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Zehntes Kapitel.

Hubmaier und Waldshut.

Hubmaier, aus dem baierischen Städtchen Friedberg bei Augsburg gebürtig, hatte schon vor Luthers Auftreten als Prediger großes Glück gemacht. Auf der Hochschule zu Freiburg im Breisgau zum Theologen gebildet, gewandt in der Dialektik, und darum ein Freund des geistigen Kampfes, lehrte der »hochgelehrte Meister Balthasar,« zuerst an der theologischen Fakultät zu Freiburg, später zu Ingolstadt, wo er Doktor der Theologie und Prorektor wurde. Von da nach Regensburg als Pfarrer an die Domkirche berufen, erregte er durch seine ausgezeichneten Vorträge schon zu Anfang des Jahres 1516 eben so großes Aufsehen, als er sich dadurch in Ansehen setzte. Ohne seinen Willen wurde er hier der erste Veranlasser der Kapelle zur schönen Maria, und mit Bedauern sah er, daß vor derselben das nervenreizbare Volk das Schauspiel der Zuckungen und der Tanzwuth aufführte. Er fühlte sich von Luthern um so mehr hingerissen, je mehr er selbst bisher eine höhere geistige Richtung verfolgt hatte und über Vieles hinausgeschritten war. Er fühlte, Regensburgs geistige Luft war nicht mehr für ihn, er ging auf die Pfarrei Waldshut im Schwarzwald. Hier, in der Mitte dieser ächten Nachkommen der alten Alemannen, jenen Hauensteinern, den einfachen, verständigen, freiheitliebenden und leicht beweglichen Söhnen des Waldes, in der nächsten Nähe der Schweiz, fand er zwar einen kleinen Wirkungskreis, aber einen, worin er sich frei bewegen und 229Manches frei gestalten konnte. Er kam mit Zwingli dem Schweizer Reformator in Berührung und Freundschaft, und trat selbst als der erste Reformator auf dem Schwarzwalde auf. Die Bürger Waldshuts erklärten sich mit Begeisterung für ihn, ebenso Geistliche aus der Stadt und aus der Umgegend. Die vorderösterreichische Regierung zu Ensisheim verlangte die Auslieferung Meister Balthasars, die Bürger verweigerten sie. Die Regierung sah in den kirchlichen Neuerungen desselben eine Begünstigung des Bundschuh's, des Aufstandes des gemeinen Mannes, der eben um diese Zeit – Sommer 1524 – sich in diesen Gegenden regte. »Laßt mich hinweg, bat Hubmaier die Bürger, damit Niemand meinethalben beschädigt und verderbt werde, und ihr Ruhe und Frieden behaltet.« Und am 17. August entwich er freiwillig, von den Bürgern geleitet, aus der Stadt. Aus dem Geleite der Waldshuter empfingen ihn bewaffnete Reiter von Schaffhausen, wohin er sich begeben wollte, und wo er Schutz und Aufnahme fand. Die Regierung zu Ensisheim hatte wirklich Leute ausgesendet, den »Doktor niederzuwerfen,« und da er ihnen entging, drangen sie auf seine Auslieferung, selbst mit Asylverletzung. Hubmaier zeigte unter aller Bedrängniß ein unbegrenztes Vertrauen auf die Gerechtigkeit seiner Sache und die siegreiche Macht der Wahrheit. »Es ist nicht meine Sache, schrieb er an den Schaffhäuser Rath, sondern Gottes Sache. Fürchten sich Ew. Würden nicht, ich will mich auch nicht fürchten; denn die göttliche Wahrheit ist untödtlich, und wiewohl sie sich eine Zeitlang fangen, geißeln, krönen, kreuzigen und in das Grab legen läßt, so wird sie doch am dritten Tage wieder siegreich auferstehen, und in Ewigkeit regieren und triumphiren.« Er erbot sich, die Wahrheit seiner Lehre vor aller Welt zu erweisen. »Weil ich, sagte er, von den Obrigkeiten verschrieen worden bin als Verführer des Volks, als aufrührerisch, als Ketzer, so bin ich erbötig, allen Menschen Rechnung zu geben von meiner Lehre, meinem Glauben und meiner Hoffnung. Habe ich nun recht gelehrt, warum schlägt man mich und Andere meinetwillen? Ich bin mir nicht bewußt, daß ich in zwei Jahren nur einen Buchstaben gepredigt hätte, der im Worte Gottes ohne Grund wäre. Dieses aber bekenne ich, und gebe mich dessen schuldig, daß ich nicht Alles so ganz und vollkommen herausgesagt, wie ich es gewußt habe; ich 230habe der Schwachen geschont, die ich mit Milch, und nicht mit stärkerer Speise nähren mußte. Sollte ich je genöthigt werden, durch Gefängniß, Marter, Schwert, Feuer oder Wasser, daß ich anders redete oder bekennete, als ich jetzt aus der Erleuchtung Gottes gesinnt bin, so protestire ich hiemit und bezeuge vor Gott, meinem himmlischen Vater, und vor allen Menschen, daß ich als ein Christ leiden und sterben will, damit sich Niemand an meiner That, wie mir Gott sie zuschicke, ärgere. Möge mir Gott einen tapfern, unverzagten, fürstlichen Geist verleihen!«

Der Rath der Stadt Schaffhausen ehrte sich auch dadurch, daß er den, der sich unter seinen Schutz gestellt hatte, auch dann nicht auslieferte, als acht katholische eidgenössische Mitstände auf die drohendste Weise die Forderung seiner Auslieferung dreimal wiederholten. Wie gegen den Pfarrer von Waldshut, so trat die österreichische Regierung zu Ensisheim nach Entfernung desselben auch gegen die Stadt Waldshut selbst drohend und verfolgend auf.

