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Die Geschichte des Kaufmanns aus Bagdad

Ein Kaufmann, der Handelsgeschäfte halber nach Indien reisen wollte, verkaufte all seine Habe und verließ sein Land mit dem Gelde, das er hatte zusammenbringen können. Nachdem er sich Allah empfohlen hatte, dessen treuer Diener er war, reiste er anfangs ziemlich glücklich, ohne daß ihm ein Unglück zustieß; aber schließlich, wenige Tagereisen vor Masulipatan, wurde er von Räubern überfallen, die ihm nichts ließen. So sah er sich denn in die bittere Notwendigkeit versetzt, sich mit Almosen bis nach der Stadt durchzubetteln.

Als er dort angekommen war, erkundigte er sich sorgfältig nach der Wohnung des reichsten Kaufmanns der Stadt und ging zu ihm. Er erzählte ihm sein Unglück und bat ihn um tausend Dinare. Der wollte wissen, ob er Pfänder bieten oder welche gute Sicherheit er ihm geben könnte. Der Kaufmann aus Bagdad aber antwortete ihm: ›Die Diebe haben mir nichts gelassen, aber du sollst mit meiner Sicherheit zufrieden sein; Allah haftet dir für alles, was du mir leihen wirst!‹ Den Kaufmann von Masulipatan rührte dieser Bescheid, und er streckte ihm tausend Dinare auf den einfachen Schuldschein hin vor, auf den allerdings geschrieben wurde, daß Allah für diese Summe bürge.

Der Kaufmann aus Bagdad reiste ab und zog aus dem geborgten Gelde so großen Nutzen, daß er sich am Jahresschlusse mit fünftausend Dinaren Verdienst in Ormus befand. Und er würde aufgebrochen sein, um den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen, deren Erfüllungsfrist vor der Türe stand; aber unglücklicherweise fiel sie in die schlechteste Jahreszeit, und er konnte keinen Schiffsherrn finden, der sich den Gefahren des Meeres aussetzen wollte, und wurde so traurig über solch widrigen Zufall, daß er vor Kummer erkrankte. Schließlich setzte er all sein Vertrauen in Allah, nahm ein Holzscheit, höhlte es aus und steckte die tausend Dinare und ebenso ein Schreiben an den Kaufmann in Masulipatan hinein, dessen Schuldner er war. Sehr sorgsam packte er das Stück Holz ein und warf es ins Meer, indem er sagte: ›O Allah, du bist mein Bürge; sorge bitte dafür, daß der dieses Geld empfängt, der es mir auf die Treue deines heiligen Namens geborgt hat!‹ Durch die Genugtuung, seine Pflichten erfüllt zu haben, erlangte er seine frühere Gesundheit wieder. Allah wollte seine Bitte wohl erfüllen, und am gleichen Tage segelte der Kaufmann aus Masulipatan zu seiner Belustigung in einem Boote auf dem Meere und erblickte ein Stück Holz, dessen Form ihm merkwürdig erschien. Einige seiner Sklaven wollten es fassen, aber es entwischte ihnen stets, endlich kam er selbst hinzu, und fischte es mit der größten Leichtigkeit auf. Und er war sehr erstaunt, als er seinen Namen auf der Hülle geschrieben sah; er prüfte es mit größerer Sorgfalt, öffnete es und fand das Geld und das Schreiben, das ihm keinen Zweifel ließ und ihm Allahs Macht und Güte offenbarte.

Als ein Witterungsumschlag eingetreten war und der Kaufmann fürchtete, Allah habe seine Bitte nicht erfüllt, nahm er die tausend Dinare mit, die er entlehnt hatte, und schickte sich an, seinen Gläubiger aufzusuchen. Sobald der ihn aber von weitem erblickte, rief er ihm zu: ›Dein Bürge hat mich befriedigt; hier ist dein Wechsel, ich habe ihn zerrissen; du bist deiner Schuld bei mir ledig; damit Allah befohlen. Danke ihm für alle Wohltaten, die du erhalten hast, indem du zu ihm flehst und ihm unaufhörlich dienst!‹

Jahia war ergriffen von dieser Geschichte und verdoppelte die Versicherungen seiner Zuneigung zu dem Scheich und seiner Dankbarkeit gegen Allah. ›Laß es genug sein!‹ sagte der Scheich mit einer gütigen Miene zu ihm. Dann ließ er eine große Anzahl königlicher Gewänder hereinbringen, und als man sie auf dem Ruhebette aufgehäuft hatte, sprach er zu Jahia: ›Ich mache dir alle diese Kleider zum Geschenk und alle meine Sklavinnen stehen dir zur Verfügung!‹ Ob dieser letzten Worte errötete der junge Muselmann. Um jedoch diese letzte Verwirrung zu zerstreuen, schenkte ihm der Scheich ein Glas seines Himmelsweines ein, und Jahia trank ihn, ohne zu wissen, was er tat. Als der Scheich nun endlich bemerkte, daß der Wein einige Verwirrung im Kopfe seines Gastes anzurichten begann, hieß er all seine Sklavinnen Musikgeräte nehmen, die ihnen jene süßesten Weisen entlockten, die für Liebeslieder bestimmt sind. Jahia wurde so sehr durch sie aufgeregt, daß er die Augen ein wenig aufzuschlagen und sich aller Vergnügen zu erfreuen begann, die ihm denen eines Sultans vergleichbar zu sein schienen. Indessen hatte er noch nicht genügend getrunken, um völlig frei von Besorgnis zu sein; und er wagte die schönen Sklavinnen nicht anzusehen, die ihre Tafel umringten. Der Scheich sah ihm beständig nach den Augen, erkannte leicht seine Gedanken und warf ihm seine Zurückhaltung vor; und ihn noch zum Trinken ermunternd, sagte er zu ihm: ›O mein Sohn, warum betrachtest du die Sklavinnen nicht? Sagte ich dir nicht, sie stehen dir zur Verfügung? Wähle dir die aus, die dir am besten zusagt, und ich will sie heute nacht zu dir geben!‹ In seiner Furcht, diese letzten Worte wären nur gesagt, um den Grund seiner Seele zu erforschen, warf sich Jahia dem Scheich zu Füßen und schwur ihm, daß er sich nicht des geringsten Verlangens nach den Frauen seiner Erhabenheit fähig fühle und sich der Ehrfurcht, die er ihm schulde, wohl bewußt sei. ›Was soll ich dir mehr sagen, o mein Sohn,‹ antwortete ihm der Greis, ›wähle, ich beschwöre dich; du kannst dir denken, daß mein Verlangen gänzlich erloschen ist und meine Sklavinnen infolgedessen für mich nutzlos sind: mit einem Worte, alles, so ich mir von Gott wünsche, ist, dich mit Kindern zu sehen, die ich mehr lieben will als du selber.‹

