Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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214

Auf der Hauptwache, wohin Peter geführt wurde, benahmen sich der Offizier und die Soldaten feindlich gegen ihn, zugleich aber auch rücksichtsvoll, solange sie noch im Zweifel waren, ob er nicht vielleicht eine wichtige Persönlichkeit sei.

Aber als am folgenden Morgen die Ablösung kam, wurde Peter eine Veränderung fühlbar. Die Leute sahen in diesem großen, dicken Menschen im Bauernrock nicht mehr jenen energischen Mann, der so verzweifelt mit dem Marodeur und der Patrouille gekämpft und die feierlichen Worte über die Rettung des Kindes gesprochen hatte, sondern sie sahen in ihm nur noch den siebzehnten der auf Befehl verhafteten Russen. Nur durch sein schüchternes, nachdenkliches Wesen und seine Kenntnis der französischen Sprache war er von den anderen verschieden. Aber an demselben Tage wurde er zu den übrigen Gefangenen verwiesen, da das besondere Zimmer, das er einnahm, für den Offizier nötig war.

Alle verhafteten Russen waren Leute der niedrigsten Stände, alle erkannten in Peter einen Barin (Herrn) und hielten sich von ihm fern, um so mehr, weil er Französisch sprach. Am andern Tage erfuhr Peter, daß alle wegen Brandstiftung vor Gericht gestellt werden sollten. Am dritten Tage wurde Peter mit den anderen in ein benachbartes Haus geführt, wo ein französischer General mit weißem Schnurrbart, zwei Obersten und andere Franzosen saßen. Man stellte an ihn in scheinbar herablassendem Tone die gewöhnlichen Fragen, wer er sei, und so weiter, welche nur den Zweck hatten, die Schleuse zu öffnen, durch welche nach dem Willen der Richter die Antworten der Angeklagten herausfließen sollten, um zu dem erwünschten Ziel, das heißt zur Überführung zu führen. Peter empfand dasselbe, was alle Angeklagten vor irgendeinem Gericht empfinden, nämlich Verwunderung darüber, warum man ihm diese Fragen stellte. Er wußte, daß er sich in der Gewalt dieser Leute befand, daß nur die Gewalt ihn hierhergeführt hatte, daß nur die Gewalt ihnen das Recht gab, Antworten auf Fragen zu verlangen, deren einziger Zweck war, ihn zu überführen, und deshalb waren diese Fragen unnötig, da doch nun einmal der Wunsch, zu überführen, und auch die Gewalt dazu vorhanden waren. Auf die Frage, was er gemacht habe, als er ergriffen worden sei, erwiderte Peter in tragischem Ton, er sei im Begriff gewesen, den Eltern das Kind zu bringen, das er aus den Flammen gerettet habe. Warum er sich mit dem Marodeur geschlagen habe, fragte man, und Peter antwortete, er habe eine Frau verteidigt, und es sei die Verpflichtung jedes Mannes, eine beleidigte Frau zu verteidigen, und . . . Er wurde unterbrochen, das gehöre nicht zur Sache. Auf die Frage, warum er in dem Hof des brennenden Hauses gewesen sei, wo ihn Zeugen gesehen hätten, erwiderte er, er wollte nur sehen, was in Moskau vorgehe. – Wer er sei, fragte man wieder, und er antwortete wie zuvor, das könne er nicht sagen.

»Schreiben Sie das nieder! Das ist verdächtig!« sagte der General mit dem weißen Schnurrbart.

Am vierten Tage begann die Feuersbrunst am Subowschen Wall.

Peter wurde mit den dreizehn anderen nach der Krimschen Furt geführt, in die Wagenscheune eines Kaufmannshauses. Auf dem Wege dahin atmete Peter den Rauch ein, der über der ganzen Stadt lag. In verschiedenen Richtungen sah man Feuersbrünste. Peter begriff noch nicht die Bedeutung dieser Feuersbrünste, doch sah er sie mit Entsetzen. In der Wagenscheune des Kaufmannshauses brachte Peter noch vier Tage zu, und durch Gespräche mit französischen Soldaten erfuhr er, daß alle hier bewachten Leute mit jedem Tag die Entscheidung des Marschalls erwarteten, welches Marschalls, das konnte Peter von den Soldaten nicht erfahren, für welche ein Marschall augenscheinlich eine höchste und geheimnisvolle Gewalt bedeutete. Diese ersten Tage bis zum 8. September, an welchem die Gefangenen zu einem neuen Verhör vorgeführt würden, waren die schwersten für Peter.


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