Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Die zwölf Artikel.

Thomas Münzer.

Die Unterhandlungen der Bauern mit dem schwäbischen Bunde, der die Miene angenommen hatte, als wolle er zwischen den Herrschaften und den Bauerschaften an der Donau vermitteln, waren in Nichts zerronnen; aber Eines hatten die Bauern gewonnen aus diesem Anlaß, nur ein Stück Papier, aber ein Denkmal, welche Macht im Worte liegt, in der Fassung eines Gedankens in den rechten Ausdruck und Rahmen, im rechten Augenblick. Das waren die zwölf Artikel.

Es war Gewohnheit von Alters her, daß der gemeine Mann in Städten und auf dem Lande seine Beschwerden in Artikel brachte.

407

Die Bauerschaften der Grafen von Fürstenberg, Sulz und Stühlingen faßten ihre Beschwerden in sechzehn Artikel oder Punkte zusammen und setzten dieselben schriftlich auf, um sie auf den Tagen zu Stockach, zu Schaffhausen, zu Radolfzell und zu Eßlingen vorzulegen. So setzte durch das ganze deutsche Land der gemeine Mann seine Beschwerden in einer größern oder kleinern Zahl von Punkten schriftlich auf, um auf gütlichem Wege mit seinen Herren darüber zu verhandeln, und Zugeständnisse und Erleichterungen, Rückgabe alter entrissener Rechte, ein gnädiges Einsehen in sein Elend von der Aristokratie zu erlangen; im Würzburgischen legten die Bauern 50 Artikel vor, im Mainzischen 29, die Bürgerschaft in Frankfurt 41, die in Münster 34, die Bauern in Innthal 19 u. s. w. Alle diese Artikel treffen in manchen Punkten zusammen, in vielen weichen sie voneinander ab, je nach der Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse.

Im ersten Viertel des Jahres 1525 entstand in Oberschwaben eine kleine Reihe von bauerschaftlichen Forderungen, die sich unter dem Namen der »zwölf Artikel« berühmt machten; gedruckt verbreiteten sie sich seit dem Monat März, Monat Martii steht unter einer Ausgabe. trotz des Verbots in Baiern und Oesterreich, mit Blitzesschnelle durch ganz Deutschland; die gedruckten Exemplare wurden als ein allgemeines Manifest des gemeinen Mannes bald von allen Bauerschaften angenommen, und gaben dem Gange der großen Volksbewegung eine bestimmtere Richtung auf ein gemeinsames Ziel, den zerstreuten Gemeinden ein religiös-politisches Glaubensbekenntniß in die Hand, um welches sie sich vereinten.

Die Ueberschrift desselben lautet: »Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller Bauerschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von welchen sie sich beschwert vermeinen.« – Darauf folgt eine Einleitung: »Dem christlichen Leser Friede und Gnade Gottes durch Christum.«

»Es sind viele Widerchristen, die jetzt wegen der versammelten Bauerschaft das Evangelium zu schmähen Ursache nehmen, indem sie sagen: ›Das sind die Früchte des neuen Evangeliums, Niemand gehorsam sein, an allen Orten sich emporheben und aufbäumen, mit 408großer Gewalt zu Hauf laufen und sich rotten, geistliche und weltliche Obrigkeit zu reformiren, auszureuten, ja vielleicht gar zu erschlagen!‹ Allen diesen gottlosen freventlichen Urtheilen antworten diese hier geschriebenen Artikel, sowohl damit sie diese Schmach des Wortes Gottes aufheben, als auch den Ungehorsam, ja die Empörung aller Bauern christlich entschuldigen.

»Fürs Erste ist das Evangelium nicht eine Ursache der Empörung oder Aufruhren; dieweil es eine Rede ist von Christus, dem verheißenen Messias, dessen Wort und Leben nichts, denn Liebe, Friede, Geduld und Einigkeit lehret (Röm. 2.), also, daß Alle, die an diesen Christus glauben, lieblich, friedlich, geduldig und einig werden, so denn der Grund aller Artikel der Bauern, wie denn klar gesehen wird, dahin gerichtet ist, das Evangelium zu hören und demgemäß zu leben. Wie mögen denn die Widerchristen das Evangelium eine Ursache der Empörung und des Ungehorsams nennen? Daß aber etliche Widerchristen und Feinde des Evangeliums wider solches Anmuthen und Begehren sich lehnen und aufbäumen, ist das Evangelium nicht Ursache, sondern der Teufel, der schädlichste Feind des Evangeliums, welcher solches durch den Unglauben in den Seinen erweckt, damit das Wort Gottes, das Liebe, Frieden und Einigkeit lehrt, unterdrückt und weggenommen würde.

