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Die Geschichte von dem Manne und dem Geiste

Ein sehr einfältiger Mann hatte das Unglück, mit einem garstigen Weibe verheiratet zu sein, das obendrein noch sehr boshafter und hadersüchtiger Gemütsart war. Nach langjährigen Qualen nun war die Geduld des Mannes endlich erschöpft; er wünschte ihr oft den Tod, aber vergebens. Schließlich faßte er eines Tages den Plan, sie an die Meeresküste zu bringen und sich ihrer auf einmal zu entledigen, indem er sie in das Meer stürzte. Er sprach daher zu seinem Weibe: »Komm, o mein Stern, laß uns zusammen an die Mündung unseres Baches ins Meer gehen und unsere Gewänder dort waschen!«

Er packte die Kleidungsstücke auf seinen Rücken, und sie gingen wohlgemut dem Bache zu; während die Frau nun mit dem Waschen der Gewänder beschäftigt war, paßte der Mann eine günstige Gelegenheit ab und stieß sie ohne viel Umstände in das Meer. Nachdem er solches getan hatte, hielt er es für ratsamer, sein Land zu verlassen und sein Glück anderswo zu versuchen.

Eines Tages auf seiner Wanderschaft aber trat ein Geist vor ihn hin, der so erstaunlich groß war, daß, obwohl seine Füße auf dem Erdboden standen, sein Kopf bis in die Wolken hineinragte; der nun reckte seine Arme aus, griff den Unglücksmann beim Nacken und fragte ihn, welche Todesart er für sich vorzöge.

Und der Geist sprach zu ihm:»O Brüderchen, soll ich dich gegen die Felsen schmettern oder in Stücke hauen oder ins Meer werfen ?« Der Unglücksmann erwiderte darauf:»O mein Gebieter, was für ein Verbrechen habe ich denn begangen?« »Was für ein Verbrechen,« entgegnete der Geist, »tust wohl gar, als wenn du es nicht wüßtest?« »Nein, bei meinem Leben, o Herr, ich weiß es nicht«, versetzte der Mann. »Warst du es nicht,« fuhr der Geist fort, »o mein Freundchen, der den alten Drachen, die scheußliche alte Sau, ins Meer warf? Warst du es nicht, der die Fluten des Meeres mit ihrem Aase verunreinigte und die Geister der Tiefe nötigte, vor dieser Verpestung ihre Wohnsitze zu verlassen?« Da sagte der Mann: »Wie, auch du fliehst vor dem scheußlichen Luder, meinem Weibe?« »Freilich tue ich solches«, sprach der Geist. »Ist es nun recht und billig,« fuhr der Mann fort, »mich strafen zu wollen, weil ein Wesen deiner Art ihre Gegenwart nicht ertragen kann ? Wenn du es vor ihr nicht aushalten kannst, wie soll ichs da können?« Der Geist erwiderte: »Daran dachte ich nicht; du hast recht, ich will dein Freund sein und mit dir reisen!«

In des Geistes Gesellschaft setzte nun der Mann seine Wanderschaft fort, bis sie in einer herrlichen Stadt anlangten, die ein großer und mächtiger König beherrschte. Als sie unter dem Tore durchgingen, sprach aber der Geist zu seinem Begleiter: »Was würdest du dazu sagen, wenn ich dich zum Wesir des Königs hier machte?« »Zum Wesir, ach, wie wäre das möglich?« erwiderte der Mann. »Ja, es steht in meiner Macht,« sprach der Geist, »und es soll wahrlich geschehen. Ich will mich nämlich in eine ungeheure Schlange mit zwei eklen Köpfen verwandeln und mich um des Sultans Tochter ringeln; und wenn auch das ganze Reich in Waffen wider mich stünde, soll es doch niemandem gelingen, sie von mir zu befreien. Zweifelsohne wird den Sultan die Angst und die Liebe zu seiner Tochter veranlassen, öffentlich bekanntzugeben, daß der, der seine Tochter von der Schlange befreie, sie zur Gemahlin haben solle. Dann aber mußt du, mein Freund, mit einem Scheichgewande bekleidet, hinzukommen und dich erbieten, die Sultanstochter zu befreien; sowie du nahe kommst, löse ich mich wie schmelzendes Blei auf und werde unsichtbar!«

Der Mann kam der Weisung des Geistes nach. Öffentlich wurde bekanntgegeben, wer die Sultanstochter von einer ungeheuren zweiköpfigen Schlange befreie, die sich ihr um den Leib geringelt habe, solle die Prinzessin zum Weibe haben. Der als Scheich verkleidete Mann trat in den Palast, erbot sich, solches tun zu wollen und wurde in den Harem geleitet..