Jahia fügte sich seinem inständigen Zureden, sah die Sklavinnen an und wählte sich eine von ihnen aus. Aber um bei seinen Pflichten nichts außer acht zu lassen, warf er sich dem Scheich abermals zu Füßen und sprach zu ihm: ›Ich hatte wahrlich nicht das geringste Verlangen nach den Frauen deiner Erhabenheit; aber da du nun durchaus darauf bestehst, erwähle ich die, die mir zur Seite steht.‹ Der Scheich antwortete ihm mit der zufriedensten Miene der Welt: ›Ich danke Gott, daß du so wohl gewählt, und sehe auch, du hast ein gutes Urteil, du kannst sie als ein Geschenk Allahs und als eine Tat seiner Güte ansehen; jede andere Wahl würde mir kein so großes Vergnügen bereitet haben, denn sie ist Zirkassierin. Komm näher, Meimune, komme näher‹, sagte er zu ihr, und sie bei der Hand nehmend, gab er sie Jahia mit fünftausend Golddinaren, die er in einer Schale herbeitragen ließ, und sprach weiter: ›Dieweil du mir in dieser Nacht Gesellschaft geleistet hast, mache ich dir diese Geschenke. Sieh mich immer als deinen Vater an; verlasse mich nie mehr, und alle meine Gebete sind in Erfüllung gegangen. Und ich will morgen den Kadi von Skutari zu mir bitten lassen, um dir in seinem Beisein eine Schenkung aller meiner Güter auszustellen, von deren Unermeßlichkeit du dir keinen Begriff machen kannst; und was mich angeht, so will ich, froh, mit dir leben zu können, mir in meiner Zurückgezogenheit nur den Dienst Allahs angelegen sein lassen!‹ Solche Worte ließen auch nicht mehr die geringste Unruhe in Jahias Gemüte aufkommen. Und alle diese Güte als einen deutlichen Beweis der Liebe Allahs ansehend, sprach er zum Scheich: ›Wenn ich tausend Jahre dir zu Diensten leben würde, o mein Herr und mein Vater, so genügte das noch nicht, um dir ob deiner Wohltaten danken zu können. Sei wahrlich versichert, ich will dir bis zum letzten Atemzuge völlig Untertan sein!‹ Und einer machte dem andern Freundschaftsschwüre und Beteuerungen, die sie, trinkend, einen guten Teil der Nacht beschäftigten. Endlich konnte sich Jahia nicht mehr aufrecht halten, und der Scheich gab Auftrag, daß man einen gestickten Vorhang vor eins der Ruhebetten hängen, goldene und seidene Pfühle herbeibringen und ein silbernes Bett aufstellen sollte. Als man allen seinen Befehlen mit unglaublicher Pünktlichkeit nachgekommen war, sprach der Scheich zu ihm: ›O mein Sohn, ich wünsche, daß du dich mit deiner Frau zu Bette legst; seine Kinder verheiraten, ist eine der größten Freuden des Alters; beide gehört ihr mir an, und so habe ich denn in diesem Augenblicke das Vergnügen, euch zu vereinen!‹ Jahia widerstand nicht, sie lagen bald darauf im Bette, und der Alte ging aus dem Zimmer.

Kaum hatte er sich so weit entfernt, daß er nichts mehr hören konnte, als die schöne Sklavin mit einem Seufzer zu Jahia sagte: ›O junger Mann, du hast nicht mehr lange zu leben, denke an deine Rettung!‹ Diese Worte kühlten Jahias Blut völlig ab. Er zitterte an allen seinen Gliedern; indessen drang er in Meimune, ihm das Rätsel zu lösen. ›Ich nehme teil an deinem Lose‹, sprach sie zu ihm, ›und fühle Liebe zu dir, und diese Liebe verdoppelt noch das Grausen, das mir stets die Verbrechen eingeflößt haben, die hier täglich begangen werden. Versprichst du mir,‹ fuhr sie fort, ›mich mit dir zu nehmen und mich niemals von dir zu stoßen, wenn ich dich aus der Gefahr befreie, in der du schwebst?‹ Jahia versprach alles, was sie wollte, und bekräftigte sein Versprechen durch die heiligsten Schwüre. Und als die Sklavin seiner ganz sicher war, redete sie weiter: ›Du sollst das Übermaß von Verbrechen und Schlechtigkeit kennenlernen; beide vereinigen sich in diesem Greise; doch wenn du dir dein Leben erhalten willst, mußt du alle meine Vorschriften genau befolgen. Der Scheich wird zurückkommen, und so oft er dich anrufen sollte, antworte ihm niemals. Er wird mich beauftragen, dich zu wecken, scheinbar werde ich ihm gehorchen, verhalte dich still, bleibe im Bett, und du sollst Zeuge von allem sein, was vorgehen wird.‹ Jahia versprach ihr, ohne Bedenken alle ihre Befehle ausführen und ihrem Rate folgen zu wollen.