Was die aus weltlichen Ursachen begonnene Bewegung unter dem gemeinen Mann wesentlich verstärkte, sie erst recht weihte und fanatisirte, das war die blutig-grausame Verfolgung des Evangeliums und seiner Prediger, zumal im südwestlichen und südöstlichen Deutschland. Die Regierungen selbst waren es, welche in die schon wieder in sich zusammensinkende Flamme der weltlichen Bewegung das Oel des religiösen Märtyrerthums hinzutrugen, und zwar zur selben Zeit, als die münzerisch-wiedertäuferischen Ideen der Bewegung sich zu bemächtigen anfingen.

Die an dem Alten hängenden Regierungen hatten sich vereinigt, das Evangelium, wo es auftauchen wollte, mit Gewalt niederzudrücken. Im Erzstift Mainz, in Baiern, im Salzburgischen, in allen österreichischen Landen, in den Oberlanden wie in den Niederlanden, in den Bisthümern Trient, Regensburg, Augsburg, Speier, Straßburg, Constanz, Basel, Freisingen, Passau und Brixen wurde Jagd gemacht auf die Prediger wie auf die Bekenner des Evangeliums: zu Wien, Prag und Ofen, zu Mez, zu Antwerpen und im Lande der Dithmarschen, im Odenwald, im Schwarzwald, in den Vogesen und in den Salzburger Gebirgen wurden Bekenner des Evangeliums gemartert und entweder enthauptet oder lebendig verbrannt; viele 231wurden des Landes verwiesen oder verjagt. Besonders blutdürstig zeigten sich die drei österreichischen Regierungen von Innsbruck, Stuttgart, Ensisheim. In dem Städtchen Engen setzten sie einen Inquisitionsausschuß nieder.

Die Stadt Kinzingen fühlte zuerst das Schwert der österreichischen Regierung. Auch ihr Prediger Jakob Otter sah sich gewaltsam zur Flucht getrieben. Anderthalb Hundert aus seiner Gemeinde gaben ihm bis zur Grenze das Geleit, und blieben etliche Tage bei ihm. Als sie wieder heim wollten zu Weib und Kind, fanden sie die Straße gesperrt, daß sie nicht in die Stadt gelangen konnten, sie stiegen zu Schiff und fuhren hinüber nach Straßburg. Kinzingen selbst aber umringten Kriegsvölker, die von Freiburg und Ensisheim kamen, nahmen die Stadt ein und Viele als des Evangeliums verdächtig darin gefangen. Es fiel, weil er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen, das Haupt des Stadtschreibers, es fielen auch fünfzehn andere Köpfe unter dem Schwerte des Nachrichters. So glaubte der Inquisitionsausschuß den Geist des neuen religiösen Lebens in diesen Gegenden bannen zu können. Waldshut sollte zunächst daran kommen.

Diese Stadt schickte ihre Rathsbotschaft nach Engen vor die Herren. Sie haben, sollten die Boten sprechen, um des Friedens willen den Doktor von ihnen gethan, wollen auch als fromme Waldshuter, wie bisher, Leib, Leben, Gut und Blut zum löblichen Haus Oesterreich setzen, mit demüthiger, unterthäniger Bitte, die gnädigen Herren vom Regimente möchten die gefaßte Ungnade bei fürstlicher Durchlaucht gnädigst abstellen. Der Rathsfreund Hans Jakob Bollinger machte den Sprecher der Gesandtschaft. Sie trafen zuerst, als sie Audienz suchten, auf Graf Rudolf von Sulz. »Bollinger, bist du hier?« fuhr der Graf den Abgeordneten an. Gnädiger Herr, ja! war die demüthige Antwort. »Bollinger! Bollinger! rief der Graf, wärst du dem Fürsten gehorsam gewesen, so schadete das dir und deinen Kindern nicht. St. Velten, wie hast du dich können durch den Ketzer verführen lassen, daß du den ketzerischen Glauben angenommen?« Ich habe keinen ketzerischen Glauben, sagte Bollinger. – »Was glaubst du denn?« – Gnädiger Herr, ich glaube an Gott. – »An den Teufel glaubst du, fuhr der Graf auf. 232Wärst du dem Fürsten gehorsam gewesen, wie mancher Biedermann, so wäre es dazu nicht gekommen, wir kennen dich wohl und deinesgleichen; ihr seid aufgezeichnet. Donner Poz Marter, du mußt der Erste sein, dem man den Grind abhaut, Junghans der Ander und Brosi der Dritte. Warum, Meister Haus, schickt man Brosi und Junghans nicht auch her? Poz Marter, auch die Weiber wollen wir todtschlagen, wenn wir hiezu kommen; wir wollen das Unkraut mit der Wurzel herausreißen. Wir wollen euch das Evangelium um die Ohren bläuen, daß ihr müßt die Händ ob dem Kopf zusammenschlagen; wir wollen euch dermaßen strafen, daß ihr allen Menschen, so der lutherischen Sekt sind, ein Exempel und Fürbild sein müßt. Man sollt solche Uebelthäter von dannen thun. Du bist meineidig und ein Uebelthäter am Fürsten, du und deinesgleichen, du hast seine Mandaten nicht gehalten.« – Gnädiger Herr, antwortete Meister Hans, ich bin kein Uebelthäter; bin ich aber einer, so thut mir das Recht an, darum habt Ihr das Schwert an der Seite. – »Donner Poz Marter, fluchte Graf Rudolf, du bist einer; ich will hinein zum Herrn und ihm das anzeigen.«

