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Einleitung.

Die Geschichte der Völker hat ihre Stürme und Gewitter, wie die äußere Natur. Wie das Erdbeben und der Meeressturm, spielen Völkerstürme mit Städten und Menschenleben, und man ist gewohnt, auf sie nur als auf ein blutiges Unheil hinzublicken, mit Widerwillen und Schauder. Anders sind sie im Auge des Geschichtskundigen. Ihn hebt die Wissenschaft und das eigene durch sie größer gewordene Herz über die Schrecken der Zeiten; er sieht dem Laufe der Weltbegebenheiten, den Bewegungen des Völkerlebens zu, mit ruhigem Blick, stillmessend und combinirend, wie der Astronom dem Gange der Sterne. Er erkennt selbst in dem Zerstörenden auch wieder das Belebende, selbst da, wo nur rohe physische Kräfte zu walten scheinen, den Geist. Ihm sind Ländereroberungen und Völkerrevolutionen, die Donner des Kriegs und der Schlachten nur Symphonieen des göttlichen Geistes, nothwendig in dem großen Weltgedicht, das Geschichte der Menschheit heißt. Weil eine Vorsehung ist, so müssen auch die empörten Elemente ihren höheren Zwecken dienen, und es muß auch aus dem Walten der bösen Kräfte, aus wilder Gährung und Strömen Blutes das Gute hervorgehen. Sind doch im Wetter voll Blitzen und Donnern himmlische Kräfte: es befruchtet und erfrischt, indem es erschüttert und schreckt.

Die Menschheit muß fort und fort sich neu schaffen, die Völker müssen zu höherer Befähigung sich durcharbeiten, ihr letztes Ziel durch Kampf sich erstreiten. Dieses Ziel aber ist Freiheit. Alle Hoheit 2und aller Glanz des Lebens ist nur in ihr möglich, in ihr nur die wahre Veredlung und Größe der Menschheit zu hoffen, sagt Schiller. Nur unter dem Schutz weiser Gesetze und freier Institutionen entfalten sich alle Blüthen der Cultur kräftig, sagt Alexander von Humboldt. Für den Fortschritt der Menschheit in der Vervollkommnung ist politische Freiheit unumgänglich nothwendig, sagt der Engländer Finlay. Aber diese Freiheit, so mild und sanft, wenn sie groß geworden, wird unter sauren Mühen von der Zeit unter dem Herzen getragen, und muß meist bei der Geburt eine Geburt voll Schmerzen, bei der Taufe eine Taufe voll Blut durchmachen. Und das geschieht, weil meist die, welche in der Gewalt sind, es unterlassen, Gerechtigkeit zu lernen oder zu üben, und mit Grausamkeit und Verachtung auch das Billige und Zeitgemäße dem Volke vorenthalten; und weil dann meist die Leidenschaft im Volke über die Vernunft hinaus geht, und der Kampf für politische Rechte in Anarchie umschlägt. – Der Kampf um das Recht aber dauert oder erneuert sich so lange, bis das Recht festgestellt, oder das, was im wahren Sinne des Wortes Volk heißt, in einem Lande vernichtet ist.

Wie lange ist nicht schon Freiheit des Kampfes Panier und Siegespreis zugleich? Und doch herrschte zu allen Zeiten der meiste Unverstand oder Mißverstand über dieses Wort, wie über alles Einfache und Tiefe. Die Freiheit ist nicht an eine Gattungsart der Regierung gebunden; es gibt keine alleinseligmachende Staatsform. Wo des Regierens weder zu viel noch zu wenig ist, wo die Gesetze so weise sind, daß die Würde des Menschen in Allem aufs Höchste geachtet wird, da ist die meiste Freiheit.

