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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Die Bewegungsmänner.

164Es ist aus dem Bisherigen erkennbar und unläugbar, daß der Druck, der auf dem Volke lastete, schon lange vor der Reformation Luthers, Aufstände veranlaßt hatte, und daß er eine allgemeine Empörung allmählig vorbereitete. Der Brennstoff war da, lange angesammelt; die Reformation trat nur hinzu. Der Drang, worin sich das deutsche Volk befand, war seit lange gemeinsam, und doch konnten jene einzelnen Aufstände nicht gemeinschaftlich werden. Sie wurden es erst durch das Bindungsmittel des Religiösen. Das Evangelium wurde das Pannier, welches das gedrückte Volk, wenn gleich nicht zur Einheit eines Planes, doch zur Einheit eines Zwecks vereinigte.

Schon vor einem halben Jahrhunderte sagte ein edler, hellsehender Mann hierüber: »Es mußte erst das gemeinschaftliche Interesse der Religion, welches durch die Reformation erweckt wurde, die leidenden Menschen einander näher bringen, allgemeines Gefühl der von der hierarchischen und politischen Tyrannei erlittenen Ungerechtigkeiten erregen, und ein gemeinsames Bestreben, das Joch abzuschütteln, hervorbringen. Es war eben nicht nöthig, daß Alle die Grundsätze, auf welchen Wahrheit und Recht beruhen, richtig erkannten; es war nicht nöthig, daß sich Alle des Zwecke, welcher erreicht werden sollte, deutlich bewußt waren; genug, daß das Gefühl, die geistliche Obrigkeit behandle sie gegen alle Billigkeit und gegen die göttlichen Gesetze, allgemein rege gemacht wurde. Die Reformation verbreitete die Idee der Freiheit; sie erweckte bisher unbekannte Gefühle, Erwartungen und Hoffnungen; sie machte freies Forschen über Alles, was dem Menschen bisher heilig war, zu einem Lieblingsgeschäfte, ja zu einem Bedürfnisse; sie erleichterte durch die Furchtlosigkeit, womit man Religionswahrheiten und 165Religionsgebräuche untersuchte, die Anwendung dieser furchtlosen Untersuchung auch auf das bürgerliche Herkommen und auf bürgerliche Rechte; sie lehrte den Menschen seinen Werth besser kennen, als bisher, also auch das Unrecht lebhafter empfinden, als bisher; sie erweckte den Feuereifer, der in Schriften und Liedern flammte, an denen sich der gemeine Mann ergötzte. Ohne den schon lange bestandenen Druck hätte die Reformation diese Ausbrüche nicht veranlaßt; aber ohne die Reformation hätte auch der schon lange bestandene Druck diese allgemeine Empörung nicht hervorgebracht.« Prälat von Schmid, im neuen theologischen Journal von 1795. S. 873 bis 882, bei Gelegenheit einer Kritik des Werkes von Sartorius über den Bauernkrieg.

Aber die eigentlichen Bewegungsmänner des Jahres 1524 waren Andere, als Luther. Mit Unrecht hat man von diesen angenommen, es sei Mißverstand der lutherischen Lehre von der evangelischen Freiheit gewesen, was sie getrieben habe; nicht falsch verstanden diese Männer diese Lehre, sondern anders verstanden sie dieselbe: von der gleichen Grundlage wie Luther ausgehend, gewannen sie andere Ergebnisse, weil sie die Consequenzen ihrer Grundsätze annahmen.

Ebensowenig war es ein Mißverstand, ein Nichtrecht-Verstehen von Seiten des Volkes, wenn dieses die evangelische Lehre von der christlichen Freiheit nicht bloß als Befreiung vom menschlichen Joch in Glaubenssachen, und von Sünde und Tod durch den Weltheiland aufnahm, sondern zugleich als Freiheit von den Diensten und Frohnen der Leibeigenschaft. Nicht mißverstanden wurde von dem gemeinen Manne Luthers Schrift und Lehre, sondern richtig verstanden wurde von ihm die von Luther abweichende, über ihn hinausgehende Lehre der andern Prediger, der Bewegungsmänner, welche ausdrücklich und klar dem nach Erleichterung und Erlösung Seufzenden das neue Evangelium der religiösen und bürgerlichen Freiheit boten, und die Leibeigenschaft unter Kindern Eines Vaters als unvereinbar mit der Christuslehre erklärten.

Während nämlich Luther von den revolutionären Anfällen sich ermäßigte und abwich, bauten, gleichzeitig mit Ulrich Hutten und nach seinem Tode, theils Mitarbeiter Luthers, theils Nachfolger in seinem Werke, gerade diese Seite recht mit Vorliebe an. Es waren Männer, welche aus dem Worte Gottes ganz eigene politische 166Anwendungen sich herauslasen, und rasche und kühne Schlüsse zogen, meist Leute, denen das Herz warm und voll für ihr Volk schlug, aber mitunter auch wilde Fanatiker. Der reinsten und besten Sache setzten sich auch immer Freunde und Mitarbeiter an, die nicht alle so rein waren und so vernünftig, wie diese Sache; und so waren wohl auch Eindringlinge in dieser religiösen und politischen Bewegung mitunter, die von weniger reinen, oder geradezu schlechten Beweggründen und Absichten geleitet wurden.

