhütern bewacht wurde. Naerdan sah mit Erstaunen eine stattliche Menge Pagen am Fuße der Treppe; die waren prächtig gekleidet, ihre Hemden bestanden aus Seide, ihre Beinkleider aus Atlas, ihre Wämser aus indischen Stoffen und ihre Kaftane aus gewässertem Taffet, ihre Gürtel aber waren mit köstlichen geschnittenen indischen Steinen besetzt. Diese Pagen sehritten ganz ehrfurchtsvoll vor ihnen einher und leiteten sie in ein wunderbar ausgestattetes Empfangszimmer. Als sie auf einem Ruhebette Platz genommen hatten, brachte man ihnen Kaffee und Eingemachtes; und bald setzte man ihnen ein prächtiges und wohlschmeckendes Mahl vor; die Schüsseln, die man ihnen darbot, waren aus Silber, Und alles Weißzeug war reich gestickt. Nach dem Essen bat Kara Mehemmet Hüssendschar, in ein anderes Zimmer zu gehen und ihn mit Naerdan allein zu lassen, da er besondere Geschäfte mit ihm zu besprechen habe. Hüssendschar verließ sie. Kara Mehemmet öffnete einen Schrank, der in das Gemach seiner Frauen führte, und rief seine Tochter. Sie antwortete ihm auf der Stelle mit einer Stimme, die so süß war wie die eines Engels und so lieblich, daß sie selbst in Naerdans Herzen eine lebhafte Bewegung verursachte. Die Schöne ließ nicht lange auf sich warten und zeigte ihre blendenden Reize; denn der Glanz ihrer Hautfarbe überstrahlte noch den Mond, wenn er voll ist. Vor ihren Vater tretend, warf sie sich ihm zu Füßen, küßte sie und sprach: ›Was wünschst du von deiner Sklavin, o lieber Vater?‹

›Ich bin erfreut,‹ antwortete ihr Kara Mehemmet, ›dich in dem Zustande zu finden, in dem ich es wünsche. Und will dich Naerdan, den du da siehst, zum Weibe geben; stimmst du dem bei?‹

›Ich habe meinem Vater schon gesagt,‹ sprach die junge Schöne darauf, ›daß seine Sklavin alles tun wird, was er befiehlt; sie ist nicht allein bereit, Naerdan, den er ihr anbietet, zu heiraten, sondern auch den letzten seiner Sklaven; das Vergnügen, meinem Herrn und Gebieter zu, gehorchen,‹ fügte sie hinzu, ›soll immer der höchste Wunsch meiner Seele sein!‹ Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, zog sie sich zurück.

›Nun, o lieber Sohn,‹ sprach dann Kara Mehemmat, ›was sagst du zu meiner Tochter? Bist du ihrer zufrieden?‹ Naerdan entgegnete ihm:

›Welchem Menschen könnte eine solche Schönheit nicht gefallen?‹ Kara Mehemmet genügte diese Antwort, und er ließ sofort den Imam des Viertels holen. Dann zog er eine Börse, in der dreitausend Golddinare waren, und sagte zu ihm:

›Nimm dies Geld, o lieber Sohn Naerdan, und wenn ich dich in Gegenwart des Imams frage, was du meiner Tochter in die Ehe mitbringst, antwortest du mir: dreitausend Golddinare; und dann gibst du mir diese Börse als ihr Leibbeding!‹ Der Imam ließ nicht auf sich warten; er kam im Gefolge des Schulmeisters und des Muezzins. Man deckte sofort den Tisch, und am Ende dieses neuen Mahles sagte Kara Mehemmet zu dem Imam: ›Ich gebe Naerdan, den du da siehst, meine Tochter, wenn er dreitausend Golddinare zur Sicherstellung ihres Leibbedings zahlt.‹ Hüssendschar wollte sie ihm alsogleich geben; Naerdan reichte jedoch die Börse her, die ihm sein Schwiegervater geschenkt hatte; und da diese Angelegenheit keine weitere Schwierigkeit bot, war sie bald erledigt. Der Vertrag wurde entworfen; und der feierlichen Handlung des Imams folgte ein neues Mahl. Naerdan trat zu Hüssendschar und sprach zu ihm: ›Nun ich diese Nacht nicht allein schlafe, ist es da nicht besser, wenn ich ins Bad gehe?‹ Kara Mehemmet wollte wissen, was sein Schwiegersohn wünschte. Als er es erfahren hatte, billigte er nicht nur sein Verlangen, sondern versicherte ihm auch, daß diese Reinigung nach der feierlichen Handlung des Imams durchaus nötig sei, und rief seine Sklaven herzu, die ihn nach dem köstlichen Bade führten, das man im selben Hause bereitet hatte; Mehemmet aber blieb inzwischen beim Mahle. Naerdan fand sich dann dort wieder ein, und sein Schwiegervater ließ ihn in das Frauengemach eintreten und bei seiner neuen Gattin schlafen.

