Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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12

Nur Nikolai und Sonja, das fremde Mädchen und die ältere Tochter der Gräfin waren zurückgeblieben. Letztere war vier Jahre älter als Natalie und wurde schon zu den Erwachsenen gerechnet.

Sonja war eine Brünette mit sanften Augen. Ihre dunkle Gesichtsfarbe sprach sich noch stärker auf ihrem Hals und den feinen, graziösen Händen aus, und eine dicke Flechte von schwarzem Haar umgab zweimal ihren Kopf. Die Harmonie ihrer Bewegungen, ihr etwas zurückhaltendes Wesen erinnerte an ein kleines Kätzchen, das sich eben in eine hübsche junge Katze verwandeln wollte. Sie versuchte durch ein Lächeln am Gespräch teilzunehmen, aber ihre Augen richteten sich unwillkürlich auf den Vetter, der im Begriff war, zur Armee abzugehen. Es war klar, daß das Kätzchen sich nur für einen Augenblick bezwang und nach dem Verlassen des Salons sogleich mit dem lieben kleinen Cousin wieder tollen und laufen werde.

»Ja, meine Liebe«, sagte der alte Graf, »Nikolai will seinem Freund Boris, der zum Offizier ernannt wurde, aus Freundschaft folgen und mich verlassen. Er will das Studieren aufgeben und Offizier werden.«

»Nicht nur aus Freundschaft«, rief Nikolai tief errötend.

»Der Oberst des Pawlowgradschen Regiments wird heute bei uns speisen. Er ist auf Urlaub hier und wird meinen Sohn mitnehmen. Was soll ich machen?« sagte der Graf mit den Achseln zuckend und suchte in heiterem Tone von einem Vorhaben zu sprechen, das ihm viel Kummer machte.

»Ich habe Ihnen schon erklärt, Papa, daß ich bleiben werde, wenn Sie mich nicht gehen lassen. Aber ich weiß, daß ich nichts anderes als Offizier werden kann, denn um Diplomat oder Staatsbeamter zu werden, muß man seine Gefühle verbergen können, und das verstehe ich nicht.«

Das kleine Kätzchen hielt die Blicke auf ihn gerichtet und schien den Augenblick abzuwarten, seinem Mutwillen freien Lauf zu lassen.

»Gut, gut«, sagte der Graf, »er ist immer gleich Feuer und Flamme. Bonaparte hat allen die Köpfe verdreht, weil er aus einem einfachen Leutnant Kaiser geworden ist.«

Man sprach noch weiter über Napoleon, Julie aber, wie das junge Fräulein Karagin hieß, wandte sich an Nikolai.

»Schade, daß Sie Donnerstag nicht bei Archarows gewesen sind. Ich habe mich gelangweilt ohne Sie«, murmelte sie zärtlich. Der junge Mann näherte sich ihr sehr geschmeichelt, und es folgte ein kleines Komödienspiel, während die arme, kleine Sonja rot und zitternd zu lächeln sich bemühte. Doch bald verließ sie das Zimmer, mit Mühe ihre Tränen unterdrückend.

Die ganze Lebhaftigkeit Nikolais verschwand plötzlich und er benutzte den ersten Augenblick, um mit bestürzter Miene ihr nachzufolgen.

»Die Geheimnisse der jungen Leutchen sind sehr durchsichtig«, sagte die Fürstin Drubezkoi.

»Ich bin immer in Sorge«, bemerkte die Gräfin. »Dies ist das gefährlichste Alter für Mädchen wie für Knaben.«

»Alles hängt von der Erziehung ab.«

»Sie haben vollkommen recht. Ich war immer die Freundin meiner Kinder und habe ihr volles Vertrauen«, erwiderte die Gräfin. In dieser Beziehung teilte sie die Illusionen vieler Eltern, welche die Geheimnisse ihrer Kinder zu kennen glauben. »Ich weiß, daß meine Töchter keine Geheimnisse vor mir haben, und daß Nikolai, wenn er tolle Streiche machen sollte – denn ein Knabe ist dazu immer mehr oder weniger veranlagt –, sich nicht wie jene Petersburger Herren benehmen wird.«

»Welch reizendes junges Mädchen, Ihre Jüngste! Wie Schießpulver!«

»Ja, sie gleicht mir sehr«, erwiderte naiv der Papa. »Und welche Stimme! Ich muß gerecht sein, obgleich ich ihr Vater bin, sie wird eine zweite Salomoni werden.«

»Wissen Sie, daß sie schon in Boris verliebt ist?« fragte die Gräfin lächelnd und wechselte einen Blick mit ihrer Freundin, der Fürstin Drubezkoi. »Wenn ich sie streng halten und ihr verbieten würde, mit ihm umzugehen, Gott weiß, was geschehen könnte!« Damit wollte sie sagen, daß sie sich heimlich küssen würden. »Jetzt aber weiß ich alles, was sie unter sich sprechen, sie erzählt mir selbst alles abends. Ich habe sie verwöhnt, das ist möglich, aber so ist es doch besser, glauben Sie mir! . . . Meine ältere Tochter ist sehr streng erzogen worden.«

»Ja, das ist wahr, ich bin ganz anders erzogen worden«, sagte die junge Gräfin Wera lächelnd.

Leider aber verschönte sie dieses Lächeln nicht, es gab ihr einen unangenehmen und affektierten Ausdruck. Dennoch war sie ziemlich hübsch, verständig und gebildet und ihre Bemerkung war vollkommen richtig. Endlich entschloß sich Madame Karagin zu gehen, mit dem Versprechen, zum Diner zu erscheinen.

»Welche alberne Person«, rief die Gräfin, nachdem sie sie begleitet hatte, »ich glaubte, sie werde heute nicht mehr gehen.«


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