Die Völker wären weiter in Rechten und freien Gesetzen, wenn es nicht ihre Art wäre, die Freiheit auf falschen Wegen zu suchen. Statt der Vernunft und der Leitung der Begabteren sich unterzuordnen, wie sie in Nordamerika thaten, wollen die meisten lieber maßlos und anarchisch sein; oder sie erschlaffen, auf halbem Wege, 3in Opfern und Anstrengungen, statt auszudauern. Ganze Nationen erschlaffen gerne, aber in den Nationen zuerst die untern Klassen. Auch mit den Völkern ist es wie mit einzelnen Menschen: sie bedürfen von Zeit zu Zeit eines Stoßes, der sie aufrüttelt und vorwärts treibt.

Zu diesen Bewegern des Menschengeschlechts gehören die Kriege, die innern, wie die äußern. Der Stoff dazu sammelt sich in Mitten der Völker selbst an, langsam, nach und nach, und wenn er sich entzündet und seine Verheerung über die Lande wälzt, pflegt man zu sagen: es ist die Zuchtruthe des Schicksals oder des Himmels. Wo Ungerechtigkeit oder Kurzsichtigkeit das Billige weigert, ruft sie den Widerstand hervor. Wo in den höhern Ständen Sitten-Verderbniß und Ueppigkeit, Gewaltstreiche und Bedrückungen Charakter der Herrschenden geworden sind, werden durch eben diese selbst die untern Elemente des Staats zur Empörung getrieben: ein Gift straft das andere. Das, dieses sittliche Gericht in der Weltgeschichte, ist freilich ein Gericht Gottes, der Hohe wie Niedere züchtigt, wenn sie ungerecht wandeln.

Als eines der unheilvollsten Ereignisse, als ein Einbrechen blinder Naturkräfte in den deutschen Staat pflegt man die bewaffnete Erhebung des gemeinen Mannes zu betrachten, welche unter dem nicht ganz entsprechenden Namen des großen Bauernkrieges bekannt ist. Man ist gewohnt, darin nur die düstere Brand- und Todesfackel zu sehen, welche die rohe Faust der Empörung gegen das Herz des deutschen Vaterlandes geschwungen, indem man mehr an einzelne Erscheinungen und Thaten, als an den innern Zusammenhang und an den Geist desselben sich hält.

Dreierlei hauptsächlich hat man meist nicht beachtet, einmal, daß so vieles, was man dem Bauernkrieg insbesondere zur Last legt, gewöhnlich im Gefolge des Krieges überhaupt, also jedes andern Krieges, in jener Zeit war; zweitens, daß die Herren es waren, welche das Volk dadurch, daß es das Aeußerste von ihnen zu leiden hatte, und durch ihre Treulosigkeit im Fortgange des Kampfes, zum 4Aeußersten trieben; endlich, daß man behutsam lauschen muß, um die zarte Stimme der Wahrheit aus dem übertäubenden Geschrei den Sieger, des mönchischen und aristokratischen Fanatismus, herauszuhören, ein Geschrei, in das nach der Niederlage selbst die der besiegten Partei einstimmten, aus Noth, um durch den Schein gleicher Gesinnung die Verfolgung von sich abzulenken. Wie anders würden die gleichzeitigen Berichte lauten, hätte das Volk gesiegt: sie sprächen wie die Geschichtsbücher der befreiten Schweizer, wie die des freien Englands. So aber, weil das Volk unterlag, ward die Bewegung vielfach verleumdet, das wirklich Großartige daran verschwiegen oder verketzert. Große Dinge und hohe Interessen der Menschheit waren es, welche der Bewegung zu Grunde lagen und in ihr hervortraten.