»Zum Andern folgt dann klar und lauter, daß die Bauern, die in ihren Artikeln solches Evangelium zur Lehre und zum Leben begehren, nicht mögen ungehorsam, aufrührisch genannt werden. Ob aber Gott die Bauern, die da nach seinem Wort zu leben ängstlich rufen, erhören will, wer will den Willen Gottes tadeln (Röm. 11)? Wer will in sein Gericht greifen (Jesais 40)? Ja, wer will seiner Majestät widerstreben (Röm. 8)? Hat er die Kinder Israel, als sie zu ihm schrieen, erhört, und aus der Hand Pharaos erledigt, mag er nicht noch heute die Seinen erretten? Ja, er wird sie erretten, und in einer Kürze (2. Mos. 3. 14 Luc. 18, 8). Darum christlicher Leser, lies die nachfolgenden Artikel mit Fleiß und nachmals urtheile.

Erster Artikel.

»Zum Ersten ist unsere demüthige Bitte und Begehr, auch unser aller Wille und Meinung, daß wir nun fürhin Gewalt und Macht 409haben wollen, eine ganze Gemeinde soll einen Pfarrer selbst erwählen und kiesen (1. Timoth. 3), auch Gewalt haben, denselben wieder zu entsetzen, wenn er sich ungebührlich hielte (Tit. 1). Der erwählte Pfarrer soll uns das Evangelium lauter und klar predigen, ohne allen menschlichen Zusatz, Menschenlehr und Gebot (Apost. 14). Denn das, daß uns der wahre Glaube stets verkündiget wird, gibt uns eine Ursache, Gott um seine Gnade zu bitten, daß er uns denselben lebendigen Glauben einbilde und in uns bestätige (5. Mos. 17. 2. Mos. 31). Denn wenn seine Gnade in uns nicht eingebildet wird, so bleiben wir stets Fleisch und Blut, das dann nichts nutz ist, (5. Mos. 10. Joh. 6) wie klärlich in der Schrift steht, daß wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen können, und allein durch seine Barmherzigkeit selig werden müssen (Gal. 1). Darum ist uns ein solcher Vorgeher und Pfarrer von Nöthen, und in dieser Gestalt in der Schrift gegründet.

Zweiter Artikel.

»Zum Andern, nachdem der rechte Zehent aufgesetzt ist im alten Testament und im neuen als erfüllt, wollen wir nichts desto minder den rechten Kornzehent gern geben, doch wie es sich gebührt. Demnach man solle ihn Gott geben und den Seinen mittheilen (Hebräerbrief. Psalm 109). Gebührt er einem Pfarrer, der klar das Wort Gottes verkündet, so sind wir Willens: es sollen hinfür diesen Zehent unsere Kirchpröbste, welche dann eine Gemeine setzt, einsammeln und einnehmen, davon einem Pfarrer, der von einer ganzen Gemeinde erwählt wird, seinen ziemlichen genügsamen Unterhalt geben, ihm und den Seinen, nach Erkenntniß einer ganzen Gemeinde, und was überbleibt, soll man armen Dürftigen, so in demselben Dorf vorhanden sind, mittheilen, nach Gestalt der Sache und Erkenntniß einer Gemeinde (5. Mos. 25. 1. Timoth. 5., Matth. 10. und Cor. 9). Was übrig bleibt, soll man behalten, für den Fall, daß man von Landesnoth wegen einen Kriegszug machen müßte; damit man keine Landessteuer auf den Armen legen dürfte, soll man es von diesem Ueberschuß ausrichten. Fände es sich, daß eines oder mehr Dörfer wären, welche den Zehenten selbst verkauft hätten, etlicher Noth halber, soll der, welcher von selbigem zeigt, daß er ihn in der Gestalt von einem ganzen Dorf hat, solches nicht entgelten, 410sondern wir wollen uns ziemlicher Weise nach Gestalt der Sache mit ihm vergleichen (Lucä 6. Matth. 5), ihm solches wieder mit ziemlichem Ziel und Zeit ablösen. Aber wer von keinem Dorfe solches erkauft hat, und dessen Vorfahren sich selbst solches zugeeignet haben, denen wollen und sollen wir nichts weiter geben, sind ihnen auch nichts weiter schuldig, als wie oben steht, unsere erwählten Pfarrer damit zu unterhalten, nachmals ablösen, oder den Dürftigen mittheilen, wie die heilige Schrift enthält. Ob Geistlichen oder Weltlichen, den kleinen Zehent wollen wir gar nicht geben. Denn Gott der Herr hat das Vieh frei dem Menschen erschaffen (1. Mos. 1). Diesen Zehent schätzen wir für einen unziemlichen Zehent, den die Menschen erdichtet haben; darum wollen wir ihn nicht weiter geben.

