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Ein reicher, schon bejahrter Kaufmann aus Agra, der kein Weib mehr hatte, beschloß, seinen einzigen, heißgeliebten Sohn zu verheiraten; sobald dieser Sproß das Mannesalter erreicht hatte, gesellte er ihm eine Frau zu, die gleichzeitig alle Reize und alle Fehler ihrer Mitschwestern in sich vereinte. Ein junger Inder ging unter dem Balkon dieser Schönen vorüber und verliebte sich bald in sie und drückte ihr seine Liebe durch Gebärden aus; sie blieb nicht unempfindlich; die beiden Liebenden konnten sich aber nicht leicht ihre gegenseitigen Gefühle aussprechen, jedoch überwand ihre List die Schwierigkeiten.
Der junge Mann wandte anfangs die bekanntesten Mittel an. Ein altes Weib übernahm für weniges Geld die Besorgung eines Schreibens; dieser erste Schritt wurde scheinbar böse aufgenommen und der Botin befohlen, nachdem sie hart geschmäht worden war, durch eine Wasserleitung zu fliehen, die von außerhalb mit dem Garten in Verbindung stand. Sie kehrte heil von ihrem Gange zurück; der Umstand mit der Wasserleitung freilich entging dem hellsehenden Liebhaber nicht; fest überzeugt, die Alte sei nicht ohne Grund durch die Wasserleitung gejagt worden, beschloß er, sich auf gleichem Wege in das Haus seiner Schönen Eingang zu verschaffen.
Die Inderin war überzeugt, daß ein so hitziger Liebhaber alles verstände, ohne daß man viel zu sagen brauche, und erwartete ihn in dem Garten zu einer Stunde, in der er dort hinkommen konnte. Diese köstliche Nacht war nicht die einzige, zu der sich das Liebespaar verhalf. Je größer die Schwierigkeiten waren, desto stärker wappneten sie sich gegen sie; aber obwohl sie geschickter als andere Liebesleute waren, waren sie doch nicht klüger: man bediente sich der Wasserleitung so oft, daß schließlieh der Vater des Gatten, der im selben Hause lebte, hinter die Untreue seiner Schwiegertochter kam. Er belauschte die beiden Liebenden und überraschte sie im Augenblicke, als sie sich unbedachterweise der Süße des Schlummers hingegeben hatten.
Der Greis, der auf Rechnung seines Sohnes eifersüchtiger war, als ein anderer es für seine eigene gewesen wäre, suchte nach einem Mittel, die Treulose zu überführen, und löste von ihrem Arme eine Spange los, die sie von ihrem Gatten erhalten hatte; beim Erwachen merkte die Schöne den Diebstahl und argwöhnte, daß eher ihr Schwiegervater ihn verübt habe als ihr Gatte, den sie in einen tiefen Schlaf versunken wußte.
Um ihre Ehre zu retten und der Unbill, die sie bedrohte, zuvorzukommen, verabschiedete sie schnell ihren Geliebten, der sie dort der Gefahr ausgesetzt hatte. Bei der Rückkehr in ihr Ehegemach fand sie ihren Gatten schlafend vor; einige geheuchelte Liebkosungen erweckten ihn bald, und die Verräterin zog den Gimpel in denselben Garten, der Zeuge ihrer Treulosigkeit gewesen war; dort verbrachten sie den Rest der Nacht, die sie ihm zu verschönen bestrebt war.
Bevor sie jedoch ins Haus zurückkehrten, gab die Falsche vor, den Verlust ihrer Armspange zu bemerken, von der sie behauptete, daß sie ihr vermutlich während einiger Augenblicke Schlummers entrissen sein müßte.
Sobald der Tag gekommen war, beeilte sich der Schwiegervater, seinen Sohn von dem schlechten Betragen seines Weibes zu unterrichten, und gab ihm als Beweis die Armspange, die sie alle beide kannten. Der gefoppte junge Mann konnte angesichts dieses stummen Zeugens nur lachen und sprach zu seinem Vater: »Ich selbst war es, der mit meiner Frau in dem Zelte schlief, in dem du uns fandest. Sie ist nicht untreu, das glaube mir nur, den solches mehr als dich angehen muß!«
Der Vater war ob der Blindheit seines Sohnes verdrossen und nahm sich vor, sie ihm, koste es, was es wolle, zu nehmen. Man verehrte in Agra ein geheimnisvolles Wasserbecken, das von Weisen hergestellt war, die Wasser dorthin unter der Zusammenkunft gewisser Planeten geleitet hatten. Die Kraft dieses Wassers bestand darin, alle Lügereien zu prüfen. Eine in Verdacht stehende Frau, die schwur, daß sie treu sei, und in dieses Wasserbecken getaucht wurde, welches das Becken der Probe genannt wurde, ging, wenn sie falsches Zeugnis gab, sofort unter; hatte sie aber die Wahrheit gesagt, schwamm sie auf dem Wasser.
