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Drittes Kapitel.

Die Zwickauer Schwärmer.

So weit man zurückgeht in der Geschichte des Christenthums, findet man die Vorstellung und die Erwartung von einem äußeren Reiche der Heiligen auf Erden, von der Gründung eines tausendjährigen Reiches, das alle Menschen als eine Gottesfamilie umschließen würde. Von jenen ersten Schriften der christlichen Offenbarung an ziehen sich Weissagungen von dem Untergange der Welt, einem neuen Himmel und einer neuen Erde, durch die Jahrhunderte hin. Wie in den alten Völkern die Sage von einem goldenen Zeitalter, von einem verlorenen Paradiesglück, und die Sehnsucht darnach lebte: so blieben in dem Herzen des neuen christlichen Volks die Verheißung und die Hoffnung einer vorwärts liegenden goldenen Zeit lebendig, wo die absolute Gottesherrschaft in unmittelbarer Herrlichkeit hervortreten, alles Böse, alles die freie Entfaltung eines Jeden Hemmende abgethan, Jeder in's volle Leben eingeführt werden würde, in ein Leben der Freiheit und Gleichheit, des Friedens und der Freude, der allgemeinen Glückseligkeit. In Zeiten großer Noth trat diese Erwartung immer wieder besonders lebendig im Volke 175hervor, und nicht nur neue Propheten standen von Zeit zu Zeit auf, welche die Ankunft des ersehnten Gottesreiches als nahe verkündeten, sondern auch Männer, welche wiederholte Versuche machten, dasselbe anzubahnen und in die Wirklichkeit einzuführen.

Am stärksten waren zuletzt diese »schwärmerischen« Ideen und Versuche in der großen hussitischen Bewegung hervorgetreten; die taboritische Lehre hatte auch nach ihrer Niederlage noch im Geheimen in manchen Köpfen fortgewirkt, und an Thüringen, das der Wiege derselben so nahe war, konnte sie nicht, ohne Spuren zu lassen, vorübergehen. In dem letztern Lande zeigte sich durch das ganze fünfzehnte Jahrhundert ein Hang zur Mystik und zum Fanatismus. Länger als irgendwo erhielt sich hier die Sekte der Geißler fort, und die Verfolgungen, welche die Kreuzbrüder, wie sie sich hießen, wegen ihres schwärmerischen Glaubens hier noch in der Mitte, ja noch zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts zu dulden hatten, die Scheiterhaufen, worauf sie zu Nordhausen, zu Aschersleben, zu Sangerhausen lebendig verbrannt wurden, konnten die Schwärmerei zwar zurückschrecken, aber nur in das verschlossene Herz des Volkes, wo sie im Geheimen fortglühte, bis sie nach Jahren auf's Neue mächtiger hervorbrach.

Eben da, wo Münzer jetzt als Prediger war, trat sie zuerst wieder offen an den Tag. Unabhängig von ihm und seiner Predigt hatte sich in Zwickau unter der allgemeinen religiösen Gährung ein eigenthümliches phantastisches Gewächs herausgebildet, ein neuer Prophetismus. Wie die alten Kreuzbrüder, wie andere ältere Sekten, verwarfen auch sie unter Anderem die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl, kirchliche Ceremonien und Priester. Zugleich rühmten sie sich unmittelbarer Offenbarungen, himmlischer Entzückungen und Gesichte, und sie glaubten fest daran.

Das Haupt dieser neuen Brüderschaft war Niclas Storch, ein Tuchmacher. Die Errichtung des »tausendjährigen Reiches« betrachtete er als seine ihm vom Himmel gewordene Aufgabe. Er umgab sich nach dem Beispiele des Herrn mit zwölf Aposteln und zweiundsiebzig Jüngern. Die ausgezeichnetsten waren unter diesen Marx Thomä und Marx Stübner von Elsterberg; der Letztere hatte zu Wittenberg studirt. Sie predigten in ihren Conventikeln von der 176nahen Verwüstung der Welt, von einem einbrechenden Strafgericht, das alle Unfrommen, Gottlosen austilgen, die Welt mit Blut reinigen, und nur die Guten übrig lassen werde; dann werde das Reich Gottes auf Erden beginnen, und Eine Taufe, Ein Glaube sein. Sleidan III. 58. Zeitung aus Wittenberg, bei Strobel, Miscellen. V. 127.