Einige Zeit darauf kam der Scheich hinter einen der Vorhänge und rief Jahia an, der aber antwortete nicht. Und er sagte zu Meimune, sie solle ihn aufwecken, doch sie versicherte, alle ihre Bemühungen seien nutzlos; ›du hast die Stricke zu seiner Fesselung bei dir auf dem Ruhebette,‹ sprach er zu ihr, ›denke daran, daß ich um so mehr Vorsicht zu beobachten habe, als ich sozusagen der einzige Mann in meinem Hause bin; und ich habe gegenwärtig fünfzehn Gefangene. Was würde aus mir, wenn man sie befreite? Hüte ihn also mit Sorgfalt und denke daran, daß es sich um dein Leben handelt!‹ Nach solchen Worten kehrte er in sein Gemach zurück.

Jahia kostete indessen alle Augenblicke der Angst aus, und als Meimune kein Geräusch mehr im Hause vernahm, sagte sie zu ihm: ›Stehe nun auf, ich will dir jetzt zeigen, wohin dich dein Unglück bringen konnte!‹ Er gehorchte ihr; sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn eine kleine Treppe hinunter, und als sie unten waren, ließ sie ihn durch einen Spalt sehen, der dort in der Mauer war. Er erblickte ein sehr finsteres Gefängnis, das vierzehn Gefangene verschiedenen Alters barg, die alle mit Ketten beladen waren, die ihnen um Hals und Hände und Füße hingen. In diesem Augenblicke trat der junge Mann, der dem Scheich die Laterne vorantrug, als ihm Jahia begegnet war, in das Gefängnis. Die Gefangenen aber schrien bei seinem Anblicke: ›Warum läßt man uns an diesem Orte des Schreckens leiden? Der Scheich hat uns betrogen, als er uns fünftausend Dinare gab und uns seiner Sklavinnen eine erwählen ließ, und hat uns all unsere Habe genommen und uns in Ketten gelegt; laß uns sofort sterben,‹ fuhren sie fort, ›der Tod macht wenigstens allen unsern Leiden ein Ende!‹ Der junge Mann aber antwortete ihnen: ›Ihr tragt die Ketten nur, bis ihr Reue über eure Fehler und Liebe zum frommen Leben gezeigt habt; der Scheich hat euch nur Wein zum Trinken vorgesetzt, um euch zu prüfen. Und das nicht allein, er hat euch auch noch Frauen angeboten, und ihr habt sie mißbrauchen wollen. Zur Strafe für solch entsetzliche Vergehen liegt ihr in Eisen; ich kann nur jede Nacht einen freimachen, seid also ruhig; ihr werdet schon an die Reihe kommen‹, sagte er zu den andern. Hierauf nahm er einen und führte ihn fort.

Meimune sprach zu Jahia, den alles, was er sah, in große Besorgnis setzte: ›Der Scheich kommt in das Zimmer zurück, in dem wir waren; wir müssen es schleunigst wieder aufsuchen.‹ Jahia ließ sich führen, und sie legten sich wieder zu Bett; einige Augenblicke später sah er den Scheich tatsächlich wieder eintreten; er war nun im Nachtkleide und bereit, zur Ruhe zu gehen, und sprach zu Meimune mit schrecklicher Stimme: ›Nun ist es Zeit, den, der bei dir schläft, ins Gefängnis zu bringen.‹ Sie antwortete ihm, er könne sich auf sie verlassen, sie würde ihre Schuldigkeit tun. Der Scheich rief nun seinen jungen Diener und hieß ihn eintreten, was er auch alsogleich tat. Er erschien mit einem Schurzfell und großen Messern, die an seinem Gürtel hingen, und führte den Gefangenen mit sich, den er soeben aus dem Kerker geholt hatte, nachdem er ihm vorsichtshalber einen Knebel angelegt hatte, um ihn am Schreien zu verhindern.

Auf des Scheichs Befehl entblößte er ihn bis zum Gürtel; dann versetzte er ihm einen Dolchstich, der ihn vom Nabel bis zur Kehle aufschlitzte, und riß ihm das Herz heraus, schnitt es in zwei Teile und reichte es seinem Gebieter dar. Er säuberte und wusch dann den Platz auf, ehe er den Körper hinwegschaffte. Währenddem hatte der Scheich das Herz des unglücklichen Muselmanns genommen, trocknete es mit einem Schwamme ab und verschlang es ganz und gar; er sagte dann noch zu Meimune: ›Habe acht auf Jahia, du haftest mir mit deinem Kopfe dafür, daß er dir nicht entwischt!‹ Kaum hatte er solche Worte beendigt, als er ganz fest eingeschlafen auf das Ruhebett fiel.

