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Verschiedene Erzählungen von dem Großmute des Araberfürsten Hatem-Tai

Hatem-Tai wurde für so freigebig gehalten, daß die mächtigsten Fürsten auf seinen großen Ruf eifersüchtig waren. Der Sultan von Damaskus wollte es selbst erfahren, ob es auf Wahrheit beruhe, was man über den Ruhm des Arabers sprach. Und er ließ einen seiner ersten Würdenträger, mit Geschenken für Hatem versehen, aufbrechen, indem er ihm auftrug, ihn um zwanzig Kamele zu bitten, die rote Haare und schwarze Augen hätten; diese Art von Kamelen nämlich war sehr selten und deshalb auch kostspielig.

Auf diesen Wunsch hin ließ Hatem in der Wüste alle Kamele mit schwarzen Augen und roten Haaren suchen, indem er jedem Menschen das Doppelte ihres Wertes versprach. Die Araber aber, die in Hatem das höchste Vertrauen setzten, sammelten hundert Kamele der bestimmten Art. Hatem schickte sie an den König und überhäufte den Würdenträger mit Geschenken.

Der Beherrscher von Damaskus war erstaunt ob dieses Reichtums und versuchte, ihn zu überbieten; er ließ dieselben Kamele mit köstlichen Stoffen beladen und sandte sie an Hatem zurück. Der ließ alsogleich alle die kommen, welche die so seltenen Tiere herbeigebracht hatten, und überließ sie ihnen alle mit der Last, die sie trugen; als der Fürst von Damaskus solches hörte, erklärte er sich für besiegt.

Hatems Ruf drang bald über die Grenzen Asiens und gelangte bis nach Europa; der Kaiser von Konstantinopel wurde zornig, daß man einen einfachen Araberführer seiner Freigebigkeit zufolge den mächtigsten Herrschern gleichzustellen wagte, und wollte, wie der Sultan von Damaskus, eine Probe auf das Exempel machen.

Unter der großen Zahl Pferde, die Hatem unterhielt, gab es ein ganz außergewöhnliches, das er höher schätzte denn all seine Reichtümer. Niemals hatte die Natur ein so vollkommenes Tier hervorgebracht; Feuer schien aus seinen Nüstern zu sprühen, und es überholte laufend die flinkesten Hirsche. Dieses Pferd endlich war nicht weniger berühmt im ganzen Morgenlande durch seine Schönheit, als sein Herr durch seine Freigebigkeit.

Der Kaiser wußte, wie wert dieses Roß Hatem war, und beschloß, ihn um es zu bitten, indem er glaubte, seinen Edelmut dadurch auf die härteste Probe zu stellen. Er schickte seiner Edlen einen an den Araberführer. Der Abgesandte des Herrschers kam in düsterer Nacht mitten bei Ungewittern bei Hatem zu einer Zeit an, wo alle Araberpferde in den Steppen weideten. Der Würdenträger wurde bei dem herrlichsten aller Menschen so aufgenommen, wie es sich für den Abgesandten eines Königs ziemt; nach dem Essen führte Hatem seinen Gast in ein sehr reiches Zelt.

Am folgenden Morgen schickte der Abgesandte die Geschenke seines Gebieters mit einem Schreiben des Fürsten an Hatem. Als Hatem dieses gelesen hatte, war er sehr betrübt: »Wenn du mich gestern ob des Zwecks deiner Sendung aufgeklärt hättest,« sprach er zu dem Würdenträger, »würde ich heute nicht in der grausamsten Verlegenheit sein und dem Kaiser wahrlich den schwachen Beweis meines Gehorsams gegeben haben; jedoch lebt das Roß, das er wünscht, nicht mehr; alle Tiere weiden jetzt in den Steppen, es ist Brauch bei uns, dann nur ein einziges Pferd im Lager zurückzubehalten. Dieses hatte ich dazu ersehen; bei deiner überraschenden Ankunft habe ich es schlachten lassen, dieweil wir nichts zu deiner Bewirtung da hatten, und es hat dir zur Speise gedient; die Dunkelheit und das wilde Wetter hinderten mich, meine Hammel holen zu lassen, die auf ziemlich entfernten Triften weiden.« Alsobald ließ Hatem die edelsten Rosse holen und bat den Abgesandten, sie seinem Herrn zu überbringen. Der Kaiser konnte nicht umhin, den außergewöhnlichen Zug von Hatems Großmut zu bewundern, und stimmte zu, daß er in Wahrheit den Titel des freigebigsten aller Menschen verdiente.