Melanchthon, Carlstadt ließen sich von dem Geiste der Zwickauer »Propheten« einnehmen. »Man sehe aus vielen Zeichen, sagte Melanchthon, daß gewisse Geister in ihnen seien.« Churfürst Friedrich von Sachsen scheute sich lange, gegen sie zu handeln, weil er in ihnen Werkzeuge Gottes zu unterdrücken fürchtete. Luther wehrte sie ab; aber als sie ihm, zum Beweise ihrer himmlischen Sendung und ihrer Gaben, sagten, was er im Augenblicke denke, und als sie es richtig trafen, daß er in diesem Augenblicke eine Hinneigung zu ihnen verspüre, da mußte selbst Luther ihnen Geist, besondere innwohnende Kräfte zugestehen, und er sah nur keine göttlichen, sondern »dämonische, satanische Kräfte« in ihnen.

Die Geschichte zeigt, wie in den ersten Zeiten des Christenthums und in späteren Entwicklungen desselben, besonders unter Glaubensverfolgungen und Glaubenskämpfen, seltsame, ungewöhnliche Gaben und Erscheinungen aus dem dunkeln Grunde des menschlichen Geistes hervortraten, unerhörte Aeußerungen geistiger und körperlicher Kraft, ein hinreißender schwärmerischer Geist, der, weil er nicht weggeläugnet werden konnte, von den Einen als unmittelbarer Geist Gottes, der auf den Ergriffenen ruhe, von den Andern als ein Zaubergeist der Hölle hingenommen wurde. Kinder und Alte, Männer und Frauen, sonst in Allem ganz gewöhnlich, sah man unter der Innbrunst der Andacht in Verzückung gerathen: mit Feuerworten redeten sie von göttlichen Dingen, aus ihren Bewegungen und Geberden leuchtete wie etwas Uebernatürliches, und unter Krämpfen und Zuckungen gaben sie die seltsamsten Anschauungen und Weissagungen künftiger Dinge von sich.

Münzer glaubte an die Möglichkeit der Gabe der Weissagung, an »die Geister, die, nach Schillers Wort, großen Geschicken voranschreiten;« aber an den Prophetenberuf der Zwickauer glaubte er nicht; er redet gering von diesen »guten Brüdern;« er hält es für keine große That, daß »Luther sie zu Narren machte« und sie überwand. Münzers Schutzrede wider das geistlose Fleisch zu Wittenberg.

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Glaubte er aber auch nicht an ihr Prophetenthum, so ließ er sich doch mit ihnen ein. Diese Handwerker, meist Tuchmacher und Leineweber, konnten ihm der Kern einer Partei und seine Werkzeuge werden. Arbeitervereine waren es, auf die Münzer zuerst sich stützte. Bald hatte er auch die Bergknappen an sich, wie die Tuchknappen der Gegend. Münzer nahm offen die Partei der »himmlischen Propheten;« er lobte Niclas Storch auf der Kanzel. Schon wollten sie anfangen, die Reform nach ihrem Sinne in Zwickau durchzusetzen. Der Rath verbot ihnen zu predigen; Münzer behauptete, man müsse sie predigen lassen. Ihr Benehmen wurde aufregender, ihre Versammlungen wurden fanatischer, der Rath verbot diese. Sie hielten nun heimliche Zusammenkünfte und äußerten sich fortwährend feindselig gegen die Kirchenceremonien und den Magistrat. Da legte dieser die Erhitztesten unter ihnen in das Gefängniß.

Als sie sich so behandelt sahen, und sich überzeugten, daß sie in der Stadt nicht die Oberhand gewinnen konnten, verließ ein großer Theil der Partei dieselbe. Die Einen gingen nach Wittenberg, die Andern wandten sich nach Böhmen; unter diesen auch Münzer selbst.

Es war dies zu Ende des Jahres 1521.


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