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Die Geschichte des Lastträgers

Es gab einst in Bagdad einen Steinschneider, Abdullah Dscherberi mit Namen; der hatte nur einen Sohn, dem er die beste Erziehung gab, die ihm möglich war. Als er nun fühlte, wie sich der Todesengel über ihn neigte, ließ er seinen lieben Sohn, diesen Sohn, den einzigen Gegenstand all seiner Empfindungen, kommen, um den Trost seiner Umarmung zu haben; und er hatte noch Zeit, ihm Ratschläge zu geben, deren seiner Meinung nach dessen große Jugend noch bedürfen konnte. Nachdem er ihm ans Herz gelegt hatte, die göttlichen Gebote niemals außer acht zu lassen, beschwor er ihn, vor allen Dingen niemals am Abend vorher zu bedenken, was er anderen Morgens tun müsse. Und er starb, indem er seinen Sohn umarmte, der das zwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Nicht lange schmerzte den jungen Dscherberi der Dorn des Kummers, der in seinem Herzen hätte sitzen müssen, da er einen so guten Vater verloren hatte. Außer dem Hausrate und den Häusern, die er erbte, fand er in einem Keller des Hauses fünfmalhunderttausend Dinare, die in fünfzig Gefäßen aufgehäuft waren, deren jedes noch zehntausend Dinare galt. Diese Summe schien dem Jüngling, der noch keinen Begriff vom Reichtum hatte, ein Schatz Indiens zu sein; er überließ sich daher allem Aufwande, der sich ihm bot, und kaufte Frauen zu seinem Vergnügen und wollte, daß sie kostbar gekleidet wären; er hielt ein offenes Haus für alle jungen Leute seines Alters, die ihm beständig den Hof machten und unaufhörlich seinem Wahne durch Lobreden Nahrung gaben, die sie seinem Aufwande, seinen Musikaufführungen, der Güte seiner Weine und der Gediegenheit seiner Mahlzeiten zollten.

Ein solches Leben hatte bald seine ganze Erbschaft zerstreut. Als er alle Gefäße geleert hatte, verkauft er die Stadt- und Landhäuser und erhielt sich so lange wie möglich die Frauen. Endlich aber sah er sich genötigt, sie fortzugeben, um alle seine Schulden bezahlen zu können; denn sein Herz war mit den Begriffen von Ehre und Tugend sehr vertraut. Er befand sich also in wenig Zeit ohne Mittel, infolgedessen auch ohne Freunde. Es war ein Glück für Dscherberi, daß ihm die Natur eine Kraft und Gesundheit verliehen hatte, der die Vergnügen nichts hatten anhaben können. Als er sich nun ohne Hoffnung auf Hilfe sah, wurde er Lastträger; und es währte nicht lange, so wurde er allen Männern dieses Gewerbes in Bagdad dank der erstaunlichen Lasten, die er tragen konnte, seiner Klugheit und des Frohmutes wegen, mit dem er seine Arbeit verrichtete, vorgezogen. Denn dem Rate seines Vaters, niemals am Abend vorher zu bedenken, was er anderen Morgens tun solle, fügte er die Norm hinzu, am Tage zu vergessen, was er am Abend vorher getan hatte. So dauerte es nicht lange, und er war der glücklichste Mensch in der Stadt. Seine Arbeit machte ihm keine Mühe; er hing nicht mehr von den Freuden ab, deren Sklave er gewesen war, und erkannte die Falschheit seiner Freunde. Man achtete ihn in seinem Stande, und er erarbeitete sich nur so viel, als er für seinen Lebensunterhalt nötig hatte; er besaß keine Frauen, keine Kinder, war nüchtern und war eben der glücklichste aller Muselmänner.

Als er nun inmitten der Nacht von einem Landhause zurückkam, wohin er eine Last gebracht hatte, hörte er, wie er an dem Ufer des Tigris entlang ging, die Stimme einer Frau, die in der Stromesmitte sein konnte; die aber rief: ›Im Namen Allahs, helft mir!‹ Der Ton dieser Stimme war so kläglich, daß Dscherberi keinen Augenblick zögerte, seine Kleider von sich zu tun. Er fing an zu schwimmen und war glücklich genug, die Unglückliche in dem Augenblicke zu retten, als sie noch über Wasser zappelte und die Kräfte sie zu verlassen anfingen; trotz der reißenden Strömung brachte er sie ans Land. Und als sie sich ein wenig von ihrem Schrecken erholt hatte, bat sie ihn, sie bis nach ihrem Hause zu begleiten, das sie ihm bezeichnete. Dscherberi willigte darein. Er hörte, bei ihrer Tür ankommend, weinende Kinder nach ihrer Mutter rufen. Sie traten in das Haus ein; die Frau, die er soeben gerettet hatte, schien Dscherberi von bezaubernder Schönheit zu sein; sie ließ ihn niedersitzen, fachte ein Feuer an, um seine Kleider zu trocknen, und erzählte ihm ihre Geschichte, die sie tausendmal unterbrach, um ihm das Übermaß ihrer Dankbarkeit zu beweisen:

