Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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Im Herbst 1814 heiratete Nikolai die Fürstin Marie und zog mit seiner Frau, seiner Mutter und Sonja nach Lysy Gory. Nach drei Jahren hatte er, ohne von den Gütern seiner Frau etwas zu verkaufen, den Rest der Schulden bezahlt, und als er eine kleine Erbschaft von einem entfernten Verwandten erhielt, bezahlte er auch an Peter seine Schuld.

Nach weiteren drei Jahren hatte Nikolai seine Geldangelegenheiten so geordnet, daß er ein kleines Gut neben Lysy Gory kaufen konnte und über den Rückkauf des väterlichen Gutes Otradno verhandeln konnte. Bald widmete er sich mit großem Eifer der Landwirtschaft und sie war fast seine ausschließliche Beschäftigung. Er war ein einfacher Wirt, liebte keine Neuerungen, am wenigsten die englischen, welche damals in Mode kamen, lachte über theoretische Werke über die Landwirtschaft; von Fabriken, von teuren Anlagen hielt er nichts und kümmerte sich nicht um den Stickstoff und den Sauerstoff, welcher sich in der Ackerkrume und in der Luft befinden, und nicht um neuerfundene Pflüge und dergleichen, sondern um jenes wichtige Werkzeug, durch welches Stickstoff und Sauerstoff und der Pflug zur Wirksamkeit gelangen, um den Bauern. Er beobachtete den bäuerlichen Arbeiter und suchte zu erkennen, was der Bauer bedürfe, was er für böse und gut hielt, und erst dann, als er den Geschmack und die Bestrebungen des Bauern begriffen hatte, als er nach seiner Redeweise zu sprechen und den geheimen Sinn seiner Rede zu begreifen gelernt hatte, als er sich mit ihm eins fühlte, erst dann begann er mit Zuversicht zu regieren, das heißt, in seinem Verhältnis zum Bauern dieselbe Pflicht zu erfüllen, deren Erfüllung er von dem Bauern verlangte, und die Wirtschaft Nikolais brachte glänzende Resultate. Nur bei wenigen Gutsherren wurden die Felder so früh besät und gaben so reiche Ernten wie bei Nikolai. Mit dem leibeigenen Hofgesinde hatte er nicht gern zu tun und nannte es unnütze Esser. Wenn er über diese etwas zu verfügen hatte, besonders wenn er strafen mußte, war er unschlüssig und beriet sich mit allen im Hause. Nur wenn es möglich war, anstatt eines Bauern einen Menschen vom Hofgesinde als Rekruten abzugeben, tat er dies ohne Zögern. In allen seinen Verfügungen in bezug auf die Bauern hatte er niemals den geringsten Zweifel, er wußte, daß sie stets von allen, mit wenigen Ausnahmen, gut geheißen werden.

Oft sprach er ärgerlich nach irgendeinem Mißerfolg oder einer Unordnung von »unserem russischen Volk« und bildete sich ein, er könne den Bauern nicht ausstehen, aber mit allen Geisteskräften liebte er dieses – »unser russisches Volk« und sein Leben.

Die Fürstin Marie wurde eifersüchtig auf die Liebe für den Bauern und bedauerte, daß sie nicht daran teilnehmen konnte, aber sie konnte weder die Freude noch den Verdruß begreifen, die ihm aus dieser ihr fremden Welt erwuchsen. Sie konnte nicht begreifen, warum er so glücklich war, wenn er bei der Aussaat oder bei der Ernte vom Felde zurückkehrte, um mit ihr Tee zu trinken, nachdem er den ganzen Morgen seit dem Frührot auf dem Felde zugebracht hatte. Noch weniger konnte sie begreifen, warum er mit seinem guten Herzen und seiner Bereitwilligkeit, allen ihren Wünschen zuvorzukommen, außer sich geraten konnte, wenn sie ihm die Bitten alter Bauernweiber um Befreiung von der Arbeit wiederholte, und warum er, der gute Nikolai, dies hartnäckig verweigerte und sie zornig ersuchte, sich nicht in Dinge zu mischen, die sie nicht verstehe. Sie fühlte, daß er eine besondere Welt hatte, die er leidenschaftlich liebte, mit eigentümlichen Gesetzen, die sie nicht begriff.

Wenn sie zuweilen von seinen Verdiensten sprach, die er sich erwerbe, indem er seinen Untertanen Gutes erwies, erwiderte er zornig: »Durchaus nicht! Das kommt mir gar nicht in den Sinn! Ich tue gar nichts für ihr Wohl. Diese ganze Poesie ist nur Weibergeschwätz von diesem Wohl des Nächsten. Ich habe für unsere Kinder zu sorgen, ich muß unser Vermögen sichern, solange ich am Leben bin. Das ist alles! Aber dazu ist Ordnung nötig und Strenge! . . . Das ist's« sagte er und ballte seine sanguinische Faust. »Und Gerechtigkeit, natürlich!« fügte er hinzu, »denn wenn der Bauer bloß und hungrig ist und nur ein Pferdchen hat, so kann er weder für sich noch zu meinem Nutzen etwas ausrichten.«

Und vielleicht deshalb, weil Nikolai sich den Gedanken daran nicht erlaubte, daß er etwas aus Tugend und Pflichtgefühl für andere tue, trug alles, was er tat, reiche Früchte. Sein Vermögen vergrößerte sich schnell, die benachbarten Bauern kamen zu ihm, um ihn zu bitten, er möchte sie kaufen, und noch lange nach seinem Tode erhielt sich im Volk die Erinnerung an seine Verwaltung.

»Das war ein Wirt!« sagten die Bauern. »Zuerst der Bauer und dann sein Vorteil! Mit einem Wort – das war ein Herr!«


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