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Die Geschichte Gülsums und des Königs der Geister

Der König von Medhuchan, Vater der Prinzessin Zuluch und des Prinzen Badanazar, welcher heute herrscht, starb vor ungefähr zehn Jahren; die schöne Gülsum, sein Weib aber verwaltete seine Staaten mit einem Rate der Wesire, den der König vor seinem Ableben eingesetzt hatte, da seine Kinder noch zu jung waren, um ebenso weise Vorkehrungen zu treffen.

Gülsum nun war schön und noch jung. Der Ruf ihrer Schönheit wurde bald noch mehr durch die Weisheit ihrer Herrschaft und die Sorgfalt, mit der sie sich insbesondere der Erziehung ihrer fürstlichen Kinder widmete, gehoben; denn Herzenstugenden erhöhen immer noch die äußeren Reize. Der König der Geister wurde von den Vollkommenheiten der Königin in Kenntnis gesetzt und zweifelte lange, ob ihr Ruf nicht übertrieben wäre. Um es selbst zu entscheiden, erschien er an ihrem Hofe; und aus der Bewunderung ihrer schönen Eigenschaften entstand gar bald eine unbändige Liebe; doch je mehr er ihr nachgab, um so unglücklicher wurde er. Denn die Königin hatte dem Könige, ihrem Gatten, ewige Treue versprochen, und niemals konnte der König der Geister mehr von ihr erlangen als Zeichen der Dankbarkeit für die Dienste, die er ihr unaufhörlich leistete, und für all die Aufmerksamkeiten jeder Art, mit denen er sie alle Augenblicke belästigte. Doch Dankbarkeit allein genügt einem Liebhaber nicht. So verwandelte sich alsbald die Liebe des schrecklichen Königs in Haß. Und er sann lange nach, wie er sich an der gleichgültigen Königin rächen könnte, und beschloß endlich, sie in einer Weise zu bestrafen, die sie empfindlich fühlen mußte, ohne daß es sie jedoch persönlich träfe. Die weise Königin, die voll der edlen Gefühle war, hatte alle Sorgfalt angewandt, um die Prinzessin Zuluch in allen Tugenden, die sie selbst ausübte, zu unterweisen; da nun der Geist ihre tief eingeprägten Lehren aus dem zarten Gemüt der Tochter nicht austilgen konnte, so beschloß er, sie wenigstens des äußeren Anscheins der Tugend zu berauben und dadurch die sanfte und tugendreiche Mutter zu betrüben.

Um seinen Plan auszuführen, hetzte er die Mitglieder des Rates auf, sie sollten niemals einwilligen, daß das Königreich Medhuchan geteilt würde, wozu sich die Königin Gülsum bei einer etwaigen Heirat der Prinzessin Zuluch genötigt sah. ›Denn weil es keine Staatskunst ist,‹ fügte er hinzu, ›plötzlich die Rechte und Nutznießungen eines Staates einzuschränken, muß man die Heirat der Prinzessin mit solch großen Schwierigkeiten verknüpfen und ihrer Lebensweise einen so abschreckenden Anschein geben, daß Zuluch niemals einen Fürsten finden kann, der sie heiraten will. Und wenn sie etwa eine unebenbürtige Heirat eingeht, so kann sich der Diwan mit Recht widersetzen, ihr die Hälfte des Königreichs zu geben!‹ Da er indessen bedachte, daß es ungerecht wäre, einer jungen und keines Verbrechens schuldigen Prinzessin ein trauriges und bejammernswertes Leben zu bereiten, fügte er hinzu, daß er die Mittel, all diesen Übelständen abzuhelfen, gefunden zu haben glaube. Der Diwan dankte ihm ob der Anteilnahme an der Größe und Erhaltung des Staates und bat ihn, ihm seinen Plan, den er in Ausführung zu bringen willens wäre, ganz unterbreiten zu wollen. Dann schlug der Fürst ihm vor, die Tanzgesellschaften und Feste zu veranstalten und die schönen Sklavinnen an einem Orte der Wonne zu versammeln, den er sich zu bauen erbot; und um die Prinzessin und ihren Hof zu trösten, versprach er, solange sie den Garten bewohnten, sollten sie keine Wirkung der Jahre verspüren und die Frische und Jugend und Schönheit beibehalten, die sie im Augenblicke des Entstehens des Gartens gehabt hatten. ›Und das nicht genug,‹ fuhr er fort, ›die Fremdlinge sollen nur durch einen Korb hergeführt werden, sei es, daß sie kommen, sei es, daß sie gehen. Auch soll der Korb nur die aufnehmen, die aus freiem Willen kommen wollen, und niemals mehr als einen; und wer einmal so wieder hinweggetragen ist, dem soll jeder andere Rückweg dorthin durchaus unzugänglich sein.‹ Um indessen noch die Tugend derer, die im Diwan saßen, zu beruhigen, bestimmte er noch, daß alle, die den Reizen der Sklavinnen unterlägen oder sich dem köstlichen Weine, den man ihnen darbieten werde, allzusehr hingäben, sogleich von dem Korbe zurückgebracht, daß sie freilich nicht mit solcher Strenge behandelt werden sollten wie die, so es an schuldiger Ehrerbietung der Prinzessin gegenüber fehlen ließen.‹

