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Die Geschichte der drei Unglücklichen

Es ist im ganzen Morgenlande wohlbekannt, daß Harun al-Raschid, Bagdads Kalif, oft in Begleitung seines Günstlings und Wesirs Dscha'afar nachts verkleidet durch die Gassen und Vorstädte Bagdads wanderte. Dabei lernte er nun manche Unregelmäßigkeiten kennen, die der Wachsamkeit seiner Wachtleute entgangen wären, und war imstande, sie zu unterbinden.

Eines Nachts nun sah er im Mondenscheine drei Männer vor einer Türe stehen, die ihrer Kleidung und ihrem Aussehen nach dem Bürgerstande anzugehören schienen und sich vertraulich und ernsthaft unterhielten. Unbemerkt trat er zu ihnen und vernahm, wie sie sich mit den bittersten Worten ob ihres Mißgeschicks beklagten, das nach der Behauptung eines jeden nicht seinesgleichen hatte.

Der erste sprach: »Kann ein Muselmann unglücklicher als ich sein? Möge der Prophet doch fortan seinem auserwählten Volke nimmer gnädig sein, wenn ich nicht von früh bis spät von Sorgen und Kummer verfolgt werde! Denn ich habe einen Nachbarn, der einzig darauf sinnt, mir mein Gewerbe zu verleiden und mir an meinem Ansehen und Vermögen zu schaden; Allah scheint ihn nur deswegen mit ungewöhnlichen Geistes- und Leibeskräften ausgestattet zu haben, auf daß er mir jede Hoffnung auf Gewinst, jede Aussicht auf Vergnügungen nimmt!«

»Ach, wahrlich, dein Zustand ist beklagenswert,« sprach der zweite darauf, »doch um wie vieles mehr ist es meiner; du hast nur um deine Tage zu jammern, des Nachts kannst du in wohligem Schlummer auf deinem Pfühle liegen und dich trösten und deines Nachbarn, deiner Leiden und deiner selbst vergessen, ich aber habe keinen Augenblick Ruhe; voller Plage verstreichen meine Tage, und die Nächte sind noch schlimmer. Denn ach, ich habe ein Weib, das mich unaufhörlich quält; bei der Arbeit, beim Essen, und gar noch im Bette peinigt mich ihre Anwesenheit und verwundet mich ihre Zunge; und ich lebe in unablässiger Qual und habe nicht eher denn im Grabe Ruhe zu erhoffen!«

Der dritte sagte: »Geduldig habe ich euch beiden zugehört, doch finde ich, daß ich weit mehr Ursache zur Betrübnis habe, als jeder von euch oder ihr beide zusammen. Denn ich habe einen liederlichen und ruchlosen und verderbten Sohn, den ich trotz aller Mahnungen und Strafen von Laster zu Laster taumeln sehe, bis er vollends ein Abscheu der menschlichen Natur geworden ist, und ich muß jede Stunde gewärtig sein, daß ihn des Propheten Rache oder die Gesetze unseres Landes grausam zunichte machen werden!«

Nachdem sich die drei Männer also ihr Leid geklagt hatten, sagten sie gute Nacht, und jeder ging nach Hause.

»Sorge nun zu erfahren, o Dscha'afar,« sprach der Kalif zu seinem Günstling, »wer die drei Männer sind, und laß sie morgen früh im Diwan meiner Befehle harren!«

Dscha'afar aber gehorchte seinem Gebieter, und zitternd erschienen die drei Muselmänner, von der Wache zum Palast geleitet, wo ein jeder, ohne zu ahnen, welches Verbrechens man ihn bezichtigte, seinen Kopf zu verlieren oder zum mindesten Stockhiebe auf die Fußsohlen zu bekommen fürchtete.

Als der Diwan versammelt war und der Sultan, umgeben von den Imamen und Emiren und Großen seines Reiches, auf seinem Throne saß, befahl er mit lauter Stimme, die drei Unglücklichen vorzuführen.

Harun al-Raschid sprach zu dem ersten: »Mich deucht, o Freund, du sagst selbst, dein Zustand sei höchst unglücklich; erzähle doch den Weisen, die du hier vor mir siehst, deiner Leiden Ursache!«

Anfangs suchte der Mann Ausflüchte; als dann jedoch der Wesir auf den Henker deutete und ihm erklärte, daß der Kalif einen Teil ihres Gespräches mit angehört habe, wiederholte er, daß er tatsächlich der unglücklichste aller Menschen wäre, weil ihm ein boshafter Nachbar unausgesetzt nachstelle.