Als Jahia merkte, daß der Scheich nichts mehr vernehmen konnte, fiel er Meimune zu Füßen und beschwor sie, zu vollenden, was sie so wohl begonnen hatte, und ihm das Leben zu retten, indem sie ihm die versprochene Freiheit gäbe. Meimune wollte ihn prüfen und antwortete: ›Ich habe dir deine Befreiung versprochen, doch ich werde mich der Wut und der Rache des Scheichs nicht entziehen können. Die Höhe der Mauern und die Anlage des Hauses machen meine Flucht beinahe unmöglich!‹ ›Ich will nur mit dir frei sein,‹ sagte Jahia mit Lebhaftigkeit dawider, ›und will lieber sterben, als mich von dir trennen!‹ ›Weil du so edle und zärtliche Gefühle für mich an den Tag legst,‹ erwiderte ihm die schöne Sklavin, ›so will ich dich nicht verlassen und dich befreien oder mit dir sterben!‹ Diese süße Versicherung gab Jahias Hoffnung neuen Mut. Meimune kleidete sich alsogleich an, und er tat desgleichen; dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in ein Zimmer, öffnete dessen Fenster und sprach zu ihm: ›Die Zweige dieses Granatapfelbaumes sollen uns helfen, in den Garten zu kommen. Ich will den Schlüssel zu einer kleinen Pforte holen, die sich dort befindet; bleibe hier, ich werde nicht lange auf mich warten lassen, und du kannst dich darauf verlassen bei der Liebe, die ich für dich fühle!‹

Als sich Jahia allein befand, versank er in ein Meer von Gedanken. Die Furcht vor allem, was sich zutragen konnte, wenn Meimune es nicht gut meinte, die Gefühle, die ihn an sie fesselten, und das grausige Schauspiel, dessen Zeuge er gewesen war, erregten ihn fortwährend. Jedoch am meisten betrübte es ihn, keine Waffen da zu haben, um sich im Falle der Gefahr verteidigen zu können. Endlich erschien die schöne Sklavin mit zwei Bündeln unter dem Arme wieder; sie reichte ihm die Hand, um ihm beim Hinaussteigen aus dem Fenster behilflich zu sein, gab ihm dann die beiden Bündel hinab und sagte ihm, er solle noch einige Augenblicke unten am Baume warten. Es dauerte nicht lange, als er ein Geräusch hörte und den Baum sich bewegen sah, und bald wurde er durch die Stimme seiner süßen Meimune beruhigt, die ihm zuflüsterte: ›Laß uns fliehen, o mein lieber Jahia, wir haben keine Zeit zu verlieren.‹ Sie öffneten die kleine Gartentüre und kamen glücklich hinaus; Jahia aber war mit zwei Bündeln beladen, und Meimune trug ein kleines Kästchen.

Sie kamen ohne Hindernis in Mohammeds Haus, der seine Freunde noch nicht verlassen hatte, klopften an das Tor, eine alte Sklavin öffnete ihnen; sie traten nun in das Fremdengemach ein, wo Jahia Allah dankte, ihn aus einer solch großen Gefahr gerettet zu haben. Und er gab sich einer unbändigen Freude hin und bezeigte Meimune all seine Dankbarkeit; das schöne Mädchen aber war traurig und seufzte unaufhörlich. ›Was hast du denn?‹ sprach er zu ihr, ›o Seele meiner Gedanken, was können wir uns noch wünschen, liegt nicht alle Gefahr hinter uns?‹ ›O mein lieber Jahia,‹ entgegnete sie ihm, ›ich hätte dich für verständiger gehalten; kannst du in nächster Nähe eines so schlimmen Menschen, wie es der Scheich ist, so vollständig ruhig sein? Denke doch, daß zu seinen ungeheuren Reichtümern noch das Ansehen kommt, das ihm sein Ruf als Heiliger einbringt; beides wird er aufwenden, um unser wieder habhaft zu werden, und dann sind wir rettungslos verloren. Er schläft augenblicklich, aber wenn er uns beim Erwachen nicht mehr vorfindet, wird er dich beim Kadi verklagen, weil du Wein getragen hast; und diese Anklage allein genügt zu deiner Bestrafung. Was mich angeht, so wird er mich als seine Sklavin zurückfordern; mit einem Worte, alles ist uns gewärtig, was seine grausame Einbildungskraft in der Wut, Verzweiflung und Gefahr, der ihn unsere Flucht aussetzt, ersinnen kann. Laß uns doch vor seiner Wut schützen und uns nach Konstantinopel reisen, ehe es tagt, eine andere Rettung gibt es nicht für uns!‹ Während dieses Zwiegespräches traf Mohammed ein, seine erste Sorge war, die alte Sklavin nach dem Ergehen seines Freundes Jahia zu fragen. Die antwortete ihm, daß er im Fremdengemach wäre. Mohammed wollte ihn nicht stören und legte sich schlafen.

Meimune setzte indessen ihre inständigen Bitten fort, Jahia zum Aufbruch nach Konstantinopel zu bewegen. Er aber sprach zu ihr: ›Wenn das von mir abhinge, o du strahlender Mond der Erde, würde ich alsogleich über das Meer fahren und wollte noch ganz andere Dinge tun, um dich zufriedenzustellen. Aber es ist unmöglich; alle Boote sind aufs Land gezogen, alle Stadttore geschlossen; und damit noch nicht genug: wenn der Bostanschi Bachi, der die Nacht über Wache hält, ein Schiff auf dem Meere sieht, ehe der Tag angebrochen ist, weißt du nicht, daß er es dann erbarmungslos in den Grund bohren würde? Warte doch einige Zeit, ruhe dich aus; der Tag kann nicht mehr fern sein; und glaube nicht, daß ich ruhig bin, wenn ich dich in Sorgen sehe!‹ Solche Worte bestimmten Meimune, ein wenig Geduld zu haben, und Jahia benutzte diese Zeit, um sie zu fragen, zu welchem Zwecke der Scheich so die Herzen derer vertilge, die er hatte töten lassen.

