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Vierzehntes Kapitel.

Etwas von den Rechtszuständen in Deutschland zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.

In den Gerichtshöfen saßen Edle und Doktoren. Es ging überall her wie bei dem Rechtsstreit der Kemptner Bauern, nach dem Sprüchwort: keine Krähe hackt der andern ein Aug aus. Die Juristen wandten ihr römisches Recht, die adeligen Herren am 128Gericht wenigstens den Grundsatz gegen die Bauern an, daß man in zweifelhaften Fällen immer für den Grundherrn oder Gerichtsherrn und gegen den Bauer entscheiden müsse. Es war zwar am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts mit viel Aufsehen Einiges für gesetzliche Ordnung und regelmäßige Rechtspflege geschehen, aber weder das Reichskammergericht, noch das Reichsregiment wurden für den gemeinen Mann wohlthätig, man hatte auch ihn bei der neuen Gerichtsverfassung gar nicht im Auge gehabt, sondern nur die Herren des Reichs und die Städtebürger. Für die Rechtssicherheit des Bauern, für rechtliche Abhülfe bei Bedrückungen, welche dem gemeinen Mann von seinem Herrn zugefügt würden, war nicht gesorgt. Erst im Jahre 1498, auf dem Reichstage zu Freiburg, kam es zur Sprache, gesetzlich zu bestimmen, wie und wo ein Bauer einen Fürsten und Fürstenmäßigen rechtlich belangen könne. Aber man ließ es wieder fallen, und erst nach zwei Jahren, auf dem Reichstage zu Augsburg, wurde festgesetzt, daß auch Bauern das Recht gegen Fürsten und Fürstenmäßige üben dürfen, wie es die Stände des Reiches üben. Aber es handelte sich hier nicht von rechtlicher Belangung der eigenen Herrschaft, sondern nur von Klagen gegen solche Herren, welchen der klagende Bauer nicht unterthan wäre. Daß der arme Mann auch gegen seine eigene Herrschaft rechtlich zu klagen befugt sei, darüber schwiegen die Herren, wenigstens wurde nirgends bestimmt, wie und vor welchem Gerichtshof der Bauer gegen Willkür und Druck seiner Herrschaft Recht suchen oder gar finden könnte.

Ja, wehe dem armen Manne, der auch nur mit einem Herrn, dem er nicht unterthan war, in einen Rechtsstreit kam! Oft wußte er nicht, bei welcher Stelle er seine Klagen anzubringen habe, da die Gerichtsbarkeiten sich bunt durchkreuzten; jetzt wurde er vorgefordert, jetzt abgewiesen, da und dort herum geschleppt, von Gericht und Juristen für die Kosten gepfändet, von dem edeln Herrn, mit dem er den Rechtsstreit hatte, oder von seinen Genossen auf dem Wege zum Gerichte niedergeworfen; die einfachste Sache zog so viele Kosten nach sich, ohne Zeitverlust und Bekümmerniß zu rechnen, daß in der Regel der gemeine Mann den Rechtsweg gar nicht betreten konnte. Es war selbst für große Reichsstädte bedenklich, ihn zu betreten. Wie am kaiserlichen Hof Alles um Geld feil war, so war 129in den Händen hoher und niederer Richter das Recht verkäuflich, die Parteien überlisteten einander, nur der gewann in der Regel, der am meisten und am längsten zahlte. »Im Ausschuß des kaiserlichen Hofgerichts, schrieb ein Abgeordneter des Regensburger Raths von Worms aus, sitzen so gerechte Leute, daß Gott vor einem jüngsten Gerichte dieser Art jeden Menschen behüten wolle!«

Seit einem Jahrhundert hatten vaterlandsliebende Männer die Nothwendigkeit einer Reichsreform dargethan und Entwürfe dazu gemacht. Im Rathe des Reiches wie in Stadt und Land gab sich das Verlangen nach einem geordneten Rechtszustand, und was diesem voraus gehen mußte, nach einer einheitlichen Verfassung für ganz Deutschland kund. Aber diese Bestrebungen scheiterten immer an der Selbstsucht der Reichsfürsten, an den widerstreitenden Interessen. Der Kaiser Maximilian konnte, wenn er sich auf die Reichsritterschaft, auf die Städte und zugleich auf die Bauerschaft des Reiches stützte, das zerrissene Deutschland zur politischen und nationalen Einheit umgestalten: er konnte die Reichsfürsten zwingen zu einer mit diesen Dreien vereinbarten Reichsverfassung. Aber dazu war Max weder Staatsmann noch überhaupt groß genug.

Gerade die mächtigsten Landesfürsten waren der Reichsreform am abgeneigtesten. Das Kaiserthum war nur noch ein Schatten seines früheren Ansehens, der oberste Gerichtshof, das Reichskammergericht, der, den Gebrechen des öffentlichen Rechtszustandes abzuhelfen, geschaffen worden war, blieb ohne tiefere Wirksamkeit: die Fürsten unterwarfen sich seinen Rechtssprüchen nicht, oder nur wenn es ihnen genehm war. Die Reichsritterschaft kümmerte sich auch wenig darum und nannte dieses Gericht eine Waffe für die Mächtigen gegen die Kleinen. Die Städte klagten über Parteilichkeit seiner Rechtssprüche. Der gemeine Mann hatte von diesem Gerichte gar keinen Nutzen, aber am meisten an den Kosten desselben zu tragen. Er hätte Vortheil davon gehabt, wenn dieser Gerichtshof seinen Rechtssprüchen gegen Landfriedensbrecher und Mißächter des kammergerichtlichen Bannes den Nachdruck des Strafvollzugs zu geben vermocht hätte. Aber dazu wurden ihm von den Herren die Mittel vorenthalten. Die Urtheile blieben Urtheile ohne Vollzug. Es war nicht Instinkt, es war Ergebniß langer täglicher Erfahrung, wenn der gemeine Mann in seinen 130Bundschuhentwürfen die Einheit Deutschlands und nur Einen Herrn, den Kaiser, verlangte, und die Beseitigung aller anderen Herren, und wenn er glaubte, daß eine solche Reform nur auf dem Wege der Gewalt, von Unten aus, durchzuführen sei.

Auch die Unterhaltung der Bündnisse, die zur Sicherung des Landfriedens errichtet wurden, hatte gehäufte Abgaben und Leistungen zur Folge, und im Jahre 1515 anerkannte es der schwäbische Bund selbst, daß die vielen Kriegsauszüge und Steuern, die den Unterthanen durch den Bund veranlaßt werden, eine der Hauptursachen des Mißvergnügens unter dem gemeinen Manne seien. Urkunde des Stuttgarter K. Staatsarchivs.


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