›Es mögen ungefähr sechs Monate her sein, daß eine alte Frau in mein Haus trat und zu mir sagte: ›Ich habe es niemals versäumt, die Gebete anzuhören, die man in der großen Moschee hält; doch heute sind mir Geschäfte dazwischengekommen, die mich an meiner Reinigung gehindert haben: du weißt, daß ich nicht in die Moschee gehen kann, wenn ich diese Vorschrift nicht erfüllt habe. Ich bitte dich daher,‹ fuhr sie fort, ›mir einen Topf mit Wasser zu leihen.‹ Ich gewährte ihr die Bitte; sie reinigte sich, begab sich in die Moschee und kam dann, um mir zu danken. Ich wollte sie zum Essen dabehalten, denn meiner Ansicht nach konnte ich nichts Besseres tun, als eine Frau, die mir so fromm zu sein schien, an mein Haus zu fesseln und sie zu bestimmen zu suchen, für meinen abwesenden Mann zu beten. Doch schlug sie es mir mit den Worten ab: ›O meine Tochter, ich will zu Allah beten, daß er dich für die Freude, die du mir gemacht hast, belohnt; aber es schickt sich nicht für eine Frau in meinem Alter, außer Hause zu essen!‹ Nachdem sie mich tausendmal gesegnet hatte, verließ sie mich. Seitdem ist sie alle Freitage gekommen, um mich zu besuchen; nach ihrer Gewohnheit nun kam sie vorgestern und sagte zu mir: ›Du hast mir so oft vorgeschlagen, einige Zeit bei dir zu verbringen; wenn du willst, nehme ich deine Einladung für heute abend an; ich esse dann mit dir, und wir bringen die Nacht hin, zu Allah um die Rückkehr deines Gatten zu beten; indessen knüpfe ich die Bedingung daran, daß wir morgen mit dem frühesten aufbrechen und du mit mir nach einem Landhause kommst, wo man eine meiner Verwandten verlobt. Ich verpflichte mich noch, dich wieder nach Hause zu bringen!‹ Ich willigte in ihren Vorschlag ein, wir brachen bei Tagesanbruch auf, fanden ein Boot, das uns erwartete, um uns über den Tigris zu setzen, und kamen in eine spärlich bewohnte Gegend. Ein gebrechlicher und sehr schlecht gekleideter Alter fand sich beim Anlegen unseres Bootes ein und führte uns nach einer Schäferei, wo wir ungefähr ein Dutzend Frauen versammelt vorfanden. Trotz des höflichen Empfangs, den sie mir beim Eintreten bereiteten, machte mich alles, was ich bemerkte, argwöhnisch und überzeugte mich, daß mich die Alte getäuscht hatte. Ich fragte sie voller Unruhe, wann denn die Hochzeit sein sollte, die sie mir angekündigt habe. Sie versicherte mir, daß sie abends stattfinden würde, wenn die Liebhaber aller Mädchen, die ich sähe, angekommen wären. ›Dann‹, fügte sie hinzu, ›wollen wir zusammen essen und Wein trinken, und du sollst den zum Schatze nehmen, der dir am besten gefällt!‹ Es bedurfte für mich keiner Erklärung mehr, um zu verstehen, in welchen Abgrund des Unglücks mich die niederträchtige Alte gestürzt hatte. Doch bezwang ich meinen Schmerz und verbarg meine Unruhe, wandte mich aber zu Allah und vertraute ihm das Geheimnis meines Herzens an: ›Du, der du Unschuldige und Betrübte beschirmst, befreie mich aus der grausamen Lage, in die ich mich versetzt sehe!‹ Solches Gebet zerstreute meine Erregung, und ich sagte zu der Alten mit größerer Leichtigkeit des Verstandes: ›Ich bin dir sehr dankbar, daß du mich an einen Ort geführt hast, wo ich Freuden finden soll, die ich in meiner Einsamkeit nicht erwarten konnte.