Es war Hatems Los, den Neid aller Herrscher zu erwecken. Den König Nuuman des glücklichen Arabiens erfaßte die heftigste Eifersucht gegen ihn; der Fürst rühmte sich seiner Großmut, die im Grunde nur eitles Prahlen war. Er ließ mit Gepränge im ganzen Morgenland verkünden, daß alle, die eine Gunst wünschten, sich am Fuße seines Throns einfinden sollten, und sann nur darauf, Hatem an Edelmut zu übertreffen. Er hätte am liebsten gewünscht, den Namen des verhaßten Rivalen aus dem Gedächtnis der Menschen zu streichen; aber eine unübersehbare Menge wiederholte den Namen dieses Wohltäters des Menschengeschlechts und verbreitete seinen Ruhm. Nuuman begehrte auf: »Wie kann man einen Araber mit mir in gleichem Atemzuge nennen, der weder Zepter hat noch Krone und der in der Wüste irrt?« Seine Eifersucht wuchs unaufhaltsam; er glaubte ihn leichter verderben als übertreffen zu können.

Es gab an Nuumans Hofe einen von den Großen, die sich für die Grillen der Fürsten verkaufen und bereit sind, alles zu unternehmen, um alles zu erlangen. Ihn wählte der König aus, um ihn zum Werkzeug eines großen Verbrechens zu machen. Er sprach zu ihm: »Mache dich auf; befreie mich von einem Menschen, den ich verabscheue, und rechne auf einen Lohn, welcher dem Dienste gleichsteht, den du mir leisten sollst.«

Der gierige Abgesandte jagte davon und kam in die Wüste, wo die Araber lagerten. Er erinnerte sich nicht, Hatem jemals gesehen zu haben, und suchte nach Mitteln, ihn kennenzulernen, ohne seinen Plan durchschimmern zu lassen. Als er ganz in Gedanken versunken war, näherte sich ihm ein Mann von liebenswürdiger Gestalt und lud ihn ein, in sein Zelt einzutreten. Er willigte darein und war begeistert von der Höflichkeit, die ihm zuteil wurde; nach dem glänzenden Mahle wollte er sich von seinem Wirte beurlauben; der Araber bestürmte ihn, einige Tage bei ihm zuzubringen. »O edelmütiger Unbekannter,« entgegnete ihm des Königs Gesandter, »ich bin beschämt ob der Behandlung, die du mir zuteil werden läßt, doch ein Geschäft von dringender Wichtigkeit zwingt mich, dich zu verlassen!« Der Araber erwiderte: »Ist es nicht möglich, daß du mir einen Teil dieses Geschäftes überträgst, das dich so lebhaft zu beschäftigen scheint? Du bist fremd in diesen Gegenden, vielleicht kann ich dir nützlich sein!«

Nachdem der Abgesandte zur Einsicht gekommen war, daß er sein Unternehmen nicht allein zum Ziele bringen könnte, beschloß er das liebenswürdige und dienstbereite Anerbieten seines Wirtes anzunehmen.

Er sprach zu ihm: »Aus dem Vertrauen, das ich zu dir hege, kannst du auf die Wichtigkeit des Geheimnisses schließen, das ich dir offenbaren will. Wisse, daß Hatem durch Nuuman, dem Könige Arabiens, dem Tode geweiht ist. Dieser Herrscher, dessen Günstling ich bin, hat mich zum Werkzeuge seiner Rache erwählt; aber wie soll ich, der ich Hatem nie gesehen habe, seine Befehle ausführen? Zeige mir ihn und füge diese Wohltat denen zu, mit welchen du mich bereits überhäuft hast!« »Ich versprach es, dir zu dienen,« hub der Araber an, »du sollst sehen, ob ich der Sklave meines Wortes bin. Stoße zu,«fuhr er fort, indem er die Brust entblößte, »vergieße mein Blut, auf daß mein Tod deinen Fürsten, der ihn wünscht, zufriedenstellt und du die Belohnung erhältst, die du erhoffst. Schließlich muß ich dir sagen, daß die Augenblicke kostbar sind, zögere nicht länger, die Befehle deines Königs auszuführen, und brich schnell auf. Die Dunkelheit wird dich der Rache meiner Freunde und meiner Verwandten entziehen. Wenn dich der morgige Tag an diesen Orten überrascht, bist du verloren!«

Diese Worte trafen den Abgesandten wie ein Blitz aus heiterm Himmel. Durchdrungen von der Schwärze seines Verbrechens und von der Hochherzigkeit dessen, der mit ihm sprach, fiel er vor ihm auf die Knie: »Wolle Allah nicht,« rief er aus, »daß ich eine opfernde Hand an dich lege; mag ich bei meinem Fürsten in Ungnade fallen, mag er mich selbst töten lassen, nichts soll die Kraft haben, mich zu solcher Erbärmlichkeit zu zwingen!« Nach solchen Worten kehrte er in das glückliche Arabien zurück.