In ihrem eignen Nutzen nun hütete sich Muna wohl, Zahide zu sagen, daß der, welcher zurückhaltend genug wäre, den Prüfungen des Gartens während dreier Tage zu widerstehen, die Prinzessin Zuluch heiraten dürfte.

›Diese Bedingungen‹, fuhr sie fort, ›wurden angenommen; der König der Geister hatte bald alle Dinge, wie du sie mit deinen Augen siehst, hergerichtet; und um die Fremden heranzulocken, ließ er in der Stadt Medhuchan verkündigen, daß man sich bei dem Korbe einstellen könnte, um neue Dinge zu sehen und herrliche Genüsse auszukosten. Eine derartige Aussicht hat bald Neugierige herangelockt; doch ihre Zahl zu bestimmen, würde schwierig sein. Der vom Diwan gelobte Geisterfürst brachte also seinen Plan zur Ausführung; man riß Zuluch aus den Armen ihrer zärtlichen Mutter und überlieferte sie den Freuden dieses Gartens; Gülsum aber wurde von Schmerz ergriffen, als sie Näheres über die nächtlichen Feste Zuluchs vernahm. Der König der Geister entfernte sich schnell, um den Vorwürfen zu entgehen, mit denen sie ihn überschütten wollte; sie bezeigte ihren Kummer denen, die im Diwan saßen; doch die ließen sich nicht erweichen, da sie das Wohl des Staates im Auge hatten. Und als die weise Königin sah, daß es für ihr Unglück keine Heilung gab, konnte sie es nicht verwinden und starb nach einiger Zeit des Siechtums. Der König Badanazar bestieg nun den Thron, billigte und befolgte das zu seinem Nutzen bestehende Gesetz auf das gewissenhafteste; er ist es, der die Sklavinnen verpflichtet, ihm jeden Morgen über das Betragen der Fremden, die ihnen den Vorzug gegeben haben, Rechenschaft abzulegen. Solches, o Herr,‹ schloß die schöne Muna, ›ist alles, was ich erfahren konnte. Leicht kannst du mich die Gefahr vergessen machen, der mich mein Mangel an Verschwiegenheit aussetzt: halte mir dein gegebenes Wort, mache mich glücklich!‹ ›Ich möchte es können‹, sagte Zahide herzlich darauf. ›Wer hindert dich daran, o Grausamer?‹ fuhr die Sklavin fort. ›Sprich mir nicht mehr von der Liebe, die du für die Prinzessin fühlst, bedenke, daß du sie niemals wiedersiehst. Der Kummer, den du über ihr Fernsein empfinden wirst, verspricht mir eine Rache, die mir, ach, nicht genügen kann; ich sehe, daß du in dein Unglück rennst, und werde schon vorher von ihm ergriffen, ich, die ihr Herzblut für dein Glück opfern würde!‹ Zahide erwiderte ihr: ›Welche Sicherheit aber kannst du mir geben, daß deine Geschichte wahr ist? Du hast Verstand; daher steigen mir Bedenken auf, ob du sie nicht erfunden hast, um mich zur Dankbarkeit zu verpflichten.‹ ›Hör auf, o Grausamer, hör auf, mich niederzuschmettern,‹ unterbrach sie die süße Sklavin, indem sie dabei einen Tränenstrom vergoß, ›du mißt mir Fähigkeiten bei, um mich durch Laster anzuschwärzen. Wahre Liebe ist der Lüge unfähig, du kennst sie nicht und liebst nur mein Elend, doch ich werde mich zu rächen wissen. O wie unglücklich bin ich!