»Greift den Burschen«, befahl der Kalif zornigen Tones den Schergen, »und gebt ihm fünfhundert Streiche auf die Fußsohlen.« Ganz erstaunt sahen sich die Imame und Emire und Großen seines Reiches an, doch keiner wagte etwas dagegen zu sagen. Nun rief der Kalif, der in gleichmütiger Ruhe dasaß, den zweiten Unglücklichen vor:

»Was sagst du, o Freund,« redete Harun al-Raschid ihn an, »dem Scheine nach weigert sich Mohammed auch dich anzulächeln!«

Der Mann war ganz betreten ob seines Nachbarn Züchtigung und wußte nicht, was er machen sollte, und hätte gern geschwiegen; doch von der gebietenden Stimme genötigt und fürchtend, seine Hartnäckigkeit könne noch schlimmere Folgen als Fußsohlenstreiche nach sich ziehen, gestand er mit zitternder Stimme, daß ihm Tag und nächtens ein böser Geist, in Gestalt seines zanksüchtigen Weibes, unerträgliche Qualen bereite.

Da sprach der Kalif zu seinen Leuten: »Faßt den Burschen und gebt ihm alsobald fünfhundert Streiche auf die Fußsohlen!« Wieder blickten die Imame und Emire und Großen des Reiches einander erstaunt an, jedoch bewahrten sie das tiefste Stillschweigen.

Dann wurde der dritte Mann auf des Kalifen Befehl vorgeführt. »O Muselmann, laß nun auch deine Leidensgeschichte hören«, sagte Harun al-Raschid in einem etwas weniger einschüchternden Tone zu ihm.

Der Mann aber sagte: »O Beherrscher aller Gläubigen, ich sehe, daß du bereits alle Leiden kennst, die mein Herze quälen; trotzdem wiederhole ich auf deinen Befehl ohne Zögern, daß ein unwürdiger Sohn das Unglück meiner Mannesjahre und nun die Qual meines Alters ist!«

»Nehmt den Ehrenmann«, sagte der Kalif darauf, »und reicht ihm unverzüglich tausend Golddinare!« Abermals sahen sich die Imame und Emire und Großen des Eeiches verwundert an, doch wagten sie nicht, die Ursache solcher höchst auffälligen Aussprüche des Kalifen zu erforschen.

Nachdem sie aber der Kalif einige Augenblicke mit höchstem Wohlgefallen angesehen hatte, stand er von seinem Throne auf und sprach also: »Die Urteile, die ich eben gesprochen habe, scheinen manchen von euch, o Muselmänner, hart und streng und allen unerklärlich zu sein, hört daher meine Beweggründe und erkennt die Güte und Gerechtigkeit eures Gebieters. Es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Dürfen sich Muselmänner in heftigen Klagen gegen Allah ergehen, weil sie Kummer und Verdruß haben, den sie selbst abstellen können? Soll der hochheilige Prophet mit Klagen und Tränen beschwert werden, welche die Faulheit und der Kleinmut seiner Diener allein verursachen? Der Fall des ersten Mannes, den ich mir vorbringen ließ und nach Verdienst bestrafte, klagte die Güte der Vorsehung und gleichzeitig die Gerechtigkeit meiner Herrschaft eines Übels wegen an, das er tatsächlich selbst hätte beseitigen können. Hat er nun zugestandenermaßen einen bösen, ungerechten Nachbarn, konnte er da nicht seinen Wohnort ändern und an andrer Stelle sein Kaufmannsgewerbe treiben? Ebenso unangebracht war das Wehgeschrei des zweiten: weshalb denn Allah und seinen Propheten anrufen, wenn es bei ihm selbst stand, seinen Leiden ein Ziel zu setzen? Er hatte ein böses und ruchloses Weib; warum geht er denn da nicht unverzüglich zum Kadi, läßt ihr einen Scheidebrief geben und schickt sie fort?

Was aber den dritten Mann angeht, so prüft euer eignes Herz und kennt meine Gerechtigkeit an. Wer kann einem, ungeratnen Kinde entgehen? Welcher Wohnungswechsel, welche richterliche Entscheidung vermag uns von solchem Herzeleid zu befreien ? Unaufhaltsam folgt es uns und quält uns in der Einsamkeit und vergiftet unser Mahl und scheucht den Schlaf von unserm Pfühl. Mitleid ist die geringste Gnade, die wir in solchen Fällen erteilen können, und Freigebigkeit nicht mehr als Gerechtigkeit!«

Die Imame und Emire und Großen des Reiches aber waren nicht länger verwundert und priesen laut die Weisheit des Kalifen.


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