Der grausame Herrscher forderte Hatems Kopf von seinem Günstling; der aber erzählte, was ihm zugestoßen war. Nuuman rief verwundert aus: »Mit Recht, o Hatem, verehrt man dich wie eine Art Gottheit. Menschen, die das einfache Gefühl der Großmut beherrscht, können alle ihre Güter verschenken, aber sein Leben opfern, das ist eine Handlung, die über allem Menschlichen steht!«

Edelmut und Seelengröße waren beinahe erblich in Hatem-Tais Familie. Nach seinem Tode weigerten sich die Araber, deren Anführer er war, zum Islam überzutreten. Mohammed, der Gesetzgeber, verurteilte sie alle zum Tode; einzig die Tochter Hatems wollte er auf Grund der Erinnerung an ihren Vater schonen. Wie nun das hochherzige Weib die Henker zum Losschlagen bereit sah, warf sie sich Mohammed zu Füßen und beschwor ihn, ihr das Leben zu nehmen: »Nimm deine unselige Wohltat zurück,« sprach sie zu ihm; »sie würde für mich ein tausendmal schändlicheres Verbrechen sein als das, so du meinen Stammverwandten vorbereitest; verzeihe allen, oder laß mich mit ihnen sterben.« Mohammed ließ sich durch ein so edelmütiges Gefühl rühren, nahm das verkündete Urteil zurück und begnadigte zugunsten Hatems Tochter den ganzen Stamm.

Nach dem Tode Hatem-Tais trachtete sein Bruder danach, ihn zu ersetzen. Seine Mutter Cherbeka wiederholte ihm unaufhörlich, daß er niemals dem gleichkommen werde, der so verdienstvoll gewesen war. Da er nach Hatems Beispiele alle aufnehmen wollte, die gewöhnlich zu seinem Bruder kamen, ließ er das große Zelt aufschlagen, in dem der Araberfürst zu seinen Lebzeiten alle Bittsteller empfangen hatte. Dieses Zelt hatte siebzig Türen; Cherbeka hatte sich als armes Weib verkleidet und trat, ihr Gesicht dicht verschleiert, in das Zelt ein; ihr Sohn erkannte sie nicht und gab ihr ein Almosen; im gleichen Anzuge kam das Weib durch eine andere Tür zurück und erschien wieder vor seinen Augen. Als der neue Wohltäter die gleiche Frau wieder erblickte, die aus seiner Hand Almosen empfangen wollte, fuhr er sie hart an, indem er sie ob ihrer Zudringlichkeit tadelte. Da sprach Cherbeka, den Schleier lüftend: »Habe ich mich getäuscht, o lieber Sohn, als ich dir versicherte, du würdest niemals Hatem gleichkommen? Wie ich eines Tages deinen Bruder prüfen wollte, verschleierte ich mich auch so und trat nacheinander durch alle siebenzig Türen dieses selben Zeltes ein, und siebenzigmal habe ich Wohltaten von seiner Hand empfangen. Und ich wußte seit eurer zartesten Kindheit, daß eure Gemütsarten verschieden sind. Dein Bruder Hatem wollte die Brust nicht nehmen, wenn nicht noch ein anderes Kind meinen Busen mit ihm teilte; du hingegen wolltest, während du an einer Brust säugtest, auch die andere nehmen, um sie dem zu entziehen, der sie hätte nehmen können!«

Auf die Frage, ob er in seinem Leben einem edleren Menschen, als er selber wäre, begegnet sei, antwortete Hatem-Tai: »Gewißlich; eines Tages, als ich einherritt, kam ich am Zelte eines armen Arabers vorbei, der mir Gastfreundschaft anbot, ohne mich zu kennen; es war spät und ich noch fern von meiner Hütte. Gern nahm ich das Anerbieten des Beduinen an; ich hatte einige Tauben gesehen, die um seine Hütte flogen; als ich erwartete, Reis und einige Eier, die gewöhnliche Nahrung des Volkes, vorgesetzt zu bekommen, wurde mir auf einer Schüssel eine der Tauben dargeboten, von denen ich wußte, daß sie der ganze Reichtum dieses Armen waren; er wollte nicht einmal, daß ich ihm meine Erkenntlichkeit bezeigte, und ich konnte ihm nur dadurch danken, daß ich die Speisen lobte, die er mir aufgetragen hatte.

Ich beschloß, am andern Morgen aufzubrechen, und suchte bei mir nach einem Mittel, die Güte meines Wirtes wettzumachen, als ich ihn mit zehn anderen Tauben, denen er den Hals umgedreht hatte, auf mich zukommen sah, und er mich bat, sie als einziges Geschenk, das er zu geben imstande wäre, anzunehmen. Es war in der Tat alles, was er auf der Welt besaß. Ziemlich niedergeschlagen, wie ich war, daß er sich so all seiner Habe beraubt hatte, um mich würdiger zu bewirten, nahm ich dies Geschenk, das mir darum sehr teuer geworden war, mit mir. Kaum war ich in meinem Lager angelangt, als ich dem armen Manne dreihundert Kamele schickte und fünfhundert Widder.« »Was redest du da von Edelmut?« sprachen seine Freunde dawider, »du warst viel edelmutiger als der Araber!« »Mitnichten,« erwiderte Hatem-Tai; »denn der Beduine, der nicht wußte, wer ich war, hatte mir seine ganze Habe geschenkt, ohne an eine Erkenntlichkeit zu denken, und ich gab ihm nur einen sehr kleinen Teil dessen, was ich besitze!«


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