‹ rief sie aus. ›Vergebens, o Treuloser, habe ich zu deiner Befriedigung ein Geheimnis entschleiert, das ich nicht zu enträtseln suchen durfte, vergebens habe ich mich darüber hinweggesetzt, um dich davon zu unterrichten; ich sehe ein, du wirst den Verrat so weit treiben, daß du der Prinzessin alles, was ich dir eben mitgeteilt habe, entdeckst und ohne Bedauern ein Mädchen, das dich vergöttert, sterben siehst; aber ich werde es zu hindern wissen, daß du sie wiedersiehst. Ich hoffte, daß du mir wenigstens die letzten Augenblicke deines Aufenthaltes in diesem Garten, der für mich nur noch ein Ort des Entsetzens sein wird, schenken würdest; noch ein Wort: wenn du die Prinzessin liebst, wirst du ebenso unglücklich sein wie ich; die Liebe verpflichtete mich dazu, dir ein Geheimnis daraus zu machen. Vernimm also, daß die Prinzessin morgen dein ist, wenn du sie heiraten willst und ich dir Gerechtigkeit widerfahren lasse. Aber ehe ich mich mit dem Glücke meiner Nebenbuhlerin zufriedengebe, will ich meineidig werden. (Wessen ist eine übermäßige Liebe nicht alles fähig!) Und ich will vor versammeltem Hofe erklären, daß du mir diese Nacht unterlegen bist; und du wirst das Glück verlieren, dem du mich aufopferst; ich werde der Prinzessin, die sich mehr fürchtet, dich zu heiraten als zu sterben, damit einen Dienst leisten. Ja, was es mich auch kosten mag, du sollst nicht über mein Unglück siegen; trotz deiner Zurückhaltung will ich mit Freuden versichern, daß du mir Recht hast widerfahren lassen; und du wirst in den Korb zurückkehren, und Trauer und Betrübnis wird über dich kommen!‹ Zahide wurde sehr ängstlich bei diesen Drohungen; der Entschluß, den sie zu fassen hatte, war nicht so einfach. Was würde mit ihr geschehen, wenn sie verpflichtet wäre, die Prinzessin zu heiraten? Daher ließen sie die wenige Hoffnung, ihren Bruder nützen zu können, und die Furcht, nutzlos für ihn zu sterben, die Rache, die Muna sann, für das einzige Mittel halten, das sie aus der Verlegenheit ziehen könnte, in dem Korbe zurückkehren zu müssen. ›Sind mir deine Gedanken günstig gesinnt?‹ nahm Muna das Wort, welche die Erregung in ihrem Gesichte gelesen hatte. ›Nein,‹ entgegnete ihr Zahide, ›keine deiner Drohungen regt mich auf; laß uns etwas ausruhen. Du magst alles tun, was dir behagt,‹ sprach sie kühn zu ihr, ›ich fürchte dich nicht!‹ Muna wurde verwirrt ob einer solchen Beständigkeit in ihrer Mißachtung und sehr betrübt ob dieses letzten Zwiegesprächs, das ihre Eigenliebe noch mehr empörte; dennoch schickte sie sich trotz der Wut, die sie auf dem Herzen hatte, an, Zahide zu gehorchen, und zog sich, von tausend verschiedenen Gedanken gepeinigt, in die äußerste Ecke des Ruhebettes zurück. Zahide litt nicht minder unter dem Sturzbach Tausender von Gedanken. Indessen gestatteten ihr die Mattigkeit und das Bedürfnis, die sich bei einem von Leidenschaften verschontem Herzen leicht fühlbar machen, sich dem Schlummer hinzugeben.