Als er in das Gemach trat, erblickte er die wie eine Huri schöne Prinzessin von den Ringen einer ungeheuren Schlange umwunden. Der Sultan aber und sein Wesir hielten sich in der Ferne und erwarteten ungeduldig den Ausgang der Dinge. Doch der Mann trat zu ihr und zur Stunde löste sich die Schlange von dem Nacken der Prinzessin los, zerfloß wie schmelzendes Blei und verschwand. Wie aus der Tiefe des Grabes erhob sich die Prinzessin, und der Mann murmelte noch einige Gebete über ihrem Haupte. Allerorten herrschte große Freude, und ehe noch der Tag zur Neige ging, wurde die Prinzessin mit ihrem Befreier vermählt und die Hochzeit vollzogen.

Folgenden Tages nun erschien der Geist dem Manne wieder in dem Palaste des Sultans, seines Schwiegervaters; sowie ihn der Mann sah, fiel er vor ihm nieder und küßte voller Demut seine Hand. Da sprach der Geist zu ihm: »Jetzt, mein Freund, verlange ich eine Gefälligkeit von dir!« Der Mann fragte: »Und was forderst du von mir?« »Ich bin nun willens,« fuhr der Geist fort, »mich um die Wesirstochter, in die ich mich verliebt habe, zu ringeln. Unterstehe dich aber nicht, sie ebenso wie die Sultanstochter zu befreien, sonst, verlaß dich darauf, wird es dir augenblicklich mitsamt deiner jungen Gemahlin das Leben kosten!« »Ich gebe dir mein Wort, daß ich solches nicht tun will«, erwiderte der Mann. Groß war der Aufruhr und Lärm andern Tages im Palaste und im Harem des Wesirs; und als man sich nach der Ursache erkundigte, erfuhr man, daß dieselbe Schlange, welche die Sultanstochter umringelt hatte, nun auch die Wesirstochter umstrickt habe. Als der Sultan solches vernahm, sagte er: »Dem Übel ist bald abzuhelfen; ich brauche nur den Scheich, meinen Schwieger, hinzuschicken und sie wird alsobald durch sein Erscheinen von ihrem Ungemach befreit werden!« Bald hernach kamen Boten zu dem neuen Scheiche und forderten ihn in des Sultans Namen auf, er solle gehen und auch die Wesirstochter befreien. »Nie und nimmer,« rief der Mann aus, »eher will ich mich hängen lassen, als einen Schritt in dieser Angelegenheit tun!« »Doch weshalb denn nicht ? Kann ihr doch niemand weiter als du helfen«, versetzten die Boten darauf. Als der Sultan solches hörte, befahl er seinem Schwieger, auf der Stelle hinzugehen. Doch abermals weigerte sich der, aus dem Hause zu gehen; der Sultan aber schickte ihm einen dritten Boten mit diesen Worten: »Wenn du, o mein Sohn, nicht stehenden Fußes aufbrichst und dem armen Mädchen hilfst, sollst du des Todes sterben. Hat denn nur eine Fürstentochter Anrecht auf deine Menschenliebe und Großmut!« ›Da bin ich wahrlich in einer schönen Verlegenheit,‹ sagte der Mann zu sich selbst, ›gehe ich hin und helfe der Wesirstochter, bringt mich der Geist um mein Leben, gehe ich aber nicht hin, läßt mich der Sultan des Todes sterben!‹ Schließlich machte er sich auf nach dem Wesirspalaste und wurde dort in den Harem geleitet, allwo er den Geist in der Gestalt der Schlange um den Leib der unglücklichen Jungfrau geringelt sah. Als nun der Mann näher trat, flüsterte ihm der Geist mit gedämpfter Stimme zu: »Vergiltst du also meine Freundschaft?« Da antwortete ihm der Mann ebenso leise: »Ich will dich durchaus nicht veranlassen, deinen gegenwärtigen Aufenthaltsort aufzugeben, sondern dir einen Liebesdienst erweisen!« Da rief der Geist erzürnt: »Was für einen Liebesdienst?« Der Mann sprach weiter: »Die Frau, derentwegen wir unsere Wohnsitze aufgegeben haben, ist wieder aus dem Meere herausgekommen; schon weiß sie, wo wir stecken, ist hinter uns her und nähert sich bereits. Nur aus Freundschaft komme ich und bringe dir diese Nachricht!« Wie nun der Geist solches vernahm, wechselte er die Farbe, begann heftig zu zittern und wisperte mit zager Stimme: »O mein lieber Freund, wo weilt sie denn?« Da antwortete der Mann: »Sie wird augenblicklich hier sein!« »Wenn dem so ist,« sagte da der Geist, »dann lebe wohl, o Bruder, ich beurlaube mich und mache mich dünn!« Mit solchen Worten ließ er von der Wesirstochter ab und enteilte zur Minute.


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