Dritter Artikel.

»Zum Dritten ist der Brauch bisher gewesen, daß man uns für Eigenleute gehalten hat, welches zum Erbarmen ist, angesehen, daß uns Christus Alle mit seinem kostbaren, vergossenen Blut erlöst und erkauft hat (Jesai. 53. 1. Pet. 1. 1. Cor. 7. Röm. 13) den niedern Hirten eben sowohl als den Aller-Höchsten, keinen ausgenommen. Darum erfindet sich in der Schrift, daß wir frei sind und wir wollen frei sein (Weish. 6. 1. Pet. 2). Nicht daß wir gar frei sein, keine Obrigkeit haben wollen; das lehret uns Gott nicht. Wir sollen in Geboten leben, nicht in freiem fleischlichem Muthwillen (5. Mos. 6. Matth. 4), sondern Gott lieben als unsern Herrn, in unsern Nächsten ihn erkennen, und Alles das ihnen thun, was wir auch gern hätten, wie uns Gott am Nachtmahl geboten hat zu einer Letze (Lucä 4. 6. Matth. 5. Joh. 13). Darum sollen wir nach seinem Gebot leben. Dies Gebot zeigt und weist uns nicht an, daß wir der Obrigkeit nicht gehorsam seien. Nicht allein vor der Obrigkeit, sondern vor Jedermann sollen wir uns demüthigen (Röm. 13). Wie wir auch gerne unserer erwählten und gesetzten Obrigkeit, so uns von Gott gesetzt ist (Apostelgesch. 5), in allen ziemlichen und christlichen Sachen gehorsam sind; wir sind auch außer Zweifel, ihr werdet uns der Leibeigenschaft als wahre und rechte Christen gern entlassen, oder uns aus dem Evangelium dessen berichten, daß wir leibeigen sind.

411

Vierter Artikel.

»Zum Vierten ist bisher im Brauch gewesen, daß kein armer Mann Gewalt gehabt hat, das Wildpret, Geflügel oder Fische im fließenden Wasser zu fangen, was uns ganz unziemlich und unbrüderlich dünkt, eigennützig und dem Worte Gottes nicht gemäß. Auch hegt in etlichen Orten die Obrigkeit das Gewild uns zu Trutz und mächtigem Schaden, weil wir leiden müssen, daß uns das Unsere, was Gott dem Menschen zu Nutz hat wachsen lassen, die unvernünftigen Thiere zu Unnutz muthwillig verfressen, und wir sollen dazu stillschweigen, was wider Gott und den Nächsten ist. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt gegeben über alle Thiere, über den Vogel in der Luft und über die Fische im Wasser (1. Mos. 1. Apostelgesch. 19. 1. Tim. 4. 1. Cor. 10. Coloss. 2). Darum ist unser Begehren: wenn einer ein Wasser hätte, daß er es mit genugsamer Schrift, als unwissentlich erkauft, nachweisen mag; solches begehren wir nicht mit Gewalt zu nehmen, sondern man müßte ein christliches Einsehen darein haben, von wegen brüderlicher Liebe. Aber wer nicht genugsame Beweise dafür anbringen kann, soll es ziemlicher Weise an die Gemeinde zurückgeben.