Muna aber, die nicht schlief und sie unausgesetzt betrachtete, mußte diesen Schlaf für eine letzte Beleidigung halten; wenig fehlte daran, daß sie die unglückliche Prinzessin ihrer Rache opferte; und sie hatte die Absicht, sie nicht überleben zu wollen; zwanzigmal faßte sie den Plan, zwanzigmal griff sie nach ihrem Dolche, doch als sie endlich den Tag kommen sah, wollte sie den noch einmal mit ihren Augen verschlingen, von dem sie auf immer getrennt werden sollte. Sie erhob sich, um ihm nahe zu kommen, und betrachtete ihn voller Entzücken; und wollte ihm wenigstens noch einen Kuß geben, sah auch sorgfältig nach, ob sie nicht irgendeine Kleinigkeit fände, die ihm gehörte, die einen großen Schatz für sie ausmachen und ihr als Trost in seiner Abwesenheit dienen könnte. Endlich sahen ihre Augen infolge der Unordnung bei dem Schläfer klar: Zahide schien ihr ein Weib zu sein; je mehr sie nachforschte, desto mehr überzeugte sie sich davon und traute ihren Augen kaum, konnte auch nicht mehr daran zweifeln: ein reizender und mehr als zur Hälfte entblößter Hals war die geringste ihrer Gewißheiten; die Binde ihrer Leidenschaft fiel im Nu; ihre Wünsche erloschen; sie fand ihre frühere Unschuld wieder, mit einem Wort: sie wurde eine andere Muna. Ihre Eigenliebe, die nicht mehr durch die Vorgänge, die sie erduldet hatte, empört wurde, stellte die Gerechtigkeit in ihrem Herzen wieder her und wies sie auf ihre Pflichten im ganzen Umfang hin. Sie ging fort, ließ die Prinzessin wecken und teilte ihr ihre Entdeckungen mit.

Zuluch aber hing immer der Leidenschaft nach, die sie für den Fremden gefaßt hatte; da sie jedoch die Prüfungen peinigten, denen sie ihre traurige Lage aussetzte und die ihre Liebe zu dem Könige Kemsarai ihr noch unerträglicher machte, war sie entzückt ob Munas Erzählungen, zumal sie fürchten mußte, daß sie sich eines Tages gezwungen sehen würde, irgendeinem der Fremden, die der Korb unaufhörlich herbeibrachte, die Hand reichen zu müssen, und beschloß auf der Stelle, die Fremde zu heiraten, die dem Anscheine nach es niemals wagen würde, ihr Geschlecht zu entdecken, das zu verbergen sie ebensoviel Ursache haben würde wie sie. Dieses Vorhaben entsprach völlig dem Gefühle ihres Herzens und gab ihr einen vernünftigen Vorwand, einer Lebensart zu entsagen, der sie keinen Geschmack mehr abgewinnen konnte. Sie versprach daher Muna die Freiheit, wenn sie das Geheimnis des Fremden nicht enthüllen würde und sich mit der Aussage begnügen wolle, daß er ihr auch in dieser dritten Nacht nicht unterlegen wäre. Muna gehorchte ihr; und als sie dem Könige und seinem Diwan ihre mit dem Wunsche der Prinzessin übereinstimmende Erklärung abgegeben hatte, sagte der: ›Laßt uns doch einen Gatten sehen, wie wir ihn seit so langer Zeit erwarten; laßt uns den mäßigsten aller Männer in Augenschein nehmen!‹ Alsbald gab er Befehl, daß zwei Wesire im Gefolge aller Hauptleute seiner Krone und seines Hauses hinausgehen sollten, um aus den Gärten des Geistes den Fremden zu holen, der die Prinzessin, seine Schwester, heiraten sollte. Seinem Befehle wurde nachgekommen, und die Wesire fanden Zahide noch schlafend vor, und stellten sich in tiefstem Schweigen, mit allen Abzeichen ihrer Würde, um sie auf, standen gesenkten Auges da und wagten den nicht anzusehen, der der Schwager des Königs werden sollte.