Als Naerdan die Vergnügen gekostet hatte, die aus seinem Herzen die Erinnerung an Güzülbec entfernen sollten, merkte er zu seinem Kummer, daß sie ihn nicht weniger an sie fesselte denn zuvor. Solche Gedanken beschäftigten ihn einige Zeit; aber schließlich sah er sich genötigt, sich dem Schlafe hinzugeben. Nicht der Tag war es, der ihn weckte, sondern ein sehr dringendes Bedürfnis; indessen konnte er es nicht befriedigen, denn er wagte weder aufzustehn noch die geringste Bewegung zu machen; sein Arm lag nämlich unter dem Kopfe seiner reizenden Gattin, die er aufzuwecken fürchtete. Als er sein Bedürfnis aber nicht mehr zurückhalten konnte, zog er seinen Arm, so sacht es ihm nur immer möglich war, zurück. Doch wie groß war seine Überraschung, als er diesen schönen Kopf, den Kopf eines Meisterwerkes der Natur, sich von seinem Halse lösen und aus dem Bette fallen und bis an die Tür rollen sah? Bei solch entsetzlichem Schauspiel vergaß er all seine Bedürfnisse und lag wie an allen Gliedern gelähmt da.

Er war schon einige Zeit in dieser grausamen Lage, als sich Kara Mehemmet erkundigen ließ, wie die Neuvermählten die Nacht verbracht hatten. Man fand die Türe verschlossen; der unglückliche Naerdan war nicht in der Lage, sie zu öffnen, noch das Klopfen zu hören, denn er hatte das Bewußtsein gänzlich verloren. Man sah sich daher genötigt, sie einzuschlagen; der Kopf und das Blut, das man erblickte, entlockten allen Sklaven laute Schreie, und diese Schreie riefen Kara Mehemmet herbei, der alsobald den Kadi holen ließ. Man setzte Naerdan gefangen und belud ihn mit Eisenketten, um ihn bald seiner Strafe zu überlassen.

Die bösen Nachrichten, die sich mit großer Schnelligkeit verbreiteten, unterrichteten Güzülbec bald von diesen traurigen Ereignissen; es durchbohrte ihr Herz, als sie von der Gefahr hörte, so ihr Geliebter liefe. Die Jüdin ließ keine allzu lange Zeit verstreichen, ohne sich bei ihr sehen zu lassen, und sprach zu ihr, indem sie zu ihr trat: ›Nun, bist du zufrieden, du brauchst deine Nebenbuhlerin nicht mehr zu fürchten, und...‹

›O Grausame,‹ antwortete ihr Güzülbec leise, ›gib ihr das Leben wieder und gefährde nicht die Tage meines Geliebten. Du kannst meiner gerechten Rache nicht entgehen!‹ fuhr sie fort, indem sie sie mit wutblitzenden Augen ansah, die in ähnlicher Lage die sanftesten Gemüter nicht weniger furchtbar machen können als die leidenschaftlichsten. Die Jüdin entfernte sich schleunigst.

Indessen hatte Hüssendschar nicht so bald Naerdans Unglück erfahren, denn er konnte ihn keines Verbrechens für schuldig halten, als er zum Gefängnisse kam; und er eilte herbei, um ihn zu trösten und zu erfahren, ob er ihm einen Dienst leisten könnte. Naerdan erzählte ihm sein Abenteuer genau; Hüssendschar wußte aber nicht, was er davon halten sollte, und machte sich eilig auf, um Möglichkeiten zu suchen, die seine Rechtfertigung bewerkstelligen konnten, ohne viel zu wissen, ob er damit Glück hätte. Sein erster Gedanke nun war, Kara Mehemmet in seinem neuen Hause, wo das Unglück geschehen war, aufzusuchen, um zu hören, was man dort sagte. Aber er war sehr überrascht, als er nicht die geringste Spur von dem prachtvollen Bauwerke entdecken konnte und an seiner Stelle ein altes Gemäuer sah, in dem er einen ehrwürdigen Greis erblickte, der ihn fragte, was er suche. ›Ich suche‹, entgegnete ihm Hüssendschar, ›ein großes Haus, das, wie mir scheint, noch gestern abend hier stand!‹