Fünfter Artikel.

»Zum Fünften sind wir auch beschwert der Beholzung halb, denn unsere Herrschaften haben sich die Hölzer alle allein zugeeignet, und wenn der arme Mann etwas bedarf, muß ers ums doppelte Geld kaufen. Unsere Meinung ist, was für Hölzer Geistliche oder Weltliche, die sie immer haben, nicht erkauft haben, die sollen einer ganzen Gemeinde wieder anheim fallen, und einem Jeglichen aus der Gemeinde soll ziemlicher Weise frei sein, daraus seine Nothdurft ins Haus umsonst zu nehmen, auch zum Zimmern, wenn es von Nöthen sein würde, soll er es umsonst nehmen dürfen, doch mit Wissen derer, die von der Gemeinde dazu erwählt werden, wodurch die Ausreutung des Holzes verhütet werden wird. Wo aber kein Holz vorhanden wäre, als solches, das redlich erkauft worden ist, so soll man sich mit den Käufern brüderlich und christlich vergleichen. Wenn aber einer das Gut anfangs sich selbst zugeeignet und es nachmals verkauft hätte, so soll man sich mit den Käufern vergleichen nach Gestalt der Sache und Erkenntniß brüderlicher Liebe und heiliger Schrift.

412

Sechster Artikel.

»Zum Sechsten ist unsere harte Beschwerung der Dienste halb, welche von Tag zu Tag gemehrt werden und täglich zunehmen. Wir begehren, daß man darein ein ziemlich Einsehen thue, und uns dermaßen nicht so hart beschwere, sondern uns gnädig hierin ansehe, wie unsere Eltern gedient haben, allein nach Laut des Wortes Gottes (Röm. 10).

Siebenter Artikel.

»Zum Siebenten wollen wir hinfür uns von einer Herrschaft nicht weiter beschweren lassen, sondern wie es eine Herrschaft ziemlicher Weise einem verleiht, also soll er es besitzen, laut der Bereinigung des Herrn und des Bauern. Der Herr soll ihn nicht weiter zwingen und dringen, nicht mehr Dienste noch Anderes von ihm umsonst begehren (Luc. 3. Thess. 6), damit der Bauer solch Gut unbeschwert, also geruhlich brauchen und genießen möge; wenn aber des Herrn Dienst von Nöthen wäre, soll ihm der Bauer willig und gehorsam vor andern sein, doch zu Stund und Zeit, da es dem Bauern nicht zum Nachtheil diene, und soll ihm um einen ziemlichen Pfenning den Dienst thun.

Achter Artikel.

»Zum Achten sind wir beschwert, und derer sind viele, so Güter inne haben, indem diese Güter die Gült nicht ertragen können, und die Bauern das Ihrige darauf einbüßen und verderben. Wir begehren, daß die Herrschaft diese Güter ehrbare Leute besichtigen lasse, und nach der Billigkeit eine Gült erschöpfe, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst thue; denn ein jeglicher Tagwerker ist seines Lohnes würdig (Math. 10).

Neunter Artikel.

»Zum Neunten sind wir beschwert der großen Frevel halb, indem man stets neue Ansätze macht, nicht daß man uns straft nach Gestalt der Sache, sondern zu Zeiten aus großem Neid, und zu Zeiten aus großer parteilicher Begünstigung Anderer. Unsere Meinung ist, uns nach alter geschriebener Straf zu strafen, je nachdem die Sache gehandelt ist, und nicht parteiisch (Jesaj. 10. Ephes. 6. Luc. 3. Jer. 16).

413

Zehnter Artikel.

»Zum Zehnten sind wir beschwert, daß etliche sich haben zugeeignet Wiesen und Aecker, die doch einer Gemeinde zugehören. Selbige werden wir wieder zu unserer Gemeinden Handen nehmen, es sei denn die Sache, daß man es redlich erkauft hätte; wenn man es aber unbilliger Weis' erkauft hätte, soll man sich gütlich und brüderlich miteinander vergleichen nach Gestalt der Sache.