Unterdessen wachte Zahide auf und staunte im höchsten Staunen, als sie sich inmitten eines so glänzenden und unterwürfigen und schweigsamen Hofes sah, während sie doch erwartet hatte, in dem verhängnisvollen Korbe zu sein. ›Wo bin ich?‹ fragte sie mehrere Male. Der Großwesir fiel vor ihr nieder und antwortete auf ihre Fragen nur mit Ehrerbietung und der Bitte, daß sie einwilligen möchte, ihm zu folgen. Zahide fügte sich seinem Wunsche, alles, was sie sah, konnte sie nicht beunruhigen; sie folgte also dem prächtigen Zuge und kam bald in dem Palaste des Königs an, der sie auf seinem Throne empfing; die Prinzessin Zuluch aber saß ihm zur Seite. Der König sprach zu ihr: ›Komm, o Fremdling, dessen Treue und Mäßigkeit Belohnung verdienen; nenne uns wenigstens deinen Namen, deine Heimat und deinen Beruf; dein Schwager muß doch deine Geschichte kennen: erzähle vor allein ausführlich von deinen Reichen und deinen unermeßlichen Ländern.‹ Zahide, die nicht an den spöttischen Ton, den man gegen sie anschlug, gewöhnt war, warf sich dem Könige zu Füßen und sprach: ›Möge deine Erhabenheit die Gefühle verzeihen, die mich hierhergeführt haben; ich bin zu aufrichtig, als daß ich noch länger lügen könnte!‹ Zuluch fürchtete, daß sie ein Geheimnis zu offenbaren beabsichtigte, auf das sich ihre Ruhe stützte, und wollte sie unterbrechen; doch Zahide fuhr, um die Prinzessin wenigstens um den grausamen Zustand wissen zu lassen, in den die Liebe ihren Bruder versetzt hatte, mit solchen Worten zu reden fort: »O Herr, Kemsarai ...« Bei diesem Namen errötete die Prinzessin, Zahide aber redete weiter, ohne es scheinbar zu bemerken: »Mein Bruder«, sprach sie, »ist ein junger und unglücklicher König, der aus Liebe zu der Prinzessin Zuluch stirbt; er hat die Schlingen, die man Fremden in deinen Staaten legt, nicht zu umgehen gewußt, und der Korb hat ihn dadurch, daß er ihn forttrug, zu dem unglücklichsten aller Menschen gemacht. Ich bin mit ihm durch eine so zärtliche Freundschaft verbunden, daß ich ihn nicht sterben lassen wollte, ohne wenigstens versucht zu haben, ihm einen Trost zu verschaffen. Und ich habe mich also in der Verkleidung, in der du mich siehst, allen Zufällen einer der größten Reisen ausgesetzt und habe das Abenteuer des Korbes versucht!« »Wie, du bist kein Mann?« entgegnete der König. »Nein, o Gebieter, ich heiße Zahide«, antwortete die und rieb sich mit einer Flüssigkeit, die sie zu solchem Zwecke mit sich genommen hatte, das Gesicht ab und nahm ihren Turban ab, welcher die schönsten Haare der Welt fallen ließ; sie schien so schön, daß Badanazar davon betroffen wurde und das erstemal in seinem Leben Liebe fühlte. Wenig fehlte daran und er wäre ihr zu Füßen gefallen. Da er sich indessen nicht auf einmal so verändert gegen sein bisheriges Betragen zeigen wollte und auch noch über ein Gefühl errötete, das ihm bisher unbekannt war, sagte er mit einer geheuchelten Ruhe: ›Der Betrug, den du, o Zahide, begangen hast, verdiente, daß du getötet würdest; wer weiß, ob du gar über deine erlauchte Geburt wahre Angaben machst; doch will ich deinen Reizen Gnade erzeigen. Lebe bei Zuluch, doch hoffe niemals, deinen Bruder wiederzusehen, noch in sein Reich zurückzukehren; und du, o meine Schwester, fahre fort, dir einen Gatten zu suchen. Zahide entspricht dem Gesetze nicht!‹

Die beiden Prinzessinnen entfernten sich, und Zuluch, die trotz der Gleichheit des Namens nicht zu glauben wagte, daß der, den sie liebte, auch der wäre, von dem Zahide ihr soeben gesprochen hatte, stellte so viele Fragen an sie, und Zahide erzählte ihr so viele Einzelheiten, daß Zuluch in ihrer Freude, von dem geliebt zu werden, den sie anbetete, beschloß, sich eher jeder Gefahr auszusetzen, als wieder in die Gärten des Geisterfürsten zurückzukehren.