Diese Bewegung hat man sinnig das prophetische Vorbereitungswerk der neueren Weltgeschichte genannt. Georg Karl Treitschke in seiner Geschichte Thomas Münzers, Leipzig 1811. Sie ist die gewaltige Ouvertüre zu dem Schauspiele, das sich auf dem Boden der neueren Zeit abspielt, und dem das Tragische nicht fehlt. Alle Erscheinungen der späteren socialen Bewegungen in Europa liegen in der Bewegung von 1525 eingeschlossen: sie ist nicht nur der Anfang der europäischen Revolutionen, sondern ihr Inbegriff im Kleinen. Alle die Erscheinungen, durch welche Staaten im Laufe der folgenden Jahrhunderte verändert wurden, so wie diejenigen, welche in unsern Tagen eine gesellschaftliche Umgestaltung vorbereiten, finden ihre Vorbilder in der Bewegung von 1525, sowohl was Individuen, als was Ideen betrifft. Mit Recht nannte Treitschke den Geists Thomas Münzers einen Spiegel, der die Erscheinungen künftiger Zeiten in sich prophetisch dargestellt; mit Recht hob er hervor, daß einzelne Ideen aus der Masse der Ideen, welche das Gemüth Münzers erfüllt haben, und die seine Zeit ver- lachte, später von andern Männern aufgefaßt und ausgebildet worden seien, die damit Bewunderung und Ruhm geerntet haben, wie William Penn, Spener, der Graf von Zinzendorf, J. J. Rousseau, 5die französischen Demagogen und die Naturphilosophen; heut zu Tage – wie manchen bekannten Namen hätte er nicht hinzuzusetzen?

Der ganze Ideengang der folgenden Jahrhunderte und der neuesten Zeit, so weit er politisch und religiös ein revolutionärer ist, findet sich von Münzer theils angedeutet, theils klar ausgesprochen. Um hellsten trat, was in ihm nur unvollendet und aufblitzend war, in der englischen Revolution, ein starkes Jahrhundert nach Münzer, in ausgeprägten Erscheinungen hervor; und was im germanischen Mutterlande, in Thüringen, angefangen und mißlungen war, verwirklichte sich zuerst in den beiden angelsächsischen Weltreichen diesseits und jenseits des atlantischen Ozeans, nämlich unter dem stammverwandten Volke auf dem Boden Englands, und in Nordamerika.

Die Bewegung von 1525 hat ihre schöne wie ihre düstere Seite; reine und edle Kräfte walten darin, neben unreinen und finsteren. Der Geist, aus welchem der ganze Kampf hervorging, war der Geist der Freiheit und des Lichtes. Die einzelnen Erscheinungen, in welchen sich der Geist Bahn zu brechen sucht, mögen noch so getrübt sein, dieser bleibt dennoch der, der er ist. Dieser Geist muß zuletzt mit Allem aussöhnen.

Die Bewegung war auch nichts plötzlich Hereinbrechendes und nichts Zufälliges; sie hatte sich lange vorbereitet und hatte ihren Grund in den Verhältnissen des gemeinen Mannes und in der Zeit. Daher ihre reißendschnelle Ausbreitung, der fast über ganz Europa hinlaufende Antheil daran. Die Anlage des Volkes dazu war so alt, als die Unterdrückung desselben. Auch an den Ketten schärft sich die Liebe zur Freiheit.

Die Geschichtschreibung ging lange an diesem großen Ereignisse entweder mit halbabgewandtem Gesichte vorüber, oder die es berührten, mißhandelten dasselbe, aus Mangel eines unparteiischen, eines höheren Standpunktes. Selbst diejenigen Bearbeiter der Einzelpartieen, die eine freiere Gesinnung hinzubrachten, behandelten ihren Gegenstand 6fast zaghaft, ohne das Wesen desselben, die großen Sünden der Herrschenden einer- und das aus tausend Wunden blutende Herz des zur Verzweiflung getriebenen Volkes andererseits nackt aufzudecken.

Daß die folgende Darstellung Niemand ein Anstoß sein werde, das wird nicht erwartet. Wer der Geschichte sich weiht, dem muß es um die Wahrheit zu thun sein und das Wohl der Menschheit, nicht um Gunst. Es ist schön, der Gegenwart zu gefallen; besser aber ist es, der Zukunft zu genügen.


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