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Die Geschichte vom verliebten Philosophen

Ein gewisser Philosoph hatte eine sehr umfangreiche Sammlung aller Kniffe angelegt, die Frauen anzuwenden pflegen; er trug sie beständig bei sich und glaubte sich so sicher vor den Listen dieses bezaubernden Geschlechts. Eines Tages nun auf der Reise kam er an dem Feldlager eines arabischen Wüstenstammes vorbei; eine junge Araberfrau lud ihn so artig ein, sich in ihrem Zelte auszuruhen, daß er es ihr nicht abschlagen konnte: der Mann des Weibchens aber war gerade abwesend.

Kaum hatte es sich der Philosoph bequem gemacht, als er, um sich vor den Reizen zu schützen, die er zu fürchten begann, sein Buch vornahm und sich anschickte, in ihm zu lesen; die Araberin jedoch, die über diese scheinbare Verachtung aufgebracht war, sprach zu ihm: »Es muß das ein sehr anziehendes Buch sein, da es allein wert ist, deine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Darf man fragen, von welcher Wissenschaft es handelt?« »Ich selbst habe es verfaßt,« entgegnete der Philosoph, »es enthält Geheimnisse, die sich nicht mitteilen lassen!« »Ich lebte in dem Wahne,« erwiderte die Frau, »daß man Bücher für die große Menge schreibt; wozu ist man Weiser, wenn man seine Kenntnisse verschließen muß; solches ist ein Raub an der Allgemeinheit!« »Dem stimme ich bei,« versetzte unser Philosoph darauf, »aber der Gegenstand dieses Buches entzieht sich der Urteilskraft der Frauen!« »Du würdigst unser Geschlecht sehr herab,« sprach die Frau ganz gekränkt, »der Prophet hat uns besser behandelt als du und uns nicht vom Paradiese ausgeschlossen!«

Die Weigerung des Philosophen reizte die Neugierde der Frau mehr und mehr; sie bedrängte ihn so hart, daß er schließlich sagte: »Ich bin in Wahrheit der Verfasser dieses Buches, aber der Stoff stammt nicht von mir; es enthält alle Listen, welche die Frauen ausgesonnen haben; es würde sich nicht verlohnen, euch euer eigenes Werk vorzulesen!« »Wie, wirklich alle?« fragte die Frau. Der Philosoph entgegnete: »Ja, alle, und ich habe nur in ihnen gelesen, auf daß ich lerne, sie nicht mehr zu fürchten!« »Wahrlich, das ist ein einziges Buch,« erwiderte sie lächelnd, »glaube mir, o großer Philosoph, du versuchst dich an einer unmöglichen Sache und willst Wasser mit einem Siebe schöpfen!«

Die gefallsüchtige und rachbegierige Araberin wechselte das Gespräch und begann dem vermeintlichen Weisen so verführerische Blicke zuzuwerfen, daß er bald sein Buch vergaß und alle Listen, die es enthielt. Bald war mein Philosoph der leidenschaftlichste der Männer und zauderte nicht, ein Geständnis zu machen. Die Araberin war entzückt, als sie sah, daß er sich selbst ihrer Rache darbot, und gab vor, ihn zu erhören; er wiegte sich schon in den schmeichelhaftesten Hoffnungen, als die junge Frau in der Entfernung ihren Gatten sah: »Wir sind verloren,« sagte sie zu ihrem neuen Liebhaber; »mein Mann überrascht uns; was wird aus mir? Er ist der eifersüchtigste und wütigste aller Männer; im Namen des Propheten verbirg dich in dieser Lade!«

Wie der Philosoph einsah, daß es keine andere Gelegenheit gab, sich von diesem schlimmen Handel loszumachen, stieg er in den Kasten, den die Frau über ihm schloß und dessen Schlüssel sie an sich nahm. Sie ging dann ihrem Manne entgegen und bereitete ihm ein Essen; und als sie nach dem Mahle ihren Gatten bei rosiger Laune sah, sprach sie zu ihm: »Ich muß dir ein sehr eigenartiges Abenteuer erzählen; es ist heute in mein Zelt ein gewisser Philosoph gekommen, der vorgibt, in einem Buche alle Arten von Spitzbübereien verzeichnet zu haben, deren unser Geschlecht fähig ist. Dieser falsche Weise hat mich von Liebe unterhalten; ich habe ihm zugehört, er ist jung, liebenswert, feurig; du bist im rechten Augenblicke gekommen, um meine wankende Tugend zu stützen.«

Man kann sich bei diesen Worten die Wut des Ehemanns vorstellen, der in Wahrheit eifersüchtiger und leidenschaftlicher Gemütsart war; der Philosoph, der in seinem Kasten alles vernommen hatte, verwünschte aus vollem Herzen sein Buch, die Frauen und die Eifersüchtigen. »Wo ist der Kühne versteckt?« fragte der Gatte sein Weib, »auf daß ich ihn meiner Rache opfern kann, oder ich opfere dich selbst!« Die Verschmitzte, die einen heftigen Schrecken heuchelte, wies auf die Lade hin und gab ihm den Schlüssel dazu. Wie der Eifersüchtige sich anschickte, sie zu öffnen, sagte seine Frau unter herzlichem Gelächter zu ihm: »Bezahle mich, du hast das Pfänderspiel verloren; ein andermal sei weniger neugierig und achtsamer!«

Der Gatte hielt sich für sehr glücklich, mit diesem falschen Lärme wegzukommen, gab seinem Weibe den Schlüssel wieder; zahlte ihr alles, was sie haben wollte, und ging fort, nachdem er sie gebeten hatte, ihn nicht mehr ähnlicher grundloser Angst auszusetzen.

Die junge Frau zog dann den Philosophen aus der Lade, wo er mehr tot als lebendig war. »O mein Herr Philosoph,« sprach sie zu ihm, »vergiß diese List nicht, sie ist des Platzes in deinem Verzeichnisse würdig!«


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