Badanazar säumte nicht lange, die, welche ihm Seufzer verursachte, wiederzusehen. Er wollte zu ihr von seiner Liebe sprechen; aber wennschon sie ihn sehr liebenswert fand, behandelte sie ihn doch mit der größten Härte. Der Fürst beklagte sich darüber; Zahide aber sprach zu ihm, daß, wenn er ihr gefallen wollte, sie auf die Prinzessin Zuluch die Ansprüche geltend zu machen wünschte, wozu sie die vom Geisterkönige auferlegten und von seinem Diwan gebilligten Gesetze hinreichend berechtigten. Badanazar machte einige Schwierigkeiten, doch endigte er mit diesen Worten: ›Ich stimme allem zu, was du verlangst, soweit die Sache von mir abhängt, und werde keinen anderen Willen mehr als den deinigen haben!‹ ›Von diesem Augenblicke an‹, sprach sie darauf, ›verbiete ich die Gastereien im Garten und wünsche, daß der Korb nicht mehr ausgeschickt wird, um Fremde zu holen!‹ ›Ich sehe mich genötigt, dir zu sagen,‹ entgegnete der König, ›daß alles, was du verbietest, den König der Geister angeht; aber du sollst ihn selbst sprechen,‹ fügte er hinzu, ›leicht ist es mir, ihn kommen zu lassen; was ich in dieser Angelegenheit tun kann, ist einzig, meine und deine Bitten zu vereinigen. Aber soll sich meine Schwester‹, fuhr er fort, ›denn niemals verheiraten?‹ ›Warum denn nicht?‹ entgegnete Zahide. ›Das Gesetz befiehlt mir,‹ unterbrach sie der König, ›den Gatten, den ihr das Schicksal bestimmt, in den von dem Geisterkönige errichteten Gärten zu prüfen!‹ ›Alle Eide, die etwas Unmögliches fordern, gelten nicht‹, antwortete ihm Zahide mit einer Überzeugung, die den König in Erstaunen setzte. ›Ich will einen einfacheren leisten, den ich heilighalten will‹, fuhr sie fort. ›Du liebst mich, o Herr?‹ fragte sie ganz sittsam. ›Nun denn, ich will dich heiraten, wenn du dich aus Liebe zu mir drei Tage lang einer Sache entschlagen kannst, der du zu deiner Lebensfreude ganz besonders bedarfst!‹ ›Ich willige darein,‹ versetzte der König, ›und wessen soll ich mich mit deinem Willen entziehen? Es gibt nichts, was ich nicht zu tun fähig wäre, um dir zu beweisen, wie sehr ich dich liebe!‹ ›Ich kenne dich noch nicht gut genug, um ein bestimmtes Opfer zu verlangen,‹ antwortete sie ihm, ›doch wenn du mich liebst, würdest du dich zweifelsohne der Sache entschlagen, die ich dir angeben würde; indessen will ich keinen andern Richter als dich selbst und verlasse mich dabei ganz auf deine Ehrlichkeit.‹ Badanazar aber verließ sie, um mit seinem Wesir zu beratschlagen und eine auffallende Entbehrung auszusinnen, und hatte von den Prinzessinnen bis zum Abend des folgenden Tages Abschied genommen, weil er zur Jagd gehen wollte. Nachdem er lange Zeit nachgesonnen hatte, glaubte er das Gesuchte gefunden zu haben. ›Ich liebe nur die Tigerjagd, du weißt es, o Wesir, und will auf die Gazellenjagd gehen, die ich nicht leiden kann; das ist ein Opfer, das ich der schönen Zahide bringen will, und ist eine Entbehrung, die ich mir auferlege; wir wollen hören, was sie dazu sagt. Nein, und wenn hun- dert Tiger morgen vor mir herliefen, ich will nicht auf einen zielen, das schwöre ich; solches muß sie von meiner Liebe und Widerstandskraft überzeugen!‹