›Es ist wahr, daß hier eins stand,‹ versetzte der Alte, ›aber du siehst deutlich, daß es nicht mehr da ist; dein Erstaunen wird schwinden,‹ fügte er nach einigen Augenblicken des Schweigens hinzu, ›wenn du erfährst, daß ich ein Geist bin, den die Liebe deiner Tochter Güzülbec zu Naerdan gerührt hat; ich habe die Gestalt einer Jüdin angenommen, um alles klarer zu sehen, und habe noch die von Kara Mehemmet angenommen, der nicht vor heute abend in die Stadt zurückkommt; ich habe das Haus gebaut, in dem du gestern getafelt und die angebliche Hochzeit Naerdans gefeiert hast. Versprich ihn sofort deiner Tochter,‹ sprach er in einem strengen Tone weiter, ›ein ehrenwerter Mann in deiner Familie gilt mehr als alle Schätze; Naerdan wird sich um deinen Sohn kümmern; seine Tugend wird alles bei dir gut gedeihen lassen; wenn du mir eine so gerechte Bitte abschlägst, sorge ich dafür, daß du deine Weigerung tausendmal am Tage bereuen sollst!‹ Hüssendschar versprach dem Geiste alles, was er von ihm forderte; und der Luftgeist sagte zu ihm: ›Du kannst den Kadi aufsuchen, der Naerdan ins Gefängnis setzen ließ, verlange von ihm, daß er hierherkommt, und wenn er diesen Ort besichtigt und ihn so verschieden von dem sieht, der heute morgen da war, wird er keinen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß Naerdans Abenteuer ein Zauber war; und du kannst leicht von ihm die Befreiung dessen erlangen, der ungerechterweise gefangen sitzt.‹

Hüssendschar gehorchte dem Alten. Alles traf ein, wie er es vorhergesagt hatte. Die Ankunft des wahren Kara Mehemmet, der in diesem Augenblicke hoch zu Roß an der Spitze seiner Sklaven erschien, versicherte dem Kadi die Wahrheit des Berichtes, den man ihm abgelegt hatte; Mehemmet aber gab das Wort zurück, das Hüssendschar von ihm verlangt hatte, daß er Naerdan seine Tochter geben wollte. Der schöne Liebhaber wurde zu der beständigen Geliebten geführt, und der Himmel, der sie beschützt hatte, segnete ihren Bund mit allen Glücksgütern.

Du siehst, o Gebieter,‹ fuhr dann Fatme fort, ›was eine lebhafte Zuneigung unternimmt, um sich Geltung zu verschaffen, und was sie tut, um glücklich zu werden; oft läßt sie gar den in Gefahr geraten, der mit einer schlecht angebrachten Furchtsamkeit liebt. Wenn Güzülbec wie Naerdan mit Hüssendschar gesprochen hätten, würden sie ihn vielleicht gerührt haben; Naerdan hätte Güzülbec rauben können; was weiß ich, was sie alles tun konnten? Alles,‹ sprach sie weiter, ›nur nicht untätig sein; und ich weiß nicht, was ohne den Geist aus ihnen geworden wäre.‹

›O göttliche Fatme,‹ sprach Naur zu ihr, entzückt von dem neuen Vergnügen, das er eben gekostet hatte, ›ich ziehe es vor, wie du zu denken; indessen kann ich Naerdan nicht böse sein; seine Bescheidenheit, seine Zurückhaltung haben mich erfreut; doch denke ich nur an das einzige Vergnügen: an dem geliebten Gegenstande so angenehme Entdeckungen zu machen. Ich rechne damit,‹ fuhr er fort, ›daß du es nicht bei dieser einzigen Geschichte bewenden läßt und daß ein andermal...‹

›O Gebieter,‹ unterbrach ihn Fatme, ›ich bin überglücklich, dich unterhalten zu können, und bitte dich, mir eine Gnade zu gewähren.‹

›Was wünscht die Gebieterin meines Herzens und die Freude meiner Augen?‹ fragte Naur gütig.

›Es schien mir, o Gebieter,‹ antwortete sie ihm, ›daß Abukazir mir mit einer Aufmerksamkeit lauschte, die davon zeugt, daß er solcherart Geschichten liebt. Wenn man sie liebt, kennt man auch welche, und ich wünschte, ihn eine erzählen zu hören.‹

Fatme wollte dem allzu furchtsamen Abukazir Gelegenheit zur Antwort geben; sie rechnete damit, aus einigen Zügen einer fremden Geschichte seine Gefühle für sie entnehmen zu können; da sie sich eine listige Zuflucht, zu der sie ihm das Beispiel gegeben hatte, nicht entgehn lassen wollte, drängte sie den König, ihren Geliebten zu der Genugtuung zu veranlassen. ›Ich billige deinen Vorschlag‹, sprach Naur. Mochte Abukazir sich auch eine Zeitlang wehren, der König sagte zu ihm im Fortgehen: ›Ich trage dir auf, morgen am Ende unseres Mahles eine Geschichte zu erzählen, und verzeihe es dir im voraus, wenn du uns nicht unterhältst; jedermann kann nicht gut erzählen; möchtest du dich nicht ebenso geschickt deiner Aufgabe entledigen wie Fatme?‹ Abukazir versicherte ihm in tiefster Demut, daß er ihm gehorchen würde. Und folgenden Abends, nachdem er tausendmal durch die süßen Blicke Fatmes beruhigt worden war, nahm er also das Wort:


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