Es waren allda die Boten der drei andern Waldstädte, die von Laufenburg, Säckingen und Rheinfelden. Diese wurden hineingefordert, die Waldshuter ließ man warten. Bollinger! sagte der Schultheiß von Säckingen, als sie wieder heraus kamen, zu dem Erstern, du hast ungnädige Herren; sieh an dein Weib und deine kleinen Kinder. So wir jetzt vor die drei Regierungen hinein kommen, so fall nieder auf deine Kniee und bitte sie um Gottes willen, daß sie dir verzeihen und vergeben, du habest geirrt und seiest verführt worden. – Wie, Herr Schultheiß? entgegnete Bollinger; das wolle Gott nicht, daß ich dies thue; eher wollt ich mir den Kopf abhauen lassen. Ich glaub recht; luget, was Ihr glaubt. Ich bin nicht verführt worden. Ich würde auch keineswegs niederfallen, man soll nur vor Gott niederfallen. –

Vor den Regierungen drinnen hörte man der Waldshuter Entschuldigung. Ich will weder das Beste noch das Böseste dazu thun, sprach der Statthalter Hans Immer von Gilgenberg; man wird euch strafen, anders dürft ihr nicht denken. – Die Abgesandten erboten sich zu Recht vor gemeinen Städten des Reiches. Recht wollen 233wir, riefen Bollinger und die Seinen ohne Unterlaß; Recht, Recht, ihr Herren! – Was? riefen diese dagegen; der Fürst ist das Recht; was gehen den Fürsten die Reichsstädte an? – Man wird euch mit Feuer und Schwert das Recht weisen, schrie Graf Rudolf von Sulz.

Die Bürgerschaft zu Waldshut, ihrem Gott vertrauend, beschloß sich gegen Gewalt in Vertheidigungsstand zu setzen. Hans Müller von Bulgenbach war bereits mit seinen Waldbauern auf, und das war der Zeitpunkt, da die 1200 Bauern mit der schwarz-roth-gelben Fahne in Waldshut einzogen, der geheime Bund der evangelischen Brüderschaft beschlossen wurde, und das bisher bloß religiöse Element in Waldshut in das revolutionäre überspielte. Die Regierung zu Ensisheim wollte sich keine Mühe dauern lassen, »die bübischen und ketzerischen Pfaffen und Verführer des Volks,« darunter sie den Doktor von Waldshut als einen der vornehmsten nannte, so wie die Verführten zu strafen. Es wurde zahlreiches Geschütz und Kriegsvolk aufgeboten, Waldshut zu züchtigen. Die Waldshuter aber erklärten, der Glaube sei im Herzen, das möge man weder mit Nothschlangen noch mit Ketten bezwingen. Zürich und Schaffhausen verwandten sich ernstlich für die Nachbarschaft. Oeffentlich konnte Zürich den Bedrängten keine Hülfe schicken, wegen der Erbeinung mit dem Hause Oesterreich, aber auf eigene Faust, ganz privatim, zogen in die 300 tapfere Züricher den christlichen Brüdern von Waldshut zu; nicht um Geld, schrieb Rudolf Collin, einer darunter, dem Rathe von Zürich, nicht für eigenen Nutzen, nur zum Schutze von Gottes Wort. Der Geist des Herrn habe sie unter die Waffen gerufen, kein Aufwiegler sei unter ihnen, Jesus Christus ihr Hauptmann.

Jetzt kehrte auch Hubmaier zur großen Freude der Bürger nach Waldshut zurück. »Er wurde mit Trommeln, Pfeifen und Hörnern empfangen, und mit solchem Pomp, als ob er der Kaiser selbst wäre.« Schreiben des Stadtschreibers von Villingen an die Regierung in Stuttgart, im Stuttgarter Staatsarchiv. Man vergleiche namentlich den schönen Aufsatz: Balth. Hubmaier, in Schreibers Taschenbuch, ganz nach schweizerischen und oberrheinischen Archivurkunden. Sie gaben ihm auf dem Kaufhause ein großes Festmahl. Das war gerade die Zeit, da Thomas Münzer in dieser Gegend erschien, und mit ihm mancher seiner Anhänger.

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