Während der König diese Anstalten machte, fanden die Prinzessinnen Mittel, einen Mann, der den Fürsten auf die Jagd begleiten mußte, zu gewinnen, um ihren Befehl auszuführen; sie waren zu sehr durch den Vorteil vereint, als daß sie nicht gemeinsame Sache gemacht hätten. Zahide war einen Teil der Nacht beschäftigt, das zu bereiten, worauf den König stoßen zu lassen ihr jener Eingeweihte, dem die Gegend genau vertraut war, versprochen hatte. Die Prinzessinnen ruhten sich darauf aus und erwarteten Badanazars Rückkehr, der hocherfreut zu ihnen kam. ›Du versichertest doch, o schöne Zahide, daß man sich nicht bezwingen könnte? Wahrlich, ich habe es heute getan und habe dir zuliebe eine der traurigsten Jagden abgehalten und glaube nicht, daß ich in langer Zeit wieder eine solche unternehmen werde!‹ ›Du bist also mit dir zufrieden,‹ sagte Zahide darauf, ›laß uns doch sehen, was du vollbracht hast!‹ ›Ich habe Gazellen gejagt‹, erwiderte er zuversichtlich. ›In welche Gegend brachte dich die Jagd?‹ ›Zu den Palmenwäldern‹, entgegnete er; ›aber, fürwahr, du weißt nicht, was ich dort gefunden habe: wundervollen Scherbett, in Schnee eingesetzt und in Gefäßen, die den angenehmsten Schmuck bilden; du sollst dich von der Güte des Getränkes überzeugen, ich habe befohlen, etwas davon mitzunehmen!‹ ›Und hast also davon getrunken?‹ unterbrach ihn die Prinzessin. ›Gewiß,‹ erwiderte der Fürst, ›meine Hauptleute haben mir vergebens Vorstellungen gemacht, ich dürfte etwas, dessen Herstellung man nicht gesehen habe, nicht trinken; aber es war warm, der Scherbett schien so kühl zu sein, auch wurde er mir in so angenehmer Form dargeboten, daß ich alle Vorstellungen in den Wind geschlagen habe. Und ich habe mich wohl dabei befunden; niemals hat man mir etwas Köstlicheres gereicht, noch etwas, was mir mehr Genuß gewährt hätte!‹ ›Das Geständnis genügt mir, o Fürst, du hast dich des Wortes begeben, das du mir gabst!‹ ›Was willst du damit sagen?‹ erwiderte lebhaft der Fürst und war ein wenig betreten; ›es war heiß, ich habe getrunken; ist es Sünde, zu trinken, wenn man durstig ist?‹ ›Da hast du die dir gestellte Aufgabe,‹ entgegnete Zahide und schlug züchtig die Augen nieder, ›urteile selbst. Du kannst doch nicht sagen, daß du nicht genugsam vor der unschuldigen Falle, die ich dir gestellt habe und in die du gerietest, obwohl du allen Grund hattest, sie zu meiden, gewarnt worden wärest. Übrigens habe ich den Scherbett bereitet, den du gefunden hast, und bin entzückt, daß er dir Freude machte!‹ Als sich die Verwirrung des Königs ein wenig gegeben hatte, sah er nur noch die Vorzüge von Zahides Geist und die Reize ihres Äußeren und sprach, auf die Knie sinkend, zu ihr: ›Ich erkläre mich für besiegt; welche Lust ich aber auch habe, dich zufriedenzustellen, so kann ich deine Wünsche ohne den Geisterkönig nicht erfüllen und muß durchaus seine Einwilligung haben; du weißt wohl,‹ fügte er hinzu, ›daß der Diwan nicht aufzuheben wagt, was er nur auf seinen Antrag beschlossen hat. Indessen will ich mir den Vorwurf ersparen, nichts für die Wünsche der schönen Zahide getan zu haben. Ich kann den König der Geister bestimmen, hierherzukommen; in wenigen Augenblicken könnt ihr beide mit ihm sprechen.‹

Die Prinzessinnen willigten mit Freuden ein, und auf der Stelle schrieb Badanazar seinen und des Geisterkönigs Namen auf einige Blätter des besten, goldbemalten Papiers, das es im Palaste gab. Er verbrannte sie in einem Feuer von Sandel- und Aloeholz, und der Geist erschien.