Der erzürnte Schwiegervater lud seine Schwiegertochter gemäß dem Rechte aller Familienhäupter zu dieser Probe. Die in ihrem Herzen überführte Frau suchte nach Mitteln, sich vor den Augen der Welt rein zu waschen. Sie ließ dem, der sie erobert hatte, sagen, er solle sich wahnsinnig stellen und sie in seine Arme ziehen, in dem Augenblicke, wo sie sich anschicke, die verhängnisvolle Probe über sich ergehen zu lassen; der Geliebte, dem die Rettung und das Leben seiner Liebsten gar sehr am Herzen lag, machte keine Schwierigkeiten, sich öffentlich bloßzustellen; er brachte es fertig, an seine Geliebte heranzukommen und sie zu umarmen, und kam mit einigen Stockhieben davon, weil er in den Augen derer, so ihn nicht kannten, als irrsinnig erschien.
Die verklagte Frau trat an den Rand des Wasserbeckens heran und sprach, die Stimme erhebend, sicheren und ehrbaren Tones: »Ich nehm Allah, der mich hört, als Zeugen, und den Propheten, den Urheber der Gesetze, den Gatten, den beleidigt zu haben man mich anklagt, seinen Vater, meinen Kläger und meinen Richter; ich nehme die Tugend als Zeugen; die Wahrheit, die Ehre, selbst das Leben, dessen ich nicht entsage, und das Volk, das mich hört: daß ich niemanden berührt habe außer meinem Gatten, den der Himmel mir gegeben, und jenem Unglücklichen, der mich vor aller Augen überfallen hat. Möge dieses Wasser mich strafen, wenn ich falsch geschworen habe!« Sprachs und warf sich in das verhängnisvolle Wasserbecken. Die Wasser aber trugen sie vor den Augen des Volkes, das sie angehört hatte, und die Feinheit ihrer Rede ersetzte die Tugend, welche sie beleidigt hatte; alle Umstehenden traten für sie ein, und siegreich kehrte sie in die Arme ihres Gatten zurück, der sie stets für treu gehalten hatte.
Der hartnäckige Schwiegervater ging nicht von dem Beweise ab, den ihm seine eigenen Augen gegeben hatten; wenn auch das Wasserbecken die Tugend seiner Schwiegertochter verkündet hatte, so hatte er darum nicht weniger die Schöne in dem Zelte und in den Armen eines Geliebten gesehen, der nicht sein Sohn war; und er setzte die strengste Wache in dem Garten fort. Der junge Liebhaber freilich, der weniger verrückt war, als er es in den Augen des Volkes schien, und die durch die Gefahr, in der sie geschwebt hatte, gewitzigter gewordene Schöne gaben ihre Stelldichein auf.
Die Wachsamkeit des Alten ließ nicht nach. Der König von Indien vernahm alle Maßregeln, die dieser Argus traf, und hielt ihn für geeigneter als jeden anderen, die Aufführung seiner Frauen zu überwachen; überzeugt, daß das Alter ihn dazu machte, wozu ein Schnitt die machte, denen man die Wache über die Frauen anvertraut, glaubte er ohne Gefahr diesen Mann zu seinem Kislaraga auswählen zu dürfen. Der durch dies Amt geehrte Alte erfüllte seine Pflichten mit einer merkwürdigen Strenge: alles zitterte vor ihm, und seine Augen schienen das Äußere des Serails bis zu dem geheimsten Gemache des Sultans zu durchdringen.
Als nun eines Nachts der unbarmherzige Kislaraga den gewöhnlichen Rundgang machte, erblickte er den Elefanten des Fürsten, auf dem sein Aufseher saß; das bevorzugte Tier näherte sich dem Balkon der Favoritin; der Balkon öffnete sich, der Elefant faßte die Sultanin mit seinem Rüssel und setzte sie auf seinem Rücken zu dem Aufseher nieder; nach einiger Zeit kehrte dann die Sultanin in demselben Gefährt, in dem sie fortgefahren war, auf den Balkon zurück. Der Alte konnte sich nicht enthalten, ob der Güte des Tieres, der Zuversicht der Schönen und des Glücks des Aufsehers zu lachen. Dieses Abenteuer bewies ihm, daß der Sultan nicht glücklicher war als sein Sohn; solches tröstete ihn, und er beschloß, das Geheimnis der Sultanin besser zu bewahren als das seiner Schwiegertochter.