‹ Diese Rede täuschte die Alte; und wir sprachen den Rest des Tages nur von den bevorstehenden Nachtvergnügen. Als die Sonne untergegangen war, sah ich von verschiedenen Seiten ungefähr zwanzig Diebe ankommen, die fast alle verstümmelt waren. Sie grüßten die Alte und fragten sie, warum sie so lange Zeit sie nicht aufgesucht hätte; sie entschuldigte sich mit der Mühe, die sie sich gegeben habe, mich ihnen zuzuführen. Dann zeigte sie mich ihnen, sie aber kamen überein, daß sie ihnen niemals eine Frau gebracht, die ihnen mehr zugesagt hätte. Man trug das Essen auf und gab mir keinen anderen Platz als die Knie des Hauptmanns, auf die ich mich zu setzen gezwungen war. Ich machte keine Schwierigkeiten, ja heuchelte sogar, guter Laune zu sein, sann indessen immer auf Mittel, um dem Unglücke, das mich bedrohte, zu entgehen. Als ich sah, daß der, dem ich zugefallen war, mich ebenso verliebt in ihn wähnte, als er es in mich war, gab ich vor, hinausgehen zu müssen. Die Alte aber nahm eine Kerze, um mich aus dem Hause zu führen. ›Ich wußte es wohl,‹ sagte sie zu mir, ›daß du nicht immer zornig auf mich sein würdest; man beginnt gewöhnlich damit, sich zu ärgern, das ist so Sitte, aber du wirst mir noch guten Herzens danken.‹ Ich würdigte die Elende keiner Antwort; als ich nun sah, daß ich weit genug vom Hause entfernt war, um den Plan, den ich gesponnen, auszuführen, fand ich ein Mittel, die Kerze wie zufällig auszulöschen, und bat die Alte, hinzugehen, um sie wieder anzuzünden; sie willigte darein. Dann bin ich nach der Richtung gelaufen, wo wir gelandet waren. Und war noch nicht angelangt, als ich die Stimme mehrerer der Elenden, die mir nachgelaufen waren, hörte; die riefen, daß man ihnen nicht so leicht entschlüpfe, als ich mir einbildete. Solche Rede verdoppelte meinen Schrecken; ich nahm meine Zuflucht zu Allah und habe zu ihm gesagt: ›O Allah, du kennst die Geradheit meines Herzens, ich ziehe einen grausamen, aber tugendhaften Tod der Süße eines strafbaren Lebens vor!‹ Also sprechend, schloß ich die Augen, und da ich an einer etwas erhöhten Stelle war, stürzte ich mich in den Fluß. Du hast mich gehört und als Gottes Werkzeug gerettet. Ich werde niemals den Dienst vergessen, den du mir geleistet hast, und will vor dir immer die Ehrfurcht haben, die man vor seinem Vater hat!‹ Dann gab sie ihm einen Boetschalikteppich und reichte ihm hundert Dinare, indem sie erklärte, daß sie betrübt sei, ihm nicht mehr anbieten zu können. Dscherberi aber wollte sie nicht annehmen; um sie jedoch nicht zu beleidigen, nahm er den Boetschalik, sagte, er wäre zu glücklich, daß Allah ihn zu einer solch guten Tat ausersehen habe, und entfernte sich! – –‹

›Solches Vorgehen ist denn doch zu unwahrscheinlich von einem Lastträger,‹ sagte Hudschadsch darauf, ›du erzählst mir unglaubwürdige Geschichten!‹

›O mein Herr und Gebieter,‹ entgegnete Moradbak, ›ich bin nicht fähig, deine Erhabenheit zu täuschen; glaubst du denn, daß die Natur die Gefühle nach den Ständen verteilt? Was wird erst deine Erhabenheit sagen, wenn du die Empfindlichkeit eines berufsmäßigen Diebes erfährst!‹ ›Erzähle doch‹, sagte Hudschadsch und legte sich auf seinem Lager zurück.

›Was ich dir erzählen will,‹ fuhr Moradbak fort, ›ist in den glaubwürdigsten Geschichtsbüchern überliefert und läßt keinen Zweifel aufkommen!‹ ›Erzähle immerzu,‹ unterbrach sie Hudschadsch, ›was liegt daran, wo du es her hast!‹ Moradbak aber begann also:


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