Die Prinzessinnen legten ihm die Stimmungen ihrer Herzen dar und die Verwirrung, in die sie sein grausamer Befehl gebracht hatte. Zahide ließ ihm sogar auf eine feine Art fühlen, daß er bei dieser Angelegenheit der üblen Laune freien Spielraum gegeben habe. Und er gestand ein, er habe mehr als einmal die Härte seines Betragens bereut; ›aber, o schöne Zuluch,‹ fügte er hinzu, ›wenn ich dem Zauber des Korbes ein Ende mache, bedenkst du nicht, daß dann die Zeit und die Jahre all ihre Rechte an deine Jugend und Schönheit geltend machen?‹ ›Ja, o Herr, ich denke daran und unterwerfe mich solchem. Solange ich gefalle, werde ich das allgemeine Los nicht merken; wenn ich jedoch aufhöre zu gefallen, ist es mir dann nicht gleichgültig?‹ Der Geisterkönig war sehr gerührt über solchen Liebesbeweis und nahm es auf sich, um das Übel, das er veranlaßt hatte, wieder gutzumachen, die Erinnerung an dieses Abenteuer bei allen denen auszulöschen, die sich einbilden konnten, einige kleine Gunstbezeigungen von der Prinzessin erhalten zu haben, den Kummer von ihnen zu nehmen und ihnen endlich keinen andern Gedanken an das Ereignis zu lassen, als die gewöhnlichen Vorstellungen über Freuden und Wonnen. ›Und das ist nicht alles,‹ fügte er hinzu, ›der Korb soll seinen Weg noch einmal machen!‹ Als er aber die Furcht sah, die der schreckliche Korb den Prinzessinnen verursachte, beeilte er sich zu sagen: ›Ich will ihm auftragen, den König Kemsarai zu holen. Bist du nicht damit einverstanden, o schöne Zahide? Und du, o schöne Zuluch, willst du mich daran hindern?‹ fragte er lächelnd. Die Freude der einen und das Schweigen der andern bewiesen ihm, daß ihnen dieser Vorschlag unbeschreiblich angenehm war.

Während so die Hoffnung ebensosehr die Herzen der Prinzessinnen wie das des Königs Badanazar beseelte und der Geisterkönig sich des Vergnügens freute, sie in der Zufriedenheit der Liebe zu sehen, die ein glückliches Ziel vor Augen sieht, sauste der Korb davon und war bald im Gemach des Königs Kemsarai. Der Fürst hatte kaum noch einen Lebensatem in sich; der Anblick des Korbes freilich belebte all seine Hoffnungen aufs neue und gewährte ihm die Kraft, sich ohne jede Hilfe in den Korb zu setzen. Alsbald flog der mit gewohnter Schnelligkeit davon und trug ihn in den Saal des Palastes, wo ihn der König Badanazar und die Prinzessinnen und der Geist erwarteten. Beim Anblicke Zuluchs schwanden Kemsarai die Sinne. Der Geist flößte ihm sofort eine Flüssigkeit ein, ohne die er völlig verloren gewesen wäre; augenblicklich erlangte er seine frühere Gesundheit wieder. Die Liebe und die Prinzessin Zuluch würden solches Wunder zweifelsohne auch bewirkt haben, aber sie hätten längere Zeit dazu gebraucht. Der Geisterkönig vollzog selbst die Hochzeitsfeier der vier Liebenden; und als sie seiner nicht mehr bedurften, flog er davon, um sie der Liebe zu überlassen, der sie sich nach ihrem Gefallen und ohne Unruhe hingeben konnten!– –«

Als Moradbak diese Geschichte vollendet hatte, sprach zu ihr der Sultan, der ihr immer sehr munter vorgekommen war, obwohl er einige Male recht gut hätte schlafen können: ›Ich bin sehr zufrieden mit deiner Erzählung; zwar hat sie mich nicht einzuschläfern, jedoch zu unterhalten verstanden, und ich fühle nun, daß Vergnügen ein noch besseres Heilmittel für mein Übel als Schlaf ist. Doch will ich dir sagen, daß Kemsarai zu seinem großen Glücke eine Schwester hatte und die Prinzessin in die Gefahr kam, Mädchen zu bleiben, wenn sie nun einen Mann geheiratet hätte, der zur Lust unfähig war. Und ich zweifle selbst, daß ein Liebhaber, der sich so sehr beherrschen kann, jemals einen guten Ehemann abgeben wird!‹

Hudschadsch gab Moradbak ein Zeichen, sich zu entfernen, und befahl ihr, andern Morgens wiederzukommen; sie gehorchte ihm und erzählte ihm folgende Geschichte:


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