Eine Masse Flugschriften bearbeitete fortwährend in den Jahren 1521—24 in revolutionärem Sinne das Volk, deren Sinn fast immer auf den Schluß einer derselben hinauslief: »Es wird nicht mehr so gehen, wie bisher; des Spiels ist zuviel, Bürger und Bauern sind desselben überdrüssig; Alles muß sich ändern.« Weit mehr aber wirkte der mündliche Vortrag der wandernden Prediger oder »Prädikanten.« Wie die Apostel wanderten sie von Ort zu Ort, von Land zu Land, Männer aus allen Ständen, gelehrte und ungelehrte, edelgeborne und gemeine, wie sie der Geist ergriffen. So war es in den ersten Zeiten des Christenthums gekommen; so, da Huß den Brand in sein Jahrhundert geworfen hatte, das Unreine und Ungöttliche zu verzehren; so jetzt nach Luthers und seiner Geistesverwandten Auftritt. Diese wandernden Prediger gehörten in der Regel dem System der Bewegung, der demokratischen Richtung an. Ihr Ziel war nichts Geringeres, als eine Umwälzung, Gründung einer neuen christlichen Republik. In ihren Predigten lief die Politik mit der Religion, sie beleuchteten die Zustände des Volkes wie die kirchlichen Streitfragen des Tages mit Bibelsprüchen. Die schonungslose Kritik der Sitten der weltlichen und geistlichen Großen ward Lieblingsthema. Nichts war der Masse lieber, als wenn man »ihre Ohren kitzelte mit Geschrei wider die Reichen und Gewaltigen.« Eberlin v. Güntzberg. Vermahng.

Diese Männer der Bewegung theilten sich in drei Farben: in solche, die bloß auf die religiös-kirchliche Umwälzung ausgingen; in solche, welche bloß das Politische im Auge hatten, und in solche, die auf politisch-religiösem Standpunkt standen, mit Ueberwiegen des religiösen Elements in ihnen. In allen drei Farben gab es Gemäßigte und Aeußerste.

Von ihrem Auftreten bis zu dieser Stunde sind diese Männer 167von allen Seiten verketzert worden. Das Meiste zu der falschen und ungerechten Ansicht über sie trug die Parteileidenschaft der Wittenberger Theologen bei, besonders Luthers, bei dem die Reinheit seines Eifers in dieser Sache sehr stark getrübt, ja die persönliche Gereiztheit bei Weitem das Ueberwiegende war. Andere verkannten sie, weil sie nicht fähig waren, sich auf den Standpunkt dieser Männer zu stellen oder sich in ihre eigenthümlichen Charaktere zu versetzen und den Zusammenhang ihrer Denkweise und ihres Handelns zu begreifen. Sehr Viele ließen sich wider dieselben bloß von der damals fast allgemeinen Sucht einnehmen, Alles zu verlästern, was auf dem religiösen Gebiete anders dachte. Bei Vielen verloren sie den Kredit wegen ihrer politischen Tendenzen, bei den Einen, weil solche ihnen als Träume, als unausführbar erschienen; bei den Andern, weil diese nicht wußten, daß die Gleichheit Aller vor den Menschen ebenso eine Grundlehre des Evangeliums ist wie die Gleichheit vor Gott; und daß keine Religion eine wahre ist, als diejenige, welche die bürgerliche Freiheit zu ihrem nothwendigen Ausfluß hat. Das Schlimmste endlich war für diese Männer, daß sie unterlagen, daß ihre Sache besiegt wurde; dann auch, daß sich derselben so mancher Auswuchs und Mißbrauch, das eigentlich Ungereimte und Verrückte ansetzte. Auf ihre Rechnung wurde alles Unreine und Wahnsinnige gesetzt, was sich durch ihr Feuer entzündete. Man schloß von späteren, ein Jahrzehent nach ihrem Tode hervorgetretenen Erfolgen auf diese Männer zurück, mit deren Ideenkreis solche kaum in entferntester Berührung waren, und der berechnete Revolutionsentwurf der strengen Volksmänner von 1524 und 1525 mußte sich mit dem tollen münsterischen Fastnachtsspiel von 1536, der unter allem Feuer seiner Worte nüchterne Denker, Thomas Münzer, mußte sich mit dem verrückten Bockolt zusammenwerfen lassen. Es konnte dies um so leichter bis heute geschehen, je weniger diese Partie der Kirchen- und Staatsgeschichte noch genau untersucht war, und je mehr man sich angewöhnt hatte, auf die Gesammtheit einer bestimmten Richtung die nur auf einen kleinen Theil passenden Bezeichnungen Schwärmer und Wiedertäufer im schlimmsten Sinn anzuwenden.

Anders urtheilt die Parteileidenschaft und die autoritätsgläubige Masse, anders die Geschichte; sie muß sich die Ruhe und Freiheit des 168Geistes bewahren, besonders auf dem Boden des religiös-politisch Kampfes, und denen gegenüber, welche unterlegen sind. Was den Sieg zu einer Heldenthat verklärt hätte, macht in den Augen der Menge die Niederlage zum Verbrechen. Dem gewonnenen Spiel wird weise Berechnung nachgerühmt, das verlorene wird als Thorheit verurtheilt. Der Geschichte Pflicht ist es, dafür zu sorgen, daß die Gerechtigkeit über den Gräbern der Gefallenen wache. Wenn es jedoch überhaupt schwer ist, bei geheimen Planen und Unternehmungen die Handelnden, ihre Gedanken, Triebfedern und Werkzeuge an's Licht hervor aus ihrem Dunkel zu ziehen, so ist dies besonders schwer in unserem Falle. Viele Federn haben die Sieger gefunden; wenige, und sehr ängstliche, die Besiegten, zumal da sie dem Volk angehörten. Es läßt sich viel für jene Männer der That sagen, ohne daß man Alles billigt, was sie thaten, oder wie sie es thaten.


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