›Während des Verlaufs der drei Jahre, die ich bei ihm zubrachte,‹ erzählte sie ihm, ›habe ich alle Tage das gleiche Schauspiel vor sich gehen sehen; die großen Reichtümer, die er besitzt, bestehen aus allem, was er denen abgenommen hat, die er an sich lockte, um an ihnen die Grausamkeit zu vollziehen, die deine Augen erblickt haben. Eine Krankheit, die er ehedem gehabt hat, hindert ihn, auf andere Weise der Ruhe zu genießen: das Herz eines Menschen allein kann die Erregung seines Gemütes dämpfen!‹

Meimune befriedigte so seine Neugierde und war doch aufmerksam genug, um den ersten Hahnenschrei zu vernehmen. Alsobald erhob sie sich, nahm ihr kleines Kästchen und machte sich zur Abreise fertig; so wurde Jahia denn genötigt, die anderen Bündel zu nehmen und ihr zu folgen.

Sie gingen fort, ohne Mohammed einen Bescheid zu geben, und befanden sich bald am Meeresstrande. Da sie jedoch kein Schiff antrafen, mußten sie wohl oder übel einige Zeit am Ufer entlang wandern. Sie bemerkten endlich das Licht eines Fischers, und Jahia beschwor ihn mit kläglicher Stimme, ans Land zu rudern. Der Fischer war erstaunt, jemanden zu einer Zeit rufen zu hören, in der sonst noch kein Mensch auf war, und wurde von Furcht gepackt und zweifelte keinen Augenblick, daß ein Geist zu ihm spräche. Alsbald verlegte er sich aufs Beten, Jahia aber war durch Meimunes Eifer, sich einzuschiffen, beredsam geworden und setzte ihm so gut zu, indem er ihm versprach, alle seine Forderungen bezahlen zu wollen, daß der Alte sie in sein Boot aufnahm. Zuerst holte Meimune einen Dinar aus ihrem Kästchen hervor und gab ihm den; sie bestimmten ihn, seinen Fischfang scheinbar fortzusetzen und sich dabei immer mehr Konstantinopel zu nähern, wo sie im Augenblicke landeten, als man zum Morgengebet rief. Jahia schlug nunmehr völlig zufrieden und beruhigt den Weg nach seinem Hause ein und fand seine Mutter, die ihnen die Türe öffnete, schon aufgestanden vor, höchst erfreut, ihren Sohn wiederzuhaben, und zufrieden, ihn mit einem Weibe zu sehen; denn er brachte gewöhnlich nur junge Leute aus seiner Freundschaft mit; sie ruhten sich einen Teil des Tages aus, aßen dann, was ihnen Jahias gute Mutter zubereitete, und prüften den Inhalt der Bündel und des Kästchens. Die einen enthielten Meimunes kostbare Kleider, das andere das Geld, das sie im Dienste des Scheichs hatte ansammeln können, denn sie war seine Schatzmeisterin gewesen. Als Jahia aber, mehr noch von ihrer Schönheit geblendet, im Entzücken seiner Liebe seinen brennenden Herzenswunsch, sich niemals von ihr zu trennen, sondern sie zu heiraten, ihr bekundet hatte, sprach sie zu ihm voller Innigkeit: ›Du bist nicht klug, o mein lieber Jahia, und die Vernunft hat wenig Macht über dich. Noch sind wir der Gefahr nicht entronnen, und du willst mich heiraten? Solange der Scheich, der grausamste und gefährlichste aller Menschen, noch einen Atemzug tut, werde ich niemals dein Verlangen erfüllen!‹ Jahia fühlte die lebhafteste Zuneigung zu ihr und war ob ihrer Weigerung betreten und sprach zu ihr: ›Mein ganzes Leben lang werde ich unglücklich sein; denn schließlich kann nur Allah allein die Welt von einem so schlechten Menschen befreien, dessen Macht mich zittern läßt. Indessen kann er uns, meiner Meinung nach, unmöglich in dem abgelegenen Viertel, in dem wir wohnen, entdecken. Warum setzest du meinem Glücke ein so unerreichbares Ziel entgegen? Könnte ich nichts zu unserer Rache unternehmen? Sprich; um dich zu beruhigen, bin ich zu allem fähig.‹ Meimune nahm alsdann das Wort und sagte: ›Und wenn wir in der Erdesmitte wären, würde uns der Scheich doch auffinden, um uns seiner Wut zu opfern; denke nur daran, was die Rache eines entlarvten Gleisners nicht alles zu tun vermag. Ich für mein Teil – solches gestehe ich dir – werde nicht einen Augenblick Ruhe haben, solange ich dich einer so großen Gefahr ausgesetzt sehe. Wenn du mir indessen folgen willst, werden wir uns in dieser grausamen Unruhe vielleicht doch noch trösten können und ruhig leben, ohne andere Aufregungen als die, die uns etwa die Liebe verursacht.‹ ›Niemals sollst du mich blicken, o Sonne meines Lebens,‹ erwiderte Jahia leidenschaftlich darauf, ›wenn ich nicht alle deine Befehle genau ausführe!‹ ›Ich beruhige mich bei dieser Antwort‹, entgegnete ihm Meimune; ›du mußt Mittel und Wege finden, deinen Freund Mohammed zu benachrichtigen, daß er kommen soll, um mit uns zu sprechen.‹ Jahia erbot sich, ihn zu holen, seine Geliebte aber legte ihm klar, wie unangebracht solch eine unnütze Kühnheit in ihrer Lage sei. ›Das läßt mich an die Verse des Persers Dschelaledin Rumi denken,‹ fügte sie hinzu, ›die besagen, daß ein Kamel, das auf ein Minarett stieg, ausrief: Hier bin ich geborgen, niemand wird meine Zufluchtsstätte entdecken!‹ Um nun diesen Gedanken gänzlich aus seinem Kopfe zu entfernen, erinnerte sie ihn daran, daß er ihr versprochen habe, all ihre Befehle auszuführen. Darauf schrieb er an seinen Freund, der sich bald darauf einstellte. Die verschleierte Meimune nötigte ihn auf ein Ruhebett und erzählte ihm von der Gefahr, der sein Freund entronnen war. Er rief in einem fort aus: ›Heiliger Prophet, wie gibt es Allah zu, daß sich solch große Treulosigkeiten unter der Sonne ereignen können!‹ Als sie am Ende ihrer Geschichte den Scheich Ebulkiar nannte und ihn als den Urheber so vieler Grausamkeiten bezeichnete, konnte sie ihn nicht davon überzeugen. ›Wie kannst du behaupten,‹ rief er aus, ›daß ein Mann, der seine fünf Gebete hält, der den Armen schenkt, das Innehalten des Gesetzes predigt, mehr noch durch ein beständiges Beispiel als durch die Erklärungen, die er unaufhörlich über den heiligen Koran gibt, der endlich für einen der größten Schützlinge des heiligen Propheten gilt, solche Verbrechen begehen kann!‹ ›Ich weiß nicht,‹ fiel Jahia ein, ›ob dieser Greis der Scheich ist und ob der, den du meinst, derselbe ist, von dem Meimune spricht, denn ich habe ihn nur einmal gesehen!‹ ›Wie kann man daran zweifeln!‹ sagte Meimune etwas ungeduldig. ›Ich bin drei Jahre lang seine Sklavin, und jeden Tag sind meine Augen Zeuge einer neuen Grausamkeit gewesen!‹ ›Wahrlich,‹ unterbrach Mohammed sie, ›ein ungläubiger Geist wird deine Augen bezaubert haben, um dem Rufe des heiligsten Menschen unserer Tage Eintrag zu tun.‹ ›Ob er Scheich ist oder nicht,‹ erwiderte ihm hitzig die süße Meimune, ›es gibt einen solchen Menschen, der derartige Verbrechen begeht und deinem Freunde das Leben gefährdet. Wie kannst du einen Augenblick schwanken? Sind nicht Gott und Freundschaft fähig, dich zu rühren?‹ ›Ich will alles prüfen‹, sagte Mohammed dawider, ›und das Benehmen des Scheichs beobachten; ohne aber ganz überzeugt zu sein, werde ich meine Hände nicht mit dem Blute des Gottesfreundes beflecken!‹ Meimune sah, daß sie nichts weiter erreichen und die Freundschaft in Mohammeds Gemüt nicht Oberhand über die Eindrücke der Gleisnerei gewinnen konnte, und rief laut aufschreiend: ›Versprich uns wenigstens und schwöre es auf den heiligen Koran, daß du unser Geheimnis bewahren willst; der, der Jahia mehr liebt, wird ihn befreien!‹ Mohammed gab sein Wort und kehrte nach Skutari zurück. Am folgenden Morgen aber ging Meimune in ihrem Kappenmantel aus und begab sich nach einem Gewölbe im Schneiderviertel und suchte ein vollständiges Ikoglan-Gewand aus; und nachdem sie es erstanden hatte, verbarg sie es mit einigen andern Einkäufen unter ihrem Mantel. Während der zwei oder drei folgenden Tage war ihr Herz beklommen und ihr Gemüt errregt; sie antwortete selbst auf Jahias inständige Bitten und Liebkosungen nur mit Rührung, und die niedergeschlagene Miene, mit der sie ihre Weigerungen begleitete, brachten ihren Geliebten schier an den Rand der Verzweiflung. Als sie die Sache endlich für notwendig hielt, ging sie zwischen dem zweiten und dritten Gebete aus. Wie nun Jahia sie, sogar als die Nacht hereinbrach, nicht zurückkehren sah, überkam ihn die grausamste Unruhe. Seine Mutter aber sprach zu ihm, als sie den Zustand sah, in dem er sich befand: ›Was hast du denn, mein Sohn?