Elfter Artikel.

»Zum Elften wollen wir den Brauch, genannt der Todfall, ganz und gar abgethan haben, nimmer leiden noch gestatten, daß man Wittwen und Waisen das Ihrige wider Gott und Ehren also schändlich nehmen und sie berauben soll, wie es an vielen Orten in mancherlei Gestalt geschehen ist. Von dem, was sie beschützen und beschirmen sollten, haben sie uns geschunden und geschaben, und wann sie ein wenig Fug hätten gehabt, hätten sie dies gar genommen. Das will Gott nicht mehr leiden, sondern das soll ganz ab sein, kein Mensch soll hinfür beim Todfall schuldig sein etwas zu geben, weder wenig noch viel (5. Mos. 13. Matth. 8. 23. Jes. 10).

Beschluß.

»Zum Zwölften ist unser Beschluß und endliche Meinung: Wenn einer oder mehrere der hier gestellten Artikel dem Worte Gottes nicht gemäß wären, so wollen wir, wo uns selbige Artikel mit dem Worte Gottes als unziemlich nachgewiesen werden, davon abstehen, sobald man uns es mit Grund der Schrift erklärt. Und ob man uns gleich etliche Artikel jetzt schon zuließe, und es befände sich hernach, daß sie unrecht wären, so sollen sie von Stund an todt und ab sein, nichts mehr gelten. Deßgleichen wenn sich in der Schrift mit der Wahrheit mehr Artikel fänden, die wider Gott, und dem Nächsten zur Beschwerniß wären, wollen wir uns diese auch vorzubehalten beschlossen haben, und uns in aller christlichen Lehre üben und brauchen, darum wir Gott den Herrn bitten wollen, der uns dasselbige geben kann, und sonst Niemand. Der Friede Christi sei mit uns Allen.« Wörtlich nach dem Original, hie und da zum allgemeineren Verständniß ein Wort oder eine Wendung etwas modernisirt.

Man fühlt es diesem merkwürdigen Manifeste an, daß es nicht 414aus einem Gusse, sondern aus verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzt ist. Sichtbarlich ist die Einleitung und der Schluß später hinzugefügt, und von einem andern Verfasser, als die dazwischen liegenden Artikel dem größten Theile nach. Die Artikel selbst zerfallen in Forderungen von dreifacher Art: solche, welche seit Jahrhunderten immer wiederholt gestellt wurden, wie die Freiheit der Jagd, des Fischens, der Holzung und die Beseitigung des Wildschadens; solche, welche die Abstellung neuer Beschwerungen, der vervielfachten ungerechten Frohnen und Steuern, der parteiischen Rechtspflege, überhaupt der Uebergriffe der Herrschaften fordern; und endlich solche, in welchen die neue Lehre von der evangelischen Freiheit sich geltend macht, und welche Leibeigenschaft, kleinen Zehenten, Todfall als unbiblisch und unchristlich beseitigen, freie Religionsübung und Wahl der Prediger durch die Gemeinde als ein evangelisches Recht ansprechen. Die Artikel der ersten Art sind ganz alt, und nur wieder neu aufgenommen; die der zweiten Art traten schon im Sommer 1524 hervor. Die der letzten Art fallen offenbar erst mit dem Einfluß zusammen, welchen die Prediger der die geistliche und weltliche Freiheit verschmelzenden Richtung in der letzten Zeit auf die Bewegung des Volkes gewonnen hatten.

Die Gegend, von welcher die zwölf Artikel ausgingen, ist Oberschwaben. »Die zwölf beiliegenden gedruckten Artikel, so die Bauerschaft oberhalb Ulm an der Donau ausgehen lassen,« sagt Wilhelm, Herr zu Lympurg, in der Annahmeurkunde. Originalurkunde in der Sammlung des Prälaten v. Schmid. Die Sprachweise stimmt ganz mit vielen gleichzeitigen Urkunden aus jener Gegend überein; es ist die gerade sich bildende allgemeine Schriftsprache. Man hat schon angenommen, wahrscheinlich seien sie um die Zeit zusammengestellt worden, als die Herren in Stockach und in Ulm zum vierten und fünften Male vorspiegelten, als wäre es ihnen mit Milderung der bäuerlichen Beschwerden Ernst. In Stockach geschah das zwischen dem 26. und 28 Februar 1525. Das Erstere eine Conjektur des Prälaten v. Schmid in einer Anmerkung zu den 12 Artikeln. In Ulm geschah es vor der Mitte des Februar 1525. Am 15. Februar schon schrieb der Kanzler Eck an seine Fürsten:

415

»Der Bauern Begehren steht auf etlichen vielen Artikeln, aber gemeiniglich auf nachfolgenden: Erstlich wollen sie nicht eigen, sondern allein Christi sein. Zum Andern wollen sie alle Scharwerk, Fastnachthennen, Kleinzehnten abthun und solches nicht mehr schuldig sein. Sie sagen, es sei wider brüderliche Liebe, und man finde in dem Evangelium nirgends, daß man es zu thun schuldig sei. Zum Dritten wollen sie alle Rent, Zins und Gült durchaus abgethan haben. Zum Vierten sollen alle fließenden Wasser, das Holz, die Vögel in Lüften und das Wildpret frei sein; denn die seien allen Menschen geschaffen und gegeben. Sie haben auch noch viel sondere Artikel, die sie vermeinen zu erlangen.«

Am 17. Februar meldet er »den Eingang der Begehren aller (oberschwäbischen) Bauerschaft

Das war wohl der erste, weitläufere Entwurf, Man vergleiche, was gleich nachher aus Münzers Verhör angeführt ist. welchen Münzer abgefaßt haben könnte, auf der Grundlage der Pfeiffer'schen Mühlhäuser Artikel. Denn gerade in diesen Tagen des Februar zog Thomas Münzer an der Donau herab.

Auf zwölf Artikel zusammengezogen und ermäßigt, mögen diese Begehren dann um die Mitte März als Eingabe der drei verbrüderten Haufen Oberschwabens an den schwäbischen Bund gebracht worden sein. Der Ausschuß der evangelischen Verbrüderung auf dem Tage zu Memmingen dürfte ihnen diese letzte Fassung gegeben haben.

Die älteste Ausgabe Sie befindet sich unter vielen anderen Ausgaben in der Sammlung des Prälaten v. Schmid im Stuttgarter Staats-Archiv. hat keine Spruchanführungen aus der heiligen Schrift, und trägt den einfachen Titel: »Beschwerung und freundlich Begehren mit angeheftetem christlichem Erbieten der ganzen Bauerschaft, so jetzund versammelt.«

Ein Fortschritt war es, daß inmitten dieser Bauerschaft an der obern Donau der Gedanke entstand und gleich verwirklicht wurde, diese Artikel drucken zu lassen, als Grundrechte des Volkes überhaupt. Noch im März gedruckte Ausgaben haben einen Titel, auf welchem die an der Donau versammelte Bauerschaft sich schon erweitert hat zur allgemeinen deutschen Bauerschaft. Sie führen den Titel: »Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller 416Bauerschaften und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von welchen sie sich ganz hart und hoch beschwert vermeinen.« Eine Ausgabe führt das merkwürdige Motto, das an Münzer und das tausendjährige Reich der Wiedertäufer erinnert: MC quadratum, LC duplicatum, V cum transibit, Christiana secta peribit; daneben die deutsche Umschreibung davon: »Ein M (tausend) vier C (hundert), zwei L (fünfzig) darbei, und ein X (zehen), das zwiefach sei, bald man ein V (fünf) dazu wird schreiben, werden nit so viel Sekten der Christen bleiben.«

