Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

171

Als Peter nach Gorky zurückgekommen war, befahl er seinem Reitknecht, die Pferde frühmorgens bereitzuhalten und ihn zu wecken. Dann schlief er sogleich ein in einer Ecke des Verschlags. Als Peter am anderen Morgen erwachte, war niemand mehr in der Hütte. Die Fenster zitterten, der Stallmeister stand am Bett und schüttelte ihn.

»Erlaucht! Erlaucht! Erlaucht!« wiederholte er hartnäckig, ohne Peter anzublicken und schien schon alle Hoffnung zu verlieren, ihn erwecken zu können.

»Was? Hat es schon angefangen?« fragte Peter erwachend.

»Belieben Sie das Schießen zu hören«, sagte der Stallmeister, ein verabschiedeter Soldat. »Alle Herren sind schon hinausgegangen, selbst Seine Durchlaucht ist schon lange abgefahren.«

Peter kleidete sich hastig an und lief auf die Treppe hinaus. Draußen war es hell, frisch und tauig, die Sonne brach eben aus einer Wolke hervor. Deutlicher hörte man den Kanonendonner. Ein Adjutant trabte mit Kosaken vorüber.

»Es ist Zeit, Graf! Es ist Zeit!« rief der Adjutant.

Peter ließ sein Pferd vorführen und ritt hinaus auf der Straße nach dem Hügel, von dem aus er gestern das Schlachtfeld überblickt hatte. Auf diesem Hügel stand eine Gruppe Offiziere, man hörte ihr französisches Gespräch und sah den weißen Kopf Kutusows mit seiner weißen Mütze mit rotem Rand. Kutusow blickte mit einem Fernrohr die große Straße entlang. Peter war entzückt über das prachtvolle Schauspiel. Es war dasselbe Panorama, das er gestern von diesem Hügel aus bewundert hatte, jetzt aber war die ganze Gegend mit Truppen bedeckt, und die schiefen Strahlen der Morgensonne trafen die zahlreichen Rauchwolken der Schüsse. Ferne Wälder faßten das Panorama ein, und bis hinter Walujew konnte man die große Straße nach Smolensk verfolgen, die ganz von Truppen bedeckt war. In der Nähe glänzten die Felder und Waldlichtungen in goldenem Schein, überall, vorwärts, rechts und links, bewegten sich Truppen, alles war belebt, majestätisch, aber am meisten war Peter ergriffen vom Anblick des Schlachtfeldes selbst, des Dorfes Borodino und der Brücke über die Kolotscha. Über Borodino und der Kolotscha, besonders dort, wo das Flüßchen Woina mit seinen sumpfigen Ufern in die Kolotscha mündet, lag dichter Nebel, der unter den Strahlen der Sonne nach und nach zerfloß und durchsichtig wurde. Durch den Nebel und den Pulverdampf sah man Bajonette im Morgenlicht blinken. Dort drüben wurde die weiße Kirche von Borodino sichtbar und dann starke Truppenmassen, grüne Pulverwagen und Kanonen. Alles das bewegte sich oder schien sich zu bewegen, weil der Nebel und der Rauch sich über die ganze Gegend hinzogen. Zur Linken, längs der ganzen Linie, erhoben sich beständig aus nichts kleine Rauchwolken, die sich rasch aufblähten und ausbreiteten.

Diese Rauchwolken waren Schüsse, deren Donner dem ganzen Schauspiel eine feierliche Schönheit verlieh. Fortwährend bildeten sich diese großen Rauchwolken, und dann noch näher erhob sich der schwächere Rauch von Gewehrfeuer, dessen Krachen im Vergleich mit dem Kanonendonner schwach erklang. Peter wollte dort sein, wo diese Rauchwolken sich erhoben, wo die Bajonette glänzten. Er blickte sich nach Kutusow und seiner Suite um, um seine Eindrücke mit denen der anderen zu vergleichen. Alle überblickten mit derselben Spannung das Schlachtfeld.

»Reite dorthin, mein Lieber, Christus sei mit dir!« sagte Kutusow zu einem General, der neben ihm stand.

Der General ging an Peter vorüber. »Nach der Brücke«, erwiderte er kalt als Antwort auf die Frage eines der Stabsoffiziere, wohin er gehe.

»Ich auch! Ich auch!« sagte Peter und folgte dem General nach. Dieser setzte sich auf ein Pferd, das ihm ein Kosak vorführte, während Peter zu seinem Stallmeister ging, der die Pferde hielt. Er wählte das ruhigste, stieg auf und drückte dem Pferde die Absätze seiner nach auswärts gerichteten Füße in die Seite. Dann galoppierte er dem General nach, während er fühlte, daß seine Brille herabfallen wollte, daß er aber nicht imstande war, den Sattelknopf loszulassen, während die Offiziere ihm lächelnd nachsahen.


 << zurück weiter >>