‹ ›Wehe, o Mutter,‹ sagte Jahia dawider, ›Meimune kommt nicht zurück!‹ ›Es schickt sich nicht für eine Frau, einem Manne Ratschläge zu geben‹ entgegnete die, ›doch wenn du dieses liebenswerte Mädchen verloren hast, so verdientest du es wahrlich. Frauen wollen nicht mit so viel Milde behandelt sein, sie mißbrauchen immer die Aufmerksamkeit, die man ihnen schenkt, und vor allem auch die Freiheit, die man ihnen einräumt. Ich müßte mich sehr irren,‹ fuhr sie fort, ›wenn du Meimune jemals wiedersiehst.‹ ›Ach, o Mutter,‹ unterbrach sie Jahia, ›sie gleicht ja den anderen Frauen nicht; ihr Herz ist klarer denn Morgentau!‹ ›Ich will es wünschen,‹ antwortete sie ihm, ›denn du liebst sie; sie hat dir die gleichen Gefühle geschworen. Wer hinderte sie daran, sie dir zu beweisen oder dich zu heiraten, wie du es ihr so oft vorgeschlagen hast? Warum wurde ihre Miene immer ernster und bedrückter? Warum hat sie gestern so geheimnisvoll ein Männergewand, einen langen Dolch und andere Sachen mitgebracht, die ich unter dem Ruhebette verborgen vorfand und die heute nicht mehr da sind? Sei versichert, o mein Sohn, sie hat zuviel Verstand, als daß sie etwas ohne Grund täte!‹ ›Ach, o Mutter,‹ unterbrach Jahia seinerseits, ›ich bin verloren, ich bebe. Meimune wird zweifelsohne ...‹ und wagte nicht weiter zu reden, aus Furcht, er könne sein Geheimnis verraten. Alsbald küßte er trotz seiner Verwirrung und seines Aufgeregtseins der Mutter die Hand, nahm seinen Säbel und ging fort. Einen Augenblick später – und er würde kein Boot mehr angetroffen haben, um nach Skutari segeln zu können. Und in der Tat, er kam dort an, als der Tag zur Neige ging, setzte sich an das Meeresufer, und nur an seine Liebe denkend, beschloß er, ohne die geringste Hilfe von einem, noch dazu so voreingenommenen Freunde wie Mohammed erbitten zu wollen, den Scheich auf seinem Wege aufzulauern und ihn trotz der beiden Sklaven, die ihn gewöhnlich begleiteten, anzugreifen; der Kummer, die Unruhe und die Besorgnis, die dieser Grausame seiner süßen Meimune hatte bereiten können, sein verzögertes Glück, das Leben seiner Geliebten, die er unaufhörlich der grausamsten Rache ausgesetzt sah, genügten, um ihn in seinem Beschluß zu bestärken. Die Hoffnung jedoch, die er in Allah setzte, und das Gebet, das er zu ihm hinaufsandte, nahmen ihm jede Besorgnis und ließen ihn in dem Opfer eines Scheusals von Grausamkeit eine dem heiligen Propheten wohlgefällige Handlung sehen. Solche Gedanken beschäftigten ihn bis zur Stunde des letzten Gebetes. Als sie gekommen war, ging er in die Straße, wo er dem Scheich begegnet war, und sah, daß dieser ihn bereits überholt hatte und mit einem jungen Manne umkehrte, den er wahrlich für ein Opfer hielt, das er mit sich führte: dieser aber schien ziemlich stattlich zu sein. Und er war über die Maßen erstaunt ob ihrer merkwürdigen Eile, wagte aber nicht, hinter ihnen herzugehen, zumal er noch in den Straßen und in den Nachbarhäusern sprechen und gehen hörte. Indessen folgte er ihnen auf gut Glück und traf auf den Sklaven, der hinter ihnen herging, auf dem Friedhofe, den sie notgedrungen durchqueren mußten. Und er nutzte eine Wegkrümmung aus und versetzte ihm einen solchen Säbelhieb, daß sein Kopf im Bogen davonflog, ohne daß er noch einen einzigen Laut hatte von sich geben können. Sofort nahm er seine Ledermütze vom Boden und setzte sie statt seines Turbans auf und traf in dem Augenblicke auf den Scheich, als man ihm das Tor öffnete, nachdem er wie gewöhnlich gesagt hatte: ›Öffne, ich bins.‹ Ohne ein Wort zu reden und ohne erkannt zu werden, folgte ihm Jahia und benutzte die Dunkelheit, um den Eintrittsraum zu durchschreiten und sich in einer Hofecke zu verstecken, fest entschlossen, alles zu wagen und über den Scheich herzufallen, nachdem er seine Sklaven einzeln angegriffen hatte. Er hörte die Zubereitungen des Mahles; verfolgte dessen ganzen Verlauf, sah die Geschenke heranbringen, unterschied die Stimmen und die Musikgeräte, die die Sklavinnen spielten; und den Schlaf des Scheichs für den günstigsten Augenblick haltend, erwartete er mit der lebhaftesten Ungeduld den Ausgang eines solchen Abenteuers. Endlich ließ man den jungen Mann sich mit der Sklavin, die er erwählt hatte, zu Bette legen; und kurze Zeit darauf hörte er den durchdringenden Schrei einer Frau, die um Hilfe rief. Und er unterschied des Scheichs Stimme, der seinen Sklaven rief und ihm seine Waffen herbeibringen hieß. Inmitten dieses Aufruhrs glaubte er die Stimme seiner lieben Meimune zu vernehmen. Nichts vermochte ihn nun noch zurückzuhalten; und er stieg die kleine Treppe hinan, die ihn ehedem zu dem Gefängnisse geführt hatte, stemmte sich mit solcher Wucht gegen die Tür, daß sie nachgab, und stand in dem Augenblicke vor dem Scheich, als er sich auf einen daliegenden Menschen stürzen wollte, um ihm einen Dolch zu entwinden, mit dem er bewaffnet war, während eine Frau im selben Bette in ihrem Blute gebadet zu liegen schien. ›Du sollst sterben, o Unselige,‹ rief der Scheich aus, ›ich will mich des wohligen Rachegefühles freuen.‹ ›Die Liebe und Gerechtigkeit, die mich hergeleitet haben, verdienten glücklicher zu sein‹, entgegnete darauf Meimune mit ihrer natürlichen Stimme; ›ich habe meine Pflicht getan, tue du nun deine!‹ Jahia ließ ihm aber keine Zeit dazu; voll der Empfindung, welche die um das Liebste besorgte Liebe erzeugt, nahm er den Säbel zur Hand, faßte den Scheich am Barte und durchbohrte ihn mehrere Male. Im Augenblicke, als sein Lieblingssklave gemäß seiner scheußlichen Gewohnheit einen Gefangenen als Opfer herbeibrachte, stürzte Jahia auf ihn zu und bestrafte ihn trotz aller Messer, mit denen er bewaffnet war, für seine Verbrechen. Dann warf er sich Meimune zu Füßen; aber er hatte viel Mühe, sie wiederzuerkennen, so viel Farbe hatte sie ihrem Gesichte aufgetragen, um sich unkenntlich zu machen. Sie in solchem Zustande sehen und im Hause des Scheichs finden, ließ ihn alles erkennen, was sie in ihrer Zärtlichkeit und in ihrem Edelmute getan hatte. Und wirklich, es war Meimune selbst, die in Männerkleidung dem Scheich in den Weg getreten war und die er zum Mahle mit sich nahm. Als Jahia Meimune seine Dankbarkeit und Liebe beweisen wollte, sprach sie also zu ihm: ,Wir dürfen uns jetzt noch nicht der Freude überlassen; was würde uns bevorstehen, wenn man uns an diesem Orte des Schreckens fände? Wie wollten wir den Kasi von unserer Unschuld überzeugen, wenn er uns hier überraschte? Ich habe diese Unglückliche getötet,‹ fuhr sie fort, ›weil sie mir das schurkische Vorhaben des Scheichs nicht offenbart hat und ihr Tod für die Sicherheit deines und meines Lebens notwendig war!‹ Jahia durchschnitt die Fesseln des unglücklichen Gefangenen, der auf das schreckliche Los, das seiner wartete, vorbereitet war; der aber umarmte tausendmal die Knie seines Befreiers. Sie stiegen gemeinsam in das Gefängnis, um den übrigen Muselmännern, die der Scheich für seine grausamen Mahlzeiten ausersehen hatte, die Freiheit zu geben. Währenddem zog Meimune wieder ihr Gewand an; ein Korkstück, das sie in ihre Schuhe gesteckt, hatte sie größer erscheinen lassen, der Kleiderwechsel, die Farbe, die sie ihrem Gesichte aufgelegt, und die Sorgfalt, mit der sie ihre Stimme verstellt hatte, bewiesen Jahia genugsam, wie es möglich gewesen war, selbst den Scheich zu täuschen.