Die bestunterrichteten Zeitgenossen haben bald nach dem Kriege die zwölf Artikel zuletzt immer auf Thomas Münzer zurückgeführt, als auf den, »von welchem sie ursprünglich hergeflossen.« Ihre überaus milde Form weist nicht auf Münzers Feder. In der Todesstunde noch erklärte er, daß er der Verfasser der zwölf Artikel nicht sei. Er gestand: »im Hegau und Klettgau habe er etliche Artikel, wie man herrschen soll, aus dem Evangelium angegeben, und daraus haben später Andere Artikel gemacht.« Zugleich aber gestand er, auf wiederholte, peinliche Frage nach dem Verfasser: »Aus etlichen Artikeln, welche die Brüder bewegt haben, deren Verfasser ihm nicht bekannt sei, seien die zwölf Artikel der Schwarzwälder Bauern gewesen und Anderer.« Münzers Verhör: »Im Klettgau und Hegau bei Basel habe er etliche Artikel, wie man herrschen soll, angegeben aus dem Evangelio, daraus fürder andere Artikel gemacht; hätten ihn gern zu sich genommen, habe aber ihnen gedankt.« Und nachher: »Aus etlichen Artikeln, so die Brüder bewegt, die ihme nicht wißlich, seyn die zwölf Artikel der Schwarzwälder Bauern gewesen und Anderer.« Es ist möglich, daß er den Verfasser der Artikel, welche die Brüder so bewegten, auch auf der Folter verschwieg, weil es vielleicht – Heinrich Pfeiffer war.

Pfeiffers Wirken in Mühlhausen und seine dortigen Reformen tragen das Gepräge der Mäßigung und der Besonnenheit. Pfeiffer schrieb eine geschickte Feder, wo es Gründe galt, und durch Münzer können sie an die obere Donau gekommen sein. Auch Schappeler, der Prediger zu Memmingen, der als Verfasser von Einigen angesehen wurde, erklärte noch im späten Alter, daß sie nicht von ihm seien. Heuglin, als Verfasser angeklagt, hatte den Bauern von 417Sernatingen ihre Beschwerden in Artikel gebracht; die waren aber ganz örtlich und nicht die berühmten zwölf Artikel. Friedrich Weigand, der Mainzische Rentbeamte, konnte die zwölf Artikel geschrieben haben, seinem Geiste und dem Geiste der Artikel nach. Er konnte sie nach Oberschwaben überschicken; denn er schickte später auch an den Verfassungs-Ausschuß nach Heilbronn Entwürfe und Rathschläge bedeutenden Inhalts für die Volkssache. Neuerdings hat man auch auf den Fuchssteiner gerathen, als den Verfasser der zwölf Artikel. Der Fuchssteiner saß damals noch zu Kaufbeuren, war und hieß »der Bauernadvokat,« und er galt bei der baierischen Regierung als derjenige, welcher die örtlichen Beschwerden den Gemeinden dortherum verfasse. »Wir achten, Fuchssteiner zu Kaufbeuren sei fast aller Artikel Kanzler,« schrieb der Egloffsteiner nach München. Jedenfalls ist kaum glaublich, daß der Fuchssteiner nicht seine Hand und seinen Kopf sollte dabei gehabt haben, wenn sie in dem Ausschuß zu Memmingen, unter Zugrundlegung der vielen anderen bekannt gewordenen Artikel, oder der Pfeiffer-Münzerischen, die Redaktion der berühmten »zwölf Artikel« beriethen und beschlossen.

Ihr Inhalt ist gemäßigt, noch mehr der Ton, worin sie abgefaßt sind. Es ist, als spräche einer, der keine gewaltthätige Revolution, keine Forderungen völliger gleichheitlicher Freiheit durchzusetzen, sondern Herren und Unterthanen eine Richtschnur an die Hand geben wollte, die aus der heiligen Schrift gezogen war, und woran sie sich mit Sicherheit und Billigkeit halten konnten. In klarer Sprache sind die Wünsche des Volkes dargelegt; es sind Begehren, gegen altes und neues Unrecht gerichtet, das die Herren sich gegen den gemeinen Mann zu Schulden hatten kommen lassen, und schon darum gerecht; gerechter aber noch, weil Natur und Gotteswort dafür sprachen. Es weht darin ein Geist der Milde, der Versöhnlichkeit, in der Sprache des Unterdrückten vor, und ein christliches Erbieten, kein wohl und redlich erworbenes Recht der Herrschaften gewaltsam verletzen, kein Zugeständniß erreichen zu wollen, als was das göttliche Wort zugäbe.


 << zurück weiter >>