Meimune ließ alle Gefangenen vor sich kommen und sagte ihnen, sie sollten beginnen, alles wieder an sich zu nehmen, was ihnen gehört und der Scheich ihnen entwendet hätte. Und sie gab allen jungen Sklavinnen die Freiheit; darauf machte sie mehrere Bündel aus Silbersachen, Kostbarkeiten und Edelsteinen. Doch das Haus steckte so voller Reichtümer, daß sie, nachdem sie alles genommen hatten, was sie forttragen konnten, nachdem sie den Sklavinnen und Gefangenen alles Mitnehmenswerte geschenkt hatten, noch eine verschwenderische Fülle von sehr köstlichen Sachen zurücklassen mußten. Meimune ließ die Leichname des Scheichs und der beiden Sklaven in denselben Brunnen werfen, der gewöhnlich als Grab für alle guten und gläubigen Muselmänner gedient hatte, die alle Tage und seit so langer Zeit auf seinen Befehl umgekommen waren; während sie solches taten, brach der Tag an. Dann gingen sie von diesem Orte des Schreckens und Greuels fort und machten die Türe zu und trennten sich. Jahia wollte Mohammed nicht aufsuchen, da er ihm die Schwäche seiner Freundschaft und seine Voreingenommenheit für die Gleisnerei hätte vorwerfen müssen.

Ohne ein Mißgeschick kam das zärtliche Liebespaar nach Konstantinopel. Jahia beschwor Meimune, sein Glück zu machen und ihm für immer anzugehören. Sie antwortete ihm: ›Ich willige nun mit meinem ganzen Herzen darein, o mein lieber Jahia, wir wollen ein Mahl geben und den Imam einladen und uns nach dem Willen des Propheten verheiraten.‹

Die Hochzeit fand am folgenden Freitage in einer Weise statt, die Jahias alten äußeren Umständen angemessen war. Denn er wollte seinen Beruf nicht aufgeben; doch steckte er vorteilhafterweise das Geld, das ihm Meimune zugebracht und das er selber vom Scheich genommen hatte, in sein Geschäft. So verbrachten sie ganz nach ihrem Behagen und ohne über ihren ersten Stand hinaus zu wollen, ein friedliches Dasein und lebten glücklich. – –«

Kaum hatte Moradbak mit Sprechen aufgehört, als der König, der mehr noch von ihrer Schönheit und ihrem Verdienste als von ihren Geschichten entzückt zu werden begann, und mehr Freude, sie zu sehen als zu hören hatte, zu ihr sagte, daß er allmählich die Ruhe in sein Herz einziehen fühle. »Unzweifelhaft sind es nicht deine Geschichten, « fügte er hinzu, »denen ich die Ruhe verdanke, derer ich froh zu werden beginne. Denn, was du mir eben erzählt hast, hat mich unwillig gemacht. Niemals will ich Scheichs in meinem Lande dulden, oder zum wenigsten wünsche ich, daß man jeden, dem man nachts auf der Straße begegnet, für ein Jahr ins Gefängnis stecken soll; doch welchen Genuß hatte dieser elende Giaur davon, Menschenherzen zu essen? Um all der schwarzen Gedanken ledig zu werden, die mir deine Geschichte eingeflößt und einzig deine Gegenwart milder gestimmt hat, wünsche ich, daß du mir morgen eine weniger ernste Geschichte als die bisherigen, und hauptsächlich als die letzte, erzählst!« »Ich werde die Ehre haben, dir morgen die Geschichte von dem Korbe zu erzählen«, entgegnete ihm Moradbak, indem sie sich zurückzog. »Mag es die vom Korbe sein«, entgegnete Hudschadsch; und folgenden